Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsklage - gesetzlicher Richter

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats:

"Nichtigkeitsklage wegen nicht ordnungsgemäßer Besetzung des erkennenden Gerichts; Wiedereinsetzung nach Ablehnung von Prozeßkostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht."

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts München vom 17. März 1998 - 6 Sa 1073/97

- wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme eines in der Berufungsinstanz rechtskräftig abgeschlossenen Bestandsschutzverfahrens im Rahmen einer Nichtigkeitsklage wegen nicht vorschriftsgemäßer Besetzung des damals erkennenden Gerichts.

Im Vorprozeß hat sich der Kläger u.a. gegen eine ordentliche, während der sechsmonatigen Probezeit ausgesprochene Beendigungskündigung der Beklagten vom 8. August 1989 gewendet und seine Weiterbeschäftigung verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wurde zunächst der Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts zugewiesen und nicht der Kammer 1, die nach dem damaligen Geschäftsverteilungsplan u.a. zuständig war für alle Sachen, die Maßnahmen betreffen, die aus Sicherheitsgründen von Dienststellen der Bundeswehr, der NATO-Streitkräfte und Firmen, die den Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr unterliegen, getroffen wurden. Wegen Ausscheidens des früheren Präsidenten des Landesarbeitsgerichts und Überlastung des Vorsitzenden der Kammer 4 änderte das Präsidium den Geschäftsverteilungsplan 1992 mit Wirkung vom 1. Juni 1992 dahin, daß der bisherige Vorsitzende der Kammer 4 den Vorsitz der Kammer 3 übernahm. Der Kammer 3 wurden die Berufungen und Beschwerdesachen der Kammer 4 zugewiesen, die nach dem 2. September 1991 eingegangen waren sowie die Berufungsverfahren gegen die Deutsche Bundespost und gegen die Firma MAN. Alle übrigen Sachen der Kammer 4, darunter die Berufung des Klägers wurden der Kammer 10 zugeteilt, die während des Juni 1992 vorübergehend unbesetzt war. Durch Beschluß vom 29. Mai 1992 hob der Vizepräsident als Stellvertretender Vorsitzender der Kammer 4 den von der Kammer 4 bereits anberaumten Fortsetzungstermin vom 29. Juni 1992 auf. Die Kammer 10 setzte die mündliche Verhandlung des Vorprozesses am 21. August 1992, am 6. Oktober 1992 sowie am 20. Oktober 1992 fort und wies die Berufung des Klägers durch Urteil vom 20. Oktober 1992 - 10 (4) Sa 728/90 - zurück, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil wurde der Beklagten am 24. Januar 1994 und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 13. Juni 1994 zugestellt. Einen Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil blieb erfolglos.

Auf den bereits am 11. Januar 1994 eingegangenen Prozeßkostenhilfeantrag des Klägers bewilligte das Landesarbeitsgericht dem Kläger nach erfolgreicher Befangenheitsablehnung des Vorsitzenden der Kammer 8 durch Beschluß vom 9. Oktober 1997 - 6 SHa 6/97 - Prozeßkostenhilfe zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage. Die mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Nichtigkeitsklage ging am 17. Oktober 1997 beim Landesarbeitsgericht ein.

Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht sei im Vorprozeß nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen. Seine Berufung hätte nach Ziffer 3.3.2.5 des insoweit maßgebenden Geschäftsverteilungsplans 1992 nicht der Kammer 4, sondern der Kammer 1 zugeteilt werden müssen, weil die Beklagte den Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr unterworfen gewesen sei. Die Ziffer 3.3.2.5 des Geschäftsverteilungsplans 1992 sei aber unwirksam, soweit die Zuteilung an die Kammer bei streitgegenständlichen Maßnahmen erfolge, die der Arbeitgeber "aus Sicherheitsgründen" treffe, weil diese Formulierung mangels Bestimmtheit dem Arbeitgeber Manipulationsmöglichkeiten eröffne. Aufgrund der Änderung des Geschäftsverteilungsplans 1992 vom 27. Mai 1992 hätte seine Berufung sodann an die Kammer 2 abgegeben werden müssen, die alle sicherheitsrelevanten Sachen der Kammer 1 übernommen habe. Daß seine Berufung stattdessen an die Kammer 10 abgegeben worden sei, verletze seinen Anspruch auf den gesetzlichen Richter, weil die Kammer 10 während des gesamten Juni 1992 zunächst unbesetzt und der neue Vorsitzende der Kammer 10 im Zeitpunkt der Änderung des Geschäftsverteilungsplans 1992 noch nicht zum Landesarbeitsgericht abgeordnet gewesen sei. Ferner beeinträchtige die Stichtagsregelung seine älteren Rechte an dem bisherigen Vorsitzenden der Kammer 4 und behandele ihn im Vergleich mit anderen rechtsuchenden Parteien ungleich, die den bisherigen Vorsitzenden - nunmehr als Vorsitzenden der Kammer 3 - behielten. Das gelte insbesondere für die Verfahren gegen die Deutsche Bundespost und die Firma MAN, die von der Kammer 4 an die Kammer 3 abgegeben worden seien, was außerdem gegen das Abstraktionsprinzip verstoße.

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt,

1. das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 1992 - 10 (4) Sa 728/90 - aufzuheben,

2. unter Abänderung des am 3. Juli 1990 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts München - 7 Ca 9485/89 - festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 8. August 1989, zugestellt am selben Tag, nicht aufgelöst wurde, sondern unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat Abweisung der Nichtigkeitsklage beantragt und entgegnet, die Kündigung sei nicht aus Sicherheitsgründen ausgesprochen worden, sondern weil der Kläger sich den bei ihr üblichen Gepflogenheiten nicht habe unterordnen wollen und zur Belegschaft nicht gepaßt habe. Die Kammer 1 sei für die Berufung des Klägers im Vorprozeß aber ohnehin unzuständig gewesen, weil sie den Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr seit 1991 nicht mehr unterlegen habe. Jedenfalls wäre die angeblich falsche Übergehung der Kammer 1 irrtümlich und nicht aus Willkür erfolgt. Der Geschäftsverteilungsplan lege den gesetzlichen Richter hinreichend bestimmt fest. Im Juni 1992 habe es für den Vorsitz der Kammer 10 eine Vertretungsregelung gegeben. Ein Anspruch des Klägers auf die Beibehaltung eines bestimmten Richters bestehe nicht. Bei der Abgabe der Verfahren gegen die Deutsche Bundespost und die Firma MAN sei das Abstraktionsprinzip nicht verletzt worden, weil es sich um Massenverfahren gehandelt habe.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger wegen der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine oben wiedergegebenen Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die rechtzeitig erhobene Nichtigkeitsklage habe keinen Erfolg, weil die Kammer 10 des Landesarbeitsgerichts bei ihrer Entscheidung vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Die Berufung des Klägers sei der mit sicherheitsrelevanten Streitsachen befaßten Kammer 1 nicht vorab zuzuteilen gewesen, weil die Kündigung der Beklagten vom 8. August 1989 unter keinem Gesichtspunkt als Maßnahme anzusehen sei, die die Beklagte "aus Sicherheitsgründen" getroffen hätte. Auch die nach der vierten Änderung des GVP 1992 erfolgte Abgabe seiner Sache von der überlasteten Kammer 4 an die noch unbesetzte Kammer 10 sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Sache sei aufgrund einer generellen Stichtagsregelung abgegeben worden; lediglich einzelne Verfahren seien aufgrund ihres Bearbeitungsstandes (teilweise ausgesetzt, teilweise erledigt) in der Kammer 4 verblieben.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung.

I. Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere ist die Einlegungsfrist (§ 74 Abs. 1 ArbGG, § 552 ZPO) gewahrt, weil dem Kläger auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist wie die einmonatige Revisionseinlegungsfrist (§ 552 ZPO) einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO). Als unverschuldete Verhinderung ist auch die Bedürftigkeit der Partei anzusehen, wenn die Partei innerhalb der Notfrist einen vollständigen Prozeßkostenhilfeantrag stellt sowie alle für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erforderlichen Unterlagen und das anzufechtende Urteil dem zuständigen Gericht vorlegt (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 233 Rn. 23 "Prozeßkostenhilfe" m.w.N.). Das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 17. März 1998 ist dem Prozeßbevollmächtigten am 20. Juli 1998 zugestellt worden. Am 18. August 1998 und damit rechtzeitig ist beim Bundesarbeitsgericht ein Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Durchführung der Revision einschließlich Anlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie eine Kopie des anzufechtenden Urteils neben umfassender Begründung der beabsichtigten Revision eingegangen.

Daß der Kläger trotz Zurückweisung seines Antrages auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe durch Senatsbeschluß vom 3. November 1998 und trotz behaupteter Bedürftigkeit nunmehr auf eigene Kosten die Revision durchführt, läßt seine unverschuldete Verhinderung an der fristgerechten Revisionseinlegung nicht entfallen. Allerdings wird vertreten, die Wiedereinsetzung sei zu verweigern, wenn Prozeßkostenhilfe nur wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt werde und die Partei daraufhin die Kosten für das Rechtsmittel aus eigenen Mitteln aufbringe; dann könne auch das Hindernis "Kostenarmut" nicht bestanden haben, es sei denn, die Partei hätte im Lotto gewonnen (MünchKommZPO-Feiber, § 233 ZPO Rn. 45). Ob diese Auffassung so zutrifft, braucht nicht entschieden zu werden, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Der Kläger bringt die Kosten für die Revision nach seinem Vortrag nicht aus eigenen Mitteln auf, sondern führt die Revision mit finanzieller Unterstützung seiner Mutter. Es war von ihm nicht zu verlangen, vor Stellung des Prozeßkostenhilfeantrages um diese Unterstützung nachzusuchen, die offenbar allein anläßlich der Zurückweisung seines Antrages durch den Senatsbeschluß vom 3. November 1998 erfolgt ist.

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet, weil es an einem Wiederaufnahmegrund fehlt.

1. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig. Insbesondere ist sie formgerecht und fristgerecht erhoben. Zwar erfolgte die Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht innerhalb eines Monats seit Rechtskraft des angefochtenen Urteils des Landesarbeitsgerichts vom 20. Oktober 1992, sondern erst am 17. Oktober 1997. Gleichwohl ist die Klagefrist gewahrt, weil das Landesarbeitsgericht dem Kläger hinsichtlich der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat (§ 233 ZPO) und die Frist von fünf Jahren seit Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war (vgl. § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Der Kläger hat auch Nichtigkeitsgründe für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses schlüssig behauptet (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 589 Rn. 2), nämlich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts aufgrund inhaltlicher Mängel des Geschäftsverteilungsplans und dessen fehlerhafter Anwendung.

2. Die Nichtigkeitsklage ist aber unbegründet. Der vom Kläger behauptete Nichtigkeitsgrund einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) liegt nicht vor. Weitere Nichtigkeitsgründe werden vom Kläger nicht mehr gerügt.

a) Das erkennende Gericht ist bereits dann nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), wenn der gemäß § 21 e GVG aufzustellende Geschäftsverteilungsplan nicht den gesetzlichen Richter bestimmt (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), also inhaltliche Mängel aufweist. An solchen Mängeln fehlt es hier.

aa) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, daß die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, daß durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt werden kann, gleichgültig, von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Dieses Vertrauen nähme Schaden, müßte der rechtsuchende Bürger befürchten, sich einem Richter gegenüber zu sehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Person bestellt worden ist. Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, daß im einzelnen bestimmt werden muß, wer im Sinne dieser Vorschrift "gesetzlicher" Richter ist. Die Vorschrift verpflichtet demnach auch dazu, Regelungen zu treffen, aus denen sich der gesetzliche Richter ergibt (BVerfG Beschluß vom 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322, 327 f. = AP Nr. 53 zu Art. 101 GG, zu C I 1 der Gründe m.w.N.).

Ergänzend zu formellen Gesetzen, die fundamentale Regeln zur Zuständigkeit aufstellen, die einzelnen Gerichte errichten und ihren Gerichtsbezirk festlegen, müssen Geschäftsverteilungspläne der Gerichte hinzutreten. Darin sind insbesondere die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper festzulegen sowie die erforderlichen Richter zuzuweisen. Erst durch diese Regelung wird der gesetzliche Richter genau bestimmt. Sie müssen als Grundlagen zur Bestimmung des "gesetzlichen" Richters wesentliche Merkmale aufweisen, die gesetzliche Vorschriften auszeichnen. Sie bedürfen der Schriftform und müssen im voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper regeln. Da gesetzliche Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch die im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen Richter sind, muß sich die abstrakt-generelle Vorausbestimmung bis auf die letzte Regelungsstufe erstrecken, auf der es um die Person des konkreten Richters geht. Es gehört zum Begriff des gesetzlichen Richters, daß die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt (vgl. BVerfG Beschluß vom 8. April 1997, aaO, zu C I 2 und 3 der Gründe). Derartige inhaltliche Mängel des Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts haben aber entgegen der Auffassung des Klägers nicht bestanden bzw. sind für die Zuteilung der Berufung des Klägers nicht ursächlich geworden.

bb) Soweit der Geschäftsverteilungsplan unter Ziffer 3.3.2.5 der Kammer 2 (früher Kammer 1) alle Sachen zuweist, "die Maßnahmen betreffen, die aus Sicherheitsgründen von Dienststellen der Bundeswehr, der NATO-Streitkräfte und Firmen, die den Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr unterliegen, getroffen wurden", ist ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter nicht erkennbar. Die Regelung ist insbesondere nicht unbestimmt, auch wenn der Begriff der "Maßnahmen, die aus Sicherheitsgründen getroffen wurden" auszulegen ist. Denn ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht schon dann vor, wenn zur Bestimmung des gesetzlichen Richters auslegungsbedürftige Begriffe verwendet werden. Auslegungszweifel in Bezug auf die zur Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters verwendeten Kriterien sind deshalb unschädlich. Sie eröffnen nicht den Weg zu einer Besetzung der Richterbank von Fall zu Fall, sondern zu einem rechtlich geregelten Verfahren, das der Klärung der Zweifel dient (BVerfG Beschluß vom 8. April 1997, aaO, zu C I 4 der Gründe). Sicherheitsgründe sind durchaus abstrakt abgrenzbar (vgl. BAG Urteil vom 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Sicherheitsbedenken). Die vom Kläger behaupteten Manipulationsmöglichkeiten des Arbeitgebers bestehen dabei regelmäßig nicht. Es liegt nicht allein in der Hand des Arbeitgebers, ob er aus Sicherheits- oder anderen Gründen z.B. eine Kündigung ausspricht. Eine Kündigung beruht auf Gründen, die sich aus einem Lebenssachverhalt ergeben, den auch der Arbeitnehmer darstellen kann. Stellt das erkennende Gericht danach etwa fest, daß einer verhaltensbedingten Kündigung ein sicherheitsrelevanter Sachverhalt im Sinne der Ziffer 3.3.2.5 des Geschäftsverteilungsplans zugrunde liegt, den der Arbeitgeber zunächst verschwiegen hatte, ändert sich auch im laufenden Verfahren die Zuständigkeit und die Kammer hat den Rechtsstreit an die nunmehr zuständige Kammer abzugeben. Ob dies hätte geschehen müssen, ist keine Frage eines inhaltlichen Mangels des Geschäftsverteilungsplans, sondern seiner Anwendung. Ob ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter darin liegt, daß Ziffer 3.3.2.4 des Geschäftsverteilungsplans alle den BND als Einzelpartei betreffenden Streitigkeiten der Kammer 2 (früher Kammer 1) zuweist, kann insoweit dahinstehen, weil sich aus dieser Regelung eine Zuständigkeit dieser Kammer für die Berufung des Klägers nicht hat ergeben können. Der BND war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Partei des Vorprozesses.

cc) Auch die vierte Änderung des Geschäftsverteilungsplans 1992 des Landesarbeitsgerichts vom 27. Mai 1992 hat den Kläger, soweit seine Berufung im Vorprozeß von dieser Änderung betroffen war, seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen. Das Präsidium des Landesarbeitsgerichts war insbesondere nicht gehindert, die Berufungs- und Beschwerdesachen der Kammer 4 überhaupt auf andere Kammern zu verteilen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß eine Partei grundsätzlich keinen Anspruch auf die Beibehaltung des bisherigen Vorsitzenden eines erkennenden Gerichts hat. Das folgt bereits aus der Vorschrift des § 21 e Abs. 4 GVG, nach der das Präsidium im umgekehrten Fall anordnen kann, daß ein Richter, der in einer anhängigen Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt. Die Vorschrift verwirklicht den Grundsatz der Stetigkeit der Geschäftsverteilung, schließt aber andererseits eine Neuverteilung bereits anhängiger Sachen wegen des eingeräumten Ermessens nicht aus. Allerdings muß für die Neuverteilung ein zwingender sachlicher Grund bestehen (vgl. Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 e Rn. 87).

dd) Daß die Berufungs- und Beschwerdesachen der Kammer 4 aufgrund einer Stichtagsregelung einerseits der Kammer 10 (Verfahrenseingang bis zum 2. September 1991) und andererseits der Kammer 3 (Verfahrenseingang nach dem 2. September 1991) zugewiesen worden sind, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Allerdings unterliegt die Geschäftsverteilung aufgrund des Jährlichkeitsprinzips (§ 21 e Abs. 1 Satz 2 GVG) und des Stetigkeitsgrundsatzes zunächst einer strikten Veränderungssperre. Ihre Änderung im laufenden Geschäftsjahr ist unter Wahrung des gesetzlichen Richters allein nach der Vorschrift des § 21 e Abs. 3 und 4 GVG möglich (vgl. Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 e Rn. 84 und 96). Danach darf die Geschäftsverteilung u.a. geändert werden, wenn dies wegen Überlastung eines Richters oder infolge Wechsels einzelner Richter nötig wird (§ 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG). Das Landesarbeitsgericht hat im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren in seinem Urteil vom 17. März 1998 - 6 Sa 1073/97 - jedenfalls in den Entscheidungsgründen festgestellt, daß die Änderung der Geschäftsverteilung der Kammer 4 insbesondere auf einer krankheitsbedingten Überlastung des Vorsitzenden dieser Kammer beruht habe. Danach war eine Änderung der Geschäftsverteilung hinsichtlich der Kammer 4 grundsätzlich möglich. Auch die konkrete Aufteilung der bereits anhängigen Verfahren von der Kammer 4 auf zwei andere Kammern des Landesarbeitsgerichts nach einer Stichtagsregelung war zulässig. Bei einer Änderung der Geschäftsverteilung wegen Überlastung reicht es zwar regelmäßig aus, die Änderung auf künftige Eingänge zu beschränken. Es ist jedoch zulässig, auch die anhängigen Verfahren mit zu übertragen. Nach § 21 e Abs. 3 GVG ist dabei grundsätzlich auch eine Umverteilung nach Buchstaben bzw. Eingangsdatum möglich (BGH NJW 76, 60; KK-Mayr, 3. Aufl., § 21 e GVG Rn. 14; Thomas-Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 21 e GVG Rn. 29; Wieczorek-Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 21 e GVG Rn. 28; Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 21 e GVG, Rn. 43; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 21 e GVG Rn. 13). Allerdings können derartige Differenzierungen im Hinblick auf das Abstraktionsprinzip im Einzelfall bedenklich sein. Eine Stichtagsregelung, wie sie das Präsidium hier gewählt hat, stellt jedoch eine hinreichend abstrakte Regelung dar. Daß durch die Entlastung des Vorsitzenden der Kammer 4 angeblich eine Überlastung des neuen Vorsitzenden der Kammer 10 in Kauf genommen worden wäre, wie der Kläger meint, widerlegt schon der weitere Verfahrensablauf. Bereits am 21. August 1992 hat die Kammer 10 den ersten Fortsetzungstermin durchgeführt.

ee) Die Zuweisung der bis zum 2. September 1991 eingegangenen Berufungen - darunter der Berufung des Klägers - an die im gesamten Juni 1992 vorübergehend unbesetzte Kammer 10 hat den Kläger seinem gesetzlichen Richter nicht entzogen. Zwar muß der Geschäftsverteilungsplan die zur Entscheidung berufenen Richter so eindeutig und genau wie möglich bestimmen. Der Bestimmtheitsgrundsatz bezieht sich nicht nur auf die Bezeichnung der Geschäfte, sondern auch auf die Person des Richters (vgl. Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 e Rn. 83). Vorliegend hat die Person des künftigen Vorsitzenden der Kammer 10 im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Präsidiums des Landesarbeitsgerichts am 27. Mai 1992 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aber bereits festgestanden.

ff) Soweit die vierte Änderung des Geschäftsverteilungsplans die Abgabe der Verfahren gegen die Deutsche Bundespost und gegen die Firma MAN von der Kammer 4 an die Kammer 3 vorsieht, ist die Berufung des Klägers hiervon nicht unmittelbar betroffen. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese Regelung das Abstraktionsprinzip verletzt, weil sie Verfahren gegen konkrete Einzelparteien einem bestimmten Richter zuweist (so Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 21 e GVG Rn. 44 a.E.), oder zulässig ist, weil es sich um Massenverfahren handelte. Jedenfalls ist die vom Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Abgabe der Berufung des Klägers von der Kammer 4 an die Kammer 10 nicht deshalb rechtswidrig, weil die Verfahren gegen die Deutsche Bundespost und gegen die Firma MAN von der Kammer 4 an die Kammer 3 fehlerhaft abgegeben worden wären. Ein solcher "Domino-Effekt" ist mit der Senatsrechtsprechung (Senatsurteil vom 7. Mai 1998 - 2 AZR 344/97 - AP Nr. 49 zu § 551 ZPO, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 5 c bb der Gründe) abzulehnen.

b) Die Kammer 10 als erkennendes Gericht des Vorprozesses war auch nicht deshalb unvorschriftsmäßig besetzt, weil der Geschäftsverteilungsplan hinsichtlich der Zuteilung der Berufung des Klägers fehlerhaft angewendet worden wäre.

aa) Jeder Spruchkörper hat bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden. Die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung muß als Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Normen im allgemeinen hingenommen werden, sofern sie nicht willkürlich ist (BVerfG Beschluß vom 8. April 1997, aaO, zu C I 4 der Gründe). Willkür setzt Unverständlichkeit bzw. offensichtliche Unhaltbarkeit der Entscheidung voraus (BGH Beschluß vom 5. Oktober 1982 - XZ B 4/82 - BGHZ 85, 116, 118, 119, zu 3 b der Gründe). Insoweit liegt der Überprüfung der fehlerhaften Anwendung eines Geschäftsverteilungsplans ein weniger strenger Prüfungsmaßstab zugrunde als der Überprüfung des Geschäftsverteilungsplans selbst.

bb) Der maßgebende Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts in der Fassung der vierten Änderung vom 27. Mai 1992 ist nicht fehlerhaft angewendet worden, jedenfalls geschahen etwaige Anwendungsfehler nicht aus Willkür. Ob zunächst die Berufung des Klägers im Vorprozeß von der erkennenden Kammer 10 an für die "Maßnahmen, die aus Sicherheitsgründen getroffen worden" zuständige Kammer 2 (ab 1. Juni 1992) hätte abgegeben werden müssen, kann dahinstehen. Nicht erkennbar ist jedenfalls, daß sich die Kammer 10 während des laufenden Verfahrens willkürlich für zuständig gehalten hätte. Allein die Tatsache, daß die Tätigkeit des Klägers in einem gewissen Zusammenhang mit Geheimhaltungserfordernissen gestanden hat, macht die Kündigung zu keiner Maßnahme aus Sicherheitsgründen.

cc) Auch die Aufhebung des Fortsetzungstermins vom 29. Juni 1992 vor der Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts durch den Beschluß des Vizepräsidenten vom 29. Mai 1992 stellt keine fehlerhafte Anwendung des Geschäftsverteilungsplans dar und entzieht den Kläger nicht in sonstiger Weise seinem gesetzlichen Richter. Der Vizepräsident war für die Aufhebung des Fortsetzungstermins als Vertreter des Vorsitzenden der Kammer 4 zuständig. Ob ein Vertretungsfall vorgelegen hat, kann dahinstehen. Nach der Vorschrift des § 22 d GVG, die nicht nur für die Amtsgerichte gilt, sondern einen allgemeinen Rechtssatz enthält, sind richterliche Handlungen wegen Verstoßes gegen den Geschäftsverteilungsplan nicht nichtig (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 22 d GVG Rn. 1), die Vertretungshandlung war insoweit also zulässig. Daß der Vizepräsident willkürlich gehandelt hätte, ist nicht erkennbar. Der Fortsetzungstermin mußte auch von Amts wegen aufgehoben werden, weil hierfür erhebliche Gründe vorgelegen haben (§ 227 Abs. 1 ZPO). Der Termin hätte in einem Zeitraum stattfinden müssen, in dem die Kammer 10 mit dem neuen ordentlichen Vorsitzenden noch nicht besetzt war. Zwar hätte anstelle des neuen Vorsitzenden rein theoretisch sein Vertreter den Vorsitz am Terminstage übernehmen können. Das hätte aber voraussichtlich zu einem weiteren Richterwechsel geführt, den es - auch im Sinne des Klägers - zu vermeiden galt, denn die Beweisaufnahme ließ sich in einem einzigen Termin offenbar nicht beenden, wie aus den Fortsetzungsterminen am 6. Oktober 1992 und 20. Oktober 1992 zu ersehen ist.

c) Daß er im Vorprozeß nicht nach den Vorschriften der Gesetze vertreten gewesen sei (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO), macht der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr geltend. Im übrigen wäre seine Revision insoweit unzulässig, weil sich seine Revisionsbegründung nicht mit dieser Rüge befaßt hat (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO).

Etzel

Richter Bröhl BAG Bitter hat Urlaub

Dr. Roeckl

Etzel J. Walter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI610877

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