Entscheidungsstichwort (Thema)

Überstundenvergütung bei Arbeit an einem Wochenfeiertag

 

Orientierungssatz

1. Parallelsache zu BAG Urteil vom 24.3.1988, 6 AZR 787/85.

2. Hier: Auslegung des BAT § 35 Abs 1 S 2c, §§ 26, 17 Abs 5.

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.01.1986; Aktenzeichen 13 Sa 99/85)

ArbG Hannover (Entscheidung vom 08.05.1985; Aktenzeichen 2 Ca 64/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Überstundenvergütung bei außerdienstplanmäßiger Arbeit an Feiertagen.

Die Klägerin ist seit Oktober 1969 als Angestellte in der Vergütungsgruppe V c BAT in der Medizinischen Hochschule H des beklagten Landes beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 (BAT) Anwendung.

Die Klägerin arbeitete außerdienstplanmäßig am Sonntag, den 25. Dezember 1983 zwei Stunden und am Ostersonntag, den 22. April 1984 elf Stunden. Sie erhielt hierfür keinen Freizeitausgleich. Wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit üblich, zahlte das beklagte Land der Klägerin für den ersten Weihnachtsfeiertag neben dem regulären Zeitlohn die Zuschläge nach § 35 Abs. 1 Satz 2 a und Satz 2 c (aa) BAT, insgesamt also 260 v.H. Für den Ostersonntag 1984 zahlte das beklagte Land dagegen nur den Zeitzuschlag für Arbeit an Ostersonntagen in Höhe von 135 v.H. und den Zeitzuschlag für Überstunden in Höhe von 25 v.H., jedoch keine Stundengrundvergütung, insgesamt also nur 160 v.H. Zur Begründung berief sich der Kanzler der Medizinischen Hochschule mit Schreiben vom 26. und 31. Juli 1984 auf die Ansicht des zuständigen Ministers für Wissenschaft und Kunst, wonach gemäß § 35 BAT bei nicht durch Freizeit ausgeglichenen Überstunden neben dem Feiertagszuschlag von 135 v.H. lediglich der Zeitzuschlag für Überstunden in Höhe von 25 v.H. zu zahlen sei. Die Grundvergütung entfalle, weil sie bereits in dem Feiertagszuschlag enthalten sei. Die für den Weihnachtsfeiertag 1983 für zwei Überstunden gezahlten 30,-- DM wurden der Klägerin daher im August 1984 vom Gehalt abgezogen und einbehalten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die neuere Tarifauslegung des beklagten Landes sei unzutreffend. Der Wortlaut des Tarifs spreche eindeutig für die von ihr vertretene und vom Land auch jahrelang praktizierte Handhabung.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie

195,77 DM (30,-- DM für Weihnachten und

165,77 DM für Ostern) nebst 4 % Zinsen

seit Klagerhebung zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, für Überstunden an Feiertagen, für die kein Freizeitausgleich gewährt werde, sei nur ein Zeitzuschlag von 135 v.H., bei Freizeitausgleich dagegen nur von 35 v.H. zu zahlen. Da der Feiertagszuschlag von 135 % sich aus der Stundenvergütung und dem Feiertagszuschlag nach § 35 Abs. 1 Buchstabe c (bb) von 35 % zusammensetze, führe die von der Klägerin angenommene Auslegung der Tarifvorschrift zu einer Doppelabgeltung. Dies verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot und stehe mit dem Sinn und Zweck dieser Tarifvorschrift nicht in Einklang.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem beklagten Land die Zahlung der im August 1984 einbehaltenen 30,-- DM für die am 1. Weihnachtsfeiertag 1983 geleisteten zwei Stunden sowie von 165,77 DM für die am Ostersonntag 1984 geleisteten elf Stunden verlangen. Das beklagte Land hat hinsichtlich der 30,-- DM keinen aufrechenbaren arbeitsrechtlichen Rückforderungsanspruch bzw. Bereicherungsanspruch gegen die Klägerin.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 26, 35 BAT habe die Klägerin für die nicht durch Arbeitsbefreiung nach § 17 Abs. 5 Satz 1 BAT ausgeglichenen Überstunden am 1. Weihnachtsfeiertag bzw. Ostersonntag einen Anspruch auf die Grundvergütung und daneben auf Zeitzuschläge nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 a und c (aa) BAT. Dies ergebe rechnerisch insgesamt 260 v.H. Das gleiche ergebe sich aus der Tarifsystematik. Alle Zeitzuschläge nach § 35 Abs. 1 BAT würden neben der Grundvergütung nach § 26 BAT gezahlt. In keinem Fall sei die Grundvergütung mit eingerechnet, was auch mathematisch mit Ausnahme des Zeitzuschlages nach § 35 Abs. 1 Satz 2 c (aa) BAT nicht möglich sei. Mangels konkreter sprachlicher Anhaltspunkte könne nicht angenommen werden, daß allein im Fall des § 35 Abs. 1 Satz 2 c (aa) BAT systemfremd die Grundvergütung einbezogen worden sei. Die besondere Höhe des Zeitzuschlages in diesen Fällen sei im übrigen auch in anderen Tarifwerken üblich und durch die besondere Belastung, die von der Arbeit an diesen Feiertagen ausgehe auch gerechtfertigt.

II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Die Klägerin hat für die Arbeit am 1. Weihnachtsfeiertag und am Ostersonntag, für die sie keinen Freizeitausgleich erhalten hat, neben der Vergütung nach § 26 BAT und dem Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 a BAT in Höhe von 25 v.H. einen Anspruch auf einen weiteren Zeitzuschlag in Höhe von 135 v.H. nach § 35 Abs. 1 Satz 2 c (aa) BAT, und zwar gleichgültig, ob diese Arbeit dienstplanmäßig oder außerdienstplanmäßig geleistet wurde. Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften (vgl. BAG Urteil vom 24. März 1988 - 6 AZR 787/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu dem vergleichbaren Fall der Zeitzuschläge nach § 27 MTL II).

a) Bei der Auslegung von Tarifverträgen ist entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, mit weiteren Nachweisen; Neumann, Zur Auslegung von Tarifverträgen, ArbuR 1985, 320). Dabei ist der maßgebliche Sinn zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Auf den der tariflichen Regelung zugrunde liegenden Willen der Tarifvertragsparteien kommt es insoweit an, als dieser im Wortlaut des Tarifvertrages erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Bei verbleibenden Zweifeln verdient der Gesamtzusammenhang ebenso Beachtung wie die Tarifgeschichte. Ergänzend kann eine etwaige, bereits bestehende Tarifübung herangezogen werden. Sind Zweifel auch dann nicht vollends ausgeräumt, ist derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktischen Regelung führt (vgl. BAGE 40, 86, 94 = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Auslösung; BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 42, 244, 253, 254 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II; vgl. zuletzt Senatsurteile vom 13. November 1986 - 6 AZR 529/83 - und vom 24. März 1988 - 6 AZR 787/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

b) Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht bereits von der Eindeutigkeit des Tarifwortlauts aus, wodurch ein Rückgriff auf weitere Auslegungskriterien entbehrlich ist. § 35 BAT unterscheidet nicht zwischen dienstplanmäßiger und außerdienstplanmäßiger Arbeit. Er ordnet die Zahlung eines Zuschlages von 135 % bei unterbliebenem Freizeitausgleich an, ohne die Art der als Gegenleistung zu erbringenden Arbeit zu definieren oder einzuschränken (Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand 1. April 1988, Bd. 1, § 35 Erl. 7; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Bd. 2, Stand Juni 1988, § 35 Anm. 2; Crisolli/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Mai 1988, § 35 BAT Anm. 4 a). Der Wortsinn des § 35 BAT legt ein restriktives Verständnis der dort geregelten "Arbeit an Wochenfeiertagen" auch nicht nahe, nämlich darunter nur die dienstplanmäßige Arbeitsleistung zu verstehen. Weder aus der Struktur der Vorschrift, ihrem grammatikalischen Aufbau noch aus der von den Tarifvertragsparteien verwendeten Terminologie lassen sich hinreichend zuverlässige Anhaltspunkte für einen nur die dienstplanmäßige Arbeit umfassenden Regelungsgehalt der Norm entwickeln, der noch genügend deutlich im Wortlaut der Tarifvorschrift seinen Niederschlag gefunden hätte.

Es kann auf sich beruhen, ob - wie die Revision meint - die Tarifvertragsparteien durch den Änderungstarifvertrag vom 12. Juni 1974 den Begriff des Freizeitausgleichs in den Tarifvertrag eingeführt haben, um ihn als Kompensation nur für dienstplanmäßige Arbeit zu verwenden. Ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien hat im Wortlaut des § 35 BAT keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Das beweist der Hinweis in § 35 Abs. 1 Satz 2 d BAT auf § 16 Abs. 2 BAT. Während in der zuerst genannten Vorschrift von "Freizeitausgleich" die Rede ist, umschreibt die andere Vorschrift ausdrücklich Gründe, bei deren Vorliegen dem Angestellten Arbeitsbefreiung zu erteilen ist. Dies zeigt, daß die Tarifvertragsparteien zumindest teilweise die Begriffe der "Arbeitsbefreiung" und des "Freizeitausgleichs" synonym verwendet und damit nicht nur die Kompensation ein und derselben Art bezahlter freier Zeit geregelt haben. Daraus läßt sich mithin keine einschränkende Interpretation des § 35 Abs. 1 Satz 2 c BAT rechtfertigen. Stößt aber schon der gerade nicht eingeschränkte Wortlaut einer Tarifvorschrift an Grenzen, die einer restriktiven Auslegung entgegenstehen, kann nicht auf weitere Auslegungskriterien zurückgegriffen werden.

c) Auch der Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages und seine Systematik geben keine Anhaltspunkte für eine restriktive Auslegung der genannten Vorschrift. Zwar werden die Zuschläge nach § 35 BAT nicht ohne weiteres und stets neben der anteiligen Vergütung (= 100 % pro Zeiteinheit) gezahlt. Entscheidend ist vielmehr, ob Freizeitausgleich während der dienstplanmäßigen Arbeitszeit gewährt wird.

aa) Dienstplanmäßige Sonntagsarbeit begründet neben dem in der Monatsvergütung enthaltenen 100 %igen Stundenvergütungsanteil und dem 25 %igen Zuschlag einen zwingenden Anspruch auf Freizeitausgleich (§ 17 Abs. 5 BAT).

Außerdienstplanmäßige Sonntagsarbeit hingegen führt neben dem Zuschlag von 25 v.H. nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b zu einem weiteren von 25 v.H. nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT und zur Erhöhung der zu saldierenden Ist-Arbeitsstunden, weil es sich nach der tariflichen Definition stets zugleich um potentielle Überstunden handelt, die entweder durch Arbeitsfreistellung während der dienstplanmäßigen Arbeitszeit auszugleichen oder zusätzlich mit einem 100-%-Anteil zur Monatsvergütung zu vergüten sind.

bb) Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen löst neben dem in § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c BAT genannten Zuschlag einen Anspruch auf mit 100 % vergüteten Freizeitausgleich aus, wenn es sich um dienstplanmäßige Arbeit handelt (§ 17 Abs. 5 BAT), so daß dann nur der 35 %ige Zuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c (bb) BAT bleibt. Wird kein Freizeitausgleich gewährt, erhält der Angestellte neben dem 100 %igen Anteil für diese Arbeitsleistung in der Monatsvergütung einen Zuschlag von 135 v.H. gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c (aa) BAT, weil diese Arbeitsstunden, die wegen ihres dienstplanmäßigen Charakters keine Überstunden sein können, auch zeitlich zuordenbar bleiben.

Das gleiche gilt bei außerdienstplanmäßiger Arbeit an Wochenfeiertagen. Es besteht ebenfalls kein vom Angestellten durchsetzbarer Anspruch auf Arbeitsbefreiung während der dienstplanmäßigen Arbeitszeit. Weil es sich aber wegen des nicht dienstplanmäßigen Charakters solcher Stunden stets um Überstunden im Tarifsinne handelt, ist neben dem Zuschlag von 25 v.H. (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT) entweder Arbeitsbefreiung während dienstplanmäßiger Arbeitsstunden zu gewähren oder nach Ablauf des Acht-Wochen-Zeitraumes eine anteilige 100 %ige Vergütung zu zahlen, da diese Stunden bei der Saldierung notwendig zu einem entsprechenden zusätzlich vergütungspflichtigen Überhang an Ist-Stunden geführt haben. Daneben ist der in der Höhe von der Gewährung eines Freizeitausgleichs abhängige Zuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c BAT zu zahlen, weil es sich zugleich um Wochenfeiertagsarbeit handelt und der Tarifvertrag in diesem Zusammenhang nicht zwischen dienstplanmäßiger und nicht dienstplanmäßiger Arbeit differenziert.

Die Zuschlagssystematik des BAT differenziert demnach gerade nicht nach dienstplanmäßiger oder außerdienstplanmäßiger Arbeitsleistung. Sie zwingt auch deswegen nicht zu einem restriktiven Verständnis des § 35 Abs. 1 Buchst. c BAT im Sinne der Rechtsauffassung des revisionsführenden Landes.

d) Nach den mit zulässigen Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat das beklagte Land in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen Arbeitsleistungen stets nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 2 c BAT abgewickelt. Diese Praxis war tarifrechtlich auch nicht zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben den erhöhten Zeitzuschlag von 135 % für Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen neben der Monatsvergütung und dem 25 %igen Zeitzuschlag für Überstunden angeordnet, weil hier eine Ausnahmesituation (auch gegenüber der Sonntagsarbeit) vorliegt, die nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen soll, wenn der Arbeitgeber keinen Freizeitausgleich gewährt. Die Tarifvertragsparteien haben die Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen, insbesondere wenn sie außerdienstplanmäßig erfolgt, als einen besonders schweren Eingriff in die Freizeit des Arbeitnehmers gesehen. Dieser wird in der Regel bei Freizeitausgleich mit einem Zeitzuschlag von 35 % ausgeglichen. Gewährt der Arbeitgeber jedoch ausnahmsweise keinen Freizeitausgleich, dann muß die entgangene Freizeit an dem gesetzlichen Wochenfeiertag mit dem Zeitzuschlag von 135 % vergütet werden. Dieser tarifpolitische Hintergrund ist rechtlich nicht zu beanstanden. Er gehört zum Inhalt der Tarifautonomie.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider

Dr. Kukies Wax

 

Fundstellen

ArztR 1989, 263 (T)

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