Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde fachliche Qualifikation

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 37, 20; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 14.10.1992; Aktenzeichen 2 Sa 78/92)

KreisG Dresden (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 3 Ca 652/91)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 14. Oktober 1992 – 2 Sa 78/92 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die das beklagte Land unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anl. I zum Einigungsvertrag (künftig Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochen hat.

Die am 26. Januar 1958 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR aufgrund einer staatlichen Abschlußprüfung die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiterin und die Lehrbefähigung in den Fächern Deutsch und Musik für die unteren Klassen der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule erworben. Ab dem 1. August 1979 wurde sie als Freundschaftspionierleiterin eingesetzt. Sie erteilte in diesem Rahmen sechs Stunden wöchentlich Unterricht in der Unterstufe, nach ihren Angaben darüber hinaus Vertretungsunterricht in den Fächern Deutsch, Musik, Mathematik, Schulgarten, Werken und Zeichnen. Ab dem 1. August 1988 war sie als Unterstufenlehrerin mit vollem Deputat beschäftigt, nach ihren Angaben in den Fächern Deutsch, Musik, Mathematik, Schulgarten und Zeichnen.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Oktober 1991, welches der Klägerin am 29. Oktober 1991 zuging, wegen mangelnder fachlicher Qualifikation der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 1991.

Mit der beim Kreisgericht am 19. November 1991 eingegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin geltend gemacht, sie besitze neben der Lehrbefähigung in den Fächern Deutsch und Musik Zusatzausbildungen auf den Gebieten Pädagogik, Psychologie, Didaktik und Methodik. Aufgrund ihrer Ausbildung und des mehrere Jahre ohne Beanstandung erteilten Unterrichts sei sie für eine Tätigkeit als Lehrerin in den unteren Klassen qualifiziert. Ihre fehlende Ausbildung im Fach „Methodik des Mathematikunterrichts” habe sie durch ihre unterrichtende Tätigkeit mehr als kompensiert. Wenn der Beklagte nachträglich Qualifikationsanforderungen aufstelle, die bisher nicht verlangt worden seien, sei er verpflichtet, sie durch entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen an das neue Qualifikationsniveau heranzuführen.

Die Klägerin hat beantragt

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 1991 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
  2. für den Fall, daß die Klägerin mit dem Feststellungsantrag obsiegt, den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die Klägerin entspreche wegen mangelnder fachlicher Qualifikation nicht den Anforderungen. Bei der Festlegung der Anforderungen, die an eine Lehrkraft zu stellen seien, stehe ihm ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Organisationsermessen zu. Im Rahmen dieses Ermessens habe er festgelegt, daß als Grundschullehrer nur solche Lehrkräfte fachlich qualifiziert seien, die in den beiden Hauptfächern – Deutsch und Mathematik – und daneben in einem Wahlfach in der Grundschule unterrichten könnten. Der Lehrer müsse in beiden Hauptfächern unterrichten können, um so auch als Klassenleiter eingesetzt werden zu können. Das sei bei der Klägerin nicht gewährleistet. Die Klägerin sei überhaupt nicht für eine unterrichtende Tätigkeit im Fach Mathematik ausgebildet. Ihre Ausbildung unterscheide sich wesentlich von der eines Lehrers in den unteren Klassen. Ein Lehrer für untere Klassen werde im Fach Mathematik in 397 Stunden ausgebildet, der Freundschaftspionierleiter hingegen nur in 165 Stunden. In Methodik des Mathematikunterrichts werde ein Lehrer für untere Klassen in 201 Stunden ausgebildet, der Freundschaftspionierleiter hingegen überhaupt nicht. Die Klägerin habe lediglich 1989 und 1991 das Fach Mathematik unterrichtet. Zu einer Nach- oder Zusatzqualifizierung der Klägerin bestehe keine Verpflichtung.

Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung, während die Klägerin Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Übergangsregelungen. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Beitritts Angehörige des öffentlichen Dienstes des Beklagten. Sie unterrichtete an einer Polytechnischen Oberschule.

II. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 25. Februar 1993 (– 8 AZR 246/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen) über eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung in dem vergleichbaren Fall eines Freundschaftspionierleiters mit der Lehrbefähigung für Deutsch und Musik entschieden. Der vorliegende Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, von diesem Urteil abzuweichen. Da die Kündigung allein mit mangelnder fachlicher Qualifikation der Klägerin begründet wird, ist demnach von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1.a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation den Anforderungen nicht entspricht. Diese Bestimmung stellt eine eigenständige Sonderregelung dar. Liegen die Voraussetzungen nach Abs. 4 Ziff. 1 EV vor, ist nicht noch ergänzend auf die Erfordernisse nach § 1 KSchG abzustellen.

b) Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 EV, wonach im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, erfaßt den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht; denn es ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im alten Bundesgebiet unterrichten könnte.

2. Eine fachliche Qualifikation liegt nicht schon dann vor, wenn ein Lehrer in der Unterstufe in Deutsch, Mathematik und anderen Fächern unterrichtet hat, ohne daß Qualifikationsmängel zutage getreten wären.

a) Nach dem Wortlaut von Abs. 4 Ziff. 1 EV kommt es bei der Beurteilung der mangelnden Qualifikation zwar zunächst nicht auf die formale Vor- oder Ausbildung des betreffenden Arbeitnehmers an. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer über entsprechende arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Ein früherer Studienabschluß als Lehrer rechtfertigt nicht allein, die nach Abs. 4 Ziff. 1 EV erforderliche Qualifikation anzunehmen, wenn der erlernte Beruf nicht oder lange nicht ausgeübt, sondern eine berufsfremde Tätigkeit wahrgenommen worden ist.

b) Es ist aber weiter zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber unter sachlichen Gesichtspunkten die Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, indem er die Anforderungsprofile bestimmt, die er mit einem Arbeitsplatz verbindet. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn unter Berücksichtigung der festgelegten Qualifikationsmerkmale eine Beschäftigung für den Arbeitnehmer, der diesen Anforderungen nicht genügt, nicht mehr vorhanden ist. Genau wie der Unternehmer durch freie Unternehmerentscheidung, kann auch das Land in seinem Zuständigkeitsbereich die Qualifikationen festlegen, die es zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes für erforderlich hält.

3. Bei Festlegung der Qualifikationsmerkmale hat der Arbeitgeber die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten. Die Vorschrift ist so auszulegen, daß auf die einzelnen beruflichen Abschlüsse oder Befähigungen abzustellen ist. Die Begriffe „erworbene oder staatlich anerkannte … Abschlüsse oder Befähigungsnachweise” in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV sind nicht so auszulegen, daß auf eine Berufsbezeichnung (hier „Lehrer”) abzustellen wäre. Der Regelung in Art. 37 EV liegt die Zielsetzung zugrunde, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Gebiet der ehemaligen DDR die Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten. Es kann hierbei nicht darauf ankommen, abstrakt Einzelabschlüsse sammeln und anerkennen zu wollen. Die Einzelabschlüsse müssen vielmehr einem bestimmten Berufsbild zugeordnet werden können.

III.1. Die Klägerin hat Befähigungen in den Fächern Deutsch und Musik erlangt, die dem Beruf eines Lehrers zuzuordnen sind. Die Freundschaftspionierleiter wurden an Pädagogischen Hochschulen, Instituten für Lehrerbildung und am Zentralinstitut für Aus- und Weiterbildung in Droyßig ausgebildet (vgl. Nr. 2 der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976 – Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 5/1976, S. 23). Nach der Stundentafel hatten sie in einem Hauptfach und einem Wahlfach die gleiche Ausbildung wie die Unterstufenlehrer, was auch von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt wird. Von einer absoluten Trennung der unterschiedlichen Abschlüsse im Hinblick auf die spätere berufliche Tätigkeit kann nicht ausgegangen werden. Das ergibt sich schon aus dem Abschlußzeugnis (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1993, a.a.O., zu II 5 der Gründe). Danach erhielt der Absolvent die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter sowie die Lehrbefähigung für Deutsch und ein Wahlfach bzw. den Abschluß als Diplomlehrer für ein Fach (Nr. 2 der genannten Richtlinie, a.a.O.). Das Zeugnis der Klägerin wies dementsprechend ausdrücklich zwei „Befähigungen” aus. Weiter ist beachtlich, daß nach Nr. 9.3. der genannten Richtlinie die hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter planmäßig Unterricht erteilen konnten, wobei mindestens zwei und höchstens sechs Stunden Unterricht in maximal zwei Klassen zu erteilen waren. Solchen Unterricht hat die Klägerin auch erteilt. In Nr. I 6.10. der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 6/1984, S. 77) ist weiter bestimmt, der Freundschaftspionierleiter werde nach langjähriger und erfolgreicher Tätigkeit vorrangig in Leitungen des Jugendverbandes für leitende Tätigkeit im Bereich der Volksbildung, als Lehrer (im Original nicht unterstrichen) oder Erzieher bzw. in außerschulischen Einrichtungen eingesetzt. Danach war mit der Ausbildung zum Freundschaftspionierleiter in der ehemaligen DDR die Befähigung zu einer Tätigkeit als Lehrer verbunden.

2. Da die Klägerin seit 1988 nur noch als Lehrerin eingesetzt war, bestand nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV eine anzuerkennende fachliche Qualifikation als Lehrerin mit dem Hauptfach Deutsch und dem Wahlfach Musik. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, der Klägerin fehle es für den Unterricht in Deutsch und Musik an entsprechenden arbeitsplatzbezogenen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Qualifikation in diesen Fächern kann nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, es fehle ein anzuerkennender Abschluß in einem dritten Fach (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1993, a.a.O.).

3. Die auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation der Klägerin für den Unterricht in den Fächern Deutsch und Musik genügt für einen Einsatz als Lehrerin. Der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu der Frage, in welcher Form der öffentliche Arbeitgeber Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, insbesondere, ob es einer Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung bedarf. Auch wenn man die formlose Festlegung von Qualifikationsvoraussetzungen genügen läßt, muß diese sich – wie ausgeführt – im Rahmen von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV halten. Die Forderung, als Grundschullehrer seien nur solche Lehrkräfte fachlich qualifiziert, die in beiden Hauptfächern und zusätzlich in einem Wahlfach in der Grundschule unterrichten könnten, läßt sich mit Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV nicht vereinbaren. Es kommt nicht darauf an, ob es dem Beklagten möglich ist oder ob er gar verpflichtet ist, die Klägerin auch als Klassenleiterin einzusetzen. Jedenfalls scheitert ihr Einsatz als Lehrerin nicht an fehlender fachlicher Qualifikation. Ob der Beklagte einen Lehrer mit einer Qualifikation in nur einem Hauptfach und einem Wahlfach einsetzen kann, ist demgegenüber eine Frage des Bedarfs. Auf einen mangelnden Bedarf hat er die Kündigung ausdrücklich nicht gestützt.

IV. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, daß ihr Feststellungsantrag allein den punktuellen Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage umfaßt. Auf das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für einen weitergehenden Feststellungsantrag kommt es daher nicht an.

V. Die Auslegung des Weiterbeschäftigungsantrags ergibt, daß die Klägerin damit ihre vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits geltend gemacht hat. Das ergibt sich aus der Formulierung „Weiterbeschäftigung” und aus der Begründung des Antrags. Für ein weitergehendes Begehren bestehen keine Anhaltspunkte.

Über die Berechtigung des Anspruchs auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist nicht mehr zu befinden. Der Antrag war ersichtlich nur für den Fall gestellt, daß in der Sache nicht abschließend entschieden wird. Da mit der Verkündung des Urteils rechtskräftig feststeht, daß die Kündigung unwirksam ist, kommt eine vorläufige Weiterbeschäftigung nicht mehr in Betracht.

VI. Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Rheinberger, Harnack

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065119

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