Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Nachschieben von Gründen

 

Orientierungssatz

Das Nachschieben von vor der Kündigung entstandenen Kündigungsgründen, die der Arbeitgeber zunächst nicht zur Begründung der Kündigung nicht angegeben hat, ist materiell-rechtlich zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Kündigenden vor oder nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind. Da die Kündigungserklärung nicht die Angabe eines bestimmten Kündigungsgrundes erfordert und materiell-rechtlich mehrere Kündigungsgründe grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht ergeben, kann die Kündigung aus materiell-rechtlicher Sicht grundsätzlich auch nachträglich auf weitere Kündigungsgründe gestützt werden.

 

Normenkette

BGB § 626; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 18.04.1985; Aktenzeichen 10 Sa 1764/84)

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 20.09.1984; Aktenzeichen 2 Ca 735/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung.

Der am 10. April 1942 in Ägypten geborene Kläger ist seit 1981 deutscher Staatsangehöriger und seit 1. Januar 1982 bei der Beklagten tätig. Sein Monatsgehalt betrug zuletzt 5.500,-- DM. Verwandte des Klägers (Mutter, Schwester und drei Brüder) leben noch in Ägypten. Die Beklagte betreibt einen Betrieb für Fahrzeugbau. Dem Kläger oblag die selbständige Bearbeitung des Nahost-Geschäftes der Exportabteilung der Beklagten. Er war dem Geschäftsführer unmittelbar unterstellt.

1983 verhandelte der Kläger mit dem zum 31. Dezember 1983 ausgeschiedenen Geschäftsführer der Beklagten Dr. G in Ägypten mit der staatlichen Firma M Petroleum Company (im folgenden MPC) wegen eines Geschäftsabschlusses. Ein Verwandter des Klägers ist bei dieser Firma beschäftigt.

Am 3. Januar 1984 besprachen der Kläger, der ausgeschiedene frühere Geschäftsführer und der neue Geschäftsführer, wie man einem Empfänger in Ägypten eine Summe von 82. 650,-- DM in Anbetracht des bevorstehenden Geschäftsabschlusses zukommen lassen könne. Die Beteiligten waren sich einig, daß das Geschäft in jedem Falle durchgeführt werden sollte, einigten sich aber über den Zahlungsweg nicht. Der Kläger weigerte sich, eine Quittung oder eine eidesstattliche Versicherung über den Empfang des Geldes abzugeben.

Die Beklagte erhielt am 7. Januar 1984 den erwarteten Auftrag. In einer Hauspostmitteilung stellte der Kläger dazu heraus, die Angebote seien auf seine Veranlassung zu ungewöhnlich hohen Preisen gemacht worden und der Auftrag sei ohne jeglichen Preisnachlaß erteilt worden.

Am 7. Februar 1984 beauftragte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger, gemeinsam mit dem Angestellten K nach Ägypten zu reisen und das Geld dort dem Empfänger zu übergeben. Als der Kläger sich weigerte, mit K nach Ägypten zu fahren, stellte ihm der Geschäftsführer eine fristlose Kündigung in Aussicht, die der Kläger zurückwies. Die Beklagte sandte ihm daraufhin am 10. Februar 1984 ein als Abmahnung bezeichnetes Schreiben, in dem sie u.a. ausführte:

"Obwohl Sie ausweislich der uns überreichten Arbeitsunfähig-

keitsbescheinigung - nach Ihren eigenen Angaben wegen Ar-

beitsüberlastung - bis zum 10.02.1984 arbeitsunfähig krank

sind, trugen Sie Herrn B bei dem Gespräch am 07.02.1984

vor, wegen des Ersatzteilauftrages gemäß Ihrer Hauspost-

Mitteilung vom 11.01.1984 ungeachtet Ihrer Krankheit so-

fort nach Ägypten reisen zu müssen. Es versteht sich, daß

Herr B allein wegen des gesetzlichen Verbots der Be-

schäftigung eines arbeitsunfähig kranken Mitarbeiters diesem

Wunsch nicht entsprechen konnte. Er ordnete deshalb als

derzeitiger Leiter der S GmbH im Beisein

der Herren B und K an, daß Sie unmittelbar

nach Beendigung Ihrer Arbeitsunfähigkeit mit Herrn Klapper

nach Ägypten fahren und die Angelegenheit regeln sollten.

Sie haben daraufhin nicht nur abgelehnt, zusammen mit Herrn

K nach Ägypten zu fahren, sondern auch darauf ver-

wiesen, daß die Reise für Sie wegen der Regelung persön-

licher Angelegenheiten wichtig sei.

Herr B mußte Sie daraufhin ausdrücklich an die Erfüllung

Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten aus dem Dienstvertrag

erinnern. Diese Abmahnung wird hiermit schriftlich

wiederholt. Nachdem Sie nunmehr ab 13.02.1984 in Urlaub

gehen und für die umgehend erforderliche Durchführung des

Ersatzteilauftrages mit Ägypten nicht zur Verfügung stehen,

werden Sie weiterhin aufgefordert, entgegen Ihrer am 07.02.

1984 erklärten Weigerung Herrn B umgehend, spätestens

bis zum

15. Februar 1984

----------------

mitzuteilen, in welcher Weise und gegenüber wem konkret

die Provisionsverpflichtungen gemäß Ihrer Hauspost-Mitteilung

vom 11.01.1984 zu erfüllen sind. Ihre mündlich erklärte

Weigerung wird ebenfalls als arbeitsvertragswidriges Ver-

halten ausdrücklich abgemahnt. Sollten Sie die notwendigen

Informationen nicht verbindlich innerhalb der genannten Frist

erteilen, müssen Sie mit einer fristlosen Kündigung

des Arbeitsvertrages rechnen.

Sie werden nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Sie

Ihren vertraglichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nach-

kommen müssen, solange dies besteht."

Der Kläger weigerte sich, dieser Aufforderung nachzukommen, worauf die Beklagte ihren Mitarbeiter K und einen weiteren Arbeitnehmer nach Ägypten sandte, um das Geschäft mit der MPC abzuwickeln. Beide Personen wurden bei ihrer Ankunft in Ägypten aufgrund eines anonymen Briefes verhaftet, später jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Die beabsichtigte Geldübergabe fand nicht statt.

Die Beklagte befand sich damals in finanziellen Schwierigkeiten. Bereits am 26. Januar 1984 hatte eine Betriebsversammlung stattgefunden, weil 35 Mitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, aufgrund eines Sozialplanes ausscheiden sollten.

Mit Schreiben vom 20. Februar 1984, dem Kläger am 23. Februar 1984 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung des Betriebsrates fristlos.

Einige Tage nach Ausspruch der Kündigung erhielt die Firma MPC ein Angebot einer Firma St aus B, mit dem solche Ersatzteile für 40.000,-- DM angeboten wurden, die die Beklagte im Rahmen des bereits erteilten Auftrages für 61.740,-- DM angeboten hatte. Die Beklagte nahm daraufhin den Auftragspreis um 21.740,-- DM zurück. In der Wohnung des Klägers wurden im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens Unterlagen betreffend das Geschäft der Firma St gefunden.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, irgendeine schriftliche Erklärung über den Empfang des Geldes abzugeben oder die Namen der Empfänger der Beklagten mitzuteilen. Bei dem Gespräch am 3. Januar 1984 sei ihm von dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten zugesichert worden, daß er die Namen der Empfänger nicht zu nennen brauche. Er habe dem Geschäftsführer erklärt, es müsse höchste Diskretion herrschen, die Namen der Geldempfänger dürften in den Geschäftsunterlagen der Beklagten nicht erscheinen. Er sei aber bereit gewesen, eine Quittung des ägyptischen Empfängers vorzulegen. Dies sei auch üblich, wenn das Geld im Empfängerland gezahlt werde.

Da es sich bei der MPC um einen Staatsbetrieb handele, machten sich die Mitarbeiter der Beklagten bei Schmiergeldzahlungen nach ägyptischem Recht strafbar. Er besuche seine Familie in Ägypten und habe daher ein gerechtfertigtes Sicherheitsbedürfnis. Wenn bekannt würde, daß er an Staatsbedienstete Schmiergelder gezahlt hätte, müßte er bei einer Reise nach Ägypten mit einer Verhaftung rechnen. Er habe sich aber bereiterklärt, mit einer anderen Person als dem Mitarbeiter K nach Ägypten zu fahren, um die Geldübergabe zu bewerkstelligen. Er habe Gründe gehabt, nicht mit K zu reisen. Dieser habe ihn 1983 dadurch in Mißkredit gebracht, daß er zu Unrecht angedeutet habe, er - der Kläger - wolle Schmiergeldzahlungen offenlegen.

Die Beklagte habe nur taktiert, um ihn zu veranlassen, einen Grund für eine fristlose Kündigung zu liefern. Auf die Abmahnung habe er mit Schreiben vom 13. Februar 1984 ablehnend reagiert. An diesem Tage seien bereits die erwähnten Mitarbeiter der Beklagten nach Ägypten gereist. Diese Reise sei demnach von der Beklagten schon vor der Abmahnung organisiert worden, da anderenfalls über die Visaanträge gar nicht hätte entschieden werden können. Auch sei einem Mitarbeiter der MPC bereits am 14. Februar 1984 mitgeteilt worden, er - der Kläger - sei bereits entlassen.

Am 21. Februar 1984 habe er über einen Vermittler in Ägypten eine Ausschreibung der Firma MPC vom 12. August 1983 erhalten, wonach diese über das Volumen betreffend den Auftrag der Beklagten hinaus zusätzliche Ersatzteile benötigte. Er habe dem Vermittler in Ägypten am selben Tag fernmündlich erklärt, er könne diese Ausschreibung nicht beantworten bzw. bearbeiten, solange er noch bei der Beklagten beschäftigt sei. Am 22. Februar 1984, nachdem er wegen einer nicht gelungenen Zustellung gewußt habe, daß die Kündigung an ihn unterwegs sei, habe er sich mit der B Firma in Verbindung gesetzt. Nach Erhalt der fristlosen Kündigung sei dann dieses Geschäft abgewickelt worden, wobei eine Provision von 15.000,-- DM an den ägyptischen Vermittler gezahlt worden sei. Seine Verlobte sei hierbei als Vertragspartnerin der Firma St angeführt worden, damit sie einen Ausgleich dafür erhalte, daß sie sich wegen ihrer Hilfe ihm gegenüber ein Freisemester genommen habe.

Da die Beklagte Strafanzeige gegen ihn erstattet habe, sei ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

durch die am 23. Februar 1984 zugegangene

außerordentliche Kündigung vom 20. Februar

1984 nicht aufgelöst worden sei, sondern

über den 23. Februar 1984 fortbestanden

habe,

2. das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer

Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des

Gerichts gestellt werde, aufzulösen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und vorgetragen, der Betriebsrat sei eingeschaltet worden und habe der Kündigung zugestimmt, obwohl der Kläger leitender Angestellter i.S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG sei. Er habe die Nahost-Geschäfte in der Exportabteilung selbständig bearbeitet, seine Besucherkarte habe ihn als "Exportmanager" ausgewiesen.

Hinsichtlich des Geschäftes mit den ägyptischen Kunden sei ihm nicht zugesichert worden, daß er die Namen der Empfänger nicht mitzuteilen brauche. Es sei zwar Diskretion zugesichert worden, dies bedeute nach ihrer früheren Handhabung jedoch, daß nur die Geschäftsleitung informiert werde.

Es sei dem Kläger auch zumutbar gewesen, entweder eine eidesstattliche Versicherung abzugeben oder eine Quittung auszustellen. Die Quittung eines ägyptischen Empfängers sei ihr nicht in Aussicht gestellt worden. Wenn der Kläger schon keine Namen hätte nennen wollen, so hätte er zumindest aber mit dem Mitarbeiter K, der sich im Ägyptengeschäft bei ihr auskenne, nach Ägypten fahren müssen. Die Gründe der Weigerung des Klägers hinsichtlich aller von ihr angebotenen Alternativen seien in sich widersprüchlich. Es sei nicht einzusehen, daß er sich bei dem von ihm gewollten Vorgehen nicht gefährdet hätte, wenn er mit einem anderen Mitarbeiter gefahren wäre, ebenso weise die Quittung eines ägyptischen Empfängers diesen aus.

Erst nach Ausspruch der Kündigung habe sie im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens erfahren, daß der Kläger zuvor ein Ersatzteilgeschäft mit der Firma MPC initiiert habe, das ihm eine erhebliche Provision eingebracht habe. Der Kläger habe seinerzeit bei Abschluß ihres Geschäftes die Ersatzteile außergewöhnlich hoch gegen den Willen anderer Mitarbeiter vorgeschlagen und durchgesetzt. Er habe daher genau gewußt, wie er ihr nachträglich mit einem günstigen Gegenangebot an die Firma MPC schaden könne. Zu einem Zeitpunkt, als sein Arbeitsverhältnis noch nicht gekündigt gewesen sei, habe er im Januar 1984 die Firma St angesprochen und sodann im Namen dieser Firma, die an sich solche Geschäfte nicht tätige, die von ihr bereits angebotenen Ersatzteile um 21.740,-- DM unterboten. Er habe eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Firma St und seiner Verlobten entworfen, wonach nach Abwicklung des Auftrages über einen Mittler an die Firma MPC 15.000,-- DM zu zahlen gewesen seien. Tatsächlich sei die Verlobte Gläubigerin der 15.000,-- DM gewesen. Sie - die Beklagte - wäre auch berechtigt gewesen, wegen dieses später ermittelten Sachverhalts fristlos zu kündigen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis erst zum 30. September 1984 zu Ende gegangen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Beklagten habe ein Recht zur fristlosen Kündigung nicht zugestanden, die Kündigung sei jedoch in eine wirksame ordentliche Kündigung umzudeuten.

Der Kläger sei verpflichtet gewesen, eine von der Beklagten vorgeschlagene Alternative zur Geldübergabe zu akzeptieren. Daß er sich geweigert habe, die Namen der Geldempfänger zu nennen, habe darauf beruhen können zu vermeiden, diese in ein Strafverfahren zu ziehen. Hinsichtlich der Verweigerung der Reise nach Ägypten habe eine eindeutige Vertragsverletzung vorgelegen. Diese habe jedoch keine fristlose Kündigung rechtfertigen können, denn die Beklagte hätte in Erwägung ziehen müssen, daß der Kläger angesichts der delikaten Art des Geschäftes nur mit einem Mitarbeiter seines Vertrauens habe fahren wollen. Der Kläger habe immerhin insoweit eine konkrete andere Person vorgeschlagen.

Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß der Kläger nach Ausspruch der Kündigung Konkurrenzgeschäfte gemacht habe, die an sich geeignet wären, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Sie habe nämlich, obwohl sie nach Ausspruch der Kündigung hiervon erfahren habe, keine besondere Kündigung ausgesprochen. Die nach der fristlosen Kündigung aufgetretenen Ereignisse könnten die zuvor ausgesprochene Kündigung nicht rechtfertigen.

Die Beklagte habe zu erkennen gegeben, daß sie sich in jedem Falle von dem Kläger trennen wolle. Die so in eine ordentliche Kündigung umzudeutende fristlose Kündigung müsse als gerechtfertigt anerkannt werden. Der Kläger habe im Betrieb der Beklagten eine besondere Vertrauensstellung gehabt, insbesondere als Vermittler der so schwierigen Geschäfte im vorderen Orient. Durch den Wechsel des Geschäftsführers fehle offenbar jetzt auf Dauer gesehen die erforderliche Vertrauensbasis. Ohne daß damit ein Verschulden festgestellt zu werden brauche, müsse dies für die Beklagte ausreichen, dem speziell als Vertrauensperson und letztlich unkontrollierbar fungierenden Kläger unter Beachtung der dafür vorgeschriebenen gesetzlichen Fristen zu kündigen. Wegen der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung sei für den Auflösungsantrag kein Raum mehr.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß auch solche Tatsachen materiell-rechtlich Kündigungsgründe sein können, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind.

1. Das Landesarbeitsgericht hat sich bei Überprüfung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung auf die Bewertung der Kündigungsgründe gestützt, die die Beklagte in ihrem Kündigungsschreiben in Verbindung mit dem Abmahnschreiben angeführt hat. Soweit das Landesarbeitsgericht zu der Behauptung der Beklagten, sie habe erst später erfahren, daß der Kläger bereits zu einem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung in Bezug auf den ihr erteilten Auftrag gegen ihre Interessen gehandelt habe, ausgeführt hat, der Kläger habe insoweit nach Ausspruch der Kündigung Konkurrenzgeschäfte gemacht, ist dies in sich widersprüchlich und sinnwidrig. Diese Textstelle kann nach den eigenen tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sinnwahrend nur dahin verstanden werden, vor der Kündigung entstandene, dem Kündigenden aber später erst bekannt gewordene Gründe seien kündigungsrechtlich den Gründen gleichzustellen, die erst nach der Kündigung entstanden seien. Dies hat der Senat bereits im Beschluß über die Zulassung der Revision vom 12. September 1985 - 2 AZN 352/85 - ausgeführt.

Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts trägt insoweit nicht.

2. Das Nachschieben von vor der Kündigung entstandenen Kündigungsgründen, die der Arbeitgeber zunächst nicht zur Begründung der Kündigung angegeben hat, ist materiell-rechtlich zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Kündigenden vor oder nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind. Da die Kündigungserklärung nicht die Angabe eines bestimmten Kündigungsgrundes erfordert und materiell-rechtlich mehrere Kündigungsgründe grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht ergeben, kann die Kündigung aus materiell-rechtlicher Sicht grundsätzlich auch nachträglich auf weitere Kündigungsgründe gestützt werden (BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen; BAG Urteil vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zur Veröffentlichung bestimmt; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 128 f.).

3. Da die von der Beklagten behauptete Tatsache der Konkurrenztätigkeit den bisherigen Kündigungssachverhalt wesentlich erweitert und nicht nur eine Erläuterung und Konkretisierung des bisherigen Vortrages bedeutet, wird das Landesarbeitsgericht allerdings zu prüfen haben, ob dieser Kündigungsgrund betriebsverfassungsrechtlich verwertbar ist.

a) Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits vorlagen, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, können im Kündigungsschutzprozeß nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber zuvor den Betriebsrat hierzu erneut angehört hat. Der Grundsatz der Prozeßökonomie gebietet es, Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung möglichst in einem Kündigungsschutzprozeß zu konzentrieren und mehrere Kündigungen und somit mehrere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Der Wortlaut des § 102 BetrVG, wonach die Anhörung vor Ausspruch der Kündigung erfolgen muß, steht einer nachträglichen Anhörung nicht entgegen, da die Anhörung nur ergänzend zu anderen Gründen erfolgt, auf die die ausgesprochene Kündigung nunmehr nachträglich ebenfalls gestützt werden soll. Insoweit ist sachlich im Rahmen des § 102 BetrVG das Nachschieben von Kündigungsgründen mit dem Ausspruch einer weiteren Kündigung vergleichbar, so daß eine Anhörung des Betriebsrates zu den weiteren Kündigungsgründen vor dem Nachschieben derselben im Prozeß nur scheinbar mit dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 BetrVG in Widerspruch steht. Durch eine entsprechende Anwendung des § 102 BetrVG wird jedenfalls am ehesten ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers einerseits und des Arbeitnehmers bzw. des Betriebsrates andererseits ermöglicht. Unvermeidbare Nachteile entstehen dadurch weder für den Betriebsrat, den Arbeitnehmer noch den Arbeitgeber (vgl. BAG Urteil vom 11. April 1985, aa0, m.w.N.).

b) Nach dem bisherigen Vortrag der Beklagten, der allerdings nicht unter Berücksichtigung des neuen rechtlichen Gesichtspunktes der notwendigen nachträglichen Anhörung des Betriebsrates erfolgte, und nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dürfte der Kläger kaum als leitender Angestellter im Sinne von § 5 BetrVG anzusehen sein. Ob eine Nichtbeteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG im Hinblick auf §§ 5, 105 BetrVG auf die Wirksamkeit der Kündigung bzw. das Nachschieben der Gründe ohne Einfluß wäre (vgl. KR-Etzel, § 105 BetrVG Rz 38), kann abschließend jedoch erst beurteilt werden, wenn die Beklagte Gelegenheit hatte, diesen rechtlichen Gesichtspunkt in tatsächlicher Hinsicht zu beachten und darzulegen.

4. Anhaltspunkte für eine Verwirkung der nachträglichen Berufung auf die behauptete Konkurrenztätigkeit des Klägers sind nicht ersichtlich. Kündigungsgründe, die erst später bekannt werden, brauchen mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nachgeschoben zu werden (vgl. BAG Urteil vom 17. August 1972 - 2 AZR 415/71 - BAG 24, 401 = AP Nr. 65 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - aa0; BGH LM Nr. 20 zu § 626 BGB; KR-Hillebrecht, aa0, § 626 BGB Rz 137 a). Das Landesarbeitsgericht wird zudem zu beachten haben, daß die Beklagte bereits im Schriftsatz vom 6. Juli 1984, Seite 6, ausgeführt hatte, ihr sei ein Schaden von 21.740,-- DM entstanden, den die Beklagte nach ihrem damaligen Kenntnisstand allerdings auf ein anonymes Schreiben zurückführte. Wenn die von der Beklagten behaupteten Tatsachen zutreffen, mußte es dem Kläger seit diesem Zeitpunkt klar sein, daß aus seinem Verhalten weitere Folgerungen gezogen würden, wobei nicht feststeht, ab wann die Beklagte überhaupt genaue Kenntnis hatte.

5. Kommt das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, daß der weitere Kündigungsgrund betriebsverfassungsrechtlich verwertbar ist, so wird es zu prüfen haben, ob der Vorwurf der Beklagten zutrifft, und wenn ja, ob die insgesamt vorliegenden Tatsachen eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Da mehrere Kündigungsgründe grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht ergeben, kann der Senat nicht bereits jetzt eine abschließende rechtliche Prüfung isoliert bezogen auf die vom Landesarbeitsgericht zur Begründung seiner Ansicht gestützten Gründe vornehmen.

Hillebrecht Triebfürst Ascheid

Thieß Dr. Bensinger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI438154

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge