Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Zusatzversorgung der Deutschen Bundespost

 

Normenkette

Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 24; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.1994; Aktenzeichen 14 Sa 20/94)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 15.07.1993; Aktenzeichen 6 Ca 697/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Würrtemberg vom 21. Juni 1994 – 14 Sa 20/94 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Umfang des Zusatzversorgungsanspruchs, den die Klägerin seit dem 1. Februar 1992 hat.

Die am 14. Oktober 1931 geborene Klägerin ist Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft. Sie war vom 1. April 1967 bis zum 31. Januar 1992 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Arbeiterin in Teilzeit beschäftigt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit schwankte zwischen 10,5 und 23 Stunden.

Nach § 24 des von der Deutschen Bundespost mit der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrages für Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) sind die Arbeiter bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages der Deutschen Bundespost in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. § 3 des Versorgungstarifvertrages bestimmte vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

  1. er das 17. Lebensjahr vollendet hat,
  2. er vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VAP erfüllen kann, wobei frühere Zeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind,
  3. seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt.”

Die bis zum 31. Dezember 1987 § 3 Buchst. c Versorgungstarifvertrag entsprechende Vorschrift des § 3 Buchst. b lautete:

„seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt.”

Seit dem 1. April 1991 gilt § 3 Buchst. c in der folgenden Fassung:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

c) er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist.”

Die Klägerin, die aufgrund der von ihr geschuldeten Wochenarbeitszeit nicht während ihres gesamten Arbeitsverhältnisses bei der VAP versichert war, ist am 31. Januar 1992 altersbedingt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Sie bezieht seither die gesetzliche Rente. Sie hat den Standpunkt eingenommen, sie müsse neben ihrer gesetzlichen Rente eine Zusatzversorgung erhalten, als wäre sie während ihres gesamten Arbeitsverhältnisses bei der VAP versichert gewesen. Die tarifliche Regelung, die unterhälftig beschäftigte Arbeiter von der Zusatzversorgung ausschließe, sei nichtig.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin – beginnend mit dem 1. Februar 1992 – eine monatliche Rente in der Höhe zu zahlen, die zu zahlen wäre, wenn sie im gesamten Beschäftigungszeitraum einer ständigen Beschäftigung vom 1. April 1967 bis 31. Januar 1992, auch für die Zeiträume vom 1. April 1967 bis zum 30. September 1970 bei der VAP versichert gewesen wäre,

hilfsweise

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die vorgenannten Zeiträume auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres Arbeitsentgelts entsprechenden Weise bei der VAP nachzuversichern.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die tarifliche Bestimmung für wirksam. Sie verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen Art. 119 EG-Vertrag. Jedenfalls dürfe der Gleichheitssatz nicht rückwirkend zu Lasten der Beklagten angewendet werden. Dies gelte besonders, weil sich hieraus eine übermäßige zusätzliche Kostenbelastung ergeben würde. Darüber hinaus sei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag und dem Zusatzprotokoll des Vertrages von Maastricht zu Art. 119 EG-Vertrag zu entnehmen, daß eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes im Betriebsrentenrecht für Zeiten vor dem 17. Mai 1990 ausscheide.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben nach dem Hauptantrag entschieden. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann noch nicht abschließend entschieden werden, für welche Beschäftigungszeiten die Beklagte der Klägerin Zusatzversorgung schuldet.

A. Der Senat hat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 583/94 – und – 3 AZR 625/94 – n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt im Hinblick auf das Alter der Klägerin gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen. Überdies steht nicht fest, ob die Beklagte in diesem Verfahren Verfassungsbeschwerde einlegen wird. Die von der Beklagten vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken waren im wesentlichen bereits Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom 28. Juli 1992 (BAGE 71, 29 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung), die das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 7. Februar 1994 (– 1 BvR 1749/92 –) ohne weitere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der Senat wird auf diese Bedenken gleichwohl ebenso wie auf die auf Europarecht gestützten Überlegungen der Beklagten noch einmal eingehen. Erst hiernach und nach abschließender Entscheidung der Fachgerichtsbarkeit kann die Beklagte entscheiden, ob sie Verfassungsbeschwerde einlegen will.

B. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Feststellung eines Anspruchs der Klägerin auf Verschaffung einer Zusatzversorgung. Dieses Prozeßziel hat die Klägerin bereits in der Klageschrift genannt, indem sie darauf hinwies, sie strebe, „gleich auf welchem Wege die Beklagte dies regele”, eine den Beschäftigungszeiten entsprechende Zusatzversorgung an.

Der von den Vorinstanzen zuerkannte Feststellungsantrag umfaßt die gesamte Beschäftigungszeit der Klägerin bei der Beklagten. Zwar wird die Beschäftigungszeit vom 1. April 1967 bis 30. September 1970 besonders hervorgehoben. Das Landesarbeitsgericht hat aber antragsgemäß auch die übrige Beschäftigungszeit der Klägerin bei der Beklagten ausdrücklich in den Entscheidungstenor aufgenommen. Damit sollte ersichtlich die gesamte Beschäftigungszeit der Klägerin bei der Beklagten als der Bezugszeitraum festgestellt werden, auf dessen Grundlage die Beklagte eine Zusatzversorgung zu verschaffen hat.

Der hierauf gerichtete Feststellungsantrag ist zulässig.

I. Der Antrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die für den Inhalt des Anspruchs nach ihrer Auffassung maßgeblichen Umstände hat die Klägerin angegeben.

II. Für diesen Antrag besteht auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin ist Rentnerin. Der Versorgungsfall ist eingetreten.

2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Inhalts ihres Verschaffungsanspruchs. Dies gilt auch dann, wenn der Versorgungsfall eingetreten und deshalb eine Leistungsklage an sich möglich ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt. Er dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Dementsprechend ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. Im vorliegenden Fall erfordert die Bezifferung der Versorgungsleistungen zum einen die Aufklärung länger zurückliegender Sachverhalte, zum anderen aufwendige und schwierige Berechnungen, die wegen des differenzierten Systems der Zusatzversorgungskasse und der zahlreichen Satzungsänderungen nur von besonders geschulten Personen zuverlässig durchgeführt werden können. Beiden Parteien kann dieser Aufwand erst dann zugemutet werden, wenn feststeht, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine den tariflichen Vorschriften entsprechende Versorgung zu verschaffen (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

C. Es kann noch nicht festgestellt werden, in welchem Umfang die Klage begründet ist.

I. Die Beklagte muß der Klägerin Versorgungsleistungen verschaffen, als wäre sie in den Beschäftigungszeiten bei der VAP versichert gewesen, in denen sie aufgrund einer mehr als geringfügigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig war und Rentenanteile in der gesetzlichen Rentenversicherung erdient hat. Für die übrigen Beschäftigungszeiten besteht kein Verschaffungsanspruch der Klägerin.

1. Der Verschaffungsanspruch der Klägerin für die Zeiten einer mehr als geringfügigen Beschäftigung folgt aus § 24 TV Arb. Der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist insoweit unwirksam, als er die mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. zuletzt Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Er hält an seiner Rechtsprechung trotz der von der Beklagten vorgebrachten Bedenken fest.

a) Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Dies wird im Urteil des Senats vom 7. März 1995 (aaO) näher ausgeführt. Auf die Begründung kann der Senat Bezug nehmen.

b) Der bis zum 31. März 1991 geltende Ausschluß von mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräften wird den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht. Der Senat hat den Inhalt des Gleichheitssatzes im Urteil vom 7. März 1995 beschrieben. Er ist zu der Überzeugung gelangt, daß es keine sachlich einleuchtenden Gründe für eine Gruppenbildung gab, die allein auf den zeitlichen Umfang der Arbeit abstellt.

aa) In diesem Zusammenhang hat der Senat die Auffassung vertreten, es komme nicht darauf an, welche Rechtsüberzeugungen während der Zeit bestanden, in der nach dem Versorgungstarifvertrag unterhälftig beschäftigte Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung ausgeschlossen waren (Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – aaO, zu B II 2 d bb der Gründe). Die Beklagte meint demgegenüber, der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG habe sich trotz gleichen Wortlauts im Laufe der Zeit geändert. Art. 3 Abs. 1 GG habe mindestens bis 1986 die Differenzierung nach dem zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung gestattet. Das habe einer allgemeinen Rechtsüberzeugung entsprochen. Erst ab 1986 habe Art. 3 Abs. 1 GG einen anderen Inhalt.

Der Senat kann dieser Auffassung nicht folgen. Zwar kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Änderung der Beurteilung einer Rechtsfrage führen. Im vorliegenden Fall haben sich aber die tatsächlichen Verhältnisse in bezug auf Teilzeitarbeit nicht entscheidend geändert. Lediglich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat zugenommen. Die Rechtsfrage, wie Teilzeit arbeitsrechtlich zu ordnen ist, ist die gleiche geblieben.

Von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist eine Änderung der jeweiligen Rechtsauffassung, der Wandel der Rechtserkenntnisse, zu unterscheiden. Ein solcher Wandel führt aber nicht schon zu einer Änderung der Norm. Er kann allenfalls einer Rechtsprechung entgegenstehen, welche die heutigen Vorstellungen auf Sachverhalte überträgt, die längere Zeit zurückliegen. Hierauf ist noch einzugehen.

bb) Im übrigen verweist der Senat, was die Gruppenbildung und deren rechtliche Beurteilung betrifft, auf seine Ausführungen im bereits erwähnten Urteil vom 7. März 1995.

c) Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Im übrigen sind die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen einschließlich der den Versorgungsanspruch begründenden Grundregel des § 24 TV Arb wirksam. Die Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte, führt zur Anwendbarkeit der Grundregel. Gegen diese rechtliche Würdigung hat die Beklagte keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen. Der Senat kann deshalb auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995 Bezug nehmen.

d) Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen führt nicht zum Wegfall oder zu einer Einschränkung des Verschaffungsanspruchs. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückwirkungsschutz kann auch nicht auf Europarecht gestützt werden.

aa) Der Senat unterscheidet zwischen der Änderung der Rechtsprechung und einer Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze. Die Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Wandel der Rechtsauffassungen. Jedenfalls gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, etwa im Bereich der Rechtsfortbildung. Umgekehrt gilt, daß jeder Richter seiner Entscheidung die Erkenntnisse zugrunde legen muß, die er hier und heute gewinnt. Auch das hat der Senat eingehend im Urteil vom 7. März 1995 dargelegt (zu B IV 1 und 2 der Gründe). Hierauf wird zunächst Bezug genommen.

Im Hinblick auf die Bedenken der Beklagten ist ergänzend auszuführen:

(1) Die Erwartung eines Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien, die beschlossene oder vereinbarte Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ersetzt keine fehlenden Sachgründe. Weder verbreitete Rechtsansichten noch eine Rechtsprechung verändern die objektive Rechtslage. Auch im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt ein Vertrauen darauf entstehen kann, daß die Gerichte trotz besserer Erkenntnisse ihre Rechtsprechung nicht mehr für zurückliegende Zeiträume ändern. Zumindest hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die nicht nur Ursache und Umfang eines Vertrauens in eine bestimmte Gesetzesauslegung, sondern auch die Idee der materiellen Gerechtigkeit zu berücksichtigen hat, die eine objektiv richtige Rechtsanwendung erfordert. Da die Rechtsprechung zum Gleichbehandlungsgrundsatz und zum Gleichheitssatz nicht abgeschlossen war, sondern sich erkennbar fortentwickelte, konnte allenfalls ein eingeschränktes Vertrauen in die bisherige Rechtsanwendung entstehen. Wie der Senat im Urteil vom 7. März 1995 näher ausgeführt hat, verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes.

(2) Der Senat hat die sich aus der Rechtsprechung ergebenden finanziellen Belastungen der Beklagten in seine Abwägungen einbezogen und nicht gering geschätzt, wobei die Beklagte sich allerdings im wesentlichen nur auf die für ihre Rechtsvorgängerin errechneten Mehrbelastungen bezogen hat, die auf deren drei Rechtsnachfolgerinnen aufzuteilen sind. Der Senat hat die voraussichtlichen Mehrkosten zu den Gesamtkosten in Beziehung gesetzt, welche die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin für die Zusatzversorgung und für die Vergütung ihrer Arbeitnehmer aufwenden müssen. Außerdem sind auch die Interessen des Arbeitgebers und die Interessen der Arbeitnehmer an der Durchsetzung ihrer Rechte abzuwägen. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist in besonderem Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, selbst wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird.

(3) Die Tarifvertragsparteien konnten mit ihrer Regelung aus dem Jahre 1992 (Änderung des Tarifvertrages und Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten mit Ausnahme der geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer) die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht für die Zeit vor dem 1. April 1991 ausschließen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (vgl. Nachweise im Urteil des Senats vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu B II 2 a der Gründe).

bb) Auf Art. 119 EG-Vertrag und auf die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag kann sich die Beklagte zur Begründung ihres Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht berufen. Mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen hat die vorliegende Entscheidung nichts zu tun. Es geht nur um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Das Geschlecht der Arbeitnehmer spielt bei der Entscheidung des Senats keine Rolle. Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.

Für die Auffassung der Beklagten, die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthalte einen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen sei, bieten weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte dieser Norm Anhaltspunkte. Es kann in dieser Bestimmung nur um eine Beschränkung der rückwirkenden Belastungen aus der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag gehen. Diese Auslegung der Protokollerklärung ist entgegen der Auffassung der Beklagten derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Der Senat brauchte deshalb die Sache nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG-Vertrag). Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat (EuGH Urteile vom 28. September 1994 – Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 33).

e) Der Anspruch auf Verschaffung der Versorgung ist nicht verjährt. Die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einzelner Raten können zwar verjähren. Die Verjährung beginnt aber erst mit der Entstehung des Anspruchs. Die streitigen Ansprüche der Klägerin für die Zeit ab 1. Februar 1992 sind nicht verjährt. Die Klage wurde vor dem 31. Dezember 1994 erhoben.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin aber keinen Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung wegen der Beschäftigungszeiten, in denen sie nur geringfügig beschäftigt war und keine Rentenanteile in der gesetzlichen Rentenversicherung erdient hat. Insoweit ist die Klage unbegründet.

Tarifliche Regelungen, die unterhälftig Teilzeitbeschäftigte aus dem Versorgungswerk ausnehmen, sind rechtswirksam, soweit sie denen keine Zusatzversorgungsansprüche einräumen, die aufgrund ihres geringen Arbeitsverdienstes oder geringen Arbeitsumfangs keine gesetzliche Grundaltersversorgung erdienen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Zusatzversorgung wie die bei der VAP als Gesamtversorgungssystem ausgestaltet ist (Senatsurteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

In diesem Umfang verstößt die Ausschlußregelung weder gegen den Gleichheitssatz der Verfassung noch gegen Diskriminierungsverbote. Dies ergibt sich aus dem Zweck einer Zusatzversorgung in einem Gesamtversorgungssystem. Es geht hier darum, den durch die gesetzliche Grundversorgung gesicherten Lebensstandard im Alter aufzubessern. Gegenleistung für die im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung und Betriebstreue ist nicht eine bestimmte Zusatzrente, sondern die Verbesserung der wirtschaftlichen Existenzsicherung im Alter auf ein bestimmtes über die gesetzliche Grundsicherung hinausgehendes Niveau.

Dieser Leistungszweck ist nicht erreichbar, wenn der Arbeitnehmer während der Beschäftigung keine gesetzliche Rente erdient. Eine „Gleichbehandlung” solcher Arbeitnehmer mit denjenigen, deren gesetzliche Rente durch die Zusatzversorgung aufgebessert wird, würde den von den Tarifvertragsparteien im Rahmen der Tarifautonomie verbindlich gesetzten Leistungszweck verändern. Dies kann nicht Ergebnis der Anwendung des Gleichheitssatzes oder eines Diskriminierungsverbotes sein (vgl. hierzu auch Senatsurteile vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539/93 und 684/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

II. Auf dieser rechtlichen Grundlage steht nicht fest, für welche Beschäftigungszeiten die Beklagte der Klägerin eine Zusatzversorgung schuldet. Dies wird das Landesarbeitsgericht im einzelnen festzustellen haben.

Die Beklagte beruft sich darauf, daß die Klägerin während eines Teils der geltend gemachten Beschäftigungszeit nur geringfügig beschäftigt war. Sie trägt hierzu zwar nicht im einzelnen vor. Aus dem von der Klägerin selbst vorgelegten Nachweis der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost ergibt sich jedoch, daß während längerer Beschäftigungszeiten eine geringfügige Beschäftigung i.S. des § 168 RVO oder des § 8 SGB IV in Betracht kommt, während deren eine Sozialversicherungspflicht nicht bestand. Nach den im Nachweis aufgeführten Entgelten der Klägerin wäre dies in den Jahren 1970 bis 1980 an sich möglich, genauere Feststellungen fehlen hierzu jedoch. Auf der anderen Seite steht aufgrund des Nachweises aber fest, daß die Klägerin jedenfalls mehr als fünf Jahre lang versicherungspflichtig beschäftigt war. Zumindest in der Zeit vom 1. Januar 1981 bis zum 31. Oktober 1991 hat die Klägerin hiernach einen Verdienst erzielt, der mehr als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße ausgemacht hat (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV).

 

Unterschriften

Bepler, Kremhelmer, Dr. Heither, Michels, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI952037

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