Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungsfrist für Angestellte bei Ansprüchen auf Rückzahlung von Provisionsvorschlüssen

 

Leitsatz (amtlich)

Wer, ohne selbständig zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen, gilt nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter. Seine Ansprüche auf Gehalt und Provision wie auch die gegen ihn gerichteten Ansprüche auf Rückzahlung von Provisionsvorschlüssen verjähren nach § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB in zwei Jahren; die vierjährige Verjährungsfrist des 88 HGB gilt nur für Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis eines selbständigen Handelsvertreters.

 

Normenkette

HGB §§ 88, 65, 84 Abs. 2; BGB § 196 Abs. 1 Nr. 8, §§ 201-222, 611, 614; ZPO §§ 139, 286

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 1971 – 1 Sa 947/68 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin vertreibt elektrische Geräte durch Vertreter, die in Busgemeinschaften zusammengefaßt sind und Hausbesuche durchführen. Der Beklagte war ab 1. Juli 1963 bei ihr als Vertreter tätig. In dem am 1. Juli 1963 zwischen den Parteien abgeschlossenen Formularvertrag mit der Bezeichnung „Vereinbarung für Handelsvertreter” ist u.a. besagt, daß der Beklagte die Vertretung als freier selbständiger Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB übernommen habe; die durch seine Tätigkeit entstehenden Kosten habe er selbst zu tragen; er sei verpflichtet, seine Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszuüben; an der gesetzlichen Sozialversicherung nehme er nicht teil; Ansprüche auf Verdienstfortzahlung im Krankheitsfall seien ausgeschlossen. Am 8. Juli 1963 unterzeichnete der Beklagte ferner ein Formular „Zusatzvereinbarung für Obervertreter”. Darin übertrug die Klägerin dem Beklagten unter Bezugnahme auf den Handelsvertretervertrag vom 1. Juli 1963 zusätzlich die Aufgabe, die in seiner Verkaufsbusgemeinschaft tätigen Vertreter zu schulen und zu überwachen.

Die Klägerin führte für den Beklagten ein Provisionskonto und ein Super-Provisionskonto. Sie zahlte ihm Geldbeträge aus, die sie als Provisionsvorschüsse bezeichnet. Anfang November 1963 schied der Beklagte bei der Klägerin aus, nahm jedoch am 10. Januar 1964 auf Grund gleichlautender Verträge, wie sie bei seiner ersten Beschäftigung galten, wiederum eine Tätigkeit als Obervertreter auf, die er bis zu seinem endgültigen Ausscheiden bei der Klägerin Ende Mai 1964 ausübte.

Die Klägerin hat mit der am 3. Januar 1968 eingegangenen Klage von dem Beklagten die Rückzahlung von nicht abverdienten Provisionsvorschüssen in Höhe von 1.162,– DM nebst Zinsen verlangt. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat behauptet, bei seiner Tätigkeit für die Klägerin sei er umfassenden Weisungen und Kontrollen der Klägerin unterworfen und nicht wie ein echter Handelsvertreter in der Gestaltung seiner Tätigkeit und seiner Arbeitszeit frei gewesen. Er hat die Meinung vertreten, die Verjährungsfrist für die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche betrage deshalb gemäß § 1961 Nr. 8 BGB zwei Jahre, da er nicht als freier Handelsvertreter, sondern nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter tätig gewesen sei. Die Klägerin hat demgegenüber die Auffassung vertreten, die Verjährungsfrist betrage nach § 88 HGB vier Jahre, unabhängig davon, ob der Beklagte selbständiger Handelsvertreter gewesen sei oder nicht.

Die beiden Vorinstanzen haben der Klage den Erfolg mit der Begründung versagt, ein etwaiger Anspruch der Klägerin sei verjährt. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Mit Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die vierjährige Verjährungsfrist des § 88 HGB nicht in Betracht kommt, wenn der Beklagte nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter anzusehen war. § 88 HGB findet nur für die gegenseitigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis eines selbständigen Handelsvertreters Anwendung. Er gilt nicht für diejenigen Personen, die, ohne selbständig im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB zu sein, ständig damit betraut sind, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln. § 84 Abs. 2 HGB bezeichnet die unselbständigen Vertreter als Angestellte und unterstellt sie damit auch materiellrechtlich in vollem Umfang dem Schutzbereich der für Arbeitnehmer geltenden Vorschriften, Bei Kaufmannseigenschaft des Arbeitgebers gelten demnach die Vorschriften für kaufmännische Angestellte. Falls ein kaufmännischer Angestellter für von ihm geschlossene oder vermittelte Geschäfte Provision erhalten soll, sind nur die in § 65 HGB genannten Bestimmungen aus dem Recht der Handelsvertreter entsprechend anwendbar (vgl. dazu BAG 6, 23, [25 – 29] = AP Nr. 1 zu § 89b HGB [zu I der Gründe]). Zu diesen in Bezug genommenen, entsprechend anzuwendenden Bestimmungen gehört § 88 HGB nicht (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 30. April 1971 – 3 AZR 108/70 – AP Nr. 15 zu ArbGG [zu B I 1 a der Gründe]; vgl. auch Brüggemann in Großkommentar HGB, 3. Aufl., § 88 Anm. 2). Ebensowenig kann die Regelung des § 88 HGB auf die nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellte geltenden persönlich abhängigen Vertreter erstreckt werden (Brüggemann a.a.O.). Für die Ansprüche der kaufmännischen Angestellten und damit auch der unselbständigen Vertreter auf Gehalt, Provision usw. und die Ansprüche der Arbeitgeber gegen diese Angestellten wegen der auf solche Ansprüche geleisteten Vorschüsse verbleibt es vielmehr bei der zweijährigen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB (Soergel-Augustin, BGB, 10. Aufl., Rdnr. 46; 2, Palandt-Danckelmann, BGB, 31. Aufl., 196 Anm. 9; ebenso auch Trinkhaus, BB 1955, 1062 [zu I 1 b], den Danckelmann bei Palandt a.a.O. fälschlich für die gegenteilige Ansicht anführt).

Im übrigen verbietet sich eine entsprechende Anwendung von Verjährungsvorschriften auf andere Berufsgruppen oder Vertragstypen schon deshalb, weil wegen der dann eintretenden Unübersichtlichkeit die Anwendung der Verjährungsvorschriften unsicher würde. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof die Möglichkeit der entsprechenden Anwendung von § 88 HGB auf Schadenersatzansprüche gegen einen Mäkler verneint (BGH BB 1972, 11).

II.

1. Ohne Rechtsverstoß hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Beklagte nicht das in § 84 Abs. 1. HGB aufgestellte Merkmal der Selbständigkeit erfüllte und deshalb nach 84 Abs. 2 HGB als Angestellter anzusehen ist. Nach der gesetzlichen Umschreibung ist er selbständig dann, wenn er im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Das Landesarbeitsgericht hat bei der Abgrenzung auf die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Beklagten abgestellt und der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses und dem des Vertrages keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Es befindet sich damit in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 18, 87 = AP Nr. 2 zu § 92 HGB = SAE 1966, 221 mit zust. Anm. von G. Hueck).

Bei den Merkmalen, die für oder gegen die Selbständigkeit sprechen, ist zu unterscheiden zwischen den echten oder materiellen Merkmalen, die unmittelbare Anknüpfungspunkte für die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit enthalten, und den unechten oder formalen Merkmalen, die nur geringe Bedeutung für die Abgrenzung haben. Zu den materiellen Merkmalen gehören die Weisungsfreiheit, die Freiheit im Einsatz der Arbeitskraft, das eigene Unternehmen und das eigene Unternehmerrisiko; zu den formalen Merkmalen sind solche Umstände zu rechnen, die sich aus der äußeren Form des Vertrages ergeben, z.B. die von den Parteien gewählten Bezeichnungen sowie die Beachtung der steuerlichen, sozialversicherungsrechtlichen, gewerbepolizeilichen und handelsregisterrechtlichen Vorschriften. Bei der Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit sind alle Einzelumstände zu berücksichtigen; den Ausschlag gibt das Gesamtbild. Dies entspricht der herrschenden Meinung im Schrifttum (Schröder, Recht des Handelsvertreters, 4. Aufl., § 84 Anm. 3; Brüggemann in Großkommentar HGB, 3. Aufl., § 84 Anm. 9; Baumbach-Duden, HGB, 19. Aufl., § 84 Anm. 5 B; G. Hueck in SAE 1966, 227).

2. Das Landesarbeitsgericht hat auf Grund der Zeugenaussagen festgestellt, daß der Beklagte weder Zeit noch Ort seiner Tätigkeit selbst frei bestimmen konnte. Seinen Arbeitseinsatz habe der Beklagte in Gemeinschaft mit anderen Vertretern ausüben müssen, deren Zusammensetzung allein die Klägerin angeordnet habe. Ferner sei er, wie auch die übrigen Vertreter, in unregelmäßigen Abständen und unerwartet durch den von der Klägerin dazu beauftragten Verkaufsleiter kontrolliert worden. Der Beklagte habe kein eigenes Unternehmen gehabt; er habe weder über ein irgendwie geartetes Büro verfügt noch Bücher geführt. Soweit der Beklagte für die Klägerin als Obervertreter tätig gewesen sei, sei er in gleicher Weise gebunden gewesen.

3. Die gegen diese Feststellungen des Berufungsgerichts von der Revision erhobenen Rügen sind nicht begründet.

a) Die Klägerin rügt die Nichtausübung des Fragerechts nach § 139 ZPO, ohne indessen den Mangel zu bezeichnen, den sie geltend machen will. Insoweit genügt die Revisionsbegründung nicht den in § 554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO aufgestellten Anforderungen. Bei einer Rüge nach § 139 ZPO muß im einzelnen angegeben werden, welche Fragen hätten gestellt werden müssen und was die Partei darauf erwidert hätte (BAG 13, 340 [344] = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO mit weit. Hinw.).

b) Im übrigen beschränkt sich die Revision darauf, ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts zu setzen. Damit kann sie ebenfalls keinen Erfolg haben. Das Revisionsgericht ist gemäß § 561 Abs. 2 ZPO an tatsächliche Feststellungen des Landesarbeitsgericht gebunden, es sei denn, daß gegen derartige Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zulässige und begründete Revisionsangriffe erhoben sind. Derartige Angriffe hat die Revision nicht erhoben.

4. Auf Grund der festgestellten Tatsachen ist das Landesarbeitsgericht im Wege einer Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beklagte seine Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt hat. Dies ist im Hinblick auf den festgestellten Umfang der Weisungsgebundenheit des Beklagten nicht zu beanstanden. Die Eingliederung des Beklagten in eine von der Klägerin zusammengesetzte Vertretergruppe, die Bestimmung des räumlichen Tätigkeitsbereichs durch die Klägerin, die zeitliche Gebundenheit beim Arbeitseinsatz und die Kontrollen durch Beauftragte der Klägerin einerseits, ebenso wie die fehlenden eigenen Geschäftsräume und Betriebsmittel andererseits, sind Umstände, die für ein abhängiges Arbeitsverhältnis sprechen.

Demgegenüber fällt die bloße formularmäßige Benennung des Vertragsverhältnisses nicht ins Gewicht. Angesichts der tatsächlichen Handhabung des Vertragsverhältnisses ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß die Klägerin durch die Deklarierung ihrer Vertreter zu „selbständigen Handelsvertretern” ihren Arbeitgeberverpflichtungen, nämlich Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, Entgelt im Krankheitsfall fortzuzahlen und Erholungsurlaub zu gewähren, entgehen wollte. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben. Denn der Rechtsgrundsatz, daß der unselbständige Beauftragte im Sinne des § 84 Abs. 2 HGB Angestellter ist, ist zwingend; er kann demnach auch nicht durch Parteivereinbarung ausgeschaltet werden (Schröder, Recht des Handelsvertreters, 4, Aufl., § 84 HGB Anm. 35 zu 2 g; Brüggemann in Großkommentar HGB, 3 Aufl., § 84 Anm. 11). Die in dem Handelsvertretervertrag vom 1. Juli 1963 enthaltene Regelung, der Beklagte nehme nicht an der Sozialversicherung teil, entband demzufolge die Klägerin nicht davon, ihrer Verpflichtung als Arbeitgeberin gemäß Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Unterließ sie dies, so kann dies zu Schadenersatzansprüchen gegen sie führen (vgl. dazu BAG AP Nr. 1, 4 und 14 zu § 823 BGB Schutzgesetz), nicht aber läßt sich daraus schließen, daß ihre Vertreter als selbständige Handelsvertreter zu gelten haben.

III.

Steht demnach fest, daß der Beklagte Angestellter der Klägerin war, so verjährte ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen gemäß § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB in zwei Jahren. Die Rückzahlung eines etwaigen Vorschusses der Klägerin war mit dem Ausscheiden des Beklagten Ende Mai 1964 fällig. Gemäß § 201 Satz 1 BGB begann die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB am 1. Januar 1965 und endete am 31. Dezember 1966, so daß bei Klageerhebung im Januar 1968 ein etwaiger Rückzahlungsanspruch verjährt war.

Nach alledem erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet, und sie muß deshalb zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI602561

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