Entscheidungsstichwort (Thema)

Bühnenmitglied Anhörung vor Nichtverlängerung

 

Orientierungssatz

In sachgerechter Auslegung des § 2 Abs 5 des Tarifvertrages über die Mitteilungspflicht vom 23.11.1977 folgt, daß der Arbeitgeber, bevor er eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht, das Bühnenmitglied nicht nur zu hören, sondern diesem auch die hierfür maßgeblichen Gründe mitzuteilen habe.

 

Normenkette

TVG § 1; BetrVG § 66 Abs. 1, § 102 Abs. 1; BetrVG 1952 § 66 Abs. 1; ArbGG § 110 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 27.02.1985; Aktenzeichen 5 Sa 1133/84)

ArbG Köln (Entscheidung vom 07.08.1984; Aktenzeichen 1 Ca 3333/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Beendigung ihres befristeten Dienstverhältnisses durch die mit Schreiben der Klägerin vom 16. Juni 1980 erfolgte Nichtverlängerungsmitteilung.

Der Beklagte war seit der Spielzeit 1972/73 bei der Klägerin mit einer monatlichen Gage von zuletzt 6.000,-- DM als Opernsänger beschäftigt. Das zuletzt maßgebende Dienstverhältnis war bis zum Ende der Spielzeit 1980/81 befristet.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung die "Tarifvereinbarung über die Bühnenschiedsgerichte" vom 1. Oktober 1948 in der Fassung vom 30. März 1977 und der "Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht" vom 23. November 1977 Anwendung. Im "Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht" (TVM) heißt es auszugsweise:

"§ 2 Abs. 1

Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeits-

vertrag vereinbarten Zeitpunkt. Ein mindestens

für 1 Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeits-

vertrag verlängert sich zu den gleichen Bedin-

gungen um 1 Jahr (Spielzeit), es sei denn, eine

Vertragspartei teilt der anderen bis zum

31. Oktober der Spielzeit, mit deren Ablauf der

Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, daß sie

nicht beabsichtige, den Arbeitsvertrag zu ver-

längern (Nichtverlängerungsmitteilung).

§ 2 Abs. 5

Bevor der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungs-

mitteilung ausspricht, hat er das Mitglied - auf

dessen schriftlichen Wunsch auch den Sprecher

der Sparte, der das Mitglied angehört, oder das

von dem Mitglied benannte Vorstandsmitglied des

Lokalverbandes der Genossenschaft deutscher Büh-

nenangehöriger (GDBA), das an dem gleichen Thea-

ter beschäftigt ist - zu hören.

Das Mitglied und der von ihm nach Unterabs. 1

Benannte sind unter Berücksichtigung der durch

die Theaterferien oder einen Gastierurlaub be-

dingten Abwesenheit des Mitgliedes spätestens

2 Wochen vor dem in den Absätzen 1 und 2 genann-

ten Zeitpunkten zu hören, es sei denn, das Mit-

glied verzichtet schriftlich darauf, gehört zu

werden. Unterläßt es der Arbeitgeber, das Mitglied

fristgerecht zu hören, ist die Nichtverlängerungs-

mitteilung unwirksam.

.....

Der auf Wunsch des Mitgliedes beteiligte Sprecher

der Sparte und das beteiligte Vorstandsmitglied

des Lokalverbandes der GDBA haben über den In-

halt der Anhörung gegenüber Dritten Vertraulich-

keit zu wahren."

In den Protokollnotizen zum TVM heißt es auszugsweise:

"1. Die Einhaltung von Form und Fristen der Nicht-

verlängerungsmitteilung sowie die fristgerechte

Durchführung des Anhörungsverfahrens sind Voraus-

setzung der Rechtswirksamkeit der Nichtverlänge-

rungsmitteilung. Weitere Fälle der Unwirksamkeit

werden durch diesen Tarifvertrag nicht begründet.

Die Nichtverlängerungsmitteilung ist unwirksam,

wenn sie eine unzulässige Rechtsausübung darstellt."

Mit Schreiben vom 29. Mai 1980 ist der Beklagte von der Klägerin zu einem Anhörungsgespräch über die beabsichtigte Nichtverlängerung des bestehenden Arbeitsverhältnisses gebeten worden. Das Anhörungsgespräch mit dem Beklagten, an dem auf seiten der Klägerin außer dem Opernintendanten L, der Generalmusikdirektor Prof. A und der Verwaltungsdirektor Sch teilnahmen, fand am 12. Juni 1980 statt. Im Anschluß daran teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 16. Juni 1980 mit, daß sie nicht beabsichtige, den Dienstvertrag über den 31. Juli 1981 hinaus zu verlängern.

Der Beklagte hat hierauf als Schiedskläger beim Bühnenschiedsgericht Hamburg Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß die Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam sei. Er hat ausgeführt, ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren habe nicht stattgefunden. Inhaltliche und für ihn nachvollziehbare Gründe, warum der Vertrag mit ihm nicht mehr verlängert werden solle, seien ihm nicht genannt worden. Der Intendant habe sich mit dem Hinweis begnügt, daß aus künstlerischen Gründen eine Verlängerung nicht mehr in Betracht komme. Auch auf seine Nachfrage hin habe sich der Intendant L nicht bereit gefunden, die künstlerischen Gründe näher zu erläutern. Als neuer Intendant habe ihn L künstlerisch auch gar nicht beurteilen können, da er ihn bis dahin lediglich zweimal auf der Bühne gesehen habe, und zwar in der Rolle des "Jochanaan" in "Salome" und in der Rolle des "Renee" im ersten Bild im "Maskenball". Im übrigen sei er auch nicht darauf hingewiesen worden, daß er gemäß § 2 Abs. 5 TVM zu dem Anhörungsgespräch eine Person seines Vertrauens hinzuziehen könne. Diese Unkenntnis könne nicht zu seinen Lasten gehen, da der Tarifvertrag entgegen § 8 TVG nicht an geeigneter Stelle ausgehängt gewesen sei.

Die Klägerin hat als Schiedsbeklagte Klagabweisung beantragt und darauf hingewiesen, daß dem zuletzt mit dem Beklagten (Schiedskläger) abgeschlossenen Dienstvertrag vom 19. Juli 1979 die ergänzenden Tarifverträge und Abkommen, u. a. das Mitteilungspflichtabkommen, als Anlage beigefügt gewesen seien. Die Tarifverträge seien allen ihren Arbeitnehmern zudem im Intendanzbüro zur Einsichtnahme zugänglich. Dem Beklagten sei in dem Anhörungsgespräch am 12. Juni 1980 nicht nur mit allgemeinen Floskeln, sondern in ausreichender Weise nach sorgfältiger Beobachtung seiner Leistungen mitgeteilt worden, daß die beabsichtigte Nichtverlängerungsmitteilung ausschließlich künstlerische Gründe habe. Die Entscheidung sei auch im Einvernehmen mit dem musikalischen Leiter, Prof. A, getroffen worden. Es treffe nicht zu, daß der Intendant L zum Zeitpunkt der Entscheidung den Beklagten künstlerisch nicht habe beurteilen können. Intendant L habe den Beklagten in vier Aufführungen gehört, und zwar am 26. Januar 1980 in "Salome" (Partie "Jochanaan"), am 23. April 1980 in "Carmen" (Partie "Escamillo"), am 17. Mai 1980 in "Rheingold" (Partie "Donner") und am 20. Mai 1980 in "Maskenball" (1. und 3. Bild, Partie "Rene").

Das Bühnenschiedsgericht Hamburg hat die Schiedsklage durch Schiedsspruch vom 2. November 1981 (Aktenzeichen 13/80) abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten (Schiedskläger) hat das Bühnenoberschiedsgericht Hamburg durch Schiedsspruch vom 21. November 1983 (Aktenzeichen OSch 3/82) den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts abgeändert und festgestellt, daß der Dienstvertrag zwischen den Parteien durch die Nichtverlängerungsmitteilung vom 16. Juni 1980 nicht zum 31. Juli 1981 geendet hat.

Gegen den am 29. März 1984 zugestellten Schiedsspruch hat die Klägerin (Schiedsbeklagte) am 11. April 1984 beim Arbeitsgericht Köln gemäß § 110 ArbGG Aufhebungsklage erhoben und vorgetragen: Das Bühnenoberschiedsgericht habe, indem es der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. März 1982 (2 AZR 233/81) gefolgt sei, die Vorschrift des § 2 Abs. 5 TVM fehlerhaft ausgelegt. Indem kraft Richterrechts aus dem Tarifvertragswortlaut eine Begründungspflicht hergeleitet werde, werde in schwerwiegender Weise in die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien eingegriffen. Abgesehen davon seien aber dem Beklagten in ausreichender Weise die Gründe für die beabsichtigte Nichtverlängerungsmitteilung mitgeteilt und ihm seinerseits die Möglichkeit eröffnet worden, seine Situation darzustellen. Über die künstlerischen Gründe sei im einzelnen gesprochen worden. Das Bühnenoberschiedsgericht habe verkannt, daß die Initiative von dem Bühnenmitglied auszugehen habe und dieses nach den näheren Gründen für die beabsichtigte Nichtverlängerung zu fragen habe. Im übrigen würde ein Verstoß gegen eine etwaige Begründungspflicht nur dann die Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung zur Folge haben, wenn die Begründung rechtswidrig, schuldhaft und vorsätzlich vom Arbeitgeber unterlassen worden wäre. Dies sei aber nicht der Fall, zumal bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. März 1982 die Frage, ob der Arbeitgeber auch unaufgefordert eine Begründung abzugeben habe, zweifelhaft gewesen und kontrovers beantwortet worden sei. Ihr, der Klägerin, könne daher, da sie vom Beklagten nicht zu einer eingehenden Begründung und Erörterung der Nichtverlängerungsmitteilung aufgefordert worden sei, insoweit kein Vorwurf gemacht werden. Schließlich könne eine Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung auch nicht daraus hergeleitet werden, daß der Beklagte (Schiedskläger) nicht auf die Möglichkeit hingewiesen worden sei, zu dem Anhörungsgespräch eine Person seines Vertrauens mit hinzuziehen zu können. Eine solche Sanktion lasse sich aus dem Tarifvertrag nicht ableiten.

Die Klägerin hat beantragt,

den Schiedsspruch des Bühnenoberschieds-

gerichts vom 21. November 1983 - OSch 3/82 -

aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat Abweisung der Aufhebungsklage beantragt und geltend gemacht, der Begriff des "Hörens" im Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht sei im Sinne der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. März 1982 zu interpretieren. Die hiergegen erhobenen Bedenken seien nicht begründet. Der mit der Anhörung verbundene Zweck, nämlich den Arbeitgeber zum Überdenken der beabsichtigten Entscheidung zu veranlassen, setze voraus, daß dem Arbeitnehmer die Gründe in verständlicher und nachvollziehbarer Weise mitgeteilt würden. Dies sei beim Anhörungsgespräch am 12. Juni 1980 jedoch nicht geschehen, wie die Beweisaufnahme des Schiedsgerichts Hamburg deutlich zeige. Der Intendant habe danach lediglich auf "künstlerische Gründe" verwiesen und auf Rückfrage hin ausdrücklich erklärt, daß er die Gründe nicht zu nennen brauche. Die Worte "künstlerische Gründe" seien der Ausdruck für eine Nichtbegründung. Die Anhörung sei auch deshalb unwirksam, weil er nicht auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht worden sei, gemäß § 2 Abs. 5 TVM eine Person seines Vertrauens hinzuziehen zu können.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 7. August 1984 den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts vom 21. November 1983 - OSch 3/82 - aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat unter Hinweis auf die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Köln vom 10. März 1983 (5 Ca 935/82) und des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Januar 1984 (7 Sa 732/83), dessen Ausführungen es wörtlich übernommen hat, ausgeführt, daß entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. März 1982 (2 AZR 233/81) mit der Formulierung "zu hören" in § 2 Abs. 5 Unterabs. 1 TVM eine Rechtspflicht zur Angabe von Gründen für die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages nicht begründet werde.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klagabweisung bzw. der Wiederherstellung des Schiedsspruchs des Bühnenoberschiedsgerichts vom 21. November 1983 - OSch 3/82 - weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG kann auf Aufhebung eines Schiedsspruchs geklagt werden, wenn der Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht. Darunter fallen alle Verstöße gegen materielles Recht, gleich welcher Art, also auch die Normen eines Tarifvertrages (BAG 4, 156, 160; BAG 39, 1, 6; Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 110 Rz 7 f.; Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz, 5. Aufl., § 1 Rz 362). Wie der Senat in seinem Urteil vom 11. März 1982 (BAG 39, 1, 6 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag, zu I der Gründe) ausgeführt hat, folgt aus dem revisionsrechtlichen Charakter der Aufhebungsklage, daß der Schiedsspruch ohne Rücksicht auf eine erhobene Rüge insgesamt auf seine Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen ist. Lediglich Verfahrensmängel sind auf Rüge hin zu überprüfen (BAG 15, 87, 95 f.; BAG 22, 356; BAG 39,1, 6). An dieser Auffassung wird festgehalten.

II. Das Landesarbeitsgericht hat in vollem Umfange auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 7. August 1984, das sich seinerseits die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Januar 1984 (7 Sa 732/83) vollinhaltlich zu eigen gemacht hat, Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, der Begriff "hören" in § 2 Abs. 5 TVM könne nicht mit "begründen" gleichgesetzt werden, zumal der Begriff "hören" des früheren § 66 Abs. 1 BetrVG 1952 z. Zt. des Abschlusses des TVM vom 23. November 1977 nicht mehr gebräuchlich gewesen und durch die anderslautende Formulierung des § 102 BetrVG 1972 abgelöst worden sei. Nach dieser neuen Bestimmung werde dem Arbeitgeber neben "hören" ausdrücklich auferlegt, dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Auch der Gesetzgeber gehe somit davon aus, daß zwischen "hören" und "begründen" ein erheblicher Unterschied bestehe. Das entspreche auch der Handhabung der Tarifvertragsparteien, wie dem § 4 Abs. 5 Ergänzungstarifvertrag zum Normalvertrag Chor vom 28. Januar 1972 (dort § 22) zu entnehmen sei.

III. Demgegenüber hat der Senat in seinem Urteil vom 11. März 1982 (BAG 39, 1 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag) die Auffassung vertreten, aus der sachgerechten Auslegung des § 2 Abs. 5 TVM folge, daß der Arbeitgeber, bevor er eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspreche, das Bühnenmitglied nicht nur zu hören, sondern diesem auch die hierfür maßgeblichen Gründe mitzuteilen habe. Dafür spreche der allgemeine und juristische Sprachgebrauch, der unter "zu hören" nicht nur ein stummes, reaktionsloses Abwarten des Anhörenden verstehe. Der Anzuhörende müsse notwendigerweise zuvor Kenntnis vom Sachverhalt haben, d. h. Kenntnis der Gründe für die beabsichtigte Nichtverlängerungsmitteilung, bevor er dazu sachlich Stellung und seine Gegenargumente vorbringen könne. Zudem haben die Tarifvertragsparteien einen Begriff verwendet, der in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt habe. Obwohl in § 66 BetrVG 1952 nur vorgesehen gewesen sei, den Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören, habe doch unstreitig dazugehört, dem Betriebsrat auch die Gründe für diese Maßnahme mitzuteilen. Soweit nunmehr in § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 1972 ausdrücklich bestimmt sei, daß der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen habe, stelle dies somit lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers dar, was ohnehin schon längst geltendes Recht gewesen sei. Diesem, dem Sinn und Zweck der Tarifvorschrift entsprechenden Auslegungsergebnis, wonach die Anhörung "insbesondere soziale Härten vermeiden helfen und den Intendanten gegebenenfalls zum nochmaligen Überdenken seiner Entscheidung veranlassen" soll, stehe auch weder die Protokollnotiz zum TVM noch die gemeinsamen Niederschriften der Tarifvertragsparteien über die Verhandlungen zur Neufassung des Mitteilungspflichtabkommens entgegen. Ebenso wie sich der Arbeitgeber im Bereich des § 102 BetrVG 1972 nicht auf eine pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Bezeichnung der Kündigungsgründe beschränken dürfe, könne sich der Arbeitgeber auch im Rahmen des § 2 Abs. 5 TVM nicht mit dem bloßen Hinweis begnügen, daß die Nichtverlängerung aus künstlerischen oder ähnlichen, die Qualität und die Leistung des Bühnenmitglieds betreffenden Gründen geboten sei. Vielmehr bedürfe es einer auf die Person des betroffenen Bühnenmitglieds bezogenen, konkreten und nachvollziehbaren Begründung für die beabsichtigte Nichtverlängerung. Etwas anderes könne allenfalls für die in § 2 Abs. 7 TVM ausdrücklich geregelte Nichtverlängerung aus Anlaß des Intendantenwechsels gelten, allerdings bedürfe es dann eines eindeutigen und abschließenden Hinweises auf diesen Tatbestand.

IV. Von dieser im Urteil vom 11. März 1982 (aa0) dargelegten Auffassung abzuweichen, sieht der Senat keine Veranlassung. Im Streitfall ist daher dem Bühnenoberschiedsgericht beizupflichten, das unter Zugrundelegung der vom Senat im Urteil vom 11. März 1982 (aa0) entwickelten Grundsätze zu dem Ergebnis gekommen ist, daß das Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

1. Im Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Januar 1984 (7 Sa 732/83), auf das sich das angefochtene Urteil ausdrücklich bezieht, wird die abweichende Auffassung vom Bundesarbeitsgericht unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 1 GG, § 99 Abs. 2, § 225 Abs. 2, § 387 Abs. 1, §§ 730, 891 ZPO und § 10 Abs. 2 BRAGO u. a. damit begründet, daß das Wort "hören" lediglich die Hinwendung der Ohren zur Aufnahme von Äußerungen eines anderen, im weitesten Sinne also die Kenntnisnahme von Äußerungen, auch nicht akustischer Art, bedeute. Es müsse nur der Gegenstand bezeichnet sein, zu dem der Betroffene sich äußern soll oder kann. Wenn "hören" noch mehr bedeuten und die Angabe von Gründen für eine beabsichtigte Entscheidung umfassen solle, so sei dies eine Ausnahme und müsse, wie etwa in § 102 Abs. 1 BetrVG, ausdrücklich gesagt werden. Dieser Argumentation kann nicht beigepflichtet werden. Es handelt sich um eine sehr verkürzte und isolierte Betrachtungsweise, die weder dem Sprachgebrauch und dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung entspricht, insbesondere auch nicht seinem Sinn und Zweck gerecht wird. Die Revision weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, es sei Grundsatz jeden "Hörens" in rechtsrelevanten Auseinandersetzungen, beiden Seiten ihre Positionen bekanntzugeben und zu begründen. Das gilt grundsätzlich auch für die vom Landesarbeitsgericht zur Stützung seiner Ansicht angeführten Vorschriften aus der ZPO und des Art. 103 Abs. 1 GG. Zumindest mittelbar wird dies auch durch den von der Revision angeführten Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 19. März 1970 - GS 1/68 - (BAG 22, 311 = AP Nr. 1 zu § 45 ArbGG 1953) bestätigt.

2. Der Senat hat seine Auffassung im Urteil vom 11. März 1982 (aaO) auch mit dem Grundsatz der Systemkonformität begründet und auf den Zusammenhang der Terminologie zwischen der Regelung in § 66 Abs. 1 BetrVG 1952 und der Regelung in § 102 Abs. 1 BetrVG 1972 hingewiesen. Soweit das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 18. Januar 1984 - 7 Sa 732/83 -) diesen Grundsatz in Frage stellt und meint, diesem stehe schon entgegen, daß § 2 Abs. 5 Unterabs. 1 TVM die Anhörung des Arbeitnehmers regelt, die betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften dagegen die Anhörung einer gewählten Arbeitnehmervertretung und ferner der Umstand, daß der TVM nicht zur Zeit der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 vereinbart wurde, sondern zur Zeit der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972, überzeugt diese Begründung nicht. Die rechtliche Bedeutung des Begriffs "anhören", so wie er unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 verstanden wurde, hat sich schließlich durch das Betriebsverfassungsgesetz 1972 nicht verändert. Herschel weist in seiner Urteilsanmerkung in AP Nr. 19 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag, unter Berufung auf Forsthoff (Lehrbuch d. Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl., Seite 235 f.) zutreffend auf den schon seit 1917 gelehrten juristischen und allgemeinen Sprachgebrauch hin, wonach "anhören" nie ein eingliedriger Vorgang sei, sondern hierzu eine Fragestellung gehöre, die dem anderen Teil mehr als ein "Ja" oder "Nein" ermögliche, nämlich eine substantiierte Antwort. Wegen der ganz anders gelagerten Sachverhaltskonstellation vermag auch das Urteil des Siebten Senats vom 28. September 1983 - 7 AZR 83/82 - (AP Nr. 1 zu § 62 SeemG), auf das sich das Landesarbeitsgericht Köln (aa0) zur Stützung seiner Ansicht beruft, zur Klärung der hier interessierenden Frage nichts beizutragen.

3. Die vom Senat angenommene Systemkonformität wird auch durch die anderweitigen einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen, wie etwa in § 22 des Tarifvertrages "Normalvertrag Chor" vom 11. Mai 1979 nicht in Frage gestellt, durchbrochen oder aufgehoben. Anders als nach dem Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht vom 23. November 1977 (oder auch nach § 24 Normalvertrag Tanz vom 9. Juli 1980) wird nach dem Normalvertrag Chor der Opernchorvorstand - eine vergleichsweise ähnliche Einrichtung gibt es nach dem Normalvertrag Solo nicht - eingeschaltet. Die tarifvertragliche Regelung weist insoweit Ähnlichkeiten zu der betriebsverfassungsrechtlichen Regelung auf. Die Regelungen im "System" weisen zwar Unterschiede auf, jedoch ist nicht ersichtlich, inwiefern dadurch bezüglich der hier interessierenden Frage der Anhörung und der damit verbundenen Mitteilung der Gründe für eine Nichtverlängerung eine Konformität nicht vorliegen soll. Auch wenn die Modalitäten in Einzelheiten abweichen, so ist doch allen tariflichen Regelungen im künstlerischen Bereich über Nichtverlängerungsmitteilungen gemeinsam, daß die Anhörung des Arbeitnehmers auf Initiative des Bühnenmitglieds auch die Verpflichtung zur Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Nichtverlängerung mit beinhaltet.

4. Soweit sich das Landesarbeitsgericht Köln vom 18. Januar 1984 (7 Sa 732/83) für seine abweichende Ansicht auf das Protokoll über die Verhandlungen zur Neufassung des Mitteilungspflichtabkommens vom 28. Februar/1. März 1977 stützt und die Revision diese Frage ausdrücklich anspricht, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen Darlegungen im Urteil des Senats vom 11. März 1982 (aaO, unter III 3 d der Entscheidungsgründe) verwiesen. Die gemeinsamen Niederschriften, die nicht Bestandteil des Tarifvertrages sind, geben für das vorliegende Problem nichts entscheidendes her und stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen.

5. Die Verpflichtung des Intendanten, Gründe für die Nichtverlängerungsmitteilung in nachvollziehbarer Weise anzugeben, verletzt nicht das Grundrecht des Intendanten aus Art. 5 Abs. 3 GG. Denn auch das Bühnenmitglied kann sich als Künstler auf dieses Grundrecht berufen. Art. 5 Abs. 3 GG gewährt, wie sich aus dem Wortlaut und dem Sinn ergibt, jedem einzelnen, der in Kunst, Wissenschaft, Forschung oder Lehre tätig werden will oder ist, ein Grundrecht auf freie Betätigung, soweit es sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat (BVerfGE 15, 256, 263 ff.). Geschützt wird sowohl die künstlerische Betätigung (Werkbereich), als auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich), d.h. das Grundrecht schützt nicht nur den Künstler, sondern auch den Mittler (BVerfGE 30, 173, 188 ff.). Der Schutz des Grundrechts wird also sowohl dem Künstler als auch dem Intendanten (vgl. dazu z.B. Bofinger, Die Kunstfreiheit des Intendanten bei der Herausgabe von Programmheften und Theaterzeitschriften, Archiv für Presserecht 1984, S. 131 ff.) zuteil. Andererseits ist aber auch die Kunstfreiheit nicht schrankenlos; Schranken oder Einschränkungen ergeben sich unmittelbar aus der Verfassung selbst (BVerfGE 30, 173, 191 ff.). Im Klartext bedeutet dies, daß im Verhältnis zu Künstlern oder im Verhältnis zu Künstlern bzw. Intendanten untereinander auch die Grundrechtsnormen des Art. 1 und 2 sowie des Art. 20 Abs. 1 GG zu beachten sind. Aus dem Grundrecht der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), des Grundrechts der freien Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) kann aber unschwer abgeleitet werden, daß dem Mitglied die Gründe für eine Nichtverlängerung eines Engagements von existentieller Bedeutung sind. So gesehen kann die Nichtmitteilung der Gründe für eine Nichtverlängerung des Engagements sogar das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG verletzen. Keinesfalls beeinträchtigt die Pflicht zur Mitteilung der Gründe in einer auf die Person des betroffenen Bühnenmitglieds bezogenen, konkreten und nachvollziehbaren Weise das Grundrecht des Intendanten aus Art. 5 Abs. 3 GG.

V. Das Bühnenoberschiedsgericht hat ausgeführt, dem Beklagten sei von der Klägerin nur mitgeteilt worden, daß für die beabsichtigte Nichtverlängerung künstlerische Gründe maßgebend seien, ohne ihm diese im einzelnen näher zu nennen, obwohl der Beklagte auf seine bisherige beanstandungslose achtjährige Betriebszugehörigkeit hingewiesen habe. Auch wenn der Intendant nach den Bekundungen des Zeugen Sch, der als Verwaltungsdirektor an dem Anhörungsgespräch teilgenommen hat, darauf hingewiesen habe, daß sich der Generalmusikdirektor Prof. A ebenfalls einen Eindruck verschafft und er selbst auch die Vorstände am Theater befragt habe, so reiche dies nicht aus; auch damit habe die Klägerin dem Beklagten keine konkreten Gründe künstlerischer Art für die beabsichtigte Nichtverlängerung des Engagement genannt. Die Klägerin habe somit lediglich erklärt, in welcher Weise sie sich über die künstlerischen Leistungen des Beklagten ein Urteil gebildet habe. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. März 1982 (aaO) sei es auch nicht die Aufgabe des Beklagten gewesen, die künstlerischen Gründe für die Nichtverlängerung von der Klägerin im einzelnen zu erfragen. Abgesehen davon, daß der Beklagte nach dem Ergebnis seiner persönlichen Vernehmung vor dem Bühnenschiedsgericht gleichwohl nach den künstlerischen Gründen im einzelnen gefragt habe, sei somit nach alledem davon auszugehen, daß eine ordnungsgemäße Anhörung nicht vorliege und demnach die Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam ist und das Dienstverhältnis der Parteien nicht zum 31. Juli 1981 aufgelöst habe.

1. Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil angenommen, daß das Anhörungsgespräch ordnungsgemäß verlaufen sei. Das Bühnenoberschiedsgericht habe nicht alle Umstände der Beweisaufnahme in seine Betrachtungsweise einbezogen. Es sei nicht so, daß dem Beklagten lediglich allgemein "künstlerische Gründe" genannt worden seien. Es müsse berücksichtigt werden, daß das Anhörungsgespräch nicht allein vom Intendanten, sondern auch vom gleichfalls anwesenden Generalmusikdirektor und dem Verwaltungsdirektor geführt worden sei. Zwar sei richtig, daß sich der Intendant zunächst nur auf "künstlerische Gründe" berufen habe. Aber auch vom Generalmusikdirektor sei ihm gesagt worden, daß auch sein gewonnener Eindruck für eine Nichtverlängerung spreche. Der Zeuge Sch habe ferner bekundet, auch die Vorstände am Theater seien nach ihren Eindrücken gefragt worden und das Ergebnis sei die getroffene Entscheidung. Daraus könne zwanglos entnommen werden, daß gleichsam alle beteiligten Stellen, nämlich der Intendant für die Fragen der Schauspielkunst und Regie, der Generalmusikdirektor für die Fragen der musikalischen Darbietung und die Vorstände am Theater für die Fragen der Kollegialität/-Zusammenarbeit negative Eindrücke bekommen hätten. Damit seinen dem Beklagten nicht nur der "gleichsam" abstrakte Begriff "künstlerische Gründe" vorgehalten worden, sondern eine wesentlich detaillierte Begründung. Dem Beklagten sei bei dem Gespräch mit den kompetenten Gesprächspartnern auch durchaus die Gelegenheit gegeben worden, aus eigener Sicht Gründe für eine Verlängerung des Engagements vorzutragen.

2. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann jedoch nicht gefolgt werden. Das Bühnenoberschiedsgericht ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, daß grundsätzlich der Bühnenleiter von sich aus die konkreten Gründe für die Nichtverlängerung nennen muß, da das Bühnenmitglied schließlich nicht gleichsam auf Verdacht Argumente gegen seine Nichtverlängerung vortragen kann, die die wahren Gründe der Bühnenleitung möglicherweise gar nicht treffen (Senatsurteil vom 11. März 1982, aaO). Abgesehen davon hat aber der Beklagte nach den Feststellungen des Bühnenoberschiedsgerichts von sich aus nach den Gründen im einzelnen gefragt, aber keine ausreichende Antwort erhalten. Das Bühnenoberschiedsgericht hat entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts bei der Beurteilung auch keine wesentlichen Umstände außer acht gelassen. Es hat durchaus berücksichtigt, daß dem Beklagten auch mitgeteilt worden ist, daß eine Nichtverlängerung auch aufgrund der Eindrücke, die sich der Generalmusikdirektor verschafft hat, bzw. der Eindrücke, die der Verwaltungsdirektor und die Theatervorstände gewonnen haben, nicht in Betracht kommt. Wenn das Bühnenoberschiedsgericht dies unter Berücksichtigung der Beweisaufnahme nicht als eine konkrete, und damit als ausreichende Begründung angesehen hat, so hält sich diese Würdigung im Rahmen des Beurteilungsspielraumes und ist nicht zu beanstanden. "Gewonnene Eindrücke" ohne Nennung der näheren Einzelheiten sind keine auf die Person bezogenen, konkreten und nachvollziehbaren Gründe für eine beabsichtigte Nichtverlängerung. Die Klägerin hat auch späterhin im ganzen Verlauf des Verfahrens keinen einzigen konkreten Grund künstlerischer oder sonstiger Art genannt, warum eine Verlängerung des Engagementvertrages nicht in Betracht kommt.

VI. Aus diesen Gründen waren daher die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben bzw. abzuändern und die Aufhebungsklage gegen den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts vom 21. November 1983 mit der Kostenfolge aus den §§ 91, 97 ZPO abzuweisen.

Hillebrecht Dr. Röhsler Triebfürst

Dr. Müller Baerbaum

 

Fundstellen

Haufe-Index 437663

Bühnengen 1986, Nr 11, 8-10 (T)

EzA § 4 TVG Bühnen, Nr 2 (ST)

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