Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Grundkündigungsfrist - Bauarbeiter

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Grundkündigungsfrist des § 12 Ziffer 1.1 BauRTV (von 12 Werktagen) enthält eine sogenannte eigenständige Kündigungsregelung und verstößt im Vergleich zu der für Angestellte im Baugewerbe geltenden Kündigungsfrist (von 6 Wochen zum Quartal) wegen der Besonderheiten des Baugewerbes bei gewerblichen Arbeitnehmern nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Fortsetzung der Rechtsprechung im Urteil vom 21. März 1991 - 2 AZR 616/90 - AP Nr 31 zu § 622 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen".

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 27.09.1991; Aktenzeichen 11 Sa 423/91)

ArbG Siegburg (Entscheidung vom 13.03.1991; Aktenzeichen 4/2 Ca 2033/90)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 24. Oktober 1989 bei dem Beklagten, der ein Baugewerbe betreibt, als Stukkateur beschäftigt. Mit Schreiben vom 13. November 1990, dem Kläger zugegangen am 16. November 1990, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst fristlos auf, erklärte jedoch später, diese Kündigung solle als fristgemäße zum 27. November 1990 gelten. Das Kündigungsschutzgesetz findet mangels ausreichender Beschäftigtenzahl (§ 23 KSchG) keine Anwendung.

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der mit Wirkung ab 1. November 1990 für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 i. d. F. des Änderungstarifvertrages vom 24. September 1990 (im folgenden BRTV-Bau). In § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau ist die allgemeine Kündigungsfrist für Arbeiter wie folgt geregelt:

Das Arbeitsverhältnis kann beiderseitig unter

Einhaltung einer Frist von 6 Werktagen, nach 12-

monatiger Dauer von 12 Werktagen, gekündigt wer-

den. Jedoch kann das Arbeitsverhältnis am Tage

der Arbeitsaufnahme und an den beiden folgenden

Arbeitstagen beiderseitig zum Schluß des Arbeits-

tages gekündigt werden, wenn die Kündigung späte-

stens bei Arbeitsbeginn erklärt wird.

§ 12 Ziff. 1.2 Satz 3 lautet:

Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit wer-

den zusammengerechnet, wenn die Unterbrechung

nicht vom Arbeitnehmer veranlaßt wurde und wenn

sie nicht länger als 6 Monate gedauert hat.Der Kläger hat sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) berufen und geltend gemacht, die Kündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau sei verfassungswidrig. Diese Bestimmung enthalte keine eigenständige Regelung, sondern orientiere sich an der gesetzlichen Vorschrift des § 622 Abs. 2 BGB. Selbst wenn man von einer eigenständigen Tarifklausel ausgehe, so könnten die Besonderheiten des Baugewerbes die unterschiedlichen Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten nicht rechtfertigen. Eine im Baugewerbe möglicherweise übliche Fluktuation und das Bedürfnis nach Flexibilität könnten insoweit nicht als erheblich angesehen werden, ebensowenig wie der mögliche Wunsch der Arbeitnehmer nach einem schnellen Wechsel des Arbeitsverhältnisses. Bei dem Wunsch nach Mobilität sei nämlich jeweils die wirtschaftliche Situation mitzuberücksichtigen. Auch Auftragsbestände von durchschnittlich drei Monaten bedingten keine kurze Kündigungsfrist, sondern der Arbeitgeber müsse eben nur früher die Kündigung aussprechen.

Laufe seine Kündigungsfrist wie bei Angestellten erst am 31. Dezember 1990 ab, so falle die Kündigung in den Lohnausgleichszeitraum vom 24. Dezember bis zum 1. Januar mit der Folge, daß gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrages zur Förderung der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe während der Winterperiode (TV Lohnausgleich) das Arbeitsverhältnis erst mit dem letzten Tag des Ausgleichszeitraums, also mit Ablauf des 1. Januar 1991 ende.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Teil-Anerkenntnis- und

Schlußurteils des Arbeitsgerichts Siegburg vom

13. März 1991 - 4/2 Ca 2033/90 - festzustellen,

daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die

Kündigung des Beklagten vom 13. November 1990

- zugegangen am 16. November 1990 - nicht aufge-

löst wird, sondern darüber hinaus bis zum

1. Januar 1991 einschließlich fortbestanden hat.

Der Beklagte hat mit seinem Klageabweisungsantrag sich darauf berufen, die Kündigung wirke jedenfalls, wie das Arbeitsgericht zu Recht entschieden habe, zum 30. November 1990, dauere jedoch nicht über diesen Zeitpunkt hinaus fort. Denn die Bestimmung des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau sei wegen der Besonderheiten des Baugewerbes sachlich gerechtfertigt und demgemäß nicht verfassungswidrig.

Das Arbeitsgericht hat durch Anerkenntnisurteil den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. November 1990 festgestellt, die darüber hinausgehende Klage jedoch abgewiesen. Die insoweit vom Kläger eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem erstinstanzlichen Klagebegehren fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, die Grundkündigungsfrist in § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau sei nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig.

I.Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigungsregelung in § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau enthalte keine neutrale, nur deklaratorisch auf den Gesetzestext verweisende Klausel, sondern stelle eine eigenständige tarifliche Norm dar, wie schon der Abstufung bei der Grundkündigungsfrist zu entnehmen sei. Danach könne das Arbeitsverhältnis am Tag der Arbeitsaufnahme und an den beiden folgenden Arbeitstagen beiderseitig zum Schluß des Arbeitstages gekündigt werden, wenn die Kündigung spätestens bei Arbeitsbeginn erklärt werde; im übrigen sehe der Tarifvertrag eine Kündigungsfrist von sechs Werktagen und nach zwölfmonatiger Dauer von zwölf Werktagen vor. Aus der Eigenständigkeit der tariflichen Regelung folge, daß das Gericht selbständig zu prüfen habe, ob die Vereinbarkeit der Regelung mit der Verfassung zu bejahen sei. Dies sei der Fall, weil im Gegensatz zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 die tarifliche Regelung nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum der Arbeitnehmerschaft, nicht jedoch die Großgruppen aller Angestellten und Arbeiter betreffe. Die unterschiedliche Kündigungsfrist bei Angestellten, für die in § 11 Ziff. 1.1 des Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten auf die gesetzliche Kündigungsfrist verwiesen werde, sei schon aus Gründen einer notwendigen Flexibilität bei Konjunktureinbrüchen in der Produktion sachlich gerechtfertigt; denn im Baugewerbe seien die Arbeiter ausschließlich im Produktionsbereich beschäftigt, während die Angestellten weit überwiegend in der Verwaltung und Arbeitsvorbereitung tätig seien. Die Gruppen der Angestellten und Arbeiter stellten sich im Baugewerbe insoweit als homogene und im Verhältnis zueinander unterschiedliche Arbeitnehmergruppen dar; der produktive und der administrative Bereich sei weitgehend deckungsgleich mit der Gruppe der Arbeiter bzw. der Angestellten. Die Konjunkturabhängigkeit der Baubranche werde noch dadurch erhöht, daß hier nicht auf Vorrat, sondern strikt auftragsabhängig produziert werde. Ferner unterliege das Baugewerbe im produktiven Bereich auf den Baustellen auch noch saisonalen Einflüssen und Witterungsverhältnissen. Dagegen sei für die Angestellten ein Bedürfnis nach personalwirtschaftlicher Flexibilität nicht im gleichen Maße gegeben, weil diese mit kontinuierlich anfallenden Arbeiten im kaufmännischen und auch technischen Bereich beschäftigt werden könnten.

Schließlich sei die Regelung kürzerer Kündigungsfristen für Arbeiter auch in deren Interesse: Die Arbeiter seien wegen des häufigen Baustellen- und Ortswechsels und der damit verbundenen Änderung der Arbeitsbedingungen nicht an längere Kündigungsfristen gebunden. Selbst wenn die Fluktuation mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhänge, so ändere dies nichts an dem vom Kläger selbst dargelegten Grundtatbestand des häufigen Arbeitsplatzwechsels im Baugewerbe, an dessen Erschwerung der Arbeiter besonders in Zeiten der Hochkonjunktur, in denen er zu besseren Bedingungen schnell wechseln könne, kein Interesse habe. Dem Mobilitätsgesichtspunkt hätten die Tarifpartner auch dadurch Rechnung getragen, daß im Hinblick auf den allgemeinverbindlich erklärten BRTV-Bau Einzelheiten des Vertrages nicht ausgehandelt zu werden brauchten und die Urlaubsregelung im Baugewerbe es dem Arbeiter ermögliche, trotz häufigen Stellenwechsels einen zusammenhängenden Urlaub zu nehmen.

II.Dieser Würdigung folgt der Senat im Ergebnis wie auch in der Begründung. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht in Übereinstimmung mit der bisherigen Senatsrechtsprechung zur Problematik der Verfassungswidrigkeit von tariflichen Kündigungsfristen.

1.Der Klageantrag in der vorliegenden Form ist zulässig (§ 256 ZPO), zumal mit dem ausdrücklichen "Fortbestandsbegehren" das auf die angebliche Verfassungswidrigkeit der tariflichen Kündigungsregelung gestützte Klageziel klargestellt wird und sich aus einem entsprechenden Urteilsausspruch arbeits- und sozialrechtliche Folgen für das Arbeitsverhältnis der Parteien ergeben (vgl. auch Senatsurteile BAGE 9, 361 = AP Nr. 34 zu § 256 ZPO und vom 31. Mai 1979 - 2 AZR 473/77 - AP Nr. 50 zu § 256 ZPO, sowie BAGE 57, 231, 238 = AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969, zu II 2 a der Gründe). Der Antrag ist dabei sinngemäß einschränkend dahin zu verstehen, daß nur noch der Fortbestand über den 30. November 1990 hinaus bis 1. Januar 1991 (einschließlich) begehrt wird, denn der Fortbestand bis 30. November 1990 ist bereits rechtskräftig durch das Teilanerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts festgestellt.

2.Der danach noch rechtshängige Feststellungsantrag ist in der Sache selbst nicht begründet, weil das Arbeitsverhältnis aufgrund der (umgedeuteten) ordentlichen Kündigung mit der 12-tägigen Kündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau beendet worden ist. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanzen, diese Kündigungsfrist verstoße im Verhältnis zu der für Angestellte im Baugewerbe geltenden Frist von 6 Wochen zum Quartal (§ 11 RTV technische und kaufmännische Angestellte; sowie § 12 Ziff. 1 RTV-Poliere) nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Revisionsrüge der Verletzung materiellen Rechts greift nicht durch.

3.Das Landesarbeitsgericht hat schon im Ausgangspunkt richtigerweise angenommen, der hier kraft Organisationszugehörigkeit beider Parteien einschlägige BRTV-Bau enthalte eine eigenständige (konstitutive) Regelung der Grundkündigungsfristen. Das folgt daraus, daß die Tarifpartner in zulässiger Abweichung (§ 622 Abs. 3 BGB, vgl. dazu noch zu II b cc) von der gesetzlichen Regelung einer zweiwöchigen Frist (§ 622 Abs. 2 BGB) die Kündigungsfristen innerhalb der ersten zwölf Monate - mit Ausnahme der ersten drei Tage - auf sechs Werktage und nach zwölfmonatiger Dauer auf zwölf Werktage festgelegt haben. Das hat der Senat zu der in Rede stehenden Tarifbestimmung bereits im Urteil vom 29. August 1991 - 2 AZR 72/91 - (unveröffentlicht, zu II 2 a der Gründe) entschieden. Daran ist festzuhalten, zumal die Revision wenig überzeugend argumentiert, § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau enthalte keine eigenständige Tarifregelung, denn die Tarifpartner seien in einer "Entwicklung hin zu den gesetzlichen Kündigungsfristen", wobei letztlich die Frage der (angeblichen) Neutralität des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau unberücksichtigt bleiben könne. Tatsächlich haben die Bau-Tarifpartner die Grundkündigungsfrist dezidiert anders als der Gesetzgeber geregelt, was nicht zuletzt auch die andere tarifliche Regelung in § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau für die verlängerten Kündigungsfristen nach einer Wartezeit von fünf Jahren und mehr belegt, die nach einer weiteren Entscheidung des Senats (Beschluß vom 21. März 1991 - 2 AZR 296/87 B - EzA § 622 BGB n. F. Nr. 32, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) als nicht eigenständig, also nur deklaratorisch angesehen wurde.

4.Bei dieser Rechtslage hat das Landesarbeitsgericht zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die in Rede stehende Kündigungsregelung im Vergleich zu der im RTV Angestellte geltenden Regelung, die auf die gesetzlichen Bestimmungen Bezug nimmt, mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, an den auch die Tarifpartner gebunden sind.

Das Berufungsgericht hat, wie eingangs ausgeführt, funktions- und branchenspezifische Interessen für eine unterschiedliche Gestaltung der Grundkündigungsfristen von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten ausreichen lassen und dabei zusätzlich angemerkt, die Regelung kürzerer Kündigungsfristen liege wegen der im Baugewerbe üblichen Fluktuation auch im Interesse der Arbeiter. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, im Baugewerbe seien die Arbeiter ausschließlich im Produktionsbereich beschäftigt, während die Angestellten weit überwiegend in der Verwaltung und Arbeitsvorbereitung tätig seien, sind für den Senat bindend nach § 561 ZPO. Ersichtlich geht auch die Revision davon aus, die Arbeiter seien überwiegend in der Produktion tätig, wo sich Konjunktureinbrüche möglicherweise rascher auswirken könnten.

a)Der Senat hat bisher in mehreren Entscheidungen, die sich mit den Kündigungsfristen für Arbeiter in anderen Tarifverträgen befassen (Urteile vom 21. März 1991 - 2 AZR 616/90 - EzA § 622 BGB n. F. Nr. 31, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; - 2 AZR 323/84 - EzA, § 622 BGB n. F. Nr. 33 sowie vom 29. August 1991 - 2 AZR 220/91 A - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 35) im Anschluß und unter Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) entschieden, wenn die Grundfristen oder die verlängerten Fristen für die ordentliche Kündigung von Arbeitern in Tarifverträgen eigenständig geregelt seien, hätten die Gerichte für Arbeitssachen in eigener Kompetenz zu prüfen, ob die Kündigungsregelungen im Vergleich zu den für Angestellte geltenden Bestimmungen mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG vereinbar seien, an den auch die Tarifpartner uneingeschränkt gebunden seien. An sachlichen Gründen für unterschiedliche Regelungen fehle es, wenn eine schlechtere Rechtsstellung der Arbeiter nur auf einer pauschalen Differenzierung zwischen den Gruppen der Angestellten und der Arbeiter beruhe. Sachlich gerechtfertigt seien hinreichend gruppenspezifisch ausgestaltete unterschiedliche Regelungen, die z. B. entweder nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe nicht intensiv benachteiligten, oder funktions-, branchen- oder betriebsspezifischen Interessen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages mit Hilfe verkürzter Kündigungsfristen für Arbeiter entsprächen (z. B. überwiegende Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion), wobei andere sachliche Differenzierungsgründe nicht ausgeschlossen seien. Dieser Prüfungsmaßstab gelte sowohl für unterschiedliche Grundfristen als auch für ungleich verlängerte Fristen für Arbeiter und Angestellte mit längerer Betriebszugehörigkeit und höherem Lebensalter. Zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder einem betrieblichen Interesse an einer flexiblen Personalplanung und -anpassung verlören allerdings bei längerer Betriebszugehörigkeit erheblich an Gewicht (Senatsurteil vom 29. August 1991 - 2 AZR 220/91 - EzA, aaO, zu II 4 c cc der Gründe).

b)Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen.

aa)Es erscheint bereits sachlich gerechtfertigt, wegen der bei Bauarbeitern im Vergleich zu Angestellten unterschiedlichen Fluktuation, die den eigenen Wünschen und Bedürfnissen dieses Personenkreises entspricht, unterschiedliche Grundkündigungsfristen zu regeln. Beide Vorinstanzen haben darauf hingewiesen, die Bauarbeiter seien zumindest in den ersten Jahren des Arbeitsverhältnisses wegen des häufigen Baustellen- und Ortswechsels und der damit verbundenen Änderung der Arbeitsbedingungen nicht an längeren Kündigungsfristen interessiert; die Erschwerung eines Arbeitsplatzwechsels, gerade in Zeiten einer Hochkonjunktur in denen der Arbeiter zu besseren Arbeitsbedingungen schnell wechseln könne, entspreche dagegen nicht seinem Interesse. Wenn dem unbestritten so ist, und die kurzen Kündigungsfristen in den ersten drei Tagen (§ 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau) belegen dies zusätzlich, dann liegt ein anerkennenswertes, sachliches Interesse an einer unterschiedlich langen Grundkündigungsfrist vor. Das Landesarbeitsgericht hat dies zusätzlich damit untermauert, dem Mobilitätsgesichtspunkt hätten die Tarifpartner auch dadurch Rechnung getragen, daß im allgemeinverbindlichen BRTV-Bau Vertragseinzelheiten nicht ausgehandelt zu werden brauchten; außerdem ermögliche die Urlaubsregelung im Baugewerbe es dem Arbeiter, trotz häufigen Stellenwechsels einen zusammenhängenden Urlaub zu nehmen. Demgegenüber besagt es wenig, wenn die Revision meint, die Urlaubskasse dürfe nicht im Kontext zu kurzen Kündigungsfristen gesehen werden. Wie die Existenz einer solchen Urlaubsregelung immerhin belegt, haben die Tarifpartner eine Fluktuation im produktiven Baugewerbe als üblich und regelungsbedürftig angesehen. Die Revision geht nicht darauf ein, ob die Bauarbeiter tatsächlich an einer Grundkündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartal interessiert wären. Eher das Gegenteil ergibt sich jedenfalls aus Verlautbarungen aus dem Baugewerbe (vgl. Sperner/ Brocksiepe/Egger/Henrich/Unkelbach, Die Sozialkassen der Bauwirtschaft, Stand 1976, Vorbem. 1, S. 13 f.; Karthaus/Müller, BRTV-Bau, 2. Aufl., Anm. zu § 12; Schröer in Baugewerbe Nr. 5/91, S. 39 f; ders. in Arbeitsrecht: Grundlagen für die Praxis im Baubetrieb, 1991, S. 382).

TEXTbb)Unabhängig hiervon ist jedenfalls im Baugewerbe angesichts der ganz überwiegenden Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion ein besonderes Interesse der Arbeitgeberseite anzuerkennen, auf Konjunktureinbrüche und Auftragsrückgänge unmittelbar und ohne erhebliche Zeitverzögerung reagieren zu können (vgl. dazu das zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmte Senatsurteil vom 23. Januar 1992 - 2 AZR 460/91 - betreffend den Tarifvertrag Textilindustrie Baden-Württemberg). Der Beklagte hatte unter Verteidigung der Vorinstanzentscheidungen sich auch hierauf berufen. Die Kündigung vom 13. November 1990 hat er mit "mangelnder Auftragslage" begründet. Auf die Abhängigkeit der Baubranche von der nur auf wenige Monate vorauszusehenden Auftragslage hat ebenfalls das Landesarbeitsgericht, ohne daß hierzu eine Rüge der Revision vorliegt, hingewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit angeführt, im Baugewerbe werde nicht nur strikt auftragsabhängig produziert, sondern die Arbeit auf den Baustellen sei außerdem noch saisonalen und Witterungseinflüssen ausgesetzt. Auch diese Annahmen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Da - wie unstreitig ist - nahezu alle Arbeiter in der Produktion tätig sind, ist es für diese Branche einsichtig, daß aus den vorgenannten Gründen ein Flexibilitätsbedürfnis vornehmlich im produktiven Bereich grundsätzlich anzuerkennen ist. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 82, 126, 152 f. = AP Nr. 28, aaO, zu C I 4 h der Gründe) nimmt an, Konjunktureinbrüche könnten sich in der Produktion rascher auswirken als im administrativen Bereich (ebenso Beuthien/Sponer, SAE 1991, 146, 148; Molitor, RdA 1989, 240, 242; Trieschmann, Ungleichbehandlung im gesetzlichen Arbeitsvertragsrecht, in Festschrift für Herschel, 1982, S. 422 ff., 440). Daß Umsatzentwicklungen in der Regel erkennbar seien und deshalb bereits frühzeitige Kündigungen mit längerer Kündigungsfrist möglich seien, behauptet der Kläger - zumal für den Kleinbetrieb des Beklagten - selber nicht. Dies ändert im übrigen nichts daran, daß Anpassungen sich zunächst und unmittelbar im produktiven Bereich auswirken. Selbst wenn Auftragsbestände in der Baubranche einen Zeitraum von drei Monaten abdecken, so kann dem eine ältere Belegschaft mit längeren Kündigungsfristen (§ 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau) gegenüberstehen, was es gerade deshalb erforderlich macht, betriebsbedingte Kündigungen bei Arbeitern mit kürzerer Betriebszugehörigkeit verhältnismäßig rasch umsetzen zu können. Gerade weil bei längerer Betriebszugehörigkeit sachliche Differenzierungsgründe für unterschiedliche Wartezeiten immer weniger anzuerkennen sind, weil dem sowohl ein höheres Schutzbedürfnis der betroffenen Arbeitnehmer entgegensteht als auch im Hinblick auf die von beiden Arbeitnehmergruppen unterschiedslos erbrachte Betriebstreue Gründe für deren unterschiedliche Behandlung nivelliert werden (BVerfGE 62, 256, 285 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB, zu B II 6 der Gründe; Senatsurteil vom 29. August 1991 - 2 AZR 220/91 A - EzA § 622 BGB n. F. Nr. 35, zu II 4 c der Gründe), wird der Handlungsspielraum des Arbeitgebers so eingeengt, daß er jedenfalls bei den Grundfristen zur Erhaltung einer unternehmerischen Anpassung und Gestaltung umso eher erhalten bleiben muß.

Wenn dabei keine völlige Gleichstellung mit den Angestellten erreicht wird, so ist das unerheblich. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt keine "Gleichmacherei" (ähnlich BVerfGE 39, 169, 186). Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen (nur) in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 62, 256, 274 = AP, aaO, zu B I der Gründe; BVerfGE 82, 126, 146 = AP, aaO, zu C I 1 der Gründe). Außerdem hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 30. Mai 1990 geprüft, ob eine "beträchtliche" Ungleichbehandlung vorliegt und hat diese für die gesetzliche Regelung im einzelnen herausgestellt. Da hier die zwar nach wie vor bestehende Ungleichbehandlung sachlich begründbar ist, erscheint sie in Verbindung mit der anderen branchenspezifischen Schichtung von Arbeitern und Angestellten noch hinnehmbar (ähnlich Buchner, NZA 1991, 41, 49).

Dafür spricht auch, daß die Tarifpartner mit der Regelung in § 12 Ziff. 1.2 Satz 3 BRTV-Bau bei Arbeitern - anders als bei Angestellten - einen gewissen Ausgleich im Bereich des Bestandsschutzes dadurch geschaffen haben, daß Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit ohne Veranlassung des Arbeitnehmers und unterhalb von sechs Monaten zusammengerechnet werden, so daß das Arbeitsverhältnis als nicht unterbrochen gilt. Dies verschafft dem Arbeiter evtl. schon beim Kündigungsschutz trotz Nichterfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG (siehe dazu BAGE 64, 209 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit), jedenfalls aber bei der Berechnung der längeren tariflichen Kündigungsfrist, Vorteile. Gerade in letzterem Zusammenhang wird mit dieser Vorschrift eine Annäherung an die für Angestellte geltenden Kündigungsfristen angestrebt (zu den verlängerten Kündigungsfristen älterer Bauarbeiter nach § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau vgl. Senatsbeschluß vom 21. März 1991 - 2 AZR 296/87 B - EzA § 622 BGB n. F. Nr. 32).

Allerdings haben die Tarifpartner die Anrechnungsklausel nur für betriebsbedingte Entlassungen vorgesehen. Dies bestätigt aber zumindest indirekt, daß auch sie in der Baubranche ein Bedürfnis nach flexibler Personalwirtschaft grundsätzlich gesehen und berücksichtigt haben. Es besteht daher eine Notwendigkeit auftrags-, witterungs- und saisonbedingten Produktionseinschränkungen mit einer flexiblen Personalpolitik von vornherein begegnen zu können. Wenn die Tarifpartner dem u. a. durch die vorliegende Grundkündigungsfrist generell, also nicht nur für betriebsbedingte Kündigungen, Rechnung getragen haben, so spricht dies dafür, daß sie den Anteil der betriebsbedingten im Vergleich zu den verhaltens- und personenbedingten Kündigungen möglicherweise besonders hoch veranschlagt oder jedenfalls für ausschlaggebend angesehen haben. Den Tarifpartnern ist insoweit im Rahmen der ihnen gewährten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) eine sachverständige Beurteilungskompetenz einzuräumen. Letztlich verkennt das auch die Revision nicht, wenn sie das bezüglich betriebsbedingter Kündigungen ebenso sieht, aber zusätzlich auf die Kündigungsfrist eines wegen Krankheit gekündigten Arbeiters hinweist.

cc)Der Vorrang solcher tariflicher Regelungen ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 622 Abs. 3 BGB im Hinblick auf die Tarifautonomie aus Zweckmäßigkeitserwägungen anerkannt worden (BT-Drucks. V/3913, S. 10; siehe auch Erman/Küchenhoff, BGB, 7. Aufl., § 622 Rz 10; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 BGB Rz 119; Richardi, ZfA 1971, 73, 86), wobei der Gesetzgeber sich von der Erwägung hat leiten lassen, die gesetzliche Fristenregelung könne für gewisse Bereiche, z. B. gerade für die Bauwirtschaft (]), zu starr sein; er hat das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer bei tariflichen Regelungen als hinreichend gewahrt angesehen, weil die Tarifpraxis lehre, daß kürzere Fristen nur vereinbart würden, wenn die Besonderheiten des Wirtschaftszweiges oder der Beschäftigungsart das notwendig machten (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 29. August 1991 - 2 AZR 72/91 - unveröffentlicht, zu II 2 b der Gründe).

Die Tarifpartner haben hiernach Gestaltungsfreiheit, wobei es nicht Sache der Gerichte ist zu prüfen, ob dabei jeweils die "gerechteste" und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde; die Gerichte haben lediglich zu kontrollieren, ob die tarifliche Regelung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifparteien überschreitet, was nur dann der Fall ist, wenn Differenzierungen vorgenommen werden, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht vorhanden sind (BAG Urteil vom 1. Juni 1983 - 4 AZR 566/80 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Deputat; BAGE 54, 210 = AP Nr. 3 zu § 52 BAT; Senatsurteil vom 3. Dezember 1987 - 2 AZR 439/87 - unveröffentlicht, zu II 2 a der Gründe; für das staatliche Gesetzesrecht: BVerfG Beschluß vom 26. März 1980 - 1 BvR 121 und 122/76 - BVerfGE 54, 11, 25 f. = AP Nr. 116 zu Art. 3 GG, zu B I 1 der Gründe, m. w. N.). Allerdings sind die Tarifparteien durch § 622 Abs. 3 BGB nicht zu Regelungen ermächtigt, die dem Gesetzgeber selbst durch die Verfassung verboten sind (Senatsbeschluß vom 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - AP Nr. 24 zu § 622 BGB; vgl. dazu auch Sachs, RdA 1989, 25 ff.). Insbesondere können zu ihren Gunsten keine weitergehenden Eingriffsbefugnisse aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet werden (ständige Rechtsprechung seit BAGE 1, 258, 262 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; ebenso Bengelsdorf, NZA 1991, 121, 130; Buchner, NZA 1991, 41, 47; Marschollek, DB 1991, 1069, 1071). Insofern macht es aber einen Unterschied, ob der Gesetzgeber für die Großgruppen aller Arbeiter und Angestellten oder die Tarifpartner nur für die Arbeitnehmer einer bestimmten Branche Regelungen treffen (BVerfGE 82, 126, 154 = AP, aaO, zu C I 6 der Gründe). Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifparteien ist jedenfalls dann, wenn sich dafür konkrete Anhaltspunkte ergeben, davon auszugehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt wurden. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. März 1991 (- 2 AZR 616/90 - EzA, aaO, zu II 2 c der Gründe) ausgeführt hat, besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen - sie haben die Vermutung für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln (BAGE 22, 144, 151 = AP Nr. 12 zu § 15 AZO, zu IV 3 der Gründe; BAGE 38, 118 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

dd)In diesem Sinne spricht auch für eine ausgewogene tarifliche Regelung der Kündigungsfristen, daß die Tarifpartner der Bauindustrie neben den begleitenden Tarifverträgen für Urlaub, Lohnausgleich, Schlechtwettergeld usw. speziell im Kündigungsbereich u. a. mit der Regelung über die Zusammenrechnung unterbrochener Betriebszugehörigkeitszeiten (§ 12 Ziff. 1.2 Satz 3 BRTV-Bau) und mit der Regelung in § 3 Abs. 4 TV Lohnausgleich (Verlängerung der ausgesprochenen Kündigungsfrist) sich nicht ausschlaggebend an der inzwischen für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Regelung (§ 622 Abs. 2 BGB) orientiert haben. Es kann deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, die Vorstellung und der Gestaltungswille der Tarifpartner sei von vornherein bei der Regelung der Grundkündigungsfristen des BRTV-Bau durch die seit langem bestehende gesetzliche Rechtslage geprägt gewesen. Sie haben mit der tarifvertraglichen Regelung einen Personenkreis erfaßt, der - anders als bei der gesetzlichen Regelung - mit den Großgruppen aller Arbeiter und Angestellten nicht identisch und deshalb nicht gleichsetzbar ist; der in Rede stehende Tarifvertrag betrifft vielmehr nur einen bestimmten, abgegrenzten Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum der Arbeitnehmerschaft (siehe dazu auch BVerfGE 82, 126, 154 = AP, aaO, zu C I 6 der Gründe).

Hillebrecht Triebfürst Bitter

Jansen Dr. Engelmann

 

Fundstellen

DB 1992, 1935-1936 (LT1)

AiB 1992, 662 (LT1)

NZA 1992, 886

NZA 1992, 886-889 (LT1)

RdA 1992, 287

RzK, I 3e 26 (LT1)

ZAP, EN-Nr 887/92 (S)

AP § 622 BGB (LT1), Nr 38

AR-Blattei, ES 1010.5 Nr 34 (LT1)

EzA § 622 nF BGB, Nr 43 (LT1)

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