Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsorgliche außerordentliche Kündigung

 

Orientierungssatz

1. Außerordentliche Kündigungserklärung, die von der Unwirksamkeit einer früher ausgesprochenen ordentlichen Kündigung abhängig gemacht wird.

2. Siehe die in dieser Sache früher ergangenen Entscheidungen Urteil vom 21.10.1982 - 2 AZR 628/80 und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4.6.1985 2 BvR 1703/83, sowie Entscheidung über die ordentliche Kündigung BAG Urteil vom 15.1.1986 - 7 AZR 545/85.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 626

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.10.1980; Aktenzeichen 17 Sa 964/80)

ArbG Essen (Entscheidung vom 21.05.1980; Aktenzeichen 6 (5) Sa 989/80)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. Februar 1979 in dem St. Elisabeth-Krankenhaus in Essen, dessen Rechtsträger die Beklagte - eine kirchliche Stiftung - ist, als Assistenzarzt mit dem Ziel der Ausbildung zum Facharzt beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsgehalt betrug 4.500,-- DM.

Nach dem schriftlichen Dienstvertrag der Parteien vom 30. August 1978 sollten für ihr Dienstverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) gelten. § 1 Abs. 1 AVR lautet:

"Die Pflichten der Dienstgemeinschaft sind durch

den Auftrag bestimmt, den die Caritas als Lebens- und

Wesensäußerung der Christen und der Kirche

hat. Die Mitarbeiter haben den ihnen anvertrauten

Dienst in Treue zu leisten. Ihr gesamtes Verhalten

in und außer dem Dienst muß der Verantwortung entsprechen,

die sie als Mitarbeiter im Dienste der

Caritas übernommen haben. Es wird vorausgesetzt,

daß sie den christlichen Grundsätzen bei der Erfüllung

ihrer dienstlichen Pflichten Rechnung tragen."

Ferner ist in § 16 Abs. 1 AVR bestimmt:

"Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes i. S. von

§ 626 BGB kann das Dienstverhältnis von beiden

Vertragsparteien ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist

gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt

insbesondere vor bei Vertrauensbrüchen oder groben

Achtungsverletzungen gegenüber Angehörigen der

Dienstgemeinschaft, leitenden Personen oder wesentlichen

Einrichtungen der katholischen Kirche,

bei schweren Vergehen gegen die Sittengesetze der

Kirche oder die staatliche Rechtsordnung oder bei

sonstigen groben Verletzungen der sich aus diesen

Richtlinien ergebenden Dienstpflichten."

Im Oktober 1979 wurde in der Wochenzeitschrift "Stern" Nr. 41/1979 unter dem von der Redaktion der Zeitschrift gewählten Titel "Ärzte gegen Ärztefunktionäre" ein Leserbrief veröffentlicht, der von etwa 50 Personen, darunter dem Kläger und dem ebenfalls im Krankenhaus der Beklagten beschäftigten Assistenzarzt B , unterzeichnet war. Der Brief lautet:

"Wir wehren uns mit diesem Aufruf besonders gegen

die Angriffe, die von klerikal-konservativer und

standesärztlicher Seite gegen die Praxis des derzeitigen

Paragraphen 218 geführt werden. So verglich

Dr. H , CSU-Funktionär und Vorstandsmitglied

der Bayerischen Ärztekammer, den

legalen Schwangerschaftsabbruch mit den Massenmorden

der Nazis in Auschwitz. Dr. K V ,

Präsident der Bundesärztekammer, wollte sogar bestreiten,

daß es in einem so reichen Staat wie der

BRD eine Notwendigkeit zum Schwangerschaftsabbruch

aus sozialer Notlage geben könne. Wir sehen unsere

Position zum Abtreibungsparagraphen 218 nicht durch

die inhumanen Äußerungen des Präsidenten der Bundesärztekammer

vertreten und distanzieren uns von

diesen und ähnlichen Versuchen, eine notwendige und

sinnvolle Entwicklung zu hemmen. Wir kennen aus eigener

beruflicher Praxis die zum Teil unlösbaren

Schwierigkeiten von Frauen in unserem Land, die

ungewollt schwanger geworden sind."

Die Unterzeichnung dieses Briefes nahm die Beklagte zum Anlaß, dem Kläger mit Schreiben vom 13. Februar 1980 fristgemäß zum 31. März 1980 zu kündigen. Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage war Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits; sie wurde schließlich durch Urteil des erkennenden Senats vom 15. Januar 1986 - 7 AZR 545/85 - rechtskräftig abgewiesen.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind eine außerordentliche Kündigung, die die Beklagte mit Schreiben vom 20. März 1980 - dem Kläger zugegangen am 26. März 1980 - zum 31. März 1980 aussprach, und eine gleichzeitig vorsorglich zum 30. Juni 1980 erklärte ordentliche Kündigung. Anlaß dieser Kündigungen war ein am 11. März 1980 im dritten Fernsehprogramm des WDR ausgestrahltes Interview mit dem Kläger und seinem ebenfalls bereits gekündigten Kollegen B . Bei diesem Interview antwortete der Kläger auf die Frage des Moderators, welche Konsequenzen sie aus der Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse durch die Beklagte zögen, die Konsequenz sei, eben nicht von der Position abzugehen, die sie zu § 218 StGB in dem von ihnen unterzeichneten Leserbrief an den "Stern" bezogen hätten.

Der Kläger hält die streitbefangenen Kündigungen für rechtsunwirksam. Er habe sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. Er habe sich nie für den Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen, sondern dessen Straffreiheit unter den in § 218 a StGB bestimmten Voraussetzungen begrüßt und sich gegen die Diffamierung dieser gesetzlichen Regelung sowie die Gleichsetzung ihrer Befürworter mit den NS-Massenmördern gewandt. In dem Interview habe er nur deutlich gemacht, daß er wegen der ersten Kündigung seine Position nicht ändern werde, sondern die Streitfrage gerichtlich klären lassen wolle. Er habe den Rechtsstaat, den er verteidigt habe, anrufen wollen. Die deswegen ausgesprochenen Kündigungen seien sittenwidrig und stellten eine Bedrohung der Pressefreiheit dar.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, daß die mit Schreiben der

Beklagten vom 20. März 1980 ausgesprochenen

Kündigungen rechtsunwirksam sind,

2. das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer

Abfindung in Höhe eines Jahresgehalts aufzulösen.

Die Beklagte hat Klageabweisung und hilfsweise ebenfalls die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen:

Der Kläger habe bereits mit der Unterzeichnung des Leserbriefs einen verhaltens- und möglicherweise auch einen personenbedingten Kündigungsgrund gesetzt. Der Verkündigungsauftrag der Kirche umfasse auch die Krankenfürsorge. In einem Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft übe der Kläger als Arzt seinen Dienst in Bindung an diesen Verkündigungsauftrag aus. Er habe deshalb die in seinem Dienstvertrag eingegangenen Loyalitätspflichten zu erfüllen. Hiergegen habe er durch die Unterzeichnung des Leserbriefs verstoßen, weil er damit öffentlich und gezielt gegen die ihm bekannte Haltung der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch Stellung genommen habe, die zum Kern ihrer sittlich-ethischen und religiösen Grundsätze gehöre. Der Leserbrief enthalte eine eindeutige Befürwortung des Schwangerschaftsabbruchs. Diese Einstellung habe der Kläger in dem Fernsehinterview noch verdeutlicht. Diese erneute Verletzung seiner Loyalitätspflichten in dem Fernsehinterview rechtfertige eine außerordentliche, zumindest aber eine ordentliche Kündigung. In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag des Klägers entsprochen, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1980 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung von 40.500,-- DM an den Kläger verurteilt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, daß die Beklagte eine Abfindung von 5.000,-- DM an den Kläger zu zahlen hat. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.

Gegen das Berufungsurteil hat die Beklagte Revision eingelegt, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage in vollem Umfang weiterverfolgt hat. Der Kläger hat unselbständige Anschlußrevision eingelegt mit dem Antrag, das arbeitsgerichtliche Urteil hinsichtlich der zuerkannten Abfindung wiederherzustellen.

Durch Urteil vom 21. Oktober 1982 - 2 AZR 628/80 - hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers zurückgewiesen.

Gegen dieses Revisionsurteil hat die Beklagte mit Erfolg Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 - das genannte Urteil wegen Verstoßes gegen Art. 140 GG in Verb. mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Im erneuten Revisionsverfahren verfolgen die Parteien ihre im ersten Revisionsverfahren gestellten Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die im vorliegenden Rechtsstreit angegriffenen Kündigungen der Beklagten sind gegenstandslos, so daß die Klage unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile abzuweisen war.

Während des Revisionsverfahrens in der vorliegenden Sache hat der erkennende Senat die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen die von der Beklagten am 13. Februar 1980 zum 31. März 1980 ausgesprochene ordentliche Kündigung durch Urteil vom 15. Januar 1986 - 7 AZR 545/85 - rechtskräftig abgewiesen. Damit steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, daß ihr Arbeitsverhältnis durch diese ordentliche Kündigung der Beklagten zum 31. März 1980 aufgelöst worden ist. Das bedeutet zunächst einmal, daß jedenfalls die im vorliegenden Rechtsstreit angegriffene, zum 30. Juni 1980 ausgesprochene ordentliche Kündigung, die die Beklagte in dem Kündigungsschreiben vom 20. März 1980 ausdrücklich als vorsorgliche Kündigung bezeichnet hatte, gegenstandslos ist. Gleiches gilt aber auch für die in demselben Schreiben der Beklagten zum 31. März 1980 erklärte außerordentliche Kündigung.

In dem genannten Kündigungsschreiben vom 20. März 1980 hat die Beklagte zwar nicht ausdrücklich klargestellt, daß die außerordentliche Kündigung nur für den Fall der Unwirksamkeit der bereits vorher am 13. Februar 1980 zum 31. März 1980 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung gelten sollte. Jedoch ergibt sich dies eindeutig aus einer die Umstände des Falles berücksichtigenden Auslegung der Kündigungserklärung.

Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Die Auslegung hat zwar vom Wortlaut der Erklärung auszugehen, ist aber nicht auf diesen zu beschränken. Empfangsbedürftige rechtsgeschäftliche Erklärungen sind vielmehr unter Berücksichtigung aller mit ihnen zusammenhängenden Umstände auszulegen.

Im vorliegenden Falle ist nun bedeutsam, daß die Beklagte die streitbefangene außerordentliche Kündigung nicht - wie es der gesetzlichen Regelung in § 626 Abs. 1 BGB entspricht - fristlos, sondern mit einer Auslauffrist ausgesprochen hat; die außerordentliche Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis nicht sofort mit ihrem Zugang, sondern erst zum 31. März 1980 beenden. Zu demselben Zeitpunkt sollte aber bereits die zuvor am 13. Februar 1980 ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien auflösen. Die Wahl desselben Beendigungszeitpunkts durch Gewährung einer entsprechenden Auslauffrist bei der außerordentlichen Kündigung zeigt, daß diese außerordentliche Kündigung keine selbständige, von der früher ausgesprochenen ordentlichen Kündigung unabhängige Bedeutung haben sollte, sondern daß es der Beklagten bei der außerordentlichen Kündigung nur darauf ankam, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zum 31. März 1980 auch für den Fall sicherzustellen, daß die zu demselben Zeitpunkt bereits ausgesprochene Kündigung unwirksam sein sollte. Die streitbefangene außerordentliche Kündigung stellt sich mithin lediglich als eine vorsorgliche Maßnahme der Beklagten dar, die nur gelten sollte, wenn das von der Beklagten angestrebte Ziel der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zum 31. März 1980 nicht schon durch die frühere ordentliche Kündigung erreicht werden würde.

Eine andere Auslegung des Kündigungsschreibens der Beklagten vom 20. März 1980 hat auch das Landesarbeitsgericht nicht vorgenommen. In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils heißt es auf Seite 18, zunächst sei davon auszugehen, daß - wie die 21. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf bereits entschieden habe - das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht schon durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Februar 1980 mit Wirkung zum 31. März 1980 beendet worden sei. Erst auf der Grundlage dieser Ausgangsfeststellung hat das Landesarbeitsgericht sodann die Wirksamkeit der hier streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung vom 20. März 1980 geprüft. Dies spricht dafür, daß auch das Landesarbeitsgericht die streitbefangene außerordentliche Kündigung nicht als selbständige, von der zuvor ausgesprochenen ordentlichen Kündigung unabhängige Kündigung aufgefaßt, sondern in ihr lediglich eine vorsorgliche Kündigung für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung gesehen hat.

Dadurch, daß die Beklagte die außerordentliche Kündigungserklärung von der Unwirksamkeit der früheren ordentlichen Kündigung abhängig gemacht hat, hat sie die außerordentliche Kündigung nicht unter einer Bedingung ausgesprochen, die unzulässig wäre, weil die Kündigungserklärung bedingungsfeindlich ist. Eine Bedingung im Rechtssinne ist ein künftiges ungewisses Ereignis, von dessen Eintritt oder Nichteintritt ein Rechtsgeschäft abhängig sein soll. Die Kündigung als einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung verträgt aus Gründen der Rechtsklarheit einen durch die Beifügung einer Bedingung hervorgerufenen Schwebezustand nicht. Eine derartige Ungewißheit wäre für den Kündigungsgegner unzumutbar. Im vorliegenden Falle sollte die Kündigung aber nicht von einem künftigen ungewissen Ereignis abhängen, sondern von der bereits beim Zugang der Kündigungserklärung objektiv bestehenden Rechtslage. Es handelt sich mithin nicht um eine echte Bedingung im Rechtssinne, sondern um eine sogenannte Rechtsbedingung, an die die Kündigung geknüpft ist. Das ist rechtlich zulässig.

Der Kläger hatte nur Anlaß, die streitbefangene außerordentliche Kündigung im Klagewege zu bekämpfen, wenn er die ihr beigefügte Rechtsbedingung, nämlich die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung, für gegeben hielt. Ohne diese Voraussetzung liegt eine Kündigungserklärung nicht vor, so daß eine Kündigungsschutzklage ins Leere geht. Der Kläger hätte deshalb mit seiner Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nur durchdringen können, wenn die Rechtsbedingung, von der die Kündigungserklärung abhängig gemacht worden ist, zuträfe (vgl. BAG Urteil vom 29. Januar 1986 - 7 AZR 295/84 -, nicht veröffentlicht). Das ist jedoch nicht der Fall, so daß die Klage unbegründet ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZP0.

Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan

Seiler Dr. Johannsen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441354

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