Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Vordientszeiten. Gleichbehandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Mittelbare Diskriminierung bei Stichtagsregelung

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EWGVtr Art. 119; BAT 1975 Anlage 1 a Abschn. II G VergGr. V c i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 24. April 1991; BAT 1975 Anlage 1 a Abschn. II G VergGr. VI b i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 24. April 1991

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 01.12.1992; Aktenzeichen 7/9 Sa 649/92)

ArbG Gießen (Urteil vom 10.03.1992; Aktenzeichen 4 Ca 727/91)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1992 – 7/9 Sa 649/92 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin; insbesondere darüber, ob frühere Dienstzeiten bei anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes bei der Berechnung der Bewährungszeit bei der Beklagten zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin ist seit dem 4. März 1991 bei der Beklagten als Erzieherin mit staatlicher Anerkennung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden nach dem Arbeitsvertrag vom 1. März 1991 die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Außerdem finden die für den Bereich der beklagten Stadt jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung (§ 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages). Die Klägerin ist z.Zt. in die Vergütungsgruppe VI b BAT/VKA eingruppiert.

Zuvor wurde die Klägerin vom 1. Oktober 1967 bis 31. Dezember 1969 vom Land Nordrhein-Westfalen als vollbeschäftigte Angestellte unter Eingruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT im öffentlichen Volksschuldienst beschäftigt. Danach war sie vom 1. Januar 1970 bis 1. Juni 1972 unter Eingruppierung in Vergütungsgruppe V b BAT als pädagogische Unterrichtshilfe tätig. In der Zeit vom 1. April 1989 bis 17. Dezember 1990 arbeitete die Klägerin bei der Stadt H. unter Eingruppierung nach Vergütungsgruppe VI b BAT als Erzieherin in Kindergärten. Ab dem 30. Oktober 1989 war sie als Leiterin eines Kindergartens eingesetzt. Anschließend war sie bis zum Eintritt in die Dienste der Beklagten arbeitslos.

Durch Tarifvertrag vom 24. April 1991 wurde unter § 2 B die Anlage 1 a zum BAT hinsichtlich der Tätigkeitsmerkmale für die Angestellten im Sozial- und im Erziehungsdienst mit Wirkung ab dem 1. Januar 1991 geändert. Mit diesem Tarifvertrag wurde unter Vereinbarung einer Übergangsregelung erstmals ein Bewährungsaufstieg und eine Vergütungsgruppenzulage für Erzieherinnen eingeführt.

Die Beklagte zahlte aufgrund des oben genannten Änderungstarifvertrages im November 1991 der Klägerin für die Zeit seit 4. März 1991 die Differenz zwischen den Vergütungsgruppen VI b und V c BAT in Höhe von insgesamt 686,20 DM netto. Mit Schreiben vom 14. November 1991 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Vergütungsdifferenz sei zu Unrecht gezahlt worden und werde demnächst mit den Bezügen der Klägerin verrechnet, was auch geschah.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT/VKA, weil ihre Vordienstzeiten bei den anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes, entgegen den Übergangsregelungen in den Bestimmungen des Änderungstarifvertrages, anzurechnen seien. Soweit die Übergangsregelung in § 6 des Änderungstarifvertrages die Berücksichtigung von Vordienstzeiten davon abhängig mache, daß das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 1990 hinaus zu demselben Arbeitgeber fortbestanden habe. verstoße diese Beschränkung mangels eines sachlichen Grundes gegen den Gleichheitssatz der Verfassung und sei daher nichtig.

Erstmals in der Revisionsinstanz beruft sich die Klägerin ferner darauf, die Regelung in § 6 Änderungs-TV, die eine Berücksichtigung ihrer Vordienstzeiten ausschließe, verstoße wegen mittelbarer Frauendiskriminierung gegen Art. 119 EWG-Vertrag, da von ihr wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen seien. Ein sachlicher Grund für diese Diskriminierung bestehe nicht.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 686,20 DM netto nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
  2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie nach der Vergütungsgruppe V c BAT/VKA zu vergüten und den Differenzbetrag zwischen der Bruttovergütung nach der Vergütungsgruppe V c und der Vergütungsgruppe VI b netto ab Rechtshängigkeit mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, Vordienstzeiten könnten mit Rücksicht auf die Übergangsregelung des § 6 Änderungs-TV nicht berücksichtigt werden. Diese Regelung sei auch sachlich gerechtfertigt. Bis zum Inkrafttreten der Änderung habe es einen Bewährungsaufstieg für Erzieherinnen nicht gegeben. Deshalb seien Aufzeichnungen oder Überprüfungen der Tätigkeiten dieser Beschäftigten niemals geführt bzw. vorgenommen worden. Den neuen Arbeitgebern sei also eine Feststellung unmöglich, ob sich Arbeitnehmer in früheren Dienstverhältnissen bei anderen Arbeitgebern bewährt haben. Darüber hinaus hätten die Tarifvertragsparteien wegen der vereinbarten Rückwirkung zum 1. Januar 1991 eine schnelle Umsetzung des Änderungstarifvertrages erstrebt. Die Erreichung dieses Ziels wäre erheblich erschwert worden, wenn angesichts der großen Fluktuation im Erziehungsdienst eine Vielzahl von Einzelfällen auf anrechenbare Vordienstzeiten bei anderen Arbeitgebern hätte überprüft werden müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat z.Zt. keinen Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c der Anlage 1 a (Sozial- und Erziehungsdienst) zum BAT/VKA in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung.

I.1. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT/VKA kraft Vereinbarung Anwendung. Danach kommen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch die folgenden Bestimmungen in Betracht:

Vergütungsgruppe VI b

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben. (Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 3 und 5)

Vergütungsgruppe V c

7. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,

nach dreijähriger Bewährung in Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 5. II)

(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 3 und 5)

Änderungs-TV zur Anlage 1 a zum BAT vom 24. April 1991

§ 6

Übergangsvorschriften für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände

Für die Angestellten, die am 31. Dezember 1990 in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am 1. Januar 1991 zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, gilt für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses folgendes:

2.a) Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, daß durch die Vorschrift in Fallgruppe 7 der Vergütungsgruppe V c erstmals für Erzieherinnen ein Bewährungsaufstieg aus der Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 5 in die Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 7 geschaffen worden ist. Voraussetzung hierfür ist eine dreijährige Bewährung in der Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 5.

b) Nach § 6 des Änderungs-TV, mit dem dieser Bewährungsaufstieg eingeführt wurde, beginnt die Bewährungszeit jedoch nicht erst ab Inkrafttreten des Änderungs-TV, sondern bereits mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses, wenn dieses am 31, Dezember 1990 bestanden hat und am 1. Januar 1991 zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat.

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin unstreitig nicht. da ihr Arbeitsverhältnis erst am 4. März 1991 begonnen hat. Ihre Bewährungszeit rechnet daher erst ab diesem Zeitpunkt, so daß sie einen Anspruch auf Vergütung aus der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 7 der Anlage 1 a zum BAT/VKA frühestens ab 4. März 1994 hat.

3. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, verstößt diese Regelung auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind.

a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz und damit auch alle betroffenen Angestellten vor dem Tarifvertrag gleichzubehandeln. Ein Verstoß gegen diesen Gleichheitssatz liegt vor, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. In Art. 3 Abs. 1 GG kommt darüber hinaus ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck. Die Grenze zur Willkür wird durch eine Regelung jedoch nicht schon dann überschritten, wenn die gefundene Lösung nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste ist, sondern erst dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die Regelung nicht finden läßt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 18. September 1991 – 5 AZR 620/90 – AP Nr. 192 zu Art. 3 GG; BVerfGE 55, 72, 88; 78, 232, 247). Der Gleichheitssatz wird durch die Tarifvertragsparteien bei der Setzung von Tarifnormen deshalb nur dann verletzt, wenn sie es versäumen, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 42, 239, 243 = AP Nr. 72 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Die Gerichte können deshalb nicht prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben, vielmehr haben sie lediglich zu untersuchen, ob die getroffene Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet. Das ist dann anzunehmen, wenn Differenzierungen vorgenommen wurden, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht vorhanden sind (BAGE 42, 239, 243 = AP, aaO; BAGE 66, 306, 312 = AP Nr. 153 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BVerfG Beschluß vom 26. März 1980 – BvR 121/76 und 122/76 – AP Nr. 116 zu Art. 3 GG). Dabei ist es unvermeidlich, daß bei Pauschalierungen, die im Gesetzes- und Tarifrecht im Interesse der Praktikabilität vorgenommen werden, gewisse Härten vorkommen (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983 – 4 AZR 578/80 – AP Nr. 16 zu § 23 a BAT).

Bei Tarifverträgen muß ferner berücksichtigt werden, daß sie zwischen gleichstehenden Parteien im einzelnen ausgehandelt werden. Dann muß es aber auch ihnen überlassen bleiben, in eigener Verantwortung unter Umständen Zugeständnisse in einer Richtung mit Vorteilen in anderen Bereichen auszugleichen. Das rechtfertigt es, den Tarifvertragsparteien insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum einzuräumen.

b) Im vorliegenden Fall gibt es aber vernünftige und einleuchtende Gründe dafür, die Vordienstzeiten aus der Zeit vor Inkrafttreten des Änderungs-TV nur bei den Angestellten zu berücksichtigen, deren Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 1990 hinaus bei demselben Arbeitgeber fortbestand.

aa) Da bis zu diesem Zeitpunkt ein Bewährungsaufstieg nicht möglich war, sind von den jeweiligen Arbeitgebern keine Feststellungen oder Aufzeichnungen wegen der Bewährung der betreffenden Erzieherinnen gemacht worden. Es würde unter diesen Umständen aber eine Überforderung des jeweiligen neuen Arbeitgebers darstellen, wenn er – wie der vorliegende Fall zeigt – Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern, die über ein Jahrzehnt zurückliegen (1967 – 1969!) daraufhin überprüfen müßte, ob sich der Angestellte in dieser Zeit in seiner damals ausgeübten Tätigkeit bewährt hat.

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, daß die Tarifvertragsparteien beim Aushandeln tarifvertraglicher Regelungen abschätzen wollen, welche Belastungen durch die Neuregelung auf sie zukommen. Wenn sie sich daher, vor die Wahl gestellt, für oder gegen eine Stichtagsregelung oder auch die Berücksichtigung von Vordienstzeiten aussprechen und damit versuchen, die dadurch entstehenden Schwierigkeiten und finanziellen Belastungen in vertretbaren und vor allem überschaubaren Grenzen zu halten, so sind dies allein schon sachliche Gründe. Finanzielle und finanzpolitische Erwägungen rechtfertigen unterschiedliche Regelungen, es stellt keine willkürliche Differenzierung dar, wenn darauf abgestellt wird, ob ein Angestellter bereits vor und nach einem bestimmten Stichtag bei einem bestimmten Arbeitgeber beschäftigt war oder nicht (BAG Urteil vom 6. Februar 1980 – 4 AZR 158/78 – AP Nr. 7 zu § 1 TVG Rückwirkung; BVerfGE 24, 220, 228). Abgesehen davon, daß sich die Unterschiede und Folgen der vorliegenden Übergangsregelung im Verlauf von längstens 3 Jahren ausgleichen, bringen derartige Stichtagsregelungen im Einzelfall unvermeidliche Härten mit sich, die aber in Kauf genommen werden müssen (vgl. BVerfGE 24, 220, 228).

cc) Schließlich bot sich der von den Tarifvertragsparteien gewählte Stichtag „31. Dezember 1990/1. Januar 1991” aufgrund des Inkrafttretens der neuen Regelung zu diesem Zeitpunkt von selbst an. Jeder andere Stichtag würde den Kreis der belasteten Arbeitnehmer zwar um eine unbekannte Anzahl verringern, die Feststellungsschwierigkeiten aber entsprechend vergrößern (vgl. BAG Urteil vom 6. Februar 1980 – 4 AZR 158/78 – AP, aaO).

4. Die Tarifvertragsparteien haben entgegen der Auffassung der Revision mit der von ihnen getroffenen Regelung nicht gegen Art. 119 EWG-Vertrag wegen mittelbarer Diskriminierung von Frauen verstoßen.

a) Zwar wird in Art. 119 EWG-Vertrag ebenso wie in der Lohngleichheitsrichtlinie 75/117/EWG ein Diskriminierungsverbot ausgesprochen, ohne daß dabei – im Unterschied zu späteren gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten, z.B. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG über den Zugang zur Beschäftigung u.a. vom 9. Februar 1976 (ABl. EG Nr. L 39 vom 14. Februar 1976. S. 40) – die mittelbare Diskriminierung ausdrücklich erwähnt würde. Gleichwohl verbietet Art. 119 EWG-Vertrag auch die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (vgl. nur die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, z.B. Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – (Bilka-Kaufhaus) AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; zuletzt Urteil vom 4. Juni 1992 – Rs C 360/90 – (Bötel) EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 108). Das Bundesarbeitsgericht hat sich dem in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (z.B. BAGE 66, 264, 270 f. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; BAG Urteil vom 2. Dezember 1992 – 4 AZR 152/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) aa) Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthält nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dann eine gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – (Rinner-Kühn) AP Nr. 16 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – (Kowalska) AP Nr. 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 4. Juni 1992 – Rs C 360/90 – (Bötel) EzA, aaO).

bb) Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts liegt nicht schon dann vor, wenn unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind. Hinzukommen muß vielmehr, daß zugleich das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten wesentlich anders ist. Wäre z.B. der Anteil der Frauen unter den von der hier einschlägigen Vorschrift begünstigten Beschäftigten ebenso groß wie unter den von ihr Benachteiligten, so würde es schon an der Grundvoraussetzung eines Verstoßes gegen den Lohngleichheitssatz des Art. 119 EWG-Vertrag fehlen, nämlich an einer im Ergebnis ungleichen Behandlung von Männern und Frauen.

Daß das Vorhandensein einer mittelbaren Diskriminierung nur anhand eines Vergleichs des zahlenmäßigen Verhältnisses der Geschlechter in der von der Norm begünstigten Gruppe mit demjenigen in der von der Norm benachteiligten Gruppe beurteilt werden kann, hat der Europäische Gerichtshof schon in seinem grundlegenden Urteil vom 13. Mai 1986 (– Rs 170/84 – Bilka-Kaufhaus AP, aaO) zum Ausdruck gebracht. Er hat nämlich in diesem Urteil die Beantwortung der Frage, ob eine für Teilzeitbeschäftigte ungünstige Regelung wesentlich mehr Frauen als Männer trifft davon abhängig gemacht, ob in ihrem Anwendungsbereich ein erheblich geringerer Prozentsatz Frauen als Männer vollzeitbeschäftigt ist. Die Ermittlung dieser Prozentsätze setzt eine Rechenoperation voraus, die zunächst von der jeweiligen Gesamtzahl der im Anwendungsbereich der Norm vorhandenen Arbeitnehmer eines Geschlechts ausgeht und diese sodann in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte aufteilt. Damit ist diese Rechenoperation gleichbedeutend mit der Feststellung der Geschlechterverteilung unter den Vollzeit- und unter den Teilzeitbeschäftigten.

cc) Auch in späteren Urteilen zu Art. 119 EWG-Vertrag hat der Europäische Gerichtshof eine mittelbare Diskriminierung davon abhängig gemacht, ob prozentual erheblich weniger Frauen als Männer unter den von einer Regelung Begünstigten (Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – (Rinner-Kühn) AP. aaO) bzw. ob prozentual erheblich weniger Männer als Frauen unter den von einer Regelung Benachteiligten sind (Urteil vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – (Kowalska) AP. aaO).

Ebenso hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Mai 1991 (– Rs C 229/89 – (Kommission/Belgien) Slg. 1991, I – 2223. 2228) bei der Prüfung, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, ausdrücklich darauf abgestellt, wie sich die Geschlechterverteilung innerhalb der von dieser Regelung benachteiligten Gruppe verhält. Zwar lag dieser Entscheidung nicht Art. 119 EWG-Vertrag zugrunde, sondern die Richtlinie 79/7/EWG vom 19. Dezember 1978 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. EG Nr. L 6 vom 10. Januar 1979, S. 24). Der Europäische Gerichtshof hat aber in

dieser Entscheidung ausdrücklich auf seine Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt verwiesen und damit deutlich gemacht, daß bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung für den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie im Anwendungsbereich des Art. 119 EWG-Vertrag.

Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen getroffen, daß durch die beanstandete Regelung mehr weibliche als männliche Personen betroffen worden sind. Hierfür ist auch nichts Hinreichendes dargetan.

c) Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß in den von der Regelung des § 6 Änderungs-TV erfaßten Erziehungsberufen allgemein erheblich mehr Frauen als Männer beschäftigt werden. Daraus folgt aber. daß dieses Verhältnis in gleicher Weise auf die durch die Regelung begünstigte Gruppe von Erziehern zutrifft. Deshalb fehlt es vorliegend schon an der Grundvoraussetzung eines Verstoßes gegen den Lohngleichheitssatz des Art. 119 EWG-Vertrag, nämlich einer ungleichen Behandlung von Männern und Frauen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Wißmann, Schneider, Wiese, Schamann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079649

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