Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Vordienstzeiten-Gleichbehandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelrechtsstreit zum Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 165/93

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EWGVtr Art. 119; BAT/VKA Anlage 1 a VergGr. IV b Fußnote II (Sozial- und Erziehungsdienst) i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 24. April 1991; Änderungstarifvertrag zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24. April 1991 § 6

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 15.02.1994; Aktenzeichen 16 (6) Sa 586/93 E)

ArbG Braunschweig (Urteil vom 23.10.1992; Aktenzeichen 2 Ca 534/92 E)

 

Tenor

1. Auf die Revision der beklagten Stadt wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. Februar 1994 – 16 (6) Sa 586/93 E – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der beklagten Stadt wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23. Oktober 1992 – 2 Ca 534/92 E – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Vergütungsgruppenzulage der als Sozialarbeiterin bei der beklagten Stadt beschäftigten Klägerin.

Die Klägerin ist seit dem 16. Juli 1984 bei der Beklagten als Sozialarbeiterin beschäftigt. Sie ist teilzeitbeschäftigt mit einer Arbeitszeit von 28,25 Stunden wöchentlich. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 2. Juli 1984/16. Juli 1984 richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und den in der Zwischenzeit ergangenen, diesen Tarifvertrag ändernden oder ergänzenden Tarifverträgen. Nach § 4 des Vertrages ist die Klägerin „entsprechend den von ihr auszuübenden Tätigkeiten” in die VergGr. IV b BAT eingruppiert.

Bevor die Klägerin bei der beklagten Stadt tätig geworden ist, war sie vom 1. Oktober 1975 bis 13. Oktober 1981 beim Jugendamt der Stadt S. als Sozialarbeiterin beschäftigt und damals zuletzt nach der VergGr. IV b Fallgr. 8 (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) der Anlage 1 a zum BAT vom 19. Juni 1970 eingruppiert. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Stadt S. bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses mit der beklagten Stadt war die Klägerin mit Rücksicht auf die Erziehung ihres Kindes nicht tätig.

Mit Schreiben vom 4. November 1991 hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr stehe ab 1. Januar 1991 eine Vergütungsgruppenzulage nach der Fußnote II zur VergGr. IV b Fallgr. 17 der Anlage 1 a zum BAT/VKA in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 24. April 1991 zu. Dies lehnte die beklagte Stadt mit Schreiben vom 24. Januar 1992 ab.

Mit der am 9. September 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgt. Sie hat dazu vorgetragen, sie habe bereits eine 13-jährige Berufserfahrung. Die Zeit bei der Stadt S. müsse in ihre Bewährungszeit miteingerechnet werden.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Vergütungsgruppenzulage in Höhe von 5 % der Vergütungsgruppe IV b BAT seit dem 1. Januar 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nach dem Tarifvertrag einen Anspruch auf Vergütungsgruppenzulage erst ab 16. Juli 1992. Nach den Regelungen der Übergangsvorschrift im Änderungstarifvertrag könnten Zeiten bei einem früheren Arbeitgeber nicht angerechnet werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klageforderung entsprochen. Die Berufung der beklagten Stadt hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil zugelassen. Mit der Revision verfolgt die beklagte Stadt ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis 15. Juli 1992 keinen Anspruch auf die Vergütungsgruppenzulage. Für die anschließende Zeit ist der Anspruch auf Vergütungsgruppenzulage zwischen den Parteien nicht streitig, sie wird nach dem unbestrittenen Vortrag der beklagten Stadt seit diesem Zeitpunkt auch gezahlt.

II.1. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT/VKA kraft Vereinbarung Anwendung. Gemäß der Anlage 1 a zum BAT/VKA (Sozial- und Erziehungsdienst) ist nach der VergGr. IV b Fallgr. 17 eingruppiert, eine Sozialarbeiterin mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit … nach zweijähriger Bewährung in der VergGr. V b Fallgr. 10. Daneben kommen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf eine Vergütungsgruppenzulage folgende Bestimmungen in Betracht:

Fußnote II zu VerGr. IV b Fallgr. 17 der Anlage 1 a zum BAT Teil II VKA Sozial- und Erziehungsdienst:

Diese Angestellten erhalten nach sechsjähriger Tätigkeit in dieser Fallgruppe eine monatliche Vergütungsgruppenzulage in Höhe von 5 v.H. der Grundvergütung der Stufe 4 der Vergütungsgruppe IV b. Bei der Berechnung sich ergebende Bruchteile eines Pfennigs unter 0,5 sind abzurunden, Bruchteile von 0,5 und mehr sind aufzurunden. Die Vergütungsgruppenzulage gilt bei der Bemessung des Sterbegeldes (§ 41) und des Übergangsgeldes (§ 63) als Bestandteil der Grundvergütung.

§ 6 des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24. April 1991:

Für die Angestellten, die am 31. Dezember 1990 in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am 1. Januar 1991 zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, gilt für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses folgendes:

  1. Hängt die Eingruppierung oder der Anspruch auf eine Vergütungsgruppenzulage nach diesem Tarifvertrag von der Zeit einer Tätigkeit oder von der Zeit einer Bewährung in einer bestimmten Vergütungs- und Fallgruppe oder von der Zeit einer Berufstätigkeit ab, wird die vor dem 1. Januar 1991 zurückgelegte Zeit vorbehaltlich der nachstehenden Nr. 3. so berücksichtigt, wie sie zu berücksichtigen wäre, wenn dieser Tarifvertrag bereits seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses gegolten hätte.

2. Nach § 6 des Änderungstarifvertrages, mit dem der Bewährungsaufstieg und die Vergütungsgruppenzulage eingeführt wurden, beginnen die zu berücksichtigenden Zeiten jedoch nicht erst ab Inkrafttreten des Änderungstarifvertrages, sondern bereits mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses, wenn dieses am 31. Dezember 1990 bestanden hat und am 1. Januar 1991 zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat. Danach können nur die bei der Beklagten zurückgelegten Zeiten berücksichtigt werden. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten hat erst am 16. Juli 1984 begonnen. Ihre Bewährungszeit in der VergGr. V b Fallgr. 10 rechnet daher erst ab diesem Zeitpunkt und lief bis zum 15. Juli 1986. Erst von diesem Zeitpunkt an hatte sie Anspruch auf Vergütung aus der VergGr. IV b Fallgr. 17 BAT/VKA, so daß sie einen Anspruch auf die Vergütungsgruppenzulage erst ab 16. Juli 1992 hat (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 165/93 –, n.v.).

3. Diese Regelung verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind (BAG, a.a.O.).

a) Artikel 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz und damit auch alle betroffenen Angestellten vor dem Tarifvertrag gleichzubehandeln. Ein Verstoß gegen diesen Gleichheitssatz liegt vor, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. In Art. 3 Abs. 1 GG kommt darüber hinaus ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck. Die Grenze zur Willkür wird durch eine Regelung jedoch nicht schon dann überschritten, wenn die gefundene Lösung nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste ist, sondern erst dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die Regelung nicht finden läßt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 18. September 1991 – 5 AZR 620/90 – AP Nr. 192 zu Art. 3 GG; BVerfGE 55, 72, 88; 78, 232, 247). Der Gleichheitssatz wird durch die Tarifvertragsparteien bei der Setzung von Tarifnormen deshalb nur dann verletzt, wenn sie es versäumen, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 42, 239, 243 = AP Nr. 72 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Die Gerichte können deshalb nicht prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben, vielmehr haben sie lediglich zu untersuchen, ob die getroffene Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet. Das ist dann anzunehmen, wenn Differenzierungen vorgenommen wurden, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht vorhanden sind (BAGE 42, 239, 243 = AP, a.a.O.; BAGE 66, 306, 312 = AP Nr. 153 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BVerfG Beschluß vom 26. März 1980 – BvR 121/76 und 122/76 – AP Nr. 116 zu Art. 3 GG). Dabei ist es unvermeidlich, daß bei Pauschalierungen, die im Gesetzes- und Tarifrecht im Interesse der Praktikabilität vorgenommen werden, gewisse Härten vorkommen (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983 – 4 AZR 578/80 – AP Nr. 16 zu § 23 a BAT).

Bei Tarifverträgen muß ferner berücksichtigt werden, daß sie zwischen gleichstehenden Parteien im einzelnen ausgehandelt werden. Dann muß es aber auch ihnen überlassen bleiben, in eigener Verantwortung unter Umständen Zugeständnisse in einer Richtung mit Vorteilen in anderen Bereichen auszugleichen. Das rechtfertigt es, den Tarifvertragsparteien insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum einzuräumen.

b) Im vorliegenden Fall gibt es aber vernünftige und einleuchtende Gründe dafür, die Vordienstzeiten aus der Zeit vor Inkrafttreten des Änderungs-TV nur bei den Angestellten zu berücksichtigen, deren Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 1990 hinaus bei demselben Arbeitgeber fortbestand.

aa) Da bis zu diesem Zeitpunkt ein Bewährungsaufstieg nicht möglich war, sind von den jeweiligen Arbeitgebern keine Feststellungen oder Aufzeichnungen wegen der Bewährung der betreffenden Erzieherinnen gemacht worden. Es würde unter diesen Umständen aber eine Überforderung des jeweiligen neuen Arbeitgebers darstellen, wenn er – wie der vorliegende Fall zeigt – Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern, die teilweise über ein Jahrzehnt zurückliegen (1975–1981i) daraufhin überprüfen müßte, ob sich der Angestellte in dieser Zeit in seiner damals ausgeübten Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber bewährt hat.

bb) Zu Recht hat die Revision auch darauf hingewiesen, daß die Tarifvertragsparteien beim Aushandeln tarifvertraglicher Regelungen abschätzen wollen, welche Belastungen durch die Neuregelung auf sie zukommen. Wenn sie sich daher, vor die Wahl gestellt, für oder gegen eine Stichtagsregelung oder auch die Berücksichtigung von Vordienstzeiten aussprechen und damit versuchen, die dadurch entstehenden Schwierigkeiten und finanziellen Belastungen in vertretbaren und vor allem überschaubaren Grenzen zu halten, so sind dies allein schon sachliche Gründe. Finanzielle und finanzpolitische Erwägungen rechtfertigen unterschiedliche Regelungen; es stellt keine willkürliche Differenzierung dar, wenn darauf abgestellt wird, ob ein Angestellter bereits vor und nach einem bestimmten Stichtag bei einem bestimmten Arbeitgeber beschäftigt war oder nicht (BAG Urteil vom 6. Februar 1980 – 4 AZR 158/78 – AP Nr. 7 zu § 1 TVG Rückwirkung; BVerfGE 24, 220, 228). Abgesehen davon, daß sich die Unterschiede und Folgen der vorliegenden Übergangsregelung mit der Zeit ausgleichen, bringen derartige Stichtagsregelungen im Einzel fall unvermeindliche Härten mit sich, die aber in Kauf genommen werden müssen (vgl. BVerfGE 24, 220, 228).

cc) Schließlich bot sich der von den Tarifvertragsparteien gewählte Stichtag „31. Dezember 1990/1. Januar 1991” aufgrund des Inkrafttretens der neuen Regelung zu diesem Zeitpunkt von selbst an. Jeder andere Stichtag würde den Kreis der belasteten Arbeitnehmer zwar um eine unbekannte Anzahl verringern, die Feststellungsschwierigkeiten aber entsprechend vergrößern (vgl. BAG Urteil vom 6. Februar 1980 – 4 AZR 158/78 – AP, a.a.O.).

4. Die Tarifvertragsparteien haben mit der von ihnen getroffenen Regelung auch nicht gegen Art. 119 EWG-Vertrag wegen unmittelbarer Diskriminierung von Frauen verstoßen (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 165/93 –, a.a.O.).

a) Zwar wird in Art. 119 EWG-Vertrag ebenso wie in der Lohngleichheitsrichtlinie 75/117/EWG ein Diskriminierungsverbot ausgesprochen, ohne daß dabei – im Unterschied zu späteren gemeinschaftlichen Diskriminierungsverboten, z.B. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG über den Zugang zur Beschäftigung u.a. vom 9. Februar 1976 (ABl. EG Nr. L 39 vom 14. Februar 1976, S. 40) – die mittelbare Diskriminierung ausdrücklich erwähnt würde. Gleichwohl verbietet Art. 119 EWG-Vertrag auch die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (vgl. nur die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, z.B. Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – (Bilka-Kaufhaus) AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; zuletzt Urteil vom 4. Juni 1992 – Rs C 360/90 – (Bötel) EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 108). Das Bundesarbeitsgericht hat sich dem in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (z.B. BAGE 66, 264, 270 f. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; BAG Urteil vom 2. Dezember 1992 – 4 AZR 152/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b)aa) Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthält nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dann eine gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – (Rinner-Kühn) AP Nr. 16 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – (Kowalska) AP Nr. 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Urteil vom 4. Juni 1992 – Rs C 360/90 – (Bötel) EzA, a.a.O.).

bb) Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts liegt nicht schon dann vor, wenn unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind. Hinzukommen muß vielmehr, daß zugleich das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten wesentlich anders ist. Wäre z.B. der Anteil der Frauen unter den von der hier einschlägigen Vorschrift begünstigten Beschäftigten ebenso groß wie unter den von ihr Benachteiligten, so würde es schon an der Grundvoraussetzung eines Verstoßes gegen den Lohngleichheitssatz des Art. 119 EWG-Vertrag fehlen, nämlich an einer im Ergebnis ungleichen Behandlung von Männern und Frauen.

Daß das Vorhandensein einer mittelbaren Diskriminierung nur anhand eines Vergleichs des zahlenmäßigen Verhältnisses der Geschlechter in der von der Norm begünstigten Gruppe mit demjenigen in der von der Norm benachteiligten Gruppe beurteilt werden kann, hat der Europäische Gerichtshof schon in seinem grundlegenden Urteil vom 13. Mai 1986 (– Rs 170/84 – (Bilka-Kaufhaus) AP, a.a.O.) zum Ausdruck gebracht. Er hat nämlich in diesem Urteil die Beantwortung der Frage, ob eine für Teilzeitbeschäftigte ungünstige Regelung wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, davon abhängig gemacht, ob in ihrem Anwendungsbereich ein erheblich geringerer Prozentsatz Frauen als Männer vollzeitbeschäftigt ist. Die Ermittlung dieser Prozentsätze setzt eine Rechenoperation voraus, die zunächst von der jeweiligen Gesamtzahl der im Anwendungsbereich der Norm vorhandenen Arbeitnehmer eines Geschlechts ausgeht und diese sodann in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte aufteilt. Damit ist diese Rechenoperation gleichbedeutend mit der Feststellung der Geschlechterverteilung unter den Vollzeit- und unter den Teilzeitbeschäftigten.

cc) Auch in späteren Urteilen zu Art. 119 EWG-Vertrag hat der Europäische Gerichtshof eine mittelbare Diskriminierung davon abhängig gemacht, ob prozentual erheblich weniger Frauen als Männer unter den von einer Regelung Begünstigten (Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – (Rinner-Kühn) AP, a.a.O.) bzw. ob prozentual erheblich weniger Männer als Frauen unter den von einer Regelung Benachteiligten sind (Urteil vom 27. Juni 1990 – C 33/89 – (Kowalska) AP, a.a.O.).

Ebenso hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Mai 1991 (– Rs C 229/89 – (Kommission/Belgien) Slg. 1991, I – 2223, 2228) bei der Prüfung, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, ausdrücklich darauf abgestellt, wie sich die Geschlechterverteilung innerhalb der von dieser Regelung benachteiligten Gruppe verhält. Zwar lag dieser Entscheidung nicht Art. 119 EWG-Vertrag zugrunde, sondern die Richtlinie 79/7/EWG vom 19. Dezember 1978 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. EG Nr. L 6 vom 10. Januar 1979, S. 24). Der Europäische Gerichtshof hat aber in dieser Entscheidung ausdrücklich auf seine Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt verwiesen und damit deutlich gemacht, daß bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung für den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie im Anwendungsbereich des Art. 119 EWG-Vertrag.

Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen getroffen, daß durch die beanstandete Regelung mehr weibliche als männliche Personen betroffen worden sind. Hierfür ist auch nichts Hinreichendes dargetan.

c) Die Klägerin hat selbst vorgetragen, daß in den von der Regelung des § 6 Änderungs-TV erfaßten Erziehungsberufen allgemein erheblich mehr Frauen als Männer beschäftigt werden. Daraus folgt aber, daß dieses Verhältnis in gleicher Weise auf die durch die Regelung begünstigte Gruppe von Erziehern zutrifft. Deshalb fehlt es vorliegend schon an der Grundvoraussetzung eines Verstoßes gegen den Lohngleichheitssatz des Art. 119 EWG-Vertrag, nämlich einer ungleichen Behandlung von Männern und Frauen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Schneider, Schamann, von Dassel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087208

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