Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 besteht der Abgeltungsanspruch unter denselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch und endet, wenn er nicht erfüllt werden kann, spätestens drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG § 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.02.1984; Aktenzeichen 5 Sa 1842/83)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 10.11.1983; Aktenzeichen 2 Ca 2849/83)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 1. Juni 1979 bei der Beklagten als Dreher beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Dort ist u.a. geregelt:

"§ 9

Grundsätze der Urlaubsgewährung

-------------------------------

.....

3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur

zulässig, wenn bei Beendigung des Arbeits-

verhältnisses - Ausbildungsverhältnisses

noch Urlaubsansprüche bestehen.

.....

§ 10

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

------------------------------

.....

8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach

Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß

er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß

Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen

Krankheit nicht genommen werden konnte."

Am 31. Januar 1983 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Am 6. August 1983 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 22. August 1983. Im Kündigungsschutzprozeß vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien am 22. August 1983 folgenden Vergleich:

"1. Die Parteien sind darüber einig, daß das

Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund

fristgemäßer Kündigung der Beklagten vom

6.8.1983 mit dem 22.8.1983 geendet hat.

2. Die Beklagte zahlt dem Kläger wegen Aufga-

be des sozialen Besitzstandes gemäß §§ 9,

10 KSchG eine Abfindung von 6.000,-- DM

(sechstausend) brutto = netto.

3. Mit Erfüllung dieses Vergleiches und der

ordnungsgemäßen Abwicklung der Ansprüche

aus dem Arbeitsverhältnis bis zum 22.8.

1983 sind alle wechselseitigen Ansprüche

zwischen den Parteien ausgeglichen."

Der Kläger hatte bei seinem Ausscheiden aus dem Betrieb der Beklagten und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, dem 10. November 1983, seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt. Ob er im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung, dem 22. Februar 1984, wieder arbeitsfähig war, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

Der Kläger begehrt die Abgeltung von sechs restlichen Urlaubstagen aus dem Urlaubsjahr 1982 und 20 Urlaubstagen aus dem Urlaubsjahr 1983. Die Zahl der Tage sowie die weitere Berechnung des Klägers, der von einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden, einem Stundenlohn von 15,53 DM und einem Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 50 v.H. ausgeht, sind unstreitig. Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

4.845,36 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dem Klagebegehren entsprochen. Mit der zugelassenen Revision bittet die Beklagte um Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Aufgrund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen läßt sich nicht beurteilen, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht.

1. Dem Kläger stand bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 22. August 1983 ein Urlaubsanspruch von 26 Tagen zu.

a) Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ist der Urlaubsanspruch aus 1982 in Höhe von unstreitig sechs Tagen nicht mit Ablauf des Übertragungszeitraums, am 31. März 1983 (§ 10 Nr. 8 MTV), erloschen. Vielmehr ist der Urlaub in das Urlaubsjahr 1983 übertragen worden, weil der Kläger durch seine am 31. Januar 1983 beginnende Erkrankung gehindert war, ihn vor Ablauf des Übertragungszeitraums zu nehmen. Wie der Sechste Senat, dem der erkennende Senat insoweit folgt, im Urteil vom 7. November 1985 (- 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung, zu 2 a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) entschieden hat, bleibt der Urlaubsanspruch nach § 10 Nr. 8 MTV nach Ablauf des Übertragungszeitraums u.a. dann erhalten, wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Die Tarifbestimmung enthält insoweit eine über § 7 Abs. 3 BUrlG hinausgehende Regelung, die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zulässig ist.

b) Außerdem stand dem Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der anteilige Urlaub für 1983 in Höhe von unstreitig 20 Tagen zu. Zu Recht sind Landesarbeitsgericht und Arbeitsgericht insoweit der vom erkennenden Senat übernommenen Rechtsprechung des Sechsten Senats gefolgt, nach der der Urlaubsanspruch nicht wegen Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr keine oder nur eine geringfügige Arbeitsleistung erbracht hat (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 -, zu I 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen, zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Ein Anspruch auf Abgeltung dieses Urlaubs steht dem Kläger allerdings nur zu, wenn er bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses in der Zeit zwischen dessen Beendigung (22. August 1983) und dem Ablauf des Übertragungszeitraums (31. März 1984) für die Dauer des abzugeltenden Urlaubs eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies hat der erkennende Senat im vorgenannten Urteil vom 14. Mai 1986 ebenfalls entschieden (aaO, zu II 2 der Gründe). Dabei hat er die bisherige Rechtsprechung des Sechsten Senats (vgl. zuletzt: Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 202/83 - AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) fortgesetzt und die Anforderungen, die an die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers als Voraussetzung für die Erfüllbarkeit des Abgeltungsanspruchs zu stellen sind, klargestellt.

a) Wie der Sechste Senat (zuletzt im Urteil vom 7. November 1985, aaO, zu 3 der Gründe) dargelegt hat, entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs zwar mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, er ist jedoch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erfüllbar (Urteile des Sechsten Senats vom 28. Juni 1984, BAG 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung und vom 7. März 1985 - 6 AZR 334/82 - AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Abgeltung = EzA § 7 BUrlG Nr. 38). Die tarifliche Abgeltungspflicht des Arbeitgebers nach § 9 Nr. 3 MTV knüpft wie § 7 Abs. 4 BUrlG an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Von nun an können Arbeitspflichten ungeachtet der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch Urlaubsgewährung nicht mehr suspendiert werden. Dennoch soll nach § 9 Nr. 3 MTV und § 7 Abs. 4 BUrlG der Arbeitnehmer so gestellt werden, als würde die Arbeitspflicht durch Urlaubserteilung suspendiert werden können. Zu diesem Zweck erhält der Arbeitnehmer trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Abgeltung das Arbeitsentgelt (hier Urlaubsvergütung nach § 12 MTV) weiter für eine fiktive Arbeitszeit, die der ihm als Urlaub zu gewährenden Freizeit entspricht. Der Abgeltungsanspruch besteht deshalb unter denselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch und endet, wenn er nicht erfüllt werden kann, spätestens drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist (§ 10 Nr. 8 MTV).

b) Die dagegen gerichteten Bedenken des Berufungsgerichts greifen nicht durch. Das Berufungsgericht meint, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung habe nicht zur Voraussetzung, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder bei Geltendmachung des Anspruchs arbeitsfähig sei. Es wendet sich damit gegen die Entscheidung des Sechsten Senats vom 23. Juni 1983 - 6 AZR 180/80 - (BAG 44, 75 = AP Nr. 14 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Dieser hat jedoch später in den genannten Urteilen vom 28. Juni 1984, 7. März und 7. November 1985 seine Rechtsauffassung näher begründet. Von diesen Ausführungen hat der erkennende Senat sich leiten lassen, als er sich der Rechtsprechung des Sechsten Senats anschloß. Er nimmt auf sie Bezug.

3. Das Landesarbeitsgericht wird somit in der erneuten Berufungsverhandlung feststellen müssen, ob der Kläger in der Zeit zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (22. August 1983) und dem Ende des Übertragungszeitraums (31. März 1984, vgl. § 10 Nr. 8 MTV) in der Lage war, für die Dauer des abzugeltenden Urlaubs eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Soweit dies der Fall war, steht ihm der Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Harnack Hannig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441552

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