Entscheidungsstichwort (Thema)

Unberechtigter Bezug von Fernauslösung. fristgerechte Kündigung

 

Orientierungssatz

Unter Hauptwohnsitz im Sinne des Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV), zuletzt vom 30. April 1980 ist der räumliche Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse eines Montagestammarbeiters anzusehen.

 

Normenkette

TVG § 1; KSchG § 1 Abs. 2 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 30.11.1984; Aktenzeichen 13 Sa 1534/83)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 03.08.1983; Aktenzeichen 9/1 Ca 268/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 19. Oktober 1982 zum 3. November 1982.

Der am 10. Januar 1945 geborene Kläger ist verheiratet und hat ein Kind. Seit seiner Verheiratung im Jahre 1966 bewohnt er mit seiner Familie eine von ihm vollständig eingerichtete Wohnung in W. Seine Ehefrau ist seit 1969 in W berufstätig, und sein Sohn geht in W zur Schule. Das Kraftfahrzeug des Klägers trägt ein polizeiliches Kennzeichen der Stadt W. Meldebehördlich sind der Kläger und seine Familie allerdings in W nur mit zweitem Wohnsitz gemeldet. Den ersten Wohnsitz unterhalten der Kläger und seine Familie meldebehördlich in C, wo er ebenfalls - zusammen mit seiner Schwiegermutter - eine vollständig eingerichtete Wohnung hat. Von der Stadt C ist auch jeweils seine Lohnsteuerkarte ausgestellt worden.

Der Kläger war - mit einer Unterbrechung von November 1971 bis November 1972 - seit 1968 bei der Beklagten als Maschinenschlosser beschäftigt und wurde auf Montagebaustellen vornehmlich im Raum F/W eingesetzt. Sein Monatslohn betrug zuletzt 2.665,93 DM brutto. Außerdem erhielt er Auslösung für Fernmontage und beanspruchte Entschädigung für Familienheimfahrten.

Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Parteien der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) in der jeweils geltenden Fassung, zuletzt vom 30. April 1980, gültig ab 1. Mai 1980 (zuvor vom 9. April/18. Juli 1974, gültig ab 1. April 1974), sowie der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens in der jeweiligen Fassung, zuletzt vom 30. April 1980 (MTV), Anwendung. Die hier interessierenden tariflichen Bestimmungen des § 6 BMTV nebst Anmerkung 1, die gemäß § 11 BMTV Bestandteil des Tarifvertrages ist, und § 13 Ziff. 9 MTV lauten auszugsweise:

"§ 6 Fernmontage (BMTV)

6.1 Begriff

Fernmontage ist eine Montage, die ein auswär-

tiges Übernachten des Montagestammarbeiters

erfordert, weil ihm die tägliche Rückkehr ent-

weder an den Sitz des entsendenden Betriebes

oder zu seiner Wohnung (1) nicht zumutbar ist.

6.1.1 Die tägliche Rückkehr ist zumutbar, wenn der

Zeitaufwand außerhalb der regelmäßigen tägli-

chen Arbeitszeit bei Benutzung der öffentlichen

Verkehrsmittel für Hin- und Rückweg 3 1/2 Stun-

den nicht übersteigt. Übersteigt der Zeitauf-

wand 3 1/2 Stunden, sind die Bestimmungen über

die Fernmontage anzuwenden.

6.4 Fernauslösung

6.4.1 Die Auslösung ist eine Pauschalerstattung der

Mehraufwendungen am Montageort."

"Anmerkung 1:

Wohnung im Sinne dieses Tarifvertrages ist die

am ordnungsbehördlich gemeldeten Hauptwohnsitz

bestehende Wohnung in der Bundesrepublik und in

Berlin (West)."

In der früheren, ab 1. April 1974 geltenden Fassung des BMTV war Ziff. 6.1.1 des § 6 BMTV die Anmerkung 1 Abs. 1; die jetzige Anmerkung 1 war in der früheren Fassung nicht enthalten.

"§ 13 Allgemeine Arbeitsbedingungen (MTV)

9. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis

eines Arbeitnehmers, so beträgt die Kündigungs-

frist:

a) bei gewerblichen Arbeitnehmern

nach einer Betriebszugehörigkeit von 5 Jahren

einen Monat zum Monatsende,

nach einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren

zwei Monate zum Monatsende,

nach einer Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren

drei Monate zum Monatsende.

Bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit

werden Zeiten, die vor Vollendung des 35. Le-

bensjahres liegen, nicht berücksichtigt.

b) bei Angestellten

nach einer Betriebszugehörigkeit von 5 Jahren

drei Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von 8 Jahren

vier Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren

fünf Monate,

nach einer Betriebszugehörigkeit von 12 Jahren

sechs Monate

jeweils zum Schluß eines Kalendervierteljahres.

Bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit

werden Zeiten, die vor Vollendung des 25. Le-

bensjahres liegen, nicht berücksichtigt.

Die Vereinbarung beiderseits geltender längerer

Kündigungsfristen durch Einzelarbeitsvertrag ist

zulässig."

Die Auszahlung der Auslösung für Fernmontage erfolgte jeweils aufgrund von Erklärungen des Klägers, die er hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen auf dafür geschaffenen Vordrucken der Beklagten "nach bestem Wissen und Gewissen" und der Verpflichtung, "jede Änderung sofort zu melden", abgab. Als Hauptwohnsitz führte der Kläger in den Vordrucken jeweils C und als zweiten Wohnsitz W an, und zwar mit dem Zusatz "bei Familie H-A G " bzw. "bei Familie M ". In den Vordrucken war klargestellt, daß die zu machenden Angaben "für die ordnungsgemäße Versteuerung der Auslösung unbedingt benötigt" werden und demgemäß "ordnungsgemäß und vollständig" auszufüllen seien.

Im Juli 1982 kam ein an die C Anschrift adressiertes Schreiben der Beklagten als unzustellbar zurück, worauf dieses von einem Boten an die W Adresse des Klägers überbracht und dort vom Sohn des Klägers entgegengenommen wurde. Die Beklagte, die bislang von C als Hauptwohnsitz des Klägers ausging, versagte daraufhin dem Kläger ab Juli 1982 die Gewährung der Fernauslösung und schlug ihm vor, bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Hälfte der mit 18.983,-- DM errechneten und zuviel bezahlten Fernauslösung zurückzuzahlen, andernfalls das Arbeitsverhältnis gekündigt und der Gesamtschaden eingeklagt werde. Da der Kläger dieses Angebot der Beklagten ablehnte, leitete die Beklagte mit Schreiben vom 5. Oktober 1982 das Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG ein und kündigte - obwohl der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung am 7. Oktober 1982 widersprochen hatte - dem Kläger mit Schreiben vom 19. Oktober 1982 wegen der "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichenen steuerfreien Aufwendungen in Höhe von 18.983,-- DM" das Arbeitsverhältnis zum 3. November 1982.

Der Kläger, der sich mit der am 3. November 1982 beim Arbeitsgericht F erhobenen Klage gegen die Kündigung wendet, hat ausgeführt, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat zuvor nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Außerdem sei die Kündigung fristwidrig erfolgt. Unabhängig davon sei die Kündigung aber auch sozial nicht gerechtfertigt. Er habe die Erklärungen zur Fernauslösung stets der Wahrheit entsprechend abgegeben. C sei sein Hauptwohnsitz, und dort befinde sich auch sein Lebensmittelpunkt. Er halte sich in W lediglich während der Woche auf. Fast jedes Wochenende fahre er nach C. Der Beklagten sei auch bekannt gewesen, daß sich seine Frau überwiegend in W aufhalte und er bei Erkrankung Ärzte in W aufsuche. Eine Kostenerstattung für Familienheimfahrten habe er nicht erhalten. Nach seiner Auffassung habe er daher korrekt gehandelt. Wenn er die im wesentlichen unstreitigen Tatsachen rechtlich abweichend von der Beklagten würdige, so könne er wegen dieser seiner Rechtsansicht nicht verhaltensbedingt entlassen werden. Zumindest müsse ihm zugute gehalten werden, daß er sich insoweit in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden habe. Der gegen ihn fortgesetzt erhobene Vorwurf des betrügerischen Verhaltens mache ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses allerdings unzumutbar. Das Arbeitsverhältnis sei daher unter Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen. Außerdem sei die Beklagte verpflichtet, für Juli und August 1982 ihm die noch ausstehende Fernauslösung in Höhe von 2.236,20 DM zu bezahlen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß durch die am

19. Oktober 1982 ausgesprochene

Kündigung das Arbeitsverhältnis

nicht aufgelöst ist,

2. das Arbeitsverhältnis aufzulösen

und die Beklagte zur Zahlung einer

in das Ermessen des Gerichts ge-

stellten Abfindung zu verurteilen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an

den Kläger 2.236,20 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und ausgeführt, für den Anspruch des Klägers auf Fernauslösung komme es, und zwar sowohl aus der Sicht des Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter von 1974 als auch aus derjenigen des Bundestarifvertrages von 1980 auf den tatsächlichen Mittelpunkt seiner Lebensführung an. Seit seiner Verheiratung im Jahre 1966 habe sich der Lebensmittelpunkt des Klägers aber in W befunden. Die Angabe des Klägers, sein Hauptwohnsitz sei in C, sei daher falsch. Als langjähriger Montagearbeiter sei sich der Kläger auch dessen bewußt gewesen. Sie selbst, die Beklagte, habe bis zu dem die Kündigung auslösenden Ereignis, nämlich die Nichtzustellbarkeit eines Briefes an den Kläger in C, über die tatsächlichen Wohnverhältnisse des Klägers weder Kenntnis noch einen Verdacht gehabt. Sie sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Angaben des Kläger durch Nachforschungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, zumal es an Anhaltspunkten dafür gefehlt habe, daß die Angaben des Klägers möglicherweise falsch seien. Auf die Richtigkeit der klägerischen Angaben habe sie daher vertrauen dürfen. Dagegen habe der Kläger in Kenntnis dessen, keinen Anspruch zu haben, zu Unrecht insgesamt 18.983,-- DM steuerfreie Fernauslösung kassiert. Dieses strafwürdige und treuwidrige Verhalten des Klägers sei um so verwerflicher, als er selbst nach Aufdeckung des wahren Sachverhaltes auf seinem Standpunkt beharrt habe. Die fristgemäße Kündigung, zu der der Betriebsrat vorher ordnungsgemäß gehört worden sei, sei daher berechtigterweise ausgesprochen worden.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen W und S durch Teil-Urteil vom 3. August 1983 der Klage stattgegeben, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 17.493,-- DM aufgelöst und im übrigen wegen des Zeitpunktes der Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Rechtsstreit ausgesetzt.

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, unter Hinweis auf § 10 Ziff. 10.2 BMTV die Einrede des Schiedsvertrages erhoben und ergänzend vorgetragen, daß dem Kläger, obwohl er keine eigene Wohnung in C unterhalte und keinen doppelten Haushalt führe, wöchentliche Familienheimfahrten erstattet worden seien.

Das Landesarbeitsgericht hat gemäß Beschluß vom 29. Juni 1984 die Zeugen Sch und R vernommen. Sodann hat es mit Urteil vom 30. November 1984 das erstinstanzliche Urteil abgeändert und unter Einbeziehung des im ersten Rechtszuge anhängig gebliebenen Teils des Rechtsstreits die Klage in vollem Umfange abgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist überwiegend begründet. Sie war zurückzuweisen, soweit das Landesarbeitsgericht die Zahlungsklage abgewiesen hat. Im übrigen war dagegen das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der fristgerechten Kündigung von der Beklagten ordnungsgemäß angehört worden. Durch die Aussagen der Zeugen Sch und R sei erwiesen, daß der Betriebsrat über den aus der Sicht der Beklagten gegebenen Kündigungssachverhalt umfassend unterrichtet worden sei. Der Betriebsrat habe auch den Standpunkt des Klägers gekannt. Die Kündigung sei im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen auch sozial gerechtfertigt, da der Kläger über Jahre hinweg aufgrund vorwerfbar falscher Angaben über seine wahren Lebensverhältnisse zu Unrecht Fernauslösung erhalten habe. Die vom Kläger unterhaltene Wohnung in C sei zu keinem Zeitpunkt eine "Wohnung" im Sinne des BMTV gewesen. Nach der Anmerkung 1 zu § 6 BMTV vom 30. April 1980 sei als Wohnung im Sinne des § 6 Ziff. 6.1 BMTV nicht allein der ordnungsbehördlich gemeldete Hauptwohnsitz anzusehen; vielmehr müsse daneben eine Wohnung bestehen. Als "bestehende Wohnung" reiche eine solche im Sinne des Melderechts nicht aus, wie bereits ein Blick auf die einschlägige Rechtslage im Lande Hessen zeige. Während nach altem hessischen Melderecht die Hauptwohnung willkürlich bestimmt werden konnte, seien nunmehr durch § 12 Abs. 2 des Melderechtsrahmengesetzes vom 16. August 1980 (BGBl. I S. 1429) die Anforderungen näher dargestellt worden, auf dem auch § 16 Abs. 2 des Hessischen Meldegesetzes vom 14. Juni 1982 (GVBl. Hessen I S. 126) beruhe. Wie sich aus der Übergangsbestimmung des § 43 Abs. 1 des neuen hessischen Meldegesetzes ergebe, habe die Meldebehörde allerdings vorerst keinen objektivierenden Einfluß auf die Bestimmung der Hauptwohnung. Es liege daher auf der Hand, daß die tarifvertraglichen Leistungen für den Fall der Fernmontage nicht von der willkürlichen Bestimmung der Hauptwohnung durch den Arbeitnehmer abhängig sein könne. Maßgeblich könne nur sein, ob am ordnungsbehördlich gemeldeten Hauptwohnsitz tatsächlich eine "Wohnung" bestehe. Der äußere Tatbestand des Vorhandenseins einer vollständig eingerichteten Wohnung könne nach Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung für sich allein aber auch nicht die Ansprüche aus dem BMTV begründen. Es komme vielmehr auf den Begriff Wohnung als Tatbestandsmerkmal im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Fernauslösung, Familienheimfahrten und Trennungsentschädigung an. In allen diesen Fällen handele es sich um Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers, die die durch die Beibehaltung der auswärtigen Familienwohnung entstehenden Mehraufwendungen des Arbeitnehmers kompensieren sollen. Die Ausgleichszahlungen fänden somit in der berufsbedingten doppelten Haushaltsführung ihre innere Rechtfertigung. Mithin befinde sich die Wohnung des verheirateten Arbeitnehmers dort, wo der Familienhaushalt des Arbeitnehmers geführt werde. Der Begriff der "bestehenden Wohnung" sei mithin ebenso zu bestimmen, wie im geltenden Lohnsteuerrecht. Erforderlich sei demnach, daß die Familie in der Wohnung auch tatsächlich gemeinsam wohne. Der Kläger habe somit, wenn man von dieser Begriffsbestimmung ausgehe, eine Wohnung im Sinne des § 6 BMTV allein in W, da dort auch seine Familie wohne. Seine Fahrten nach C seien dementsprechend auch keine Familienheimfahrten gewesen.

Der Kläger könne sich vorliegend nicht auf die rein melderechtliche Rechtslage zurückziehen, da er in den Formularen deutlich erkennbar nach dem Wohnsitz im Zusammenhang mit einer doppelten Haushaltsführung gefragt und überdies zu Angaben betreffend Familienheimfahrten aufgefordert worden sei. Dem Kläger könne der Zweck der Fragen, zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung er verpflichtet gewesen sei, mit Sicherheit nicht entgangen sein, zumal bei seiner langjährigen Erfahrung als Montagearbeiter. Der Kläger habe die Formulare der Beklagten nicht nur objektiv falsch ausgefüllt, sondern hierbei auch zumindest grob fahrlässig (leichtfertig) gehandelt. In den Formularen habe der Kläger seine Wohnverhältnisse zudem auch so mißverständlich dargestellt, daß ein Dritter, der mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht vertraut ist, irrigerweise auf das bloße Vorliegen eines Untermieterverhältnisses habe schließen können. Auch wenn kein vorsätzlicher Spesenbetrug nach alledem feststellbar sei, so bleibe doch bestehen, daß der Kläger über einen Zeitraum von fast 14 Jahren trotz sich geradezu aufdrängender Bedenken und entgegen der ausdrücklichen Aufforderung, die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten, in vorwerfbarer, schuldhafter Weise gegen eine ganz wesentliche vertragliche Nebenpflicht verstoßen habe. Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründe seien nicht erkennbar. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiege das der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte, die als Montagebetrieb mit einer großen Anzahl von Montagearbeitern ein vitales Interesse daran habe, daß die anspruchs- und steuererheblichen Angaben ihrer Mitarbeiter der Wahrheit entsprechen, habe durch ein faires Vergleichsangebot an den Kläger auch versucht, seine Entlassung nach Möglichkeit zu vermeiden. Nachdem der Kläger das Vergleichsangebot aber abgelehnt habe, sei die Beklagte aus der Sicht eines vernünftig abwägenden Arbeitgebers berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis fristgemäß zu beenden, und zwar zum 3. November 1982. Denn der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982, BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB gebe keine zwingende Veranlassung, an der vorerst weiteren Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 BGB und der hier einschlägigen tariflichen Bestimmung des Manteltarifvertrages für Nordrhein-Westfalen, wonach für Arbeiter die für die Länge der Kündigungsfrist relevante Dauer der Betriebszugehörigkeit erst nach der Vollendung des 35. Lebensjahres beginne, zu zweifeln. Einer Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer neuen tariflichen Regelung bzw. bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die vom Arbeitsgericht zitierte Vorlage des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen bedürfe es daher nicht. Die vom Bundesverfassungsgericht selbst entwickelten Grundsätze über eine vorläufige Weiteranwendung der verfassungswidrigen Normen seien vorliegend gegeben, da mit einem Tätigwerden des Gesetzgebers zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden könne.

Da somit die Beklagte berechtigterweise dem Kläger zum 3. November 1982 gekündigt habe und, wie sich aus dem Dargelegten ergebe, weitere Ansprüche des Klägers auf Fernauslösung für die Monate Juli und August 1982 nicht bestehen, habe somit unter Einschluß des in erster Instanz anhängig gebliebenen Teils des Rechtsstreits, da das Arbeitsgericht insoweit unzulässigerweise, nämlich trotz Fehlens der Voraussetzungen des § 301 Abs. 1 ZPO, ein Teil-Urteil erlassen habe, die Klage in vollem Umfange als unbegründet abgewiesen werden müssen.

B. Dieser Würdigung konnte der Senat nur teilweise folgen.

I. Soweit die Beklagte, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die prozeßhindernde Einrede des Schiedsvertrages erhoben haben sollte (§ 102 ArbGG), steht diese vorliegend einer sachlichen Entscheidung nicht entgegen. Denn diese ist jedenfalls unbeachtlich, weil sie nicht rechtzeitig vor der Verhandlung zur Hauptsache, d. h. vor der streitigen Verhandlung, erhoben (§ 282 Abs. 3 ZPO) und die verspätete Erhebung nicht entschuldigt worden ist (§ 296 ZPO, vgl. dazu Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 102 Rz 1; Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, 1985, Rz 128, 129, S. 74, 75).

II. Das Landesarbeitsgericht hat, davon ausgehend, daß über die soziale Rechtfertigung der Kündigung, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Höhe der Abfindung nur einheitlich entschieden werden könne, das vom Arbeitsgericht erlassene Teilurteil wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 301 Abs. 1 ZPO als unzulässig angesehen und deshalb den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits an sich gezogen und darüber gemäß § 540 ZPO mit entschieden (BGH Urteil vom 19. November 1959 - VII ZR 93/59 - NJW 1960, 339; BGH Urteil vom 25. Januar 1977 - VI ZR 166/74 - VersR 1977, 430; Zöller, ZPO, 14. Aufl., § 301 Rz 12 m. w. N.). Dem kann im Ergebnis deshalb zugestimmt werden, weil das Landesarbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat und damit der Auflösungsantrag des Klägers, bei dem es sich um einen uneigentlichen Eventualantrag handelt (KR-Becker, 2. Aufl., § 9 KSchG Rz 16 m.w.N.), hinfällig geworden ist. Unter diesen Umständen verblieb für die Festsetzung eines Auflösungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses kein Raum, so daß das Landesarbeitsgericht den im ersten Rechtszug anhängig verbliebenen Teil des Rechtsstreits an sich ziehen durfte (BGHZ 42, 340, 358; RGZ 171, 129, 131).

III. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Kündigung nicht schon wegen fehlender oder wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigung unwirksam ist (§ 102 Abs. 1 BetrVG). Der Betriebsrat ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungssachverhalt umfassend unterrichtet worden, insbesondere sind dem Betriebsrat auch die zwischen den Parteien gewechselten diversen Schreiben, in denen sie jeweils aus ihrer Sicht den Sachverhalt geschildert und rechtlich gewertet haben, zugeleitet worden. Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 7. Oktober 1982 zu der beabsichtigten fristgemäßen Kündigung auch Stellung genommen. Nach alledem liegt, wie der Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr rügt, im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor.

IV. Nicht frei von Rechtsfehlern sind jedoch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur sozialen Rechtfertigung der vom Kläger angegriffenen Kündigung.

1. Dem Kläger wird zum Vorwurf gemacht, über einen Zeitraum von fast 14 Jahren hinweg zu Unrecht sogenannte Fernauslösungen bezogen zu haben. Die Beklagte hat für die Jahre 1977 bis 1982 einen Mehrbezug von 18.983,-- DM errechnet. Die deswegen von der Beklagten am 19. Oktober 1982 ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung zum 3. November 1982 hält das Landesarbeitsgericht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG deshalb für sozial gerechtfertigt. Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann jedoch nicht ohne weiteres gefolgt werden, obwohl es sich bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes handelt, die vom Revisionsgericht nur in beschränktem Umfange überprüft werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAG 45, 146, 151). Das Landesarbeitsgericht hat die Besonderheit, die sich bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen für eine Fernauslösung einerseits aus § 6 BMTV in der Fassung von 1974 und aus § 6 BMTV in der Fassung von 1980 andererseits ergeben, nicht berücksichtigt. Es hat den festgestellten Sachverhalt ausschließlich nach dem BMTV in der Fassung vom 30. April 1980 beurteilt und ist so für den Zeitraum bis 1980 zu einem allein mit der gegebenen Begründung noch nicht zu rechtfertigenden Ergebnis gekommen.

2. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter vom 30. April 1980 (BMTV 1980) kann eine Fernauslösung, die die Mehraufwendungen am Montageort ausgleichen soll, derjenige beanspruchen, der an einem auswärtigen Ort arbeitet und deshalb dort übernachten muß, weil dem Arbeitnehmer die tägliche Rückkehr entweder an den Sitz des entsendenden Betriebes oder zu seiner Wohnung nicht zumutbar ist (§ 6 Ziff. 6.1 BMTV 1980). Wann eine tägliche Rückkehr zumutbar ist, ist in § 6 Ziff. 6.1.1 BMTV 1980 (früher Anm. 1 zu § 6 BMTV 1974) geregelt. Was dagegen unter "Wohnung" zu verstehen ist, erläutert erstmals im BMTV 1980 die Anm. 1 zu § 6 BMTV 1980, die Bestandteil des Tarifvertrages ist (§ 11 Ziff. 11.2 BMTV 1980). Wohnung im Sinne des Tarifvertrages ist danach die am ordnungsbehördlich gemeldeten Hauptwohnsitz bestehende Wohnung in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Diese so umschriebene Begriffsbestimmung des "Hauptwohnsitzes" ist jedoch nicht eindeutig und bedarf der Auslegung (zu den Grundsätzen der Tarifauslegung vgl. BAG 18, 278; BAG Urteil vom 30. September 1971 - 5 AZR 123/71 - AP Nr. 121 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung = EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 14; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 397 ff.).

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, zur Bestimmung der Wohnung im Sinne des § 6 Ziff. 6.1 BMTV reiche der ordnungsbehördlich gemeldete Hauptwohnsitz allein nicht aus, vielmehr müsse daneben noch eine "Wohnung" bestehen. Es greift in diesem Zusammenhang auf das Melderecht zurück und verweist auf § 12 des Melderechtsrahmengesetzes vom 16. August 1980 (BGBl. III, 210-4) und den deckungsgleichen § 16 des Hessischen Meldegesetzes vom 14. Juni 1982 (GVBl. Hessen I S. 126). Hauptwohnung ist danach die vorwiegend benutzte Wohnung, insbesondere der Familie, wobei in Zweifelsfällen die vorwiegend benutzte Wohnung dort ist, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Nachdem die Meldebehörden jedoch auf die Bestimmung des Hauptwohnsitzes durch den meldepflichtigen Bürger keinen objektivierenden Einfluß ausüben können (vgl. § 43 Abs. 1 Hess.Meldegesetz), sind die melderechtlichen Vorschriften zur Bestimmung der "Wohnung" im Sinne des BMTV 1980 wenig geeignet. Der für die Berechnung der Auslösung maßgebliche Hauptwohnsitz (§ 6 Ziff. 6.1 i.Verb.m. Anm. 1 zu § 6 BMTV 1980) kann daher, wie der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 26. Juni 1985 - 4 AZR 4/84 - (DB 1985, 2693) entschieden hat, nicht durch die ordnungsbehördlich gemeldete Hauptwohnung, sondern allein durch den Wohnsitz im bürgerlich-rechtlichen Sinne bestimmt werden, der im Rechtsleben einen festumrissenen Inhalt hat und auf den die Tarifvertragsparteien durch die Verwendung des Begriffes "Hauptwohnsitz" auch ersichtlich Bezug nehmen. Unter Hauptwohnsitz im Sinne des BMTV 1980 ist daher der räumliche Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse eines Montagestammarbeiters anzusehen (vgl. Gitter, MünchKomm, 2. Aufl., § 7 BGB Rz 5; Krüger-Nieland, BGB-RGRK, 12. Aufl., § 7 Rz 1; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 7 Anm. 1 a).

b) Diese Auslegung wird auch durch Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung gedeckt. Die Tarifvertragsparteien verwenden die gängigen Begriffe wie Fernauslösung, Nahauslösung, Familienheimfahrten usw. und damit auch den Begriff "Wohnung" in dem im Arbeitsleben üblichen Sinne. So ist daher unter "Fernauslösung" der Ersatz der Mehraufwendungen für Übernachtung, Verpflegung und sonstiger Bedürfnisse zu verstehen, die dem Arbeitnehmer infolge einer auswärtigen Beschäftigung entstehen, bei der er auswärts übernachten muß (vgl. Matthes, AR-Blattei "Auswärtszulage I" unter A I 2 a). Es sollen die durch die berufsbedingte Abwesenheit entstandenen Mehraufwendungen am Montageort pauschal ausgeglichen werden (§ 6 Ziff. 6.4.1 BMTV 1980), die durch die doppelte Haushaltsführung entstehen. Um den Anspruch auf Fernauslösung auszulösen, reicht demnach die Abwesenheit von einer beliebigen vom Arbeitnehmer benannten Wohnung nicht aus; vielmehr muß es sich um die Wohnung handeln, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Arbeitnehmers liegt, wo seine Familie jedenfalls überwiegend wohnt und wo ein gemeinsamer Haushalt geführt wird. Dort, wo der gemeinsame Familienhaushalt geführt wird, befindet sich im Sinne des § 6 BMTV 1980 auch die für die Fernauslösung maßgebende Wohnung eines verheirateten Arbeitnehmers.

c) Bei Zugrundelegung dieses so umschriebenen Wohnsitzbegriffes ist unabweisbar, daß der Kläger seinen Hauptwohnsitz im Sinne des § 6 BMTV 1980 in W, nicht aber in C hat. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat gebunden ist, unterhält der Kläger in W eine voll eingerichtete Drei-Zimmer-Wohnung, und dort wohnt auch seine Familie. Der gemeinsame Haushalt wird in W geführt. Sein Sohn geht in W zur Schule, und seine Ehefrau ist seit 1969 in W berufstätig. In W liegt der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger auch in C eine als Hauptwohnsitz angemeldete, voll eingerichtete Wohnung unterhält. Es ist in diesem Zusammenhang auch unbeachtlich, daß der Kläger seine Lohnsteuerkarte von C erhält, mit seiner Familie gelegentlich nach C fährt und zu seiner Heimatstadt noch eine starke Bindung hat.

3. Daraus folgt, daß der Kläger jedenfalls ab 1. Mai 1980, dem Inkrafttreten des BMTV 1980, objektiv zu Unrecht Fernauslösung bezogen und das Landesarbeitsgericht insoweit die eingeklagte Fernauslösung für Juli und August 1982 in Höhe von 2.237,20 DM zu Recht abgewiesen hat. Die Voraussetzungen für eine Fernauslösung waren ab Mai 1980 aufgrund der geänderten bzw. klargestellten tariflichen Regelung nicht mehr gegeben, da der Kläger von seinem Einsatzort im Raume F/W täglich zu seiner Wohnung in W, die den Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen bildet, zurückkehren konnte (§ 6 Ziff. 6.1.1 BMTV 1980). Der Kläger hatte für diesen Zeitraum nur einen Anspruch auf sog. Nahauslösung (§ 7 BMTV 1980).

4. Diese anhand des BMTV 1980 aufgezeigten Grundsätze können jedoch nicht ohne weiteres auf den ab 1. April 1974 geltenden und auch für das Arbeitsverhältnis der Parteien bis 30. April 1980 maßgebenden BMTV 1974 übertragen bzw. rückübertragen werden.

a) Die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des BMTV 1980 ist aufgrund der fehlenden Anmerkung 1 zu § 6 BMTV, durch die der Wohnsitzbegriff erläutert und ein Rückgriff auf den Wohnsitz im bürgerlich-rechtlichen Sinne ermöglicht wird, schwieriger zu beurteilen gewesen. Nach dem Urteil des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Mai 1974 - 5 AZR 374/73 - (AP Nr. 3 zu § 1 TVG Auslösung, mit ablehnender Anmerkung von Siebel) soll der Anspruch auf Fernauslösung im Sinne des § 6 BMTV vom 29. März 1963 (gleichlautend mit dem BMTV vom 9. April/18. Juli 1974 - gültig ab 1. April 1974) allein und ausschließlich davon abhängig gewesen sein, ob sich der Montagestammarbeiter am Montageort eine Unterkunft besorgen mußte, weil er nicht täglich in seine Wohnung zurückkehren konnte. Auf den Wohnsitz (Hauptwohnsitz) im bürgerlich-rechtlichen Sinn als Mittel- und Schwerpunkt der Lebensverhältnisse eines Montagestammarbeiters kommt es danach nicht an. Entscheidend sollte allein sein, daß der Arbeitnehmer neben seiner Unterkunft (Wohnsitz) am Montageort noch eine weitere, von ihm als "Hauptwohnsitz" bezeichnete Wohnung unterhielt, zu der er wegen der Entfernung vom Montageort im Sinne der Anmerkung 1 zu § 6 BMTV 1974 nicht täglich anreisen konnte. Nach Auffassung des Fünften Senats im Urteil vom 13. Mai 1974 (aa0) kommt es nach dem früheren Tarifvertrag auch nicht darauf an, ob und in welchem Umfange der Arbeitnehmer Aufwendungen für das Unterhalten einer Wohnung am Heimatort hat, obschon auch nach dem BMTV 1974 der Sinn und Zweck einer Fernauslösung der ist, die Mehraufwendungen am Montageort durch eine Pauschale abzugelten (§ 6 Ziff. 6.4.1 BMTV 1974).

b) Für den Streitfall folgt aus dem Urteil des Fünften Senats (aa0), daß der Kläger jedenfalls bis zum 30. April 1980 nach dem bis dahin geltenden BMTV 1974 objektiv nicht zu Unrecht Fernauslösung bezogen hat. Der Kläger hat sowohl in W als auch in Coburg seinen Wohnsitz. In beiden Orten unterhält er eine eingerichtete Wohnung, wobei er die in C als die im Sinne des § 6 Ziff. 6.1.1 BMTV 1974 bezeichnet hat. Hierbei ist unschädlich, daß sich seine Familie in W aufhält und dort damit auch der Schwer- und Mittelpunkt seiner gesamten Lebensverhältnisse ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Rechtsprechung des Fünften Senates nicht oder nicht uneingeschränkt zu folgen ist. Auch wenn die dagegen erhobenen Bedenken durchgreifen sollten, hat der Kläger jedenfalls im Vertrauen auf die höchstrichterliche Interpretation des früheren Tarifvertrages die Fernauslösungen verlangt und erhalten. Ein schuldhaftes Verhalten ist ihm insoweit nicht vorzuwerfen.

Für die Zeit ab Mai 1980 ist ein solcher Vorwurf nur dann begründet, wenn der Kläger der Tarifänderung entnehmen konnte und mußte, die Aufrechterhaltung des formalen auswärtigen Hauptwohnsitzes sei nunmehr für die Gewährung einer Fernauslösung unerheblich.

V. Nach alledem war daher das angefochtene Urteil zu bestätigen, soweit es die Zahlungsansprüche des Klägers abgewiesen hat, im übrigen aber war das Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze zur unterschiedlichen Auslegung des BMTV 1974 und des BMTV 1980 wird das Landesarbeitsgericht erneut prüfen müssen, ob die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung mit Schreiben vom 19. Oktober 1982 auch unter den neuen rechtlichen Gesichtspunkten im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht wird vor allem klären müssen, ob dem Kläger aus dem Weiterbezug von Fernauslösung über den 30. April 1980 hinaus überhaupt ein Vorwurf gemacht werden kann, er sich also schuldhaft verhalten hat, oder ob ihm insoweit nicht doch ein unverschuldeter Rechtsirrtum zugute kommt. Das Landesarbeitsgericht wird darüber erneut Überlegungen anstellen müssen und eindeutige Feststellungen vorzunehmen haben.

Das Landesarbeitsgericht wird, gleichgültig ob es zu dem Ergebnis kommt, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt oder annimmt, das Arbeitsverhältnis sei im Anschluß an die sozialwidrige Kündigung unter Zuerkennung einer Sozialabfindung aufzulösen, gleichwohl nicht durcherkennen können, sondern entsprechend den vom Senat im Beschluß vom 28. Februar 1985 (- 2 AZR 403/83 - DB 1986, 758 = NZA 1986, 255, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) aufgestellten Grundsätzen verfahren müssen. Die hier maßgebenden tariflichen Vorschriften des § 13 Ziff. 9 MTV entsprechen wörtlich und sachlich dem durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982 (BVerfGE 62, 256) für verfassungswidrig erklärten § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB. Das Landesarbeitsgericht wird daher in jedem Falle nur durch Teilurteil feststellen können, daß das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht vor dem 3. November 1982, also dem Ablauf der Frist, beendet worden ist, die sich gemäß § 13 Ziff. 9 Buchst. a MTV aus der Beschäftigungszeit nach Vollendung des 35. Lebensjahres ergibt. Im übrigen wird es aber den Rechtsstreit bezüglich des Beendigungszeitpunktes (aufgrund wirksamer Kündigung oder aufgrund gerichtlicher Auflösung) des am 19. Oktober 1982 gekündigten Arbeitsverhältnisses bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung der für Arbeiter bei der Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen bei Arbeitgeberkündigungen nach § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB zu berücksichtigenden Betriebszugehörigkeit auszusetzen haben.

Hillebrecht Dr. Röhsler Triebfürst

- zugleich für den ehren-

amtlichen Richter Thieß

Dr. Hautmann, dessen

Amtszeit abgelaufen ist -

 

Fundstellen

Dokument-Index HI437666

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