Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz wegen falscher Überweisung vermögenswirksamer Leistungen. tarifliche Ausschlußfrist

 

Normenkette

BGB §§ 611, 325; MTL II § 72

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.10.1997; Aktenzeichen 6 Sa 759/97)

ArbG Mainz (Urteil vom 30.04.1997; Aktenzeichen 4 Ca 3438/96)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1997 – 6 Sa 759/97 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen falscher Überweisung vermögenswirksamer Leistungen.

Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit 1983 an der J… Universitätsklinik in M… als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter der Länder (MTL II) Anwendung.

Im März 1990 stellte die Klägerin einen Antrag nach dem Vermögensbildungsgesetz. Danach sollten von dem Beklagten monatlich 78,00 DM auf ein Konto bei der M… AG überwiesen werden. Grundlage war ein von der Klägerin mit dieser Gesellschaft abgeschlossener Wertpapier-Sparvertrag. Ab Mai 1990 wies der Beklagte in den Abrechnungen der Klägerin einen Betrag in Höhe von 78,00 DM und in den jährlichen Lohnsteuerbescheinigungen jeweils Beträge in Höhe von 936,00 DM als vermögenswirksame Leistungen aus. Die Beträge sollten nach dem Antrag der Klägerin von der Lohnstelle direkt auf ein Konto bei der M… AG überwiesen werden. Der Beklagte überwies die Beträge ab Mai 1990 dann jedoch nicht auf das durch die Klägerin angegebene Konto, sondern aufgrund eines Versehens der die Zahlung anweisenden Stelle durch Eingabe einer falschen Bankleitzahl auf ein Konto der I… GmbH & Co. KG in M…. Am 13. Januar 1995 informierte der Beklagte die Klägerin über die Fehlleitung durch die Lohnstelle. Versuche des Beklagten mit Schreiben vom … 9. Dezember 1994 und vom 23. Februar 1995, die Beträge zurückzuerlangen, waren fehlgeschlagen. Im Rahmen des Antrags auf Erlaß eines Mahnbescheides stellte sich heraus, daß die I… GmbH & Co. KG “unbekannt verzogen” war.

Die Klägerin verlangte von dem Beklagten die Zahlung der von Mai 1990 bis Dezember 1994 fehlgeleiteten Beträge im Gesamtbetrag von 4.368,00 DM (56 × 78,00 DM). Der Beklagte leistete lediglich einen Betrag von 468,00 DM (6 × 78,00 DM) für den Zeitraum Juli bis Dezember 1994 und machte geltend, daß der weitergehende Anspruch der Klägerin gem. § 72 MTL II verfallen sei.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Zahlung der restlichen 3.900,00 DM geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, dem tariflichen Verfall ihrer Ansprüche nach § 72 MTL II stehe entgegen, daß die Beträge in den Lohnbescheinigungen ausdrücklich ausgewiesen seien. Der Schadensersatzanspruch könne nicht verfallen sein, da die tarifliche Verfallfrist erst ab Kenntnis vom Schadensereignis zu laufen beginne. Die Klägerin habe keinen Anlaß gehabt, die Zahlungen an das Kreditinstitut zu überprüfen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.900,00 DM zuzüglich 10 % Zinsen hieraus seit dem 13. Januar 1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, daß sich die Klägerin ihm Rahmen ihrer Vermögensbildung äußerst fahrlässig verhalten und durch dieses fahrlässige Verhalten entscheidend dazu beigetragen habe, daß die Verwechslung der Bankleitzahlen über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren nicht bemerkt worden sei. Spätestens nach Ablauf des Kalenderjahres 1990 oder den ersten Monaten des Folgejahres hätte eine entsprechende Nachfrage der Klägerin bei ihrem Anlageinstitut erfolgen müssen. Deshalb habe spätestens ab diesem Zeitpunkt auch die tarifliche Ausschlußfrist zu laufen begonnen. Die Vergütungsabrechnungen hätten mangels einer entsprechenden Gegenbestätigung seitens des Anlageinstituts keinen Vertrauenstatbestand für die Klägerin schaffen können.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt:

Die in Betracht kommenden Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche seien jedenfalls aufgrund der tariflichen Ausschlußfrist des § 72 MTL II verfallen. Die Ansprüche für den streitgegenständlichen Zeitraum seien spätestens am 1. Juli 1994 fällig gewesen und von der Klägerin nicht innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht worden. Am 1. Juli 1994 seien für die Klägerin objektiv die Umstände, die für die Begründung ihres Erfüllungs- und/oder Schadensersatzanspruchs in Betracht gekommen seien, erkennbar gewesen. Dem Verfall der Ansprüche stehe nicht entgegen, daß die vermögenswirksamen Leistungen in den der Klägerin erteilten Lohnabrechnungen enthalten gewesen seien. Mit solchen Lohnabrechnungen wolle der Arbeitgeber nicht auf die künftige Einwendung des Erlöschens durch Zeitablauf verzichten.

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Klageforderung nicht als verfallen angesehen werden.

1. Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten geltend. Sie verlangt nicht Erfüllung der vermögenswirksamen Leistungen durch nachträgliche Überweisung auf ihren Wertpapier-Sparvertrag, sondern Zahlung des fehlgeleiteten Betrages als Schadensersatz. Der Anspruch auf vermögenswirksame Leistungen für die Vergangenheit ist ohnehin dadurch unmöglich geworden, daß der Wertpapier-Sparvertrag mangels Einzahlungen zum 31. Dezember 1991 beendet worden war (§ 4 Abs. 6 VermBG). Nach § 325 BGB kann die Klägerin vom Beklagten nur Schadensersatz wegen vom Beklagten zu vertretender Unmöglichkeit verlangen.

2. Ob die Klägerin ihren etwaigen Schadensersatzanspruch nach § 325 BGB rechtzeitig geltend gemacht hat oder ob dieser Anspruch tariflich verfallen ist, kann der Senat mangels ausreichender vom Landesarbeitsgericht getroffener Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

a) Nach § 72 MTL II müssen arbeitsvertragliche Ansprüche innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Ein Schadensersatzanspruch ist fällig, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann (vgl. BAG Urteil vom 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – AP Nr. 55 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).

b) Die Klägerin konnte ihren Schadensersatzanspruch frühestens bei dem Beklagten geltend machen, nachdem der Beklagte ihr erklärt hatte, sie habe den wegen der Fehlüberweisungen eingetretenen Schaden selbst zu tragen. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben.

c) Des weiteren wird das Landesarbeitsgericht festzustellen haben, wann die Klägerin erstmals gegenüber dem Beklagten ihren Schadensersatzanspruch geltend gemacht hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nicht deshalb entbehrlich, weil die vermögenswirksamen Leistungen in den Lohnabrechnungen ausgewiesen wurden. Zwar braucht ein Arbeitnehmer eine Forderung, die vom Arbeitgeber durch Abrechnung vorbehaltlos ausgewiesen wurde, zur Wahrung einer Ausschlußfrist nicht mehr geltend zu machen (BAG Urteil vom 21. April 1993 – 5 AZR 399/92 – BAGE 73, 54 = AP Nr. 124 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Im Streitfall waren in den Lohnabrechnungen nur die vermögenswirksamen Leistungen ausgewiesen, nicht jedoch der Schadensersatzanspruch wegen der Fehlüberweisungen.

III. Sollte das Landesarbeitsgericht danach zu dem Ergebnis kommen, daß der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 325 BGB nicht tariflich verfallen ist, so wird das Landesarbeitsgericht auch zu prüfen haben, ob der Anspruch der Klägerin wegen Mitverschuldens gem. § 254 BGB zu mindern ist. Ein mitwirkendes Verschulden der Klägerin könnte darin gesehen werden, daß sie über vier Jahre nicht bei ihrem Anlageinstitut nachfragte, obwohl ihr von dort keine Jahresabrechnungen zugegangen waren.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Morsch, Lorenz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2628990

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge