Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Schuldanerkenntnis

 

Orientierungssatz

Bei der Auslegung einer Willenserklärung sind alle Begleitumstände zu würdigen, die für die Frage, welchen Willen der Beteiligte bei seiner Erklärung gehabt hat, von Bedeutung ist. Hierbei ist die zur Auslegung einer Willenserklärung erforderliche Ermittlung der Begleitumstände Aufgabe des Tatsachenrichters (BAG Urteil vom 27.8. 1970 2 AZR 519/69 = AP Nr 33 zu § 133 BGB).

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242, 611

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 27.01.1988; Aktenzeichen 3 Sa 740/87)

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 05.10.1987; Aktenzeichen 4b Ca 936/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger 4.522,04 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte war in der Zeit vom 13. April 1981 bis 28. August 1981 für den Kläger tätig. Dem Vertragsverhältnis lag eine am 13. April 1981 geschlossene schriftliche Vereinbarung zugrunde, die als "Handelsvertretervertrag" überschrieben ist. Während der Dauer der Beschäftigung zahlte der Kläger "Provisionsvorschüsse" in Höhe von 5.782,96 DM, die er mit "Provisionen" des Beklagten in Höhe von 1.564,60 DM verrechnete. Unter dem 10. August 1981 unterzeichnete der Beklagte ein Schriftstück, das folgenden Inhalt hatte:

"Schuldanerkenntnis: Abtretungserklärung

zwischen Herrn S ...

und

Herrn Klaus-Michael W ...

wird folgendes vereinbart:

§ 1

Herr/Frau Klaus Michael W

anerkennt, von Herrn Rudolf S ein

Darlehen von

gesamt = DM 4.218,36 (ausgezahlt v. April - August)

in Worten viertausendzweihundertachtzehn Deutsche Mark,

erhalten zu haben. Das Darlehen ist mit 14,5 %

zu verzinsen.

§ 2

Der Darlehensbetrag ist in monatlichen Raten

von DM 500,-- beginnend am 15. 8. 81 zu tilgen.

Die Raten müssen bis spätestens zum dritten

Werktag des jeweiligen Monats bezahlt werden.

Kommt Herr/Frau Klaus-Michael W mit einer

Rate mindestens 8 Tage in Verzug, so wird der

gesamte Restbetrag zur sofortigen Zahlung fällig.

Mit Beendigung der Tätigkeit wird ohne besondere

Kündigung das Darlehen zur Rückzahlung fällig.

§ 3

Zur Sicherung der Darlehensforderung einschließ-

lich und eventuellen Verzugsschadens tritt

Herr/Frau Klaus-Michael W die ihm/ihr

gegen seinen/ihren jeweiligen Arbeitgeber zuste-

hende Lohn- und Gehaltsforderung an

Herrn Rudolf S ab.

Gerichtsstand im Mahnverfahren wurde in L

vereinbart.

G , den 10. 8. 1981 K. M. W

Fa. Rudolf S "

Nach der Beendigung seiner Tätigkeit erhielt der Beklagte vom Kläger Beträge in Höhe von 350,-- DM und 50,-- DM. Ein späterer Arbeitgeber des Beklagten hat hierauf 96,32 DM gezahlt.

Am 31. Dezember 1982 erging ein Mahnbescheid gegen den Beklagten, der am 3. März 1983 zugestellt wurde. Nachdem der Beklagte Widerspruch eingelegt hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juni 1986 beantragt, die Sache an das Landgericht K zu verweisen, von wo sie später an das Amtsgericht N und dann an das Arbeitsgericht verwiesen wurde.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei, wie sich aus dem Vertrag ergebe, selbständig tätig gewesen. Bei dem am 10. August 1981 unterschriebenen Schriftstück handele es sich um ein selbständiges Schuldanerkenntnis. Aus ihm schulde der Beklagte den dort bezeichneten Betrag.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger

4.522,05 DM nebst 14,5 % Zinsen seit dem

15. Oktober 1981 auf 4.218,36 DM sowie

14,5 % Zinsen auf weitere 303,68 DM seit

3. März 1983 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, nicht selbständig tätig gewesen zu sein. Während seiner Tätigkeit für den Kläger seien ihm nicht nur Arbeitszeit und -ort, sondern der gesamte Tagesablauf bindend vorgeschrieben worden. Er sei verpflichtet gewesen, in vom Kläger bzw. dessen Beauftragten ausgewählten Hotels und Gaststätten Unterkunft zu nehmen und Mahlzeiten einzunehmen. Er, der Beklagte, habe in einer Kolonne als "Läufer" gearbeitet und vom Kolonnenführer den zu bearbeitenden Bezirk zugewiesen bekommen. Dorthin sei er auch jeweils mit Fahrzeugen des Klägers gebracht bzw. von dort wieder abgeholt worden.

Weiter hat der Beklagte behauptet, eine Abrechnung sei ihm nie vorgelegt worden, so daß er die Höhe der geltend gemachten Forderungen nicht habe prüfen können. Das vom Kläger vorgelegte "Schuldanerkenntnis" habe er zwar unterschrieben, jedoch habe zu diesem Zeitpunkt die Überschrift "Schuldanerkenntnis : Abtretungserklärung" gefehlt, und das Formular sei nicht ausgefüllt gewesen. Auch sei bei Unterschriftsleistung das Beschäftigungsverhältnis bereits beendet gewesen. Der Beklagte hat sich ferner darauf berufen, die Rückzahlungsforderungen des Klägers wegen Provisionsvorschüssen seien verjährt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten war erfolglos. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung der Erklärung vom 10. August 1981, in der es ein selbständiges Schuldanerkenntnis des Beklagten gesehen hat, die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB verletzt. Da das Berufungsgericht als Anspruchsgrundlage allein das selbständige Schuldanerkenntnis seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

1. Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen. Auszugehen ist dabei zwar vom Wortlaut der Erklärung. Dabei darf der Tatsachenrichter jedoch nicht stehenbleiben. Vielmehr sind bei der Auslegung einer Willenserklärung auch alle Begleitumstände zu würdigen, die für die Frage, welchen Willen der Beteiligte bei seiner Erklärung gehabt hat, von Bedeutung sind. Hierbei ist die zur Auslegung einer Willenserklärung erforderliche Ermittlung der Begleitumstände Aufgabe des Tatsachenrichters (vgl. BAG Urteil vom 27. August 1970 - 2 AZR 519/69 - AP Nr. 33 zu § 133 BGB).

Dem vorbezeichneten Erfordernis ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat sich darauf beschränkt, allein auf Wortlaut und Inhalt der Erklärung vom 10. August 1981 dafür abzustellen, welchen Willen der Beklagte gehabt hat, insbesondere ob er ein abstraktes Schuldanerkenntnis abgeben wollte. In diesem Zusammenhang wäre jedoch erheblich gewesen, welche vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien bestanden. Richtig ist zwar, daß nach dem Vertrag vom 13. April 1981 der Beklagte als Handelsvertreter für den Kläger tätig werden sollte. Der Beklagte hat jedoch substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen, daß er tatsächlich wie ein Arbeitnehmer in weisungsgebundener Abhängigkeit eingesetzt gewesen sei. Lagen arbeitsvertragliche Beziehungen zwischen den Beteiligten vor, dann wurde insbesondere fraglich, ob der Beklagte den Willen hatte, ein abstraktes Schuldanerkenntnis abzugeben. Zu der Frage, wie der Vertrag zwischen den Parteien durchgeführt wurde, hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen. Soweit in dem angefochtenen Urteil ausgeführt ist, der Beklagte könne sich auf Vorschriften des AGB-Gesetzes nicht berufen, wie sich aus § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz ergebe, könnte dies zwar darauf hindeuten, daß das Landesarbeitsgericht vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses insoweit ausgegangen ist. Eine dahingehende Annahme wäre jedoch nicht durch entsprechende Tatsachenfeststellungen untermauert, zudem fehlt es aber jedenfalls daran, daß das Landesarbeitsgericht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen der Auslegung der Erklärung vom 10. August 1981 eingegangen ist. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht auch außer Betracht gelassen, daß das Anerkenntnis vom 10. August 1981 auf einer Abrechnung beruhte. Der Kläger hatte dem Beklagten Provisionsvorschüsse gewährt. Am 10. August 1981 hat der Kläger dem Beklagten eine Abrechnung darüber erteilt, welche Provision er verdient hatte und inwieweit er durch Provisionsvorschüsse überzahlt war. Der Saldo der Abrechnung ist in das Anerkenntnis eingeflossen. Auch diesen Umstand hat das Berufungsgericht bei der Auslegung nicht berücksichtigt.

2. Dem Senat ist eine eigene abschließende Entscheidung nicht möglich, weil die für die Auslegung erheblichen Umstände vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden sind. Deshalb war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit nach § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht. Für die weitere Behandlung des Falles weist der Senat auf folgendes hin:

a) In erster Linie wird es erheblich sein festzustellen, wie das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich durchgeführt worden ist, ob der Beklagte also, wie von ihm behauptet, in einem abhängigen Arbeitsverhältnis tätig war. Dieser Umstand wird nicht nur für die Auslegung des Anerkenntnisses vom 10. August 1981 von Bedeutung sein. Hinzu kommt vielmehr, daß dann, wenn der Beklagte tatsächlich von April bis August 1981 ständig für den Kläger tätig war, er gleichwohl aber nur 1.564,60 DM an Provisionen verdient hat, die Vergütungsabsprache unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB beurteilt werden müßte. Dem Anspruch auf Rückzahlung nicht verdienter Provisionsvorschüsse könnte dann der Einwand aus § 242 BGB entgegenstehen. Entsprechendes könnte im übrigen auch in Betracht kommen, wenn der Kläger, wie vertraglich vorgesehen, selbständiger Handelsvertreter war.

b) Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen käme, wenn in der Erklärung vom 10. August 1981 kein selbständiges Schuldanerkenntnis zu sehen ist, auch eine Verjährung des Anspruchs auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen dann in Betracht, wenn der Beklagte Arbeitnehmer gewesen ist (vgl. dazu BAG Urteil vom 28. April 1972 - 3 AZR 464/71 - AP Nr. 1 zu § 88 HGB).

II. Das angefochtene Urteil kann auch insoweit keinen Bestand haben, wie es den Beklagten zur Zahlung eines noch offenstehenden Darlehensbetrages von 303,68 DM verurteilt hat. Diese Forderung stammt aus einem dem Beklagten gewährten Darlehen über einen Gesamtbetrag von 400,-- DM. Hierzu ist zwischen den Parteien nur streitig, ob dieser Betrag fällig ist. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, der Anspruch sei fällig, weil der Kläger in der vorprozessualen Korrespondenz Rückzahlung von dem Beklagten verlangt habe.

Insoweit ermangelt das angefochtene Urteil ausreichender tatsächlicher Feststellungen. Weder in dem erstinstanzlichen Urteil noch in den Schriftsätzen der Parteien ist zu einer Kündigung des Darlehens etwas ausgeführt worden. Eine vorprozessuale Korrespondenz befindet sich auch nicht bei den Akten. Aus diesem Grunde ist es dem Senat nicht möglich zu beurteilen, ob die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Darlehen sei fällig, rechtlich zutreffend ist. Auch insoweit wird das Berufungsgericht im erneuten Verfahren entsprechende tatsächliche Feststellungen zu treffen haben.

Dr. Thomas Dr. Gehring Ascheid

Dr. Kalb Wengeler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439984

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