Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialkassenbeitrag. Aufrechnung

 

Leitsatz (amtlich)

§ 14 Abs 6 TV Vorruhestandsverfahren berechtigt einen baugewerblichen Arbeitgeber nicht, die Zahlung des Sozialkassenbeitrags mit der Begründung zu kürzen, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes sei ihm schadenersatzpflichtig, weil sie ihn veranlaßt habe, tarifwidrig Vorruhestandsgeld auszuzahlen. Für diesen Schadenersatzanspruch gilt das Aufrechnungsverbot nach § 12 Abs 3 Satz 2 Verfahrenstarifvertrag.

 

Normenkette

ArbGG § 46a Abs. 5; Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrenstarifvertrag) vom 19. Dezember 1983 i.d.F. vom 12. Dezember 1984 § 2 Abs. 2; Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrenstarifvertrag) vom 19. Dezember 1983 i.d.F. vom 12. Dezember 1984 § 7 Abs. 3; Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrenstarifvertrag) vom 19. Dezember 1983 i.d.F. vom 12. Dezember 1984 § 12 Abs. 3 S. 2; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe (Vorruhestandstarifvertrag) vom 26. September 1984 § 8 Abs. 1; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe (Vorruhestandstarifvertrag) vom 26. September 1984 § 10 Abs. 1; Tarifvertrag über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe (TV Vorruhestandsverfahren) vom 12. Dezember 1984 § 14 Abs. 6

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 18.01.1988; Aktenzeichen 14 Sa 268/87)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 26.11.1986; Aktenzeichen 7 Ca 2235/86)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Januar 1988 – 14 Sa 268/87 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte beschäftigte in ihrem baugewerblichen Betrieb bis zum 28. Februar 1985 den Arbeitnehmer P…. Dieser ist am 11. April 1922 geboren. Am 1. März 1985 trat er in den Vorruhestand.

Im Vorbescheid vom 25. Februar 1985 hatte die Klägerin der Beklagten mitgeteilt, diese könne “… im Rahmen der einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen Vorruhestandsgeld an den Arbeitnehmer zahlen und die Erstattung der … erbrachten Vorruhestandsleistungen … beantragen”. Im Erstattungsbescheid vom 22. Mai 1985 teilte die Klägerin der Beklagten mit, das Vorruhestandsgeld betrage 2.677,51 DM monatlich. Weiter kündigte die Klägerin an, sie werde dem Beitragskonto der Beklagten monatlich einen Betrag in dieser Höhe gutschreiben, “solange die tarifvertraglichen Voraussetzungen gegeben sind”. Mit der Vollendung des 63. Lebensjahres am 11. April 1985 konnte der frühere Arbeitnehmer P… vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen. Die Beklagte zahlte jedoch das Vorruhestandsgeld an ihn bis einschließlich Dezember 1985 aus. Die Beträge setzte sie von den Sozialkassenbeiträgen ab, die sie an die Klägerin abzuführen hatte.

Mit dem am 4. April 1986 zugestellten Mahnbescheid hat die Klägerin die Zahlung rückständiger Sozialkassenbeiträge in Höhe von insgesamt 18.019,71 DM verlangt. Die Beklagte hat am 17. April und am 16. Juni 1986 in dieser Höhe Zahlungen an die Klägerin geleistet.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Klageanspruch erfüllt. Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Klageanspruch habe bereits bei Klageerhebung nicht bestanden. Sie habe in dieser Höhe ihre Beitragszahlungen um das für die Monate Mai bis Dezember 1985 an P… geleistete Vorruhestandsgeld gekürzt. Dazu sei sie tarifvertraglich berechtigt gewesen. Daß der Anspruch auf Vorruhestandsgeld nur für die Monate März und April 1985 bestanden habe, habe sie nicht erkennen können. Schon aufgrund des Vorbescheids habe sie davon ausgehen dürfen, daß die Klägerin auch die Leistungen für Mai bis Dezember 1985 erstatten werde. Während des ganzen Jahres 1985 habe die Klägerin ihr Quittungen erteilt, so daß sie angenommen habe, ihr Beitragskonto sei ausgeglichen. Jedenfalls sei die Klägerin ihr zum Schadenersatz verpflichtet, weil sie nicht mitgeteilt habe, daß weitere Vorruhestandsleistungen nicht erstattet würden. Die Zahlungen vom 17. April und vom 16. Juni 1986 habe sie geleistet, um ihr Beitragskonto bei der Beklagten auszugleichen. Dies sei Voraussetzung gewesen, um weiterhin an dem sogenannten Quittungsverfahren teilnehmen zu können, in dem ein Arbeitgeber von seiner Bausbank für Rechnung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft Erstattung der von ihm vorgelegten und an die Arbeitnehmer ausgezahlten Urlaubs beträge verlangen kann.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision bittet die Beklagte weiterhin um Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt. Der Klägerin stand der auf Zahlung rückständiger Sozialkassenbeiträge gerichtete Klageanspruch in Höhe von 18.019,71 DM zu. Die Beklagte hat diesen Anspruch durch die Zahlungen vom 17. April und 16. Juni 1986 erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Anspruch nicht schon vor Rechtshängigkeit (4. April 1986, vgl. § 46a Abs. 5 ArbGG) erloschen. Die Beklagte hat die Sozialkassenbeiträge nicht wirksam in Höhe der Zahlungen gekürzt, die sie für die Monate Mai bis Dezember 1985 an den früheren Arbeitnehmer P… geleistet hat.

I. Nach § 14 Abs. 6 des Tarifvertrags über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe (TV Vorruhestandsverfahren) vom 12. Dezember 1984 war die Beklagte berechtigt, die monatlichen Sozialkassenbeiträge in dem Umfang zu kürzen, in dem ihr gegen die Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von Vorruhestandsleistungen zustand. Dies war für die Monate Mai bis Dezember 1985 nicht der Fall.

1. Die tarifvertraglichen Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs lagen nicht vor.

Nach § 10 Abs. 1 des Tarifvertrags über den Vorruhestand im Baugewerbe (Vorruhestandstarifvertrag) vom 26. September 1984 erstattet die Klägerin dem Arbeitgeber die von ihm erbrachten Vorruhestandsleistungen. Die Zahlungen, die die Beklagte ab 1. Mai 1985 an den früheren Arbeitnehmer P… geleistet hat, waren keine Vorruhestandsleistungen. Nach § 8 Abs. 1 Vorruhestandstarifvertrag erlischt der Anspruch auf Vorruhestandsgeld mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor Vollendung des 65. Lebensjahres beanspruchen kann. Unstreitig konnte P… mit der Vollendung des 63. Lebensjahres am 11. April 1985 vorgezogenes Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 1 RVO beanspruchen. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung vor Vorruhestandsgeld erlosch somit am 30. April 1985 .

2. Die Klägerin hatte die Erstattungspflicht für die Zeit ab Mai 1985 auch nicht anerkannt.

a) Der Vorbescheid vom 25. Februar 1985 enthält ein solches Anerkenntnis nicht. Die Klägerin erklärte darin, die Beklagte könne die Erstattung von Vorruhestandsleistungen im Rahmen der tarifvertraglichen Bestimmungen beantragen. Diese Mitteilung enthält keine Anhaltspunkte dafür, die Klägerin wolle sich zu Leistungen verpflichten, auf die die Beklagte nach dem Tarifvertrag keinen Anspruch hat. Entsprechendes gilt für den Erstattungsbescheid vom 22. Mai 1985. Die darin enthaltene Ankündigung der Klägerin, sie werde dem Beitragskonto der Beklagten monatlich einen Betrag von 2.677,51 DM gutschreiben, war ebenfalls ausdrücklich daran geknüpft, daß die “tarifvertraglichen Voraussetzungen gegeben sind”.

b) Die Klägerin erkannte den Erstattungsanspruch auch nicht dadurch an, daß sie die Beklagte für die Zeit ab Mai 1985 weiterhin an dem Quittungsverfahren nach § 7 Abs. 3 des Tarifvertrags über das Verfahren für den Urlaub, den Bohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (Verfahrenstarifvertrag) vom 19. Dezember 1983 in der Fassung vom 12. Dezember 1984 teilnehmen ließ.

In diesem Verfahren erhält der Arbeitgeber die von ihm vorgelegten und an die Arbeitnehmer ausgezahlten Urlaubsbeträge erstattet, wenn er seiner Hausbank ein ausgefülltes Quittungsformular einreicht. Die Bank zahlt für Rechnung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (Kasse). Diese stellt dem Arbeitgeber das Quittungsformular zur Verfügung, nachdem sie ihn zum Quittungsverfahren zugelassen hat. Die Zulassung setzt voraus, daß das Beitragskonto für den Sozialkassenbeitrag des Arbeitgebers, das die Klägerin als Einzugsstelle führt (§ 2 Abs. 2 Verfahrenstarifvertrag), ausgeglichen ist.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Klägerin durch umgehende Mitteilung der tarifwidrigen Beitragskürzungen an die Kasse hätte veranlassen können, daß die Teilnahme der Beklagten am Quittungsverfahren widerrufen wurde (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Verfahrenstarifvertrag); dadurch wären weitere Beitragskürzungen verhindert worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Klägerin jedoch dadurch, daß sie eine solche Mitteilung an die Kasse unterließ, den Anspruch der Beklagten auf Vorruhestandserstattungen für die Monate Mai bis Dezember 1985 nicht anerkannt. In den beiden Bescheiden vom 25. Februar und 22. Mai 1985 hatte die Klägerin deutlich zu erkennen gegeben, daß der Umfang ihrer Zahlungspflicht sich ausschließlich nach den tarifvertraglichen Bestimmungen richten sollte. Die nachträgliche Anerkennung einer übertariflichen Leistungspflicht hätte somit deutlich zum Ausdruck kommen müssen. Allein in der Fortsetzung des formalisierten Quittungsverfahrens konnte sie nicht gesehen werden.

Der Sinn des Quittungsverfahrens verbietet es, allein dem Umstand, daß die Klägerin den Widerruf nicht veranlaßt hat, die Bedeutung beizumessen, die die Beklagte ihm entnimmt. Der Ausschluß vom Quittungsverfahren bei fehlendem Ausgleich des Beitragskontos (§ 7 Abs. 3 Verfahrenstarifvertrag) dient der Sicherung des Beitragsaufkommens. Unterläßt die Kasse den Widerruf, nimmt sie in Kauf, daß Beitragsrückstände entstehen, die notfalls im Klageweg geltend gemacht werden müssen. Es fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Kasse dem Arbeitgeber gegenüber, den sie weiterhin am Quittungsverfahren teilnehmen läßt, anerkennt, Beitragskürzungen, die zu dem negativen Kontostand geführt haben, seien berechtigterweise erfolgt.

II. Die Klageforderung war im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit auch nicht dadurch erloschen, daß die Beklagte gegen sie mit einem Schadenersatzanspruch aufgerechnet hatte.

Die Aufrechnung war nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Verfahrenstarifvertrag ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, gegen bestehende Beitragsrückstände aufzurechnen. § 14 Abs. 6 TV Vorruhestandsverfahren berechtigte die Beklagte nicht, ihre Beitragszahlungen wegen eines Schadenersatzanspruchs zu kürzen, der ihr angeblich gegen die Klägerin zustand. Diese Bestimmung setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraus, daß es sich bei der zur Kürzung berechtigenden Forderung des Arbeitgebers um einen Anspruch auf Vorruhestandserstattung handelt. Ein Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers erfüllt diese Voraussetzung nicht. Für ihn bewendet es bei dem Aufrechnungsverbot nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Verfahrenstarifvertrag. Es bedarf somit im vorliegenden Rechtsstreit, dessen Gegenstand ein Anspruch auf Zahlung von Sozialkassenbeitrag ist, keiner Entscheidung darüber, ob die Klägerin sich durch ihr Verhalten der Beklagten gegenüber schadenersatzpflichtig gemacht hat.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Eckhard Harnack, Hannig

 

Fundstellen

Haufe-Index 841076

RdA 1990, 312

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