Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Chefarztvertrages. Umfang des Liquidationsrechts

 

Normenkette

GOÄ vom 12. November 1982 (BGBl. I S. 1522): § 1 Abs. 2; GOÄ i.d.F. vom 9. Juni 1988 (BGBl. I S. 797, 819): § 4 Abs. 2; GOÄ i.d.F. vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210): § 4 Abs. 2; BGB §§ 133, 157; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 06.09.1994; Aktenzeichen 1 Sa 383/93)

ArbG Bremen (Urteil vom 23.04.1986; Aktenzeichen 9 Ca 9408/85)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 6. September 1994 – 1 Sa 383/93 – wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 6. September 1994 – 1 Sa 383/93 – insoweit aufgehoben, als es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 23. April 1986 – 9 Ca 9408/85 – zurückgewiesen hat.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, bei ambulant und stationär behandelten Patienten für Laborleistungen gegenüber Privatpatienten und selbstzahlenden Patienten zu liquidieren. Die Parteien sind darüber einig, daß dem Kläger dieses Recht im Rahmen seiner Tätigkeit als Durchgangsarzt für die Berufsgenossenschaft zusteht.

Der Kläger war vom 1. März 1972 bis zum 31. März 1996 als leitender Arzt der chirugischen Abteilung des R.-Krankenhauses … (R.) der Beklagten tätig. Der Dienstvertrag vom 10. April 1973 enthält u.a. folgende Regelungen:

㤠5

Freiberufliche Tätigkeit (Nebentätigkeit)

1. Herr Prof. Dr. H. hat das Recht der freiberuflichen Tätigkeit sowie als D-Arzt außerhalb und, falls es das Krankheitsbild als zweckdienlich bzw. erforderlich erscheinen läßt, auch innerhalb des Krankenhauses in Sprechstunden-Praxis und Konsiliar-Tätigkeit. Bei letzterer darf es sich nur um eine gelegentliche und nicht um eine gemäß Vereinbarung regelmäßig wiederkehrende ärztliche Tätigkeit handeln.

2. Durch die freiberufliche Tätigkeit dürfen die Belange des R. nicht beeinträchtigt werden. Die Versorgung der stationären Kranken muß stets der Schwerpunkt der Tätigkeit des Herrn Prof. Dr. H. sein, und der allgemeine Dienstbetrieb des Krankenhauses darf durch die nichtstationäre Tätigkeit nicht leiden.

§ 6

Liquidationsrecht

1. Herr Prof. Dr. H. hat das Recht der Liquidation in der Privatabteilung der 1., 2. und Separat-Klasse sowie bei Selbstzahlern der 3. Klasse. Entsprechendes gilt auch für seine Konsiliartätigkeit betreffend die Patienten der anderen Abteilungen des Krankenhauses.

3. Für stationäre und im Krankenhaus ambulant behandelte Selbstzahler, ebenso bei Benutzung von Einrichtungen und Beanspruchung von Hilfskräften des Krankenhauses (Gutachten, Sprechstunden-Patienten) ist hinsichtlich der Kostenanteile des R. und der Herrn Prof. Dr. H. verbleibenden Honoraranteile entsprechend den Grundsätzen des Senats vom 10. Februar 1959 über das Liquidationsrecht und die Nebentätigkeit der leitenden Ärzte der Städtischen Krankenanstalten etc. in der jeweils geltenden Fassung (zuletzt gemäß dem Änderungsbeschluß vom 17. Mai 1966) zu verfahren.

§ 16

Änderungen

Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. Mündliche Nebenabreden sind nichtig. Durch eine vom Vertragstext abweichende tatsächliche Übung werden Rechte und Pflichten nicht begründet.”

Seit Beginn seiner Tätigkeit bei der Beklagten liquidierte der Kläger gegenüber privatversicherten und selbstzahlenden Patienten auch für von ihm veranlaßte Laborleistungen, ohne daß dies von der Beklagten beanstandet wurde. Mit Schreiben vom 23. Dezember 1983 räumte die Beklagte dem Chefarzt der medizinischen Klinik Prof. Dr. G. für die Zeit ab 1. April 1983 das Liquidationsrecht für Laborleistungen bei ambulant behandelten Patienten ein. Dieser hatte bereits mit Schreiben vom 18. November 1968 ohne Erfolg beantragt, ihm das Liquidationsrecht für Laborleistungen einzuräumen. Auch schon vor Dezember 1983 hatte Prof. Dr. G. bei stationär untergebrachten Patienten der von ihm geleiteten medizinischen Klinik für Laborleistungen liquidiert. Prof. Dr. G. war vom 1. Juni 1975 bis 1989 Vorstandsmitglied der Beklagten.

Es kam zu Doppelliquidationen seitens des Klägers und Prof. Dr. G.. In einem Schriftwechsel zwischen beiden nahm jeder für sich das Recht auf Liquidation für Laborleistungen bei chirurgischen Patienten in Anspruch. Die Beklagte bestritt, daß dem Kläger ein Liquidationsrecht für Laborleistungen zustehe.

Mit Schreiben vom 4. April 1985 an Prof. Dr. G., den Kläger und einen weiteren Chefarzt gewährte die Beklagte Prof. Dr. G. „das Liquidationsrecht für Laborleistungen für eigene und fremde Wahlleistungspatienten und eigene und fremde ambulante selbstzahlende Patienten”, und zwar unter der Bedingung, daß er von den Liquidationseinnahmen aus Laborleistungen zugunsten von stationären Wahlleistungspatienten und ambulanten selbstzahlenden Patienten des Klägers und des anderen Chefarztes 50 % an diese Kollegen abführte. Weiter heißt es in dem Schreiben:

„5. Im übrigen erfolgt die Gewährung des Liquidationsrechts für Laborleistungen nur unter der auflösenden Bedingung, daß nicht im Rahmen einer rechtlichen Auseinandersetzung einem anderen Chefarzt dieses Liquidationsrecht rechtskräftig zugesprochen wird.”

Der Kläger liquidierte jedoch ab Januar 1985 weiterhin für Laborleistungen zugunsten seiner stationären Wahlleistungspatienten und ambulanten selbstzahlenden Patienten. Er führte 50 % der Honorare an den Chefarzt der Inneren Abteilung Prof. Dr. Gayer unter dem Vorbehalt der rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits ab.

Mit seiner am 9. Oktober 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe ein vertragliches Recht für die streitigen Liquidationen zu. Es sei seit 1971/72 üblich gewesen, daß chirurgische Chefärzte Laborleistungen für stationär und ambulant behandelte Patienten ihrer Abteilung liquidierten. Von den Liquidationen hätten der Verwaltungsdirektor der Beklagten und Prof. Dr. G., Chefarzt der medizinischen Klinik und Vorstandsmitglied der Beklagten, gewußt. Prof. Dr. G. habe mindestens seit 1978 für gegenüber stationär behandelten Patienten seiner Abteilung erbrachte Laborleistungen liquidiert. Aus dieser Kenntnis ergebe sich eine einverständliche Handhabung des Dienstvertrages. Die Beklagte habe auch durch Entgegennahme der Kostenanteile seine Verfahrensweise geduldet. Die lang andauernde einverständliche Vertragspraxis der Parteien sei bei der Auslegung des Dienstvertrages zu berücksichtigen.

Die Laborleistungen seien unter seiner Aufsicht und Weisung erbracht worden. Das Zentrallabor der Beklagten habe vor dem 4. April 1985 nicht unter der verantwortlichen Leitung des jeweiligen Leiters der Inneren Abteilung des Beklagten gestanden. Im übrigen verletzte die Beklagte den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn sie Prof. Dr. G. und einem weiteren Chefarzt für ihre jeweiligen Arbeitsbereiche das Liquidationsrecht für Laborleistungen zugestehe, ihm und einem anderen Chefarzt dagegen nicht.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß er – auch soweit es sich nicht um ambulante Laborleistungen bei in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Patienten handelt – berechtigt ist. Laborleistungen im stationären und ambulanten Bereich bei privatversicherten und selbstzahlenden Patienten zu liquidieren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, dem Kläger sei bei den Vertragsverhandlungen ein Liquidationsrecht für Laborleistungen nicht eingeräumt worden.

Von den gleichwohl erfolgten Liquidationen habe sie erst 1984 erfahren. Aus den Quartalsabrechnungen des Klägers über dessen Privathonorare und über die abzuführenden Honoraranteile sei dessen Verfahrensweise nicht ersichtlich gewesen. Für Laborleistungen bei stationären Wahlleistungspatienten habe sie früher nicht liquidiert, da diese durch den Pflegesatz abgedeckt gewesen seien. Das zentrale Labor unterstehe bereits seit dem 1. Dezember 1967 Herrn Prof. Dr. G. als Chefarzt der Inneren Abteilung. Der Kläger habe nicht die Aufsicht über das Labor gehabt. Er habe auch keine Weisungen bezüglich der Laborleistungen erteilt, sondern solche Leistungen lediglich angefordert.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger ein Liquidationsrecht für Laborleistungen nur im ambulanten Bereich zuerkannt, und zwar nach Beweiserhebung über die Frage, wem bis 1985 das Zentrallabor unterstellt war und über Art und Umfang der Einwirkung des Klägers auf das Zentrallabor der Beklagten. Auf die Revisionen beider Parteien hat der Senat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Daraufhin hat das Landesarbeitsgericht erneut dem Kläger ein Liquidationsrecht für Laborleistungen nur im ambulanten Bereich zuerkannt. Mit ihren vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Parteien ihre ursprünglichen Anträge weiter, soweit das Landesarbeitsgericht ihnen nicht bereits stattgegeben hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet, die Revision des Klägers dagegen nicht. Dem Kläger steht kein Liquidationsrecht für Laborleistungen zu.

A. Die Parteien streiten über das Liquidationsrecht für Laborleistungen bei ambulanten und stationären chirurgischen Privat- und Wahlleistungspatienten. Wie sie in der Revisionsinstanz übereinstimmend klargestellt haben, betrifft dieser Streit hinsichtlich der ambulanten Patienten die Zeit ab 1. April 1983 und hinsichtlich der stationären Patienten die Zeit ab 1. April 1985.

B. Das Landesarbeitsgericht hat das Bestehen eines Liquidationsrechts hinsichtlich der stationären Patienten verneint und hinsichtlich der ambulanten Patienten bejaht.

Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Die ambulant behandelten Privat- und selbstzahlenden Patienten seien nur in vertragliche Beziehung zum Kläger getreten. Aufgrund der Vertragsausgestaltung sei der Kläger jedenfalls im Außenverhältnis berechtigt gewesen, gegenüber den ambulant behandelten Privatpatienten und selbstzahlenden Patienten die Laborleistungen zu liquidieren.

Hinsichtlich der stationären Patienten ergebe sich das Liquidationsrecht für Laborleistungen weder aus § 6 Nr. 1 noch aus anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages. Da grundsätzlich im Verhältnis Privatpatient bzw. selbstzahlender Patient und behandelnder Arzt die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) angewendet würde, sei der Arbeitsvertrag des Klägers so auszulegen, daß sich der Umfang des Liquidationsrechtes des Klägers danach richten sollte. Der Kläger müsse also eine ihm nach der Gebührenordnung für Ärzte zurechenbare Leistung erbracht haben. Die GOÄ 1982 und die späteren Neufassungen der GOÄ billigten ihm ein solches Recht aber nur für solche Laborleistungen zu, die unter Aufsicht und Weisung des Klägers erbracht worden seien. Der Beweis dafür sei dem Kläger nicht gelungen.

Das dem Kläger nach seinem Dienstvertrag zustehende Liquidationsrecht sei auch nicht im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses erweitert worden. Aus der – unterstellten – Kenntnis des Prof. Dr. G. von der Liquidationspraxis des Klägers habe dieser nicht auf einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen der Beklagten schließen können.

C. Dem kann der Senat nur insoweit folgen, als das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen hat.

I. Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts. Danach werden bei Abschluß eines Krankenhausaufnahmevertrages, in dessen Rahmen ein Selbstzahler ihm angebotene ärztliche Leistungen durch liquidierungsberechtigte Ärzte wählt (Arztwahl-Patient), grundsätzlich alle selbstliquidierenden Ärzte, die mit der Behandlung befaßt werden, Vertragspartner des Patienten. Mit der Aufnahme in das Krankenhaus kommt zwischen den liquidationsberechtigten Ärzten und dem Patienten ein Vertragsverhältnis zustande, aus dem sich Honoraransprüche ergeben, sobald einer dieser Ärzte dem Patienten gesondert berechenbare Leistungen erbringt (BGH Urteil vom 12. März 1987 – III ZR 31/86 – NJW-RR 1988, 630). Dagegen wenden sich die Parteien auch nicht.

II. Die Auslegung des Vertrages und des Verhaltens der Parteien nach Vertragsabschluß durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die Auslegung nichttypischer Willenserklärungen ist nach ständiger Rechtsprechung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt. Im Gegensatz dazu sind typische Willenserklärungen vom Revisionsgericht voll nachprüfbar (BAGE 47, 314, 320 f. = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969; BAGE 52, 1 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtung). Diese Grundsätze gelten auch hinsichtlich der Frage, ob ein Verhalten oder eine Äußerung überhaupt als Willenserklärung zu verstehen war und ob durch übereinstimmende Erklärung ein Vertrag zustande gekommen ist (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu B II der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Bei dem zwischen? den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag handelt es sich um eine individuelle Vereinbarung und nicht um einen Mustervertrag. Gegenteiliges haben die Parteien in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen. Auch soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, aus der Liquidationspraxis des Klägers und der – unterstellten – Kenntnis des Vorstandsmitglieds der Beklagten, Prof. Dr. G., ergebe sich keine vertragliche Erweiterung des Liquidationsrechts des Klägers, handelt es sich um die Auslegung (Würdigung) eines individuellen Geschehens.

2. Das Landesarbeitsgericht hat nicht gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; es hat auch keine wesentlichen Umstände unberücksichtigt gelassen. Die von ihm vorgenommene Auslegung ist möglich.

In § 6 des Arbeitsvertrages ist der Umfang des Liquidationsrechts nur hinsichtlich des Personenkreises genauer umschrieben, nicht im Hinblick auf die Leistungen, für die der Kläger liquidieren kann. Auch aus anderen Bestimmungen des Vertrages ergibt sich dazu nichts. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht das Bestehen einer Verkehrssitte im bezug auf die Auslegung der Vertragsklauseln verneint und damit im Ergebnis dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen solcher Umstände auferlegt, die die von ihm befürwortete weite Auslegung des Liquidationsrechts stützen. Jagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, daß die gebietsbezogene Diagnostik zum Fachgebiet Chirurgie gehört, ergibt sich daraus keinesfalls, daß sich das Liquidationsrecht auch auf solche Leistungen erstreckte, die der Kläger weder selbst erbrachte, noch durch Personen erbringen ließ, die nach dem Vertrag seiner Aufsicht und Weisung unterstanden.

Es verstößt auch nicht gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze, wenn das Landesarbeitsgericht den Vertrag so ausgelegt hat, daß sich der Umfang des Liquidationsrechts des Klägers nach der jeweiligen Gebührenordnung für Ärzte richten sollte. Bei dem Liquidationsrecht der leitenden Ärzte handelt es sich um das Recht, gegenüber den Patienten, also im Außenverhältnis, zu liquidieren. Es liegt dann nicht fern, daß dieses Außenverhältnis auch für die Auslegung des Vertrages, also für das Innenverhältnis maßgebend sein soll. Die Revision macht demgegenüber geltend, es sei zwischen den Parteien unstreitig, daß sich der Inhalt des Liquidationsrechts nicht nach der GOÄ richte. Es trifft zu, daß beide Parteien nunmehr dieser Auffassung sind. Darin liegt jedoch kein übereinstimmender Tatsachenvortrag, an den das Gericht gebunden wäre, sondern eine insoweit übereinstimmende „Rechtsmeinung” der Parteien, so wie es der Kläger selbst in seinem Schriftsatz vom 23. Dezember 1993 bezeichnet hat. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Kläger ursprünglich selbst die Auffassung vertreten hat, unter dem in § 6 Abs. 1 des Arbeitsvertrages zuerkannten Liquidationsrecht sei das zu verstehen, was der Arzt nach ärztlichem Gebührenrecht gegenüber dem Patienten in Rechnung stellen dürfe (vgl. das vom Kläger mit der Klageschrift eingereichte Gutachten von Prof. Dr. W.).

3. Da sich der Streit der Parteien hinsichtlich der stationären chirurgischen Patienten auf die Zeit ab 1. April 1985 beschränkt, kommt es nur auf die zu dieser Zeit gültige GOÄ und die an ihre Stelle getretenen späteren Fassungen der GOÄ an. Das Landesarbeitsgericht hat die einschlägigen Bestimmungen richtig ausgelegt.

a) § 1 Abs. 2 der ab 1. Januar 1983 gültigen Gebührenordnung für Ärzte vom 12. November 1982 (BGBl. I S. 1522) lautete:

„Vergütungen nach dieser Verordnung darf ein Arzt nur für Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder durch Personen hat erbringen lassen, die seiner Aufsicht und Weisung unterstehen.”

Das bloße Anordnen einer Leistung genügte demnach nicht. § 1 Abs. 2 GOÄ 1982 schloß die Möglichkeit, in Abweichung von § 613 BGB eine Liquidation von Drittleistungen ausdrücklich zu vereinbaren, aus (Schmatz/Goetz/Matzke, GOÄ, 2. Aufl. 1983, S. 46 ff.; Brück/Heinzerling/Hess, Kommentar zur GOÄ 1982, Stand 1. Januar 1988, § 1 Nr. 7, 7.2 und 8.2.2.; vgl. auch Wezel/Liebold, Handkommentar zum EBM und zur GOÄ, 6. Aufl., Stand 1. Januar 1996, Kommentar zu § 4 Abs. 2, 5).

b) § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 der GOÄ in der Fassung der 3. Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 9. Juni 1988 (BGBl. I S. 797, 819) lauten:

„Der Arzt kann Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden (eigene Leistungen). Als eigene Leistungen gelten auch von ihm berechnete Laborleistungen, die nach fachlicher Weisung unter der Aufsicht eines anderen Arztes in Laborgemeinschaften oder in von Ärzten ohne eigene Liquidationsberechtigung geleiteten Krankenhauslabors erbracht werden.”

Auch nach dieser Vorschrift stand dem Kläger das Liquidationsrecht für Laborleistungen nicht schon aufgrund der Veranlassung zu. Das ergibt sich schon daraus, daß dem Leiter des Zentrallabors, Prof. Dr. G. mit Schreiben vom 4. April 1985 das Liquidationsrecht eingeräumt worden ist. Auf die Wahrung einer etwa auch im Verhältnis der Beklagten zu Prof. Dr. G. vereinbarten Schriftform kommt es dabei entgegen der Auffassung der Revision nicht an.

Die Beklagte war dem Kläger gegenüber auch befugt, dem Leiter des Krankenhauslabors, Prof. Dr. G. die Liquidationsberechtigung zuzugestehen. Der Kläger hatte unter der Geltung der GOÄ vom 12. November 1982 insoweit keinen rechtlich geschützten Besitzstand, den zu wahren die Beklagte verpflichtet gewesen wäre. Die Änderung der GOÄ im Jahre 1988 war damals nicht absehbar. Im übrigen hat die Beklagte – jedenfalls mit der Zuerkennung des Liquidationsrechts an Prof. Dr. G. durch das Schreiben vom 4. April 1985 – auch die Interessen des Klägers gewahrt, weil sie es ihm nur unter der Bedingung zu erkannt hat, an den Kläger 50 % abzuführen.

Dem Landesarbeitsgericht ist auch insoweit zuzustimmen, als es angenommen hat, daß die ab 1. Juli 1988 gültige Fassung der GOÄ als Auslegungshilfe für die vorher gültigen Fassungen nicht herangezogen werden kann. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf die Alternative „Laborleistungen, die … in von Ärzten ohne eigene Liquidationsberechtigung geleiteten Krankenhauslabors erbracht werden”. Der Verordnungsgeber mag das 1988 anders gesehen haben. Auf seine spätere Sicht kann es jedoch für die Auslegung der GOÄ vom 12. November 1982 nicht ankommen.

c) Durch § 4 Abs. 2 Satz 2 der GOÄ in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210) wurde § 4 Abs. 2 Satz 2 der GOÄ in der Fassung vom 9. Juni 1988 eingeschränkt. § 4 Abs. 2 Satz 1 blieb unverändert.

4. Nach § 6 des Arbeitsvertrages in Verb. mit den jeweiligen Fassungen der GOÄ konnte ein Liquidationsrecht des Klägers demnach nur dann bestehen, wenn es sich dabei um Leistungen handelte, die der Kläger selbst erbrachte oder durch Personen erbringen ließ, die seiner Aufsicht und Weisung unterstanden. Diesen Beweis hat das Landesarbeitsgericht nicht als geführt angesehen. Das Landesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Zentrallabor der Beklagten dem Leiter der Abteilung für innere Medizin, Prof. Dr. G. unterstanden habe; dieser habe über die Einführung neuer Labormethoden entschieden, die neuen Methoden überwacht und die Untersuchungen fortlaufend kontrolliert. Aufsichtsfunktionen habe er insoweit wahrgenommen, als er die Laborroutine durch Rundgänge, Kontrolle der Kontrollseren und Abzeichnung von Befunden überwacht habe. Der Kläger habe die Laboruntersuchungen nur angefordert und im übrigen nur Anregungen für die Untersuchungen gegeben.

Die Revision macht demgegenüber geltend, die vom Landesarbeitsgericht durchgeführte Beweiserhebung zu dem völlig vagen Thema „Über Art und Umfang der Einwirkung des Klägers auf das Zentrallabor” sei in keiner Weise geeignet, eine Aussage über die Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 2 GOÄ vom 12. November 1982 zu machen. „Unter Aufsicht und Weisung stehen” beinhalte die Möglichkeit und die Kompetenz, zu beaufsichtigen und Weisungen zu erteilen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 GOÄ könnten auch dann gegeben sein, wenn der Kläger in all den Jahren nicht ein einziges Mal auf das Labor tatsächlich „eingewirkt” hätte, nämlich dann, wenn er zu einer Weisung keine Veranlassung gesehen hätte. Aufsicht und Weisung seien also wesensmäßig etwas anderes als die tatsächliche Einwirkung.

Damit kann der Kläger nicht durchdringen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung – genauer: die Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 ZPO) – ist durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar, nämlich nur auf die Wahrung der Voraussetzungen der Grenzen von § 286 ZPO. Das bedeutet: Der erkennende Senat kann lediglich überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt hat, ob es alle erhobenen Beweise gewürdigt hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze ist (BAG Urteil vom 18. September 1991 – 5 AZR 581/90 – AP Nr. 10 zu § 14 MuSchG 1968 = EzA § 14 MuSchG Nr. 10). Die Revision rügt letztlich eine falsche Auslegung von § 1 Abs. 2 GOÄ 1982 und der entsprechenden Vorschriften der nachfolgenden Fassungen der GOÄ. Damit kann sie nicht durchdringen. Die vom Kläger befürwortete Auslegung der genannten Bestimmung ist mit Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar. Jedenfalls auf längere Sicht sind Aufsicht und Weisung ohne Einwirkung nicht denkbar.

5. Auch die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, das Liquidationsrechts des Klägers sei im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses nicht erweitert worden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die – zugunsten des Klägers unterstellte – Kenntnis des gesetzlichen Vertreters der Beklagten, Prof. Dr. G., von der Liquidationspraxis des Klägers, die dieser auch nur für die Zeit ab 1978 behauptet, führt nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zu einer Bindung des Arbeitgebers. Diese Annahme ist zumindest vertretbar. Nicht jede Duldung eines Verhaltens führt zu vertraglichen Rechten und Pflichten. Der Kläger konnte die Duldung seines Liquidationsverhaltens durch Prof. Dr. G. nicht dahin deuten, daß ihm die Beklagte auf Dauer ein Liquidationsrecht auch für Leistungen gewähren wollte, die er weder selbst erbracht hat noch durch Personen hat erbringen lassen, die seiner Aufsicht und Weisung unterstehen. Er konnte daraus auch nicht herleiten, daß ihm die Beklagte ein solches Liquidationsrecht unabhängig davon gewähren wollte, ob die GOÄ in der jeweils gültigen Fassung eine solche Liquidation gegenüber dem Patienten erlaubte. Es hätte insoweit einer ausdrücklichen Erklärung bedurft. Auf die Frage, ob die vom Bundesarbeitsgericht für den öffentlichen Dienst entwickelten Rechtsgrundsätze auch für die Beklagte gelten, was das Landesarbeitsgericht angenommen hat und wogegen sich der Kläger wendet, kommt es danach nicht an.

6. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich der Anspruch des Klägers auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser ist hier nicht anwendbar. Der Arbeitsvertrag des Klägers wurde individuell ausgehandelt, was bei Chefarztverträgen der Üblichkeit entspricht. Daher sind sie bezüglich des Umfangs des Liquidationsrechts nicht vergleichbar (ebenso Genzel in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 1992, § 90 Rz 30; vgl. BAG Urteil vom 4. November 1981 – 5 AZR 585/79 – AP Nr. 10 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhausvertrag, zu II 3 a der Gründe).

Schließlich hat das Landesarbeitsgericht auch im Ergebnis zu Recht ein die Liquidationspraxis des Klägers stützendes Gewohnheitsrecht verneint. Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß dies nicht mit der Begründung verneint werden kann, über den Umfang des Liquidationsrechts werde gerichtlich des öfteren gestritten. Auch über Gewohnheitsrecht kann es gerichtliche Auseinandersetzungen geben. Jedoch setzt die Annahme von Gewohnheitsrecht eine langandauernde tatsächliche Übung voraus, welche von der Überzeugung aller Beteiligten getragen sein muß, durch die Einhaltung der Übung bestehendes Recht zu befolgen (vgl. BGHZ 37, 219, 222). Daran fehlt es hier. Im Streitfall ist das Liquidationsrecht – wenn auch unvollständig – vertraglich geregelt. Hat sich hinsichtlich der Bedeutung einer bestimmten Vertragsklausel eine Verkehrssitte gebildet, so ist diese nach § 157 BGB bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen. Für die Annahme von Gewohnheitsrecht ist insoweit kein Raum.

Die Revision des Klägers erweist sich damit als unbegründet.

D. Dagegen ist die Revision der Beklagten begründet. Das Liquidationsrecht des Klägers erstreckt sich auch bei ambulanten Patienten nicht auf Laborleistungen.

Der Kläger hatte entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht das Recht, gegenüber seinen ambulanten Patienten auch für im Zentrallabor der Beklagten erbrachte Laborleistungen zu liquidieren. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage. § 5 Nr. 1 des Arbeitsvertrages räumt ihm nur das Recht ein, eine Sprechstundenpraxis als freiberufliche Nebentätigkeit zu betreiben. Er hat sich dabei – ebenso wie bei seinen Privatliquidationen gegenüber stationären Patienten – an die jeweilige GOÄ zu halten, soweit er nicht mit seinen Patienten zulässigerweise etwas anderes vereinbart. Beide Parteien haben zu Recht darauf hingewiesen, daß bei der Auslegung nicht nach stationären und ambulanten Patienten unterschieden werden darf. Für Laborleistungen des Zentrallabors durfte er nur dann liquidieren, wenn er sowohl gegenüber der Beklagten, als auch gegenüber den Patienten dazu berechtigt war. Beides war nicht der Fall.

Der bis zum 30. Juni 1988 gültige § 1 Abs. 2 GOÄ 1982 schloß die Liquidation von Drittleistungen nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Bereich aus (vgl. Brück/Heinzerling/Hess, Kommentar zur GOÄ vom 12. November 1982, Stand 1. Januar 1988, § 1 Nr. 7.2 a.E.). Es mag sein, daß die Liquidation von Drittleistungen gerade im ambulanten Bereich einer verbreiteten Übung entsprach. Der Verordnungsgeber hat dann durch § 4 Abs. 2 Satz 2 GOÄ 1988 die Liquidation von Drittleistungen wieder in beschränktem Umfang zugelassen, nämlich u.a. dann, wenn Laborleistungen in von Ärzten ohne eigene Liquidationsberechtigung geleiteten Krankenhauslabors erbracht werden. Das ändert aber nichts daran, daß die Liquidation von Drittleistungen zwischenzeitlich verboten war.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. März 1987 (– III ZR 31/86 – NJW-RR 1988, 630) steht dem nicht entgegen. Der BGH hat allerdings in diesem Urteil die Rechtslage dahin umschrieben, daß ein ambulant behandelnder Arzt u.a. ein medizinisches Labor im Wege eines Einzelvertrages als Hilfsorgan heranziehen, die Labortätigkeit selbst vergüten und die medizinischen Laborleistungen nach der Gebührenordnung für Ärzte im eigenen Namen bei dem Patienten liquidieren kann. Diese Aussage bezog sich auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1982. Bis zu diesem Zeitpunkt galt nur die GOÄ vom 18. März 1965. Diese war – anders als die nachfolgenden Gebührenordnungen (vgl. § 2 Abs. 1 GOÄ 1982) – nicht nur hinsichtlich der Höhe der Vergütung, sondern in allen Punkten abdingbar, wie sich aus § 1 Satz 2 der GOÄ 1965 ergab. Bis zum 31. Dezember 1982 konnte daher die Liquidation von Drittleistungen in Abweichung von § 613 BGB vereinbart werden.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Brücker, Anthes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092964

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