Entscheidungsstichwort (Thema)

Anteilige Sonderzuwendung nach Erfüllung einer Wartezeit. Zum Begriff der “Wartezeit” in § 4 Ziffer 2 Buchstabe b des Tarifvertrages vom 11. Juli 1989 über Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) für den Einzelhandel in Bayern

 

Leitsatz (amtlich)

§ 4 Nr. 2b TVS Bayern macht für einen anteiligen Anspruch auf eine Sonderzuwendung für die im Laufe des Kalenderjahres ausscheidenden Arbeitnehmer nicht zur Voraussetzung, daß diese die 12monatige Wartezeit schon am 1. Dezember des Vorjahres erfüllt haben müssen.

 

Normenkette

Tarifvertrag vom 11. Juli 1989 über Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) für den Einzelhandel in Bayern (TVS) § 4

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 24.09.1992; Aktenzeichen 7 Sa 549/92)

ArbG Regensburg (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 6 Ca 3111/91 S)

 

Tenor

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Sonderzuwendung für das Jahr 1991.

Die Klägerin war vom 21. Mai 1990 bis zum 20. November 1991 gegen ein monatliches Bruttogehalt von 2.665,00 DM bei dem beklagten Kaufhausunternehmen als Verkäuferin beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der seit dem 1. Januar 1989 allgemeinverbindliche Tarifvertrag vom 11. Juli 1989 über Sonderzahlung (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) für den Einzelhandel in Bayern (im folgenden: TVS) Anwendung.

Dieser Tarifvertrag hat – soweit vorliegend von Interesse – folgenden Wortlaut:

“§ 4 Sonderzuwendung

  • Höhe

    • Die jährliche Sonderzuwendung beträgt 40 %, ab 1. Januar 1991 50 % des individuell dem/ der Anspruchsberechtigten zustehenden monatlichen tariflichen Entgelts.
    • Maßgebend für die Berechnung der Sonderzuwendung ist jeweils das für den Monat November fällige tarifliche Entgelt bzw. das tarifliche Entgelt für den Monat des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis. Scheidet ein Anspruchsberechtigter/eine Anspruchsberechtigte während eines Kalendermonats aus dem Betrieb/Unternehmen aus, so ist Grundlage für die Berechnung der Sonderzuwendung das Arbeitsentgelt des letzten abgerechneten vollen Kalendermonats.
  • Anspruchsberechtigung

    • Anspruchsberechtigt auf die tarifliche Sonderzuwendung sind Beschäftigte, Auszubildende und diesen Gleichzustellende, die am 1. Dezember des Kalenderjahres dem Betrieb/Unternehmen mindestens 12 Monate ununterbrochen angehört haben.
    • Aus dem Betrieb/Unternehmen ausscheidende Beschäftigte haben nach Erfüllung der Wartezeit gemäß § 4, Ziffer 2 Buchstabe a) Anspruch auf so viele Zwölftel der tariflichen Sonderzuwendung, wie sie im laufenden Kalenderjahr volle Monate im Betrieb/Unternehmen tätig waren.
  • Fälligkeit

    Die Sonderzuwendung ist nach erfüllter Wartezeit spätestens am 30. November eines jeden Kalenderjahres oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen.”

Die Klägerin verlangt von der Beklagten für das Jahr 1991 eine anteilige Sonderzuwendung in Höhe von 1.110,42 DM. Sie ist der Meinung, da sie nach einer über zwölfmonatigen Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten ausgeschieden sei, habe sie die in § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS geforderte Wartezeit für einen Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung erfüllt.

Die Klägerin hat, soweit der Rechtsstreit in der Revisionsinstanz noch anhängig ist, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.110,42 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Dezember 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie meint, der Klägerin stehe ein Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung für 1991 nicht zu, weil sie die tarifliche Wartezeit nicht erfüllt habe. Voraussetzung für jeden Anspruch auf eine – auch nur anteilige – tarifliche Sonderzuwendung sei, daß der Arbeitnehmer zumindest einmal an einem 1. Dezember mindestens zwölf Monate ununterbrochen dem Betrieb/Unternehmen angehört habe. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht für das Jahr 1991 die geforderte anteilige Sonderzuwendung nach dem TVS zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf eine tarifliche Sonderzuwendung mit der Begründung verneint, nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe a TVS seien nur diejenigen Arbeitnehmer anspruchsberechtigt, die am 1. Dezember eines Kalenderjahres dem Betrieb/Unternehmen mindestens zwölf Monate ununterbrochen angehört hätten. Diese Voraussetzung habe die Klägerin weder 1990 noch 1991 erfüllt. Ein Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung lasse sich auch nicht aus § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS herleiten. Diese Norm knüpfe ohne jede Einschränkung an § 4 Ziffer 2 Buchstabe a TVS an, was zur Folge habe, daß ein Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung voraussetze, daß der Arbeitnehmer zuvor mindestens einmal an einem 1. Dezember eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von zwölf Monaten habe aufweisen können.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann sich der Senat nicht anschließen.

Die Klägerin hat Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung in Höhe von 1.110,42 DM brutto für das Jahr 1991 gemäß § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS i.V.m. § 4 Ziffer 1 TVS.

Sie ist am 20. November 1991 aus dem Betrieb der Beklagten ausgeschieden. Dort war sie seit 21. Mai 1990 ununterbrochen beschäftigt. Damit hatte die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens die Wartezeit gemäß § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS erfüllt gehabt. Dadurch, daß der TVS in dieser Norm als Anspruchsvoraussetzung für eine anteilige Sonderzuwendung verlangt, der Arbeitnehmer müsse “nach Erfüllung der Wartezeit gemäß Ziffer 2 Buchstabe a” aus dem Betrieb/Unternehmen ausgeschieden sein, wird nicht gefordert, daß der Arbeitnehmer die zwölfmonatige Wartezeit der Ziffer 2 Buchstabe a TVS an einem 1. Dezember zurückgelegt haben muß. Es ist ausreichend, wenn er bei seinem Ausscheiden zwölf Monate ohne Unterbrechung im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt gewesen ist. Dies folgt aus einer sachgerechten Auslegung des § 4 TVS.

Bei der Tarifauslegung ist – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Dabei sind jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Regelungen ihren Niederschlag gefunden haben (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

§ 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS nimmt auf die Erfüllung der “Wartezeit” gemäß § 4 Ziffer 2 Buchstabe a TVS Bezug. Unter dem Begriff der Wartezeit ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine bestimmte Zeit zu verstehen, in der man warten muß (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 1411). Somit verlangt § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS seinem Wortlaut nach als Anspruchsvoraussetzung nur die Erfüllung dieser “Wartezeit” durch den Arbeitnehmer, also eine zwölfmonatige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit.

Wenn § 4 Ziffer 2 Buchstabe a TVS für einen vollen Sonderzuwendungsanspruch fordert, daß die “Wartezeit” am 1. Dezember eines Kalenderjahres erfüllt sein muß, dann wird damit die in Gratifikationsregelungen regelmäßig geforderte Wartezeit im Sinne einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht dahin näher bestimmt, daß diese einen ihr eigenen bestimmten Endzeitpunkt haben muß, sondern als zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch bestimmt, daß der Arbeitnehmer an einem bestimmten Stichtag, am 1. Dezember, noch in einem Arbeitsverhältnis stehen muß. Diesen Stichtag nimmt § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS gerade für die vor dem Stichtag ausscheidenden Arbeitnehmer nicht in Bezug. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, daß ein im Laufe des Kalenderjahres ausscheidender Arbeitnehmer nicht nur eine zwölfmonatige Wartezeit zurückgelegt haben muß, um einen Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung zu haben, sondern daß diese Wartezeit bereits am Stichtag 1. Dezember des Vorjahres erfüllt gewesen sein muß, so hätten sie in § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS nicht nur auf die “Wartezeit gemäß § 4 Ziffer 2 Buchstabe a” Bezug genommen, sondern auch auf die in § 4 Ziffer 2 Buchstabe a getroffene Stichtagsregelung.

Soweit die Beklagte vorträgt, Sinn und Zweck der Verweisung auf die “Wartezeit gemäß § 4 Ziffer 2 Buchstabe a” in § 4 Ziffer 2 Buchstabe b TVS sei es zu erreichen, daß nur solche Arbeitnehmer eine Sonderzuwendung erhalten sollten, die zumindest an zwei Weihnachtsgeschäften im Einzelhandel teilgenommen hätten, hat dieser angebliche Wille der Tarifvertragsparteien keinen Niederschlag im TVS gefunden.

Hätten die Tarifpartner diese Absicht verfolgt, so hätten sie dies ohne weiteres durch eine Formulierung klarstellen können, die diese Absicht noch erkennen läßt, wie etwa im entsprechenden Tarifvertrag für Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es:

“Jeglicher Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung entsteht erstmalig nach mehr als zwölfmonatiger ununterbrochener Zugehörigkeit zu demselben Betrieb/Unternehmen am 1. Dezember des Kalenderjahres.”

Damit ist in diesem Tarifvertrag durch die Verwendung der Wörter “jeglicher” und “erstmalig” deutlich gemacht, daß Voraussetzung für jeden Anspruch auf eine Sonderzuwendung eine zwölfmonatige Betriebszugehörigkeit an einem 1. Dezember ist.

Die von der Beklagten zur Stützung ihrer Rechtsansicht herangezogene Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Januar 1989 – 6 AZR 647/85 –, n. v., ist auch zu diesem, seinem Wortlaut nach eindeutigen Tarifvertrag ergangen.

Der Klägerin steht somit ein Anspruch auf zehn Zwölftel eines halben monatlichen Tarifentgelts zu, da sie im Jahre 1991 nach erfüllter Wartezeit von zwölf Monaten ausgeschieden ist und zehn volle Monate im Kalenderjahr im Betrieb der Beklagten tätig war. Die Höhe dieser anteiligen Sonderzuwendung hat die Klägerin mit 1.110,42 DM brutto zutreffend errechnet. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Böck, Weinmann, Hannig

 

Fundstellen

Haufe-Index 845947

BB 1994, 364

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