Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme von Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis

 

Normenkette

Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die metallverarbeitende Industrie Nordrhein-Westfalens vom 15. März 1994 § 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 20.12.1996; Aktenzeichen 5 Sa 672/96)

ArbG Münster (Urteil vom 26.01.1996; Aktenzeichen 4 Ca 895/95)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Dezember 1996 – 5 Sa 672/96 – aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Zahlungsanspruch des Klägers, nachdem ihn die Beklagte im Anschluß an seine Berufsausbildung nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen hat.

Der Kläger wurde von der Beklagten in der Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. Januar 1995 zum Industriemechaniker ausgebildet. Er erhielt zuletzt eine Ausbildungsvergütung von 695,97 DM brutto. Auf das Ausbildungsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die metallverarbeitende Industrie Nordrhein-Westfalens vom 15. März 1994 (TV BS) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Dort ist u.a. folgendes bestimmt:

㤠3

Übernahme von Auszubildenden

1. Auszubildende werden im Grundsatz nach erfolgreich bestandener Abschlußprüfung für mindestens sechs Monate in ein Arbeitsverhältnis übernommen, soweit dem nicht personenbedingte Gründe entgegenstehen. Der Betriebsrat ist hierüber unter Angabe der Gründe zu unterrichten.

2. Mit Zustimmung des Betriebsrats kann von der Verpflichtung nach Abs. 1 abgewichen werden, wenn das Angebot eines Arbeitsverhältnisses wegen akuter Beschäftigungsprobleme im Betrieb nicht möglich ist, oder der Betrieb über seinen Bedarf hinaus Ausbildungsverträge abgeschlossen hat.”

Die Beklagte teilte allen ihren Auszubildenden im Oktober 1994 mit, sie werde sie nach Abschluß des Ausbildungsverhältnisses nicht in ein Arbeitsverhältnis übernehmen. Der Kläger machte erstmals am 28. November 1994 seinen tariflichen Übernahmeanspruch geltend. Die Beklagte erwiderte am folgenden Tag, die Beschäftigungssituation habe sich nicht geändert. Sie könne dem Kläger gegebenenfalls nur einen Teilzeitvertrag mit geringer Stundenzahl anbieten. Sie werde die Angelegenheit weiter mit dem Betriebsrat verhandeln und den Kläger zu gegebener Zeit unterrichten. Betriebsrat und Geschäftsleitung der Beklagten befaßten sich im Dezember 1994 und im Januar 1995 in gemeinsamen Sitzungen mit der Übernahme der Auszubildenden, ohne eine Einigung zu erzielen.

Der Kläger erschien am 1. Februar 1995, dem ersten Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, bei der Beklagten zur Arbeitsaufnahme. Diese legte ihm einen Arbeitsvertragsentwurf vor, der ein auf sechs Monate befristetes Teilzeitarbeitsverhältnis mit 37 Monatsstunden und einer Monatsvergütung von 695,97 DM brutto vorsah. Sie unterrichtete gleichzeitig den Betriebsrat über die geplante Einstellung auf einem Formblatt. Der Kläger lehnte das Vertragsangebot ab. Der Betriebsrat reichte das Formblatt am 10. Februar 1995 zurück, ohne eine der beiden Alternativen „einverstanden” oder „nicht einverstanden” gestrichen zu haben. Der Kläger trat am 3. April 1995 seinen Wehrdienst an, ohne zuvor für die Beklagte gearbeitet zu haben.

Mit seiner im Mai 1995 eingereichten Klage machte der Kläger Zahlungsansprüche für die Monate Februar und März 1995 geltend. Er hat sie auf der Grundlage der tariflichen Vollarbeitszeit berechnet, aber um 40 % gekürzt, weil bei der Beklagten von September 1994 bis Ende April 1995 in allen Abteilungen nach wirksamer Einführung von Kurzarbeit nur zu 60 % gearbeitet wurde. Das in den Monaten Februar und März 1995 erhaltene Arbeitslosengeld läßt sich der Kläger anrechnen.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.542,29 DM brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.398,80 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Differenznettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands des § 3 Nr. 2 TV BS mit unzureichender Begründung verneint, indem es dem Wortlaut dieser Tarifnorm entsprechend eine Zustimmung des Betriebsrats für erforderlich und eine Beratung mit ihm nicht für ausreichend gehalten hat. Infolgedessen hat es auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zum Hergang einer solcher Beratung sowie zu den von der Beklagten behaupteten akuten Beschäftigungsproblemen getroffen. Eine abschließende Entscheidung des Senats ist deshalb nicht möglich.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach den §§ 611,615 BGB. Denn zwischen den Parteien hat zu keiner Zeit ein Arbeitsverhältnis bestanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats seit seinem Urteil vom 14. Mai 1997 (– 7 AZR 159/96 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Übernahme ins Arbeitsverhältnis) wird nach den insoweit gleichlautenden Bestimmungen der Beschäftigungssicherungstarifverträge in den verschiedenen Bezirken der Metallindustrie bei Beendigung der Ausbildung nicht automatisch ein Arbeitsverhältnis begründet. Vielmehr erwirbt der Auszubildende einen Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung zum Abschluß eines Arbeitsvertrages (vgl. dazu auch die Senatsurteile vom 14. Oktober 1997 – 7 AZR 298/96 – und – 7 AZR 811/96 – zur Veröffentlichung bestimmt), sofern nicht einer der Ausnahmetatbestände der Tarifvorschriften gegeben ist. Zu einem Vertragsschluß ist es im Streitfall jedoch nicht gekommen.

II. Der Kläger könnte allerdings einen Schadensersatzanspruch nach § 284 Abs. 1, § 285, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 251 BGB haben, wenn die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis zu Unrecht nicht erfüllt hat.

1. Nachdem der Kläger am 1. Februar 1995 noch einmal die Übernahme verlangt hatte, konnte die Beklagte den Eintritt des Schuldnerverzugs nach § 284 Abs. 1 BGB nicht dadurch vermeiden, daß sie dem Kläger ein Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer monatlichen Arbeitszeit von 37 Stunden und einer Monatsvergütung von 695,97 DM brutto anbot. Mit diesem Angebot hat die Klägerin ihre tarifvertraglich geregelte Schuld nicht erfüllt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Dabei kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, ob der tarifliche Anspruch der Auszubildenden stets auf die Übernahme in ein Vollzeitarbeitsverhältnis geht oder ob im Einzelfall auch ein Arbeitsverhältnis mit einer verminderten Arbeitszeit den Anforderungen der Tarifnorm entspricht. Nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen dürfte regelmäßig nur das Angebot zur Übernahme in ein Vollzeitarbeitsverhältnis tarifgerecht sein. Keinesfalls entspricht jedoch ein Angebot, wie es die Beklagte abgegeben hat, den teleologischen Vorstellungen der Tarifvertragsparteien. Diese wollten dem Auszubildenden durch eine an das Ausbildungsverhältnis anschließende Weiterbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis den Erwerb von Berufspraxis ermöglichen, um seine Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Außerdem sollte erreicht werden, daß sich das Arbeitslosengeld bei einer anschließenden Arbeitslosigkeit nicht an der Ausbildungsvergütung, sondern an dem zwischenzeitlich erzielten Verdienst berechnete. Beide Zwecke lassen sich bei einer Beschäftigung von wenigen Stunden im Monat und einer Vergütung unterhalb der bisherigen Ausbildungsvergütung nicht erreichen.

2. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers entfällt jedoch dann, wenn sich die Beklagte zu Recht auf einen Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 2 TV BS berufen konnte. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Beklagte daran nicht gehindert, weil der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht das Verhalten des Betriebsrats zwar zutreffend gewürdigt. Es hat jedoch nicht beachtet, daß der Betriebsrat nach § 3 Abs. 2 TV BS kein endgültiges Zustimmungsverweigerungsrecht, sondern nur ein umfassendes Beratungsrecht hat. Das ergibt die verfassungskonforme Auslegung der Tarifbestimmung, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 12. November 1997 (– 7 AZR 422/96 – auch zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen) vorgenommen hat. Daran hält der Senat fest und verweist auf dieses Urteil.

3. Die mit dieser vom Senat dargestellten Rechtslage nicht übereinstimmende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen allerdings nicht selbst entscheiden, ob alle Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand gegeben sind. So mußte er die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen. Für die weitere Sachbehandlung gibt er folgende Hinweise:

a) Zunächst wird das Landesarbeitsgericht festzustellen haben, ob die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geführten Verhandlungen über die Übernahme der Auszubildenden den Anforderungen genügen, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 12. November 1997 (a.a.O.) dargelegt hat. Der bisherige Sachvortrag läßt dazu nur die Beurteilung zu, daß die Beklagte vor den Gesprächen – wie vom Senat gefordert – keine endgültige ablehnende Entscheidung getroffen hat. Ansonsten werden die Parteien ihren Sachvortrag zum Beratungsablauf zu ergänzen haben.

b) Sollte die Beklagte ihrer umfassenden Beratungspflicht nachgekommen sein, hat das Landesarbeitsgericht ihr Vorbringen zum akuten Beschäftigungsbedarf im Sinne des § 3 Nr. 2 TV BS zu überprüfen. Es hat ggf. nach Ergänzung des Vorbringens zu würdigen, ob die festgestellten Tatsachen ein Abweichen von der Verpflichtung zur Übernahme nach § 3 Nr. 1 TV BS rechtfertigen. Für diese dem Tatrichter obliegende Würdigung vermag der Senat lediglich den Hinweis zu geben, daß der Inhalt der unbestimmten Tarifbegriffe unter Berücksichtigung der oben genannten Zwecke der tariflichen Übernahmeverpflichtung zu bestimmen ist.

 

Unterschriften

Dörner, Schmidt, Gräfl, Zumpe, Bea

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1251986

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