Leitsatz (amtlich)

a) Die Auszeichnung einer Patentanmeldung mit einer Patentklasse durch das Patentamt bestimmt nicht bindend die Zuständigkeit der Spruchkörper des Beschwerdegerichts; die Rüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts kann daher nicht allein darauf gestützt werden, daß ein Senat entschieden hat, der für die vom Patentamt angegebene Klasse nicht zuständig sei.

b) Für die Frage, ob ein Spruchkörper seine Zuständigkeit nach der Geschäftsverteilung willkürlich angenommen hat, kommt es nicht auf die von dem Spruchkörper zur Rechtfertigung seiner Zuständigkeit gegebene Begründung an, sondern darauf, ob sich die Annahme seiner Zuständigkeit bei objektiver Betrachtung als unverständlich und offensichtlich unhaltbar erweist (Ergänzung zu BGH GRUR 1976, 719 - Elektroschmelzverfahren).

 

Verfahrensgang

BPatG (Entscheidung vom 07.12.1981)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 9. Senats (technischen Beschwerdesenats IV) des Bundespatentgerichts vom 7. Dezember 1981 wird auf Kosten der Anmelderin zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000,- DM festgesetzt.

 

Gründe

1.

Das Deutsche Patentamt hat der Anmelderin auf die Anmeldung vom 12. Dezember 1971 nach Prüfung zweier Einsprüche ein Patent erteilt. Dieses betrifft nach dem Oberbegriff des ausgelegten Anspruchs 1 eine

"Abstützvorrichtung für die beiden einer Betätigungsvorrichtung abgewandten Enden der Bremsbacken einer Innenbackenbremse für auflaufgebremste Fahrzeuganhänger mit fester Abstützung des einen Endes des Primärbackens bei Vorwärtsfahrt und einer Schwenkvorrichtung für die Abstützung des einen Endes des Sekundärbackens, der bei Rückwärtsfahrt und Bremsung gegen die Wirkung einer Feder zum Ende des Primärbackens hin ausweicht, so daß der Abstand zwischen den Enden der Bremsbacken so weit verringert wird, daß eine Verspannung gegenüber der Bremstrommel unterbleibt."

Die Auslegeschrift gibt als die Klasse, der die Anmeldung zugehört, F 16 D 51/46 (selbstverstärkend wirkende Bremsen mit schwenkbaren Bremsbacken) an.

Gegen den Erteilungsbeschluß haben die Einsprechenden Beschwerde eingelegt. Sowohl bei der Einlegung der Beschwerden als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über dieselben war für Klasse F 16 D der 6. Senat des Bundespatentgerichts zuständig (vgl. Bl. f. PMZ 1979, 39; 1981, 42, 43). Bei diesem Senat war die Beschwerde zunächst anhängig. Der Vorsitzende des 9. Senats - dieser Senat ist unter anderem für Patentanmeldungen der Klasse B 60 T (Bremsanlagen für Fahrzeuge oder Teile davon; Bremsbetätigungssysteme oder Teile davon im allgemeinen) zuständig (vgl. Bl. f. PMZ 1979, 39, 40; 1981, 42, 43) - vertrat auf eine Antrage des 6. Senats die Auffassung, der 6. Senat sei zuständig, weil der Gegenstand der Anmeldung "die innere Ausbildung der Bremse an sich" betreffe; der 9. Senat würde nur zuständig sein, wenn "die spezielle Anordnung bzw. Einbaugestaltung" das Wesen der Erfindung ausmachen würde (Vermerk vom 7. Juni 1979, Bl. 13 der Beschwerdeakten). Im August 1981 wurde die Sache sodann vom 9. Senat übernommen, und zwar, wie auch den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt wurde, "wegen Änderung der Geschäftsverteilung". Änderungen der Geschäftsverteilung hatten unterdessen stattgefunden; unter anderem war die Zuständigkeit des 9. Senats betreffend "Fahrzeuge im allgemeinen" unter Streichung einiger Ausnahmen in der früheren Geschäftsverteilung auf die Gesamtheit der Klassen B 60 B - K, N, P, R, S und T erstreckt worden; eine Zuständigkeitsänderung im Verhältnis zum 6. Senat, die den Gegenstand der vorliegenden Anmeldung berührt hätte, war indessen nicht erfolgt. Durch den angefochtenen Beschluß hat der 9. Senat den Erteilungsbeschluß aufgehoben und das Patent versagt.

2.

Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Anmelderin. Sie macht geltend: Der 6. Senat sei von Anfang an zweifelsfrei zuständig gewesen; an dieser Zuständigkeit habe sich im Verlauf des Verfahrens nichts geändert. Die den Parteien für die Abgabe an den 9. Senat mitgeteilte Begründung, die Geschäftsverteilung habe sich geändert, sei "nicht verifizierbar". Anders als in dem von dem beschließenden Senat entschiedenen Fall "Elektroschmelzverfahren" (GRUR 1976, 719) fehle es an jeder verständlichen Begründung der auch sachlich unhaltbaren Übernahme der Sache durch den 9. Senat. Dies sei dem Fall einer willkürlichen Bejahung der Entscheidungsbefugnis und damit einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des beschließenden Gerichts gleichzuachten.

3.

Die Rechtsbeschwerde bleibt erfolglos, weil der gerügte Mangel (§ 100 Abs. 3 Nr. 1 PatG) nicht vorliegt.

a)

Die Auszeichnung einer Patentanmeldung durch das Patentamt (hier: F 16 D 51/46) bestimmt die Zuständigkeit der Spruchkörper des Beschwerdegerichts nicht bindend voraus. Vielmehr hat das Beschwerdegericht selbständig zu prüfen und zu entscheiden, welchem technischen Gebiet die Erfindung angehört und welcher Senat folglich nach dem Geschäftsverteilungsplan zur Entscheidung berufen ist. In der bloßen Abweichung von der Klassenangabe des Patentamts kann daher eine die Rüge der Fehlbesetzung des beschließenden Gerichts rechtfertigende willkürliche Bejahung einer in Wahrheit nicht gegebenen Zuständigkeit nicht gesehen werden.

b)

Sollte der 9. Senat seine Zuständigkeit irrtümlich bejaht haben, dann könnte ein solcher Irrtum allein die erhobene Rüge, wie die Rechtsbeschwerde selbst nicht verkennt, ebensowenig rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 3, 359, 364 f; 4, 412, 416 f; 13, 132, 144; 20, 336, 346; 23, 288, 320; 29, 45, 48 f) verstößt eine Entscheidung eines Gerichts vielmehr nur dann gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Von Willkür kann indes nicht schon im Falle eines Irrtums über die Zuständigkeit gesprochen werden, sondern nur dann, wenn sich die Entscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm so weit von dem Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, das heißt, wenn sie unverständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG NJW 1967, 2151, 2152; BVerwG MDR 1974, 779, 780). Dieser Rechtsprechung hat sich der beschließende Senat in der angeführten "Elektroschmelzverfahren"-Entscheidung (GRUR 1976, 719) auch für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht angeschlossen; an dieser Auffassung hält er fest. Es bedarf aus diesem Grunde nicht unter allen Umständen der abschließenden Entscheidung darüber, ob bei objektiv richtiger Anwendung des Geschäftsverteilungsplanes der 6. oder der 9. Senat des Bundespatentgerichts zuständig gewesen wäre; ergibt sich, daß ernsthafte Zweifel an der Zuordnung der Erfindung zu Klasse F 16 D (und damit zum Zuständigkeitsbereich des 6. Senats) oder - wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint - zu Klasse B 60 T (und damit zum Zuständigkeitsbereich des 9. Senats) bestehen konnten, dann kann darin, daß von diesen Senaten nicht der eine, der in Wahrheit zuständig war, entschieden hat, sondern der andere, dessen Zuständigkeit richtigerweise zu verneinen gewesen wäre, keine willkürliche Handhabung der Geschäftsverteilung gesehen werden, sondern nur eine die erhobene Besetzungsrüge nicht rechtfertigende irrtümliche Beurteilung der Zuständigkeit.

c)

Solche Zweifel konnten angesichts der Klasseneinteilung, soweit sie sich auf Bremsen, Bremsanlagen für Fahrzeuge und Bremsbetätigungssysteme bezieht, in Bezug auf die angemeldete Erfindung entstehen.

Die Klasse F 16 umfaßt Maschinenelemente und -einheiten; allgemeine Maßnahmen für die ordnungsgemäße Arbeitsweise von Maschinen oder Einrichtungen (Int. Cl. 2. Ausgabe 1974 Bd. 6 Sektion F). Die Unterklasse F 16 D trägt die Bezeichnung "Feste, bzw. ein- und ausrückbare Kupplungen (Wellenkupplungen); Bremsen (Anordnung oder Lage von Kupplungen in Fahrzeugen B 60 K 17/00, z.B. B 60 K 17/02)". Unter 51/00 sind "Bremsen mit nach außen spreizbaren Bremsgliedern, die mit der Innenfläche einer Trommel oder dgl. in Reibungsschluß treten" aufgeführt. Hierunter befinden sich als Gruppe 51/46 - unter die das Patentamt die angemeldete Erfindung gerechnet hat - "selbstverstärkend wirkende Bremsen mit schwenkbaren Bremsbacken". Klasse B 60 betrifft demgegenüber "Fahrzeuge im allgemeinen", B 60 T "Bremsanlagen für Fahrzeuge oder Teile davon; Bremsbetätigungssysteme oder Teile davon im allgemeinen" (Int. Cl. 2. Ausgabe 1974 Bd. 2 Sektion B). Zur Abgrenzung findet sich der Hinweis: "Bremsen an sich, d.h. Vorrichtungen, an denen eine Bremswirkung auftritt einschließlich dem Hauptbremsbetätiger F 16 D". Die Gruppe 7/20 der Unterklasse B 60 T umfaßt "Mittel zum Einleiten des Bremsvorgangs besonders für Anhänger, z.B. beim Abkuppeln oder Auflaufen des Anhängers wirkend (Auflaufbremsen 13/08)", und unter 13/08 werden Auflaufbremsen als eine Untergliederung von "Übertragung der Bremsbetätigungskraft von den den Bremsvorgang einleitenden Mitteln zu den Bremszuspannorganen mit Hilfskraftunterstützung oder mit einer Hilfskraftübertragung; Bremsanlagen mit derartigen Übertragungsmitteln, z.B. Druckluftbremsanlagen" aufgeführt. Die Patentanmeldung betrifft einen Teil einer Bremsvorrichtung für auflaufgebremste Fahrzeuganhänger. Die Zuordnung dieser Anmeldung zur Klasse B 60 T 13/08 - mit der Folge der Zuständigkeit des 9. Senats - kann deshalb keinesfalls als willkürlich angesehen werden; sie erscheint vielmehr wegen des sachlichen Zusammenhangs wenn nicht zutreffend, so doch jedenfalls nicht fernliegend.

Wie der Schriftwechsel zwischen den Vorsitzenden der beteiligten Senate im Jahre 1979 zeigt, haben auch von Anfang an Zweifel über die Zugehörigkeit der Sache zur Zuständigkeit des einen oder des anderen Senats bestanden. Diese sind auch durch den oben wiedergegebenen Hinweis des Vorsitzenden des 9. Senats nicht beseitigt worden, wie der nachfolgende Vermerk des Berichterstatters des 6. Senats vom 15. Juni 1979 (Bl. 13 unten der Beschwerdeakten) zeigt. Die Ernsthaftigkeit dieser Zweifel wird bekräftigt dadurch, daß bei dem Deutschen Patentamt die Auszeichnung mit der internationalen Klasse F 16 D 51/46 erst im Laufe des Erteilungsverfahrens erfolgt ist, während die Erfindung ursprünglich in die der internationalen Klasse B 60 T 13/08 entsprechende deutsche Klasse 63 c 51/15 eingeordnet worden war. In diesem Zusammenhang ist auch nicht ohne Bedeutung, daß, worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung hingewiesen hat, zum Beispiel die ausgelegten Patentanmeldungen 2 058 566 und 2 106 664, die beide Auflaufbremsanlagen für Anhänger betreffen, vom Deutschen Patentamt in die Klasse B 60 T 13/08 eingeordnet worden sind. Alle diese Umstände weisen nach, daß, sollte überhaupt der 9. Senat seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht haben, allenfalls eine irrtümliche, keinesfalls jedoch eine willkürliche Handhabung angenommen werden kann.

d)

Ohne Bedeutung ist es demgegenüber, daß, ausweislich der Abgabe- und Übernahmeverfügungen (Bl. 101 der Beschwerdeakten), der Übergang vom 6. auf den 9. Senat mit einer in Wahrheit hinsichtlich des zur Entscheidung stehenden Falles nicht erfolgten Änderung der Geschäftsverteilung begründet und dies auch den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt worden ist. Mag diese Angabe auch sachlich unzutreffend sein, so ändert dies doch nichts daran, daß objektiv nachvollziehbare Zweifel an der Einordnung der Erfindung und damit der Senatszuständigkeit entstehen konnten und auch bestanden haben und daß sich infolge dessen jedenfalls die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm nicht so weit von deren wirklichem Inhalt entfernt hat, daß sie als offensichtlich unhaltbar angesehen werden müßte.

4.

Die Rechtsbeschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG zurückzuweisen.

Beschluss:

Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000,- DM festgesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018819

BGHZ 85, 116 - 121

BGHZ, 116

NJW 1983, 671-672 (Volltext mit amtl. LS)

GRUR 1983, 114

MDR 1983, 312 (Volltext mit amtl. LS)

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