Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten bei den Kündigungsfristen

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 10.09.1997; Aktenzeichen 5 Sa 33/97)

ArbG Hamburg (Urteil vom 31.01.1997; Aktenzeichen 3 Ca 381/96)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. September 1997 – 5 Sa 33/97 – aufgehoben, soweit es den Antrag des Klägers auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Oktober 1996 abgewiesen hat.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 31. Januar 1997 – 3 Ca 381/96 – teilweise abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 31. Oktober 1996 fortbestand.

3. Im übrigen werden die Berufung und die Revision des Klägers zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 2/3 zu tragen, die Beklagte 1/3.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger wurde am 1. Oktober 1995 als Installateur im Montagebereich im Betrieb des während des Rechtsstreits am 2. Mai 1997 verstorbenen ursprünglichen Beklagten, der ständig weniger als sechs Arbeitnehmer beschäftigte, eingestellt. Die nunmehr beklagte Ehefrau des Verstorbenen ist dessen Alleinerbin, sie führt den Betrieb fort. Gegenstand des Unternehmens waren und sind Sanitärinstallationen, Zentralheizungskundendienst und Bauklempnerei. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des zwischen dem Fachverband Klempner- und Sanitärtechnik Hamburg e.V. sowie der IG Metall geschlossenen Manteltarifvertrages (MTV) für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte des Gas- und Wasserinstallateur- und Klempner-Handwerks im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung vom 12. April 1995 Anwendung. Dessen § 15 Ziff. 6 lautet auszugsweise wie folgt:

6. Kündigungsfristen

A. Gewerbliche Arbeitnehmer

Wird das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Probezeit hinaus fortgesetzt, so gelten – unter der Voraussetzung ununterbrochener Betriebszugehörigkeit – beiderseits folgende Kündigungsfristen:

a) während des 1. Jahres der Betriebszugehörigkeit 3 Werktage

b) nach einer Betriebszugehörigkeit von über 1 Jahr 6 Werktage

B. Angestellte

a) Das Arbeitsverhältnis kann, nach Ablauf der Probezeit, von jedem Teil unter Einhaltung einer Frist von mindestens 6 Wochen zum Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden.

Dem Fachverband gehören nach Darstellung der Beklagten etwa 700 Mitgliedsbetriebe an. Ca. 60 % von ihnen beschäftigen bis zu fünf Arbeitnehmer, wobei in der Regel eine Angestellte – zumeist die Ehefrau – eingesetzt wird. In ungefähr 30 % der Betriebe werden fünf bis 20 Mitarbeiter tätig. Regelmäßig werden dort im Angestelltenbereich ein Meister, eine Bürokraft und geringfügig Beschäftigte eingesetzt. In Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern, die etwa 10 % der Mitgliedsbetriebe ausmachen, kommt im Durchschnitt ein Angestellter auf fünf bis sechs gewerbliche Arbeitnehmer. Sowohl im Klempner- als auch im Installateurhandwerk werden die Arbeiter ausschließlich in der Produktion beschäftigt, während die Angestellten weit überwiegend in der Verwaltung und Arbeitsvorbereitung eingesetzt werden.

Mit Schreiben vom 19. September 1996, dem Kläger zugegangen am 21. September 1996, kündigte der Verstorbene das Arbeitsverhältnis “fristgemäß” zum 30. September 1996.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die von denjenigen der Angestellten abweichenden Kündigungsfristen der Arbeiter gemäß § 15 Ziff. 6 A MTV verstießen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Anders als im Bauhauptgewerbe und Gartenbau sei im Klempner- und Installateurhandwerk kein sachlicher Grund für eine Differenzierung gegeben. Installateur- und Klempnerbetriebe unterlägen keinen entsprechenden witterungsbedingten Auftragsschwankungen, weil sie bei Neubauten erst tätig würden, wenn der Bau bereits mit Fenstern und Dach versehen sei. Die Arbeiten könnten somit auch bei schlechtem Wetter und Frost vorgenommen werden, zumal der Haupttätigkeitsbereich von Klempnern und Installateuren in bloßen Reparaturen an bereits fertiggestellten Objekten bestehe. Ein Bedürfnis nach personalwirtschaftlicher Flexibilität bilde nicht generell einen Sachgrund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten hinsichtlich der Kündigungsfristen. Folglich gelte die Grundkündigungsfrist für Angestellte nach § 15 Ziff. 6 B lit. a MTV von sechs Wochen zum Vierteljahresende, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung des Beklagten erst mit Ablauf des 31. Dezember 1996 gelöst worden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 19. September 1996 nicht zum 30. September 1996 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31. Dezember 1996 fortbestanden hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, die tariflichen Grundkündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer seien nicht zu beanstanden. Es bestehe eine dem Bauhauptgewerbe vergleichbare Interessenlage. Zum einen unterliege auch das Klempner- und Installateurhandwerk witterungsbedingten Auftragsschwankungen, da nach dem Berufsbild beider Gewerke – Klempner- und Installateurhandwerk – wesentliche Außenarbeiten anfielen. So erstellten Klempner Metalldächer, bauten Regenrinnen an, Erker, Gauben, Wandanschlüsse sowie Kehlen aus und sanierten Flachdächer. Gas- und Wasserinstallateure verlegten Rohrleitungen für Hausanschlüsse, Schmutzwasserleitungen bis zur Grundstücksgrenze und stellten Sielanschlüsse her. Zum anderen gehörten beide Gewerke, soweit Neubauten erstellt oder Altbauten saniert würden, zum Bauausbaugewerbe und würden als Nachfolgegewerke von Auftragsschwankungen des Bauhauptgewerbes erfaßt. Darüber hinaus würden nicht alle Bauten vor dem Winter schon mit Fenstern und Dach versehen. Um Setzrisse zu vermeiden, blieben Rohbauten teils über den Winter hinweg unvollendet, um “durchzufrieren”. Das in der Branche herrschende starke Bedürfnis nach flexibler Reaktion auf Auftragsschwankungen zeige sich insbesondere daran, daß die Tarifparteien die bereits früher gültigen Kündigungsfristen im April 1995 in Kenntnis der gesetzlichen Neuregelung des § 622 BGB erneut vereinbart hätten. Dieses Bedürfnis beruhe einerseits auf der vorwiegenden Beschäftigung von gewerblichen Arbeitnehmern, andererseits auf der Abhängigkeit vom Bauhauptgewerbe, die eine bessere Beschäftigungslage im Frühjahr sowie Frühherbst und eine schlechtere im Winter sowie Hochsommer bedinge. Bei der kleinen Gruppe der Angestellten bestehe dagegen ein Bedürfnis nach Kontinuität. Sowohl die Aufgaben der kaufmännischen Angestellten, die vor allem dem Buchhaltungs- und Personalwesen zugeordnet seien, als auch die der technischen Angestellten, die überwiegend im planerischen sowie kalkulatorischen Bereich und der Akquisition eingesetzt seien, blieben von konjunkturellen Schwankungen weitgehend unberührt. Gerade bei nachlassender Auftragssituation fielen verstärkt Tätigkeiten in den Bereichen der Kalkulation und der Angebotserstellung an. Endlich hätten die gewerblichen Beschäftigten selbst ein Interesse an kurzen Kündigungsfristen, weil sich für sie häufig kurzfristig die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels mit besseren Verdienstmöglichkeiten – etwa im Akkord – ergebe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin seinen Klageantrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. § 15 Ziff. 6 A lit. a MTV ist wirksam und ermöglichte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der vorgesehenen Frist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat – zum Teil durch Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Arbeitsgerichts – angenommen, die zur Entscheidung gestellte – konstitutive – kürzere Kündigungsfrist für Arbeiter verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, der auch im Rahmen der den Tarifpartnern in § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB eingeräumten Rechtssetzungsbefugnis zu beachten sei. Es bestehe ebenso wie im Bauhauptgewerbe ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten, weil die Arbeiter ausschließlich in der Produktion beschäftigt würden, während die Angestellten weit überwiegend in der Verwaltung und Arbeitsvorbereitung tätig seien. Selbst wenn die vorhandenen Aufträge noch Arbeit für mehrere Monate beinhalteten, sei es im Falle von Konjunktureinbrüchen und Auftragsrückgängen nötig, kürzer beschäftigte Mitarbeiter angesichts der weiträumigen Kündigungsfristen von Arbeitnehmern mit längerer Betriebszugehörigkeit rasch entlassen zu können. Zudem unterliege der Klempner- und Installateurbetrieb witterungsbedingten Auftragsschwankungen, die nicht längerfristig vorherzusehen seien.

II. Dem folgt der Senat sowohl im Ergebnis als auch überwiegend in der Begründung.

1. Nach der gemäß § 561 Abs. 1 ZPO bindenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts gilt der Manteltarifvertrag zwischen den Parteien in seiner Gesamtheit aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme. Daß nur der Kläger nicht Mitglied der IG Metall ist, während die Beklagte dem tarifschließenden Fachverband angehört, ist nach Sinn und Zweck der Zulassungsnorm des § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB ohne Belang. Vom Gesetz abweichende tarifliche Vorschriften sollen in ihrem Geltungsbereich auch zwischen Vertragspartnern vereinbart werden können, von denen nur der eine nicht tarifgebunden ist (KR-Spilger, 5. Aufl., § 622 BGB Rz 179). Das Arbeitsverhältnis unterfällt unbedenklich dem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des § 1 Ziff. 1 bis 3 MTV.

2. Bei § 15 Ziff. 6 A lit. a MTV, der eine Grundkündigungsfrist von drei Werktagen vorsieht, handelt es sich um eine eigenständige Regelung und nicht um eine neutrale, lediglich auf den Gesetzestext verweisende Klausel. Diese Tarifbestimmung und nicht § 15 Ziff. 6 A lit. b MTV ist vorliegend maßgeblich, weil das Arbeitsverhältnis bei Zugang der Kündigung am 21. September 1996 noch nicht über ein Jahr bestand. Der Irrtum oder das Entgegenkommen des Verstorbenen begründen keine Anwendbarkeit der längeren Kündigungsfrist von sechs Werktagen. Obwohl das Arbeitsverhältnis durch die gewählte Frist nicht schon zum frühestmöglichen Termin des 25. September 1996, sondern erst später mit Ablauf des 30. September 1996 gelöst wurde, ändert dies nichts daran, daß die Grundkündigungsfrist auf ihre Verfassungswidrigkeit hin zu überprüfen ist. Sie – und sämtliche anderen Arbeiterkündigungsfristen des § 15 Ziff. 6 A MTV – wurden ersichtlich abweichend sowohl von der bis zum Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes vom 7. Oktober 1993 am 15. Oktober 1993 geltenden früheren Arbeitergrundkündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB 1969 von zwei Wochen ohne Termin als auch von der jetzigen einheitlichen Frist des § 622 Abs. 1 BGB n.F. von vier Wochen zur Monatsmitte bzw. zum Monatsschluß ausgestaltet. Damit brachten die Tarifvertragsparteien ihren Willen zum Ausdruck, ihre eigene Rechtssetzungskompetenz auszuüben und nicht nur die Rechtslage vollständig darzustellen. Im Rahmen der Tarifgeschichte ist zu berücksichtigen, daß an dem bisherigen Kündigungsfristensystem des § 15 Ziff. 6 MTV bei neuerlichem Abschluß des Manteltarifvertrages am 12. April 1995 trotz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (– 1 BvL 2/83, 1 BvL 9/84, 1 BvL 10/84, 1 BvL 3/85, 1 BvL 11/89, 1 BvL 12/89, 1 BvL 13/89, 1 BvL 4/90, 1 BvR 764/86, BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) und des Inkrafttretens des Kündigungsfristengesetzes festgehalten wurde. Auch die Probezeitkündigungsfristen von einem Monat zum Monatsende für Angestellte (§ 15 Ziff. 3 lit. a MTV) und einem Tag für Arbeiter (§ 15 Ziff. 3 lit. b MTV), die jeweils von der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB abweichen, machen deutlich, daß die Tarifpartner insgesamt ein selbständiges Kündigungsfristengefüge schaffen wollten.

3. Das Berufungsgericht hat deshalb zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die in Rede stehende Kündigungsregelung im Vergleich zu der in § 15 Ziff. 6 B lit. a MTV für Angestellte getroffenen Bestimmung, die die frühere gesetzliche Regelung des § 622 Abs. 1 Satz 1 KSchG 1969 übernommen hat, mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist oder ob sie ohne ausreichenden Grund die Arbeiter gegenüber den Angestellten verfassungswidrig benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 697/92 – BAGE 74, 167 = AP Nr. 42 zu § 622 BGB, m.w.N.). Dabei muß es allerdings den Tarifvertragsparteien wegen der durch die Verfassung gewährleisteten Tarifautonomie, die insbesondere den Abschluß von Tarifverträgen umfaßt, überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Zugeständnisse in einer Hinsicht mit Vorteilen in anderer Hinsicht auszugleichen (BAG Urteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 72/91 – n.v., zu II 2d bb der Gründe mit vielfältigen weiteren Nachweisen; weitergehend Dieterich, Festschrift für Schaub 1998, S. 197 f., 122). Die Öffnungsklausel des § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB trägt dem Grundsatz der Tarifautonomie Rechnung. In den Regierungsentwurf zu § 622 Abs. 3 Satz 1 BGB 1969 (BT-Drucks. V/3913 S. 10) wurde noch ausdrücklich die Begründung aufgenommen, daß sich die gesetzliche Kündigungsfristenregelung für die Bedürfnisse mancher Branchen – beispielsweise der Bauwirtschaft – als zu starr erweisen könne, die Neuregelung wird ebenfalls von Zweckmäßigkeitserwägungen begleitet (BT-Drucks. 12/4902 S. 9).

a) Da in dem Wirtschaftszweig der Beklagten ein erhöhtes Bedürfnis nach personeller Flexibilität im produktiven Bereich anzuerkennen ist, ist ein sachlicher Grund für die unterschiedlichen Arbeiter- und Angestelltengrundfristen des § 15 Ziff. 6 A lit. a MTV und des § 15 Ziff. 6 B lit. a MTV zu bejahen. Der Gleichheitssatz verlangt keine völlige Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, vielmehr sollen nur pauschale Differenzierungen zwischen den beiden Großgruppen der Arbeiter und Angestellten vermieden werden. Sachlich gerechtfertigt ist hingegen eine hinreichend gruppenspezifisch ausgestaltete unterschiedliche Regelung, die beispielsweise entweder eine verhältnismäßig kleine Gruppe nicht intensiv benachteiligt oder funktions-, branchen- und betriebsspezifischen Interessen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages mit Hilfe verkürzter Kündigungsfristen für Arbeiter entspricht. Das kommt etwa in Betracht, wenn die Arbeiter überwiegend in der Produktion eingesetzt werden (vgl. BVerfG Beschluß vom 30. Mai 1990, aaO, zu C I 2h der Gründe; dem folgend z.B. BAG Urteile vom 29. August 1991 – 2 AZR 72/91 – n.v., zu II 2d aa der Gründe; vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 389/91 – AP Nr. 35 zu § 622 BGB, zu II 2 der Gründe; vom 2. April 1992 – 2 AZR 516/91 – AP Nr. 38 zu § 622 BGB, zu II 4a der Gründe; vom 10. März 1994 – 2 AZR 605/93 – BAGE 76, 111, 117 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie, zu II 2a der Gründe).

Da die Arbeiter sowohl im Klempner- als auch im Installateurhandwerk unbestritten ausschließlich in der Produktion eingesetzt werden, während die Angestellten weit überwiegend in der Verwaltung und Arbeitsvorbereitung tätig sind, ist ein besonderes Interesse der Arbeitgeberseite anzuerkennen, auf Konjunktureinbrüche und Auftragsrückgänge im produktiven Bereich unmittelbar und ohne erhebliche Zeitverzögerung reagieren zu können (BAG Urteil vom 2. April 1992, aaO, zu II  4b bb der Gründe, zu der Grundkündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe in der Fassung vom 24. September 1990). Auf die Auftragsabhängigkeit der Produktion hat das Berufungsgericht durch Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts ebenfalls zu Recht hingewiesen, ohne daß die Revision hierzu eine Rüge erhoben hätte. Bei den beiden gegebenen Gewerken ist zudem ohne weiteres erkennbar, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Auftragslage und der Beschäftigungssituation im produktiven Bereich besteht; eine Vorratshaltung ist anders als z.B. bei der Produktion von Waren kaum denkbar. Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, das sich wiederum die Gründe des Arbeitsgerichts zu eigen macht, selbst wenn Auftragsbestände einen Zeitraum von mehreren Monaten abdecken sollten, könne dem eine ältere Belegschaft mit längeren Kündigungsfristen gegenüberstehen. Es besteht daher ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers daran, Kündigungen aufgrund von Auftragsschwankungen bei Arbeitern mit kürzerer Betriebszugehörigkeit verhältnismäßig rasch umsetzen zu können. Durch die verlängerten Kündigungsfristen der gewerblichen Arbeitnehmer, die dem Betrieb bereits länger angehören, wird der Handlungsspielraum des Arbeitgebers verengt, was gerade durch gesteigerte Flexibilität bei den Arbeitergrundfristen ausgeglichen werden kann (BAG Urteil vom 2. April 1992, aaO, zu II 4b bb der Gründe). Ob auch die verlängerten Kündigungsfristen des § 15 Ziff. 6 A lit. c bis e MTV durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sind, kann dahinstehen. Die Grundfristen einerseits und die verlängerten Fristen andererseits können trotz des zwischen ihnen vorzunehmenden Ausgleichs unabhängig voneinander bestehen, ohne daß die Kündigungsfristenregelung insgesamt ihren Sinn verlöre. Gesamtnichtigkeit infolge von Teilnichtigkeit im Sinne der Auslegungsregel des § 139 BGB scheidet somit aus (LAG Köln Urteil vom 10. August 1992 – 11 Sa 356/92 – LAGE Nr. 23 zu § 622 BGB, zu 2.2.3 der Gründe). Es leuchtet schließlich ein, daß im Verwaltungsbereich bei nachlassender Auftragssituation zunächst verstärkt kalkuliert und akquiriert werden muß, um den Konjunkturrückgang abzufangen, d. h. daß dort kein Bedürfnis nach schnellem Personalabbau besteht (BAG Urteil vom 10. März 1994 – 2 AZR 605/98 – BAGE 76, 111, 117 = AP, aaO, zu II 2a der Gründe). Bereits diese Umstände machen eine größere Flexibilität im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmer erforderlich und lassen umgekehrt ein gesteigertes Maß an Kontinuität bei der Beschäftigung von Angestellten zu.

Den seitens des Klägers geleugneten unmittelbaren Witterungseinflüssen auf den Hauptteil der im produktiven Bereich anfallenden Arbeiten kommt demgegenüber nur unterstützende Bedeutung zu. Auch insoweit ist aber mangels beachtlicher Revisionsrügen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts für den Senat gem. § 561 Abs. 2 ZPO bindend, zu beiden Gewerken gehörten erhebliche Außenarbeiten. Darüber hinaus zieht auch die Revision nicht in Zweifel, daß zumindest, was Neubauten anbelangt, insofern eine mittelbare Abhängigkeit des Klempner- und Installateurhandwerks vom jahreszeit- und witterungsabhängigen Bauhauptgewerbe anzunehmen ist, als vielfach weder Klempner- noch Installateurarbeiten durchgeführt werden können, solange der Bau nicht mit Fenstern und Dach versehen ist. Ob gerade im Betrieb der Beklagten eine solche individuelle Witterungsabhängigkeit zu bejahen ist, ist unerheblich. Den Tarifpartnern kommt aufgrund der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG das Recht zu, eine gewisse Pauschalierung vorzunehmen (BAG Urteil vom 10. März 1994, aaO, zu II 2b der Gründe). Daß lediglich die Arbeitgeber dieses branchenspezifische höhere Flexibilitätsbedürfnis aufweisen, hindert die Annahme eines sachlichen Differenzierungskriteriums nicht (KR-Spilger, aaO, Rz 248).

b) Die zusätzlich zu beantwortende Frage, ob die Ungleichbehandlung und der sachliche Grund in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfG Beschluß vom 30. Mai 1990, aaO, zu C I 1 der Gründe; BAG Urteile vom 2. April 1992, aaO, zu II 4b bb der Gründe und vom 10. März 1994, aaO, zu II 2d der Gründe), ist ebenfalls zu bejahen.

Der vorliegend zu betrachtende Manteltarifvertrag enthält zwar – anders als der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe und der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk – keine Urlaubskassenregelung. Eine solche begünstigt in den dortigen Tarifverträgen zielgerichtet die Arbeiter, weil sie es ihnen ermöglicht, trotz häufigen Stellenwechsels einen zusammenhängenden Vollurlaub in Anspruch zu nehmen. Auch eine Schlechtwettergeldregelung ist im vorliegenden Manteltarifvertrag nicht getroffen. Dagegen relativiert die Addition von Betriebszugehörigkeitszeiten bei Kündigungen wegen Arbeitsmangels und Unterbrechungen unterhalb von sechs Monaten (§ 17 Ziff. 2 MTV) die speziell bei gewerblichen Arbeitnehmern durch die kurzen Grundkündigungsfristen erleichterte Entlassungsmöglichkeit, obgleich die genannte Bestimmung auch für Angestellte gilt. § 17 Ziff. 2 MTV ist auch für den Wiedereinstellungsanspruch des § 16 Ziff. 2 MTV zu beachten. Die Arbeiterbelange werden im Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages also durchaus über die grundlegende Regelung der Kündigungsfristen in § 15 Ziff. 6 MTV hinausgehend berücksichtigt.

Ferner hat die Beklagte unwidersprochen vorgebracht, daß die für beide Seiten geltende Grundkündigungsfrist des § 15 Ziff. 6 A lit. a MTV auch dem Interesse der Arbeiter – insbesondere in Zeiten der Hochkonjunktur – an einem schnellen Arbeitsplatzwechsel entgegenkommt, um einen höheren Verdienst – etwa im Akkord – zu erzielen. Diese nach Auffassung der Tarifpartner übereinstimmende Interessensituation kommt daneben in der Probezeitkündigungsfrist für gewerbliche Arbeitnehmer von einem Tag zum Ausdruck (§ 15 Ziff. 3b MTV). Zudem ist die Probezeit des § 15 Ziff. 3b MTV für Arbeiter von maximal acht Wochen günstiger als diejenige für Angestellte nach § 15 Ziff. 3a MTV von drei Monaten und damit 13 Wochen.

Schon im Rahmen der Prüfung des sachlichen Grundes wurde darauf hingewiesen, daß die kurzen Grundkündigungsfristen in Wirtschaftszweigen wie dem gegebenen, in dem die Arbeiter ausschließlich in der Produktion eingesetzt werden, u.a. dazu dienen, die verlängerten Kündigungsfristen der – anders als die Angestellten – gleichfalls von einem Auftragsrückgang unmittelbar betroffenen (betriebs)älteren gewerblichen Arbeitnehmer zu kompensieren. Der Ausgleich vollzieht sich mithin – was diesen Punkt betrifft – nicht zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern innerhalb der Arbeiterschaft. Im Rahmen der Tarifgeschichte ist auch hier darauf hinzuweisen, daß die Tarifpartner das bisherige Kündigungsfristensystem nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (aaO) und dem Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes unverändert übernahmen. Den Tarifparteien ist wegen ihrer aus Art. 9 Abs. 3 GG herzuleitenden Kompetenz und ihres Sachverstandes eine besondere Einschätzungsprärogative einzuräumen, und zwar nicht zuletzt für die Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung (Senatsurteil vom 29. Oktober 1998 – 2 AZR 683/97 – n.v.; ebenso Dieterich, aaO, S. 130). Die oben zu a) festgestellten konkreten Anhaltspunkte für eine sachliche Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten führen dazu, daß die Kündigungsfristbestimmung des § 15 Ziff. 6 A lit. a MTV eine (beschränkte) materielle Richtigkeitsgewähr genießt. Sie hat die Vermutung für sich, daß sie den Belangen beider Seiten gerecht wird und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermittelt (BAG Urteil vom 2. April 1992, aaO, zu II 4b cc der Gründe). Im Rahmen der den Tarifpartnern wegen ihrer Gleichgewichtigkeit überlassenen Gestaltungsfreiheit ist es nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob von ihnen jeweils die “gerechteste” und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde. Die Gerichte haben lediglich zu kontrollieren, ob die Tarifbestimmung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifpartner überschreitet (BAG Urteil vom 2. April 1992, aaO). Dies ist vorliegend zu verneinen, zumal die Tarifparteien sich auf die privatautonome Legitimation durch ihre Verbandsmitglieder stützen können (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1998 – 2 AZR 683/93 – n.v.). Auch der Kläger hat sich in seinem Arbeitsvertrag den nun von ihm angegriffenen tariflichen Regelungen privatautonom unterworfen.

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Engel, Beckerle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2628875

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