Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arbeitgebers für Provisionseinbußen

 

Normenkette

BGB §§ 276, 280, 286, 293, 295, 324 Abs. 1, §§ 615, 628 Abs. 2; KSchG §§ 9-10; BetrVG § 113; HGB § 84; ZPO § 138 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.10.1988; Aktenzeichen 2 Sa 46/88)

ArbG Reutlingen (Urteil vom 10.02.1988; Aktenzeichen 3 Ca 480/87)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. Oktober 1988 – 2 Sa 46/88 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte betreibt eine Weinkellerei. Sie vertreibt eigene Weine und die anderer Hersteller. Der Kläger war bei ihr vom 1. Oktober 1964 an als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Für seine Verkaufstätigkeit erhielt er ums atz abhängige Provisionen, wobei die Beklagte ein Mindestbruttoeinkommen garantierte. Mitte 1985 wurden in Weinen, die die Beklagte vertrieb, Beigaben von Glykol festgestellt. Dies wurde auch öffentlich bekannt. Der Kläger erzielte in der Folgezeit geringere Umsätze. Für 1986 und 1987 wurden mit dem Gesamtbetriebsrat Maßnahmen zur Verdienstsicherung der Außendienstmitarbeiter vereinbart. Die Beklagte garantierte verrechenbare Mindestprovisionen. Nachdem die Beklagte dem Kläger erklärt hatte, sie beabsichtige nicht,: ihm zu kündigen, beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. August 1987 einvernehmlich.

Mit der am 24. November 1987 zugestellten Klage hat der Kläger, soweit dies in der Revisionsinstanz erheblich ist, Ersatz für den Ausfall von Provisionen und Abfindung verlangt.

Der Kläger hat behauptet, ihm seien zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 Provisionen in Höhe von 12.000,– DM entgangen. Während dieser Zeit habe er 23.473,– DM verdient, im gleichen Zeitraum des Vorjahres jedoch 35.485,– DM. Für den Einkommens aus fall müsse die Beklagte einstehen. Ihre Weine seien nicht mehr oder nur noch sehr schwer zu verkaufen gewesen. Nach der Liste des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahr 1985 seien 40 der von der Beklagten vertriebenen Weine beanstandet worden. Die Beklagte habe ihre Fürsorgepflicht verletzt, indem sie ihn mit dem Verkauf lebensmittelrechtlich nicht einwandfreier Ware beauftragt habe.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm außerdem einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 66.000,– DM gewähren. Dieser Betrag entspreche einem Jahresverdienst, den er vor dem „Glykolskandal” erzielt habe. Dieser Betrag sei im Hinblick auf seine lange Betriebszugehörigkeit, sein Alter und seinen Familienstand angemessen und entspreche der Berechnungsmethode einer im Betrieb der Beklagten geschlossenen Betriebsvereinbarung über den Interessenausgleich zugunsten ausscheidender Mitarbeiter. Mit der Weigerung, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen, habe die Beklagte die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes umgangen, nach denen dem Arbeitnehmer eine Abfindung zugesprochen werden könne. Dadurch, daß die Beklagte auf dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Nebentätigkeitsverbot beharrt habe, habe sie ihn gehindert, anderweitige Einkünfte zu erzielen.

Der Kläger hat vor dem Landesarbeitsgericht, soweit in der Revisionsinstanz interessierend, beantragt,

  1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000,– DM nebst 8,75 % Zinsen seit dem 27. Oktober 1987 zu zahlen,
  2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag in Höhe von 66.000,– DM nicht unterschreiten sollte, zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe etwa zu erwartenden Einkommenseinbußen der Außendienstmitarbeiter ausreichend entgegengewirkt. Sie habe Garantieeinkommen gezahlt, Provisionssätze erhöht, Zusatzprämien gewährt und die Kundenkarteien aufgestockt. Die Umsatzeinbußen des Klägers beruhten darauf, daß dieser seine Kundenkartei nicht ordentlich bearbeitet habe. Dadurch habe er die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses provozieren wollen. Auf die Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich könne der Kläger sich nicht berufen, weil diese nur für Angehörige des Innendienstes gegolten habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Ansprüche auf Provisionsausfall und Abfindung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Ihm steht gegen die Beklagte weder ein Anspruch auf Provision oder auf Ersatz entgangener Provisionen noch ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung zu.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der geforderten 12.000,– DM.

a) Ein restlicher Provisionsanspruch in dieser Höhe für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. August 1987 steht dem Kläger nicht zu.

Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, scheidet § 615 BGB als Anspruchsgrundlage aus. Die Beklagte befand sich in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. August 1987 nicht in Annahmeverzug. Voraussetzung dafür wäre, daß die Beklagte eine vom Kläger angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen (§ 293 BGB) oder eine für die Arbeitsleistung des Klägers erforderliche Mitwirkungshandlung unterlassen hat (§ 295 BGB).

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger in dem genannten Zeitraum seiner Verkaufstätigkeit nachgegangen und hat daraus Einkünfte erzielt. Die Beklagte hat also die Arbeitsleistung des Klägers angenommen. Über diese Arbeitsleistung hinaus hat der Kläger der Beklagten seine Arbeitskraft nicht in weiterem Umfang erfolglos angeboten. Der Kläger behauptet nicht, daß die Beklagte die Arbeitsleistung in bezug auf Weine, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 zum Verkaufssortiment gehörten, abgelehnt hat. Dies wäre aber Voraussetzung eines etwaigen Annahmeverzugs. Andere Weine als die, die sie in dieser Zeit vertrieb, brauchte die Beklagte nicht für die Vermittlung durch ihre Außendienstmitarbeiter bereit zu halten. Dies hat der Kläger auch nicht behauptet. Er hat nicht geltend gemacht, daß das Warensortiment der Beklagten in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 nicht ausreichte, um höhere Verkaufsumsätze zu erreichen.

Zu Unrecht hält die Revision es in diesem Zusammenhang für erheblich, daß der Kläger noch im Jahre 1987 die Ereignisse von 1985 zu spüren bekommen habe. Für den Annahmeverzug kommt es allein darauf an, daß die Beklagte in der hier maßgeblichen Zeit die Arbeitsleistung des Klägers nicht angenommen hat. Dafür hat der Kläger jedoch keine Tatsachen vorgetragen.

b) Auch nach § 324 Abs. 1 BGB kann der Kläger die Provisionszahlungen nicht verlangen. Dem Kläger ist die nach dem Anstellungsvertrag geschuldete Leistung nicht aus einem Grund unmöglich geworden, den die Beklagte zu vertreten hatte.

Die vom Kläger als Außendienstmitarbeiter geschuldete Leistung bestand darin, die von der Beklagten vertriebenen Weine zu verkaufen. Einen bestimmten Erfolg dieser Verkaufstätigkeit schuldete er nicht. Dies übersieht das Landesarbeitsgericht. Es nimmt an, dem Kläger sei der Verkauf der Weine aufgrund des „Glykolskandals” teilweise unmöglich geworden. Die Verkaufstätigkeit selbst war dem Kläger jedoch in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. August 1987 möglich. Das Verkaufssortiment, das die Beklagte dem Kläger während dieser Zeit zur Verfügung stellte, war unstreitig lebensmittelrechtlich einwandfrei. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger es auch den Kunden mit Erfolg angeboten. Der Rückgang des Umsatzes des Klägers begründet allein keine, auch nicht eine teilweise Unmöglichkeit der vom Kläger nach dem Anstellungsvertrag zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 geschuldeten Leistung. Auf die vom Landesarbeitsgericht verneinte Frage, ob die Beklagte die teilweise Unmöglichkeit zu vertreten hätte, kommt es somit nicht an.

c) Auch als Anspruch auf Schadenersatz wegen positiver Vertragsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) ist der Anspruch nicht begründet. Der Kläger hat nicht vorgetragen, daß die Beklagte die ihr obliegenden vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt und dadurch die Mindereinnahmen des Klägers in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 in Höhe von 12.000,– DM verursacht hat.

Die Revision sieht eine schuldhafte Vertragsverletzung der Beklagten zu Unrecht darin, daß diese Weine vertrieben habe, die nach den Feststellungen des Bundesgesundheitsministeriums im Jahr 1985 mit Glykol versetzt waren. Die Beklagte hafte aus Organisationsverschulden, weil sie ihrer Pflicht zur Produktüberwachung und -Prüfung, z.B. durch Entnahme von Proben, nicht gehörig nachgekommen sei.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat die Beklagte nicht schuldhaft (§ 276 BGB) gehandelt. Die Beklagte hat behauptet, daß weder die deutschen Weinimporteure noch die deutschen oder österreichischen Behörden das Hinzufügen von DEG (Glykol) durch österreichische Weinhändler feststellen konnten, weil dieser Stoff als Mittel zur Weinverfälschung bis zum Jahr 1985 nicht bekannt war. Diesem Vortrag der Beklagten ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er ist daher als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein auf Provisionsbasis arbeitender Verkäufer überhaupt bei Schlechtlieferung des Unternehmers einen Schadenersatzanspruch wegen geschmälerter Provisionsaussichten hat, bedarf somit keiner Entscheidung (vgl. z.B. für den Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB: Schlegelberger/Schröder, HGB, 5. Aufl., § 87 Rz 69; Brüggemann in Staub, Großkommentar zum HGB, § 86 a Rz 23).

d) Die Beklagte ist auch nicht dadurch schadenersatzpflichtig geworden, daß sie dem Kläger die Ausübung einer Nebentätigkeit verweigert hat.

Der Kläger hat bereits nicht substantiiert behauptet, daß er an die Beklagte mit der Bitte herangetreten sei, ihn von dem vertraglichen Nebentätigkeitsverbot zu befreien. Aber selbst wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, dem Kläger wegen des Umsatzrückgangs weitere Verdienstmöglichkeiten außerhalb ihres Betriebs zu eröffnen, fehlt es an Tatsachen, aufgrund derer sich beurteilen läßt, ob und in welchem Umfang der Kläger tatsächlich zusätzlichen Verdienst erzielt hätte. Der Kläger hat nicht dargelegt, welche Nebentätigkeit ihm in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 31. August 1987 Einkünfte in Höhe von 12.000,– DM verschafft hätte. Er hat somit die tatsächlichen Voraussetzungen nicht dargetan, aus denen sich ergibt, daß das „Beharren” der Beklagten auf dem Nebentätigkeitsverbot für den Schaden ursächlich war.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Kläger von der Beklagten nicht die Zahlung einer Abfindung für den Verlust seines Besitzstandes verlangen kann.

Das Arbeitsverhältnis endete nicht durch Arbeitgeberkündigung, sondern durch Aufhebungsvertrag. Es fehlt daher an den Voraussetzungen für eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG oder nach § 113 BetrVG. Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Abfindungsanspruchs nach § 113 Abs. 3 BetrVG, der ausnahmsweise keine Arbeitgeberkündigung voraussetzt (vgl. dazu BAG Urteil vom 23. August 1988 – 1 AZR 276/87 – AP Nr. 17 zu § 113 BetrVG 1972), hat der Kläger nicht behauptet.

Die im Betrieb der Beklagten geltende Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich kommt als Grundlage eines Abfindungsanspruchs des Klägers nicht in Betracht. Sie betraf nach der vom Kläger nicht bestrittenen Behauptung der Beklagten nur Mitarbeiter des Innendienstes, die aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden.

Auch § 628 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Zwar kann der Schadenersatzanspruch wegen Auflösungsverschuldens auch gegeben sein, wenn das Arbeitsverhältnis in anderer Weise als durch fristlose Kündigung beendet wurde, sofern nur der andere Teil durch sein vertragswidriges Verhalten den Anlaß für die Beendigung gesetzt hat. Wer jedoch, ohne fristlos gekündigt zu haben, Ansprüche aus dem Auflösungsverschulden des anderen Teils herleiten will, muß sich dies vorbehalten (vgl. BAG Urteil vom 10. Mai 1971 – 3 AZR 126/70 – AP Nr. 6 zu § 628 BGB). Der Kläger hat nicht behauptet, daß er bei Abschluß des Auflösungsvertrags einen solchen Vorbehalt erklärt habe.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Wittendorfer, Dr. Gaber

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1076667

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