Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratswahl. Wachobjekte als Betriebsteil

 

Leitsatz (redaktionell)

Aufachtung einer Betriebsratswahl die nur für auswärtige Wachobjecte eines Bewachungsunternehmens durchgeführt worden ist; Verkennung des Betriebsbegriffs; Verkennung des Begriffs „Betriebsteil”.

 

Normenkette

BetrVG §§ 1, 4 Abs. 1, § 19

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Beschluss vom 16.09.1992; Aktenzeichen 7 TaBv 12/92)

ArbG Bonn (Beschluss vom 28.01.1992; Aktenzeichen 1 BV 91/91)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 16. September 1992 – 7 TaBV 12/92 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt ein Bewachungsunternehmen, das zivile und militärische Objekte sichert. Sie beschäftigt insgesamt etwa 700 Wachmänner als Arbeiter sowie 14 Angestellte. Ihre Zentrale befindet sich in B. Dort besteht kein Betriebsrat. Die dort befindliche Verwaltung ist zuständig für die Einstellung, Entlassung, Sicherheitsüberprüfung und Ausrüstung der Mitarbeiter sowie die gesamte Lohnbuchhaltung.

Die Arbeitgeberin beschäftigt in B. 54 Wachmänner, die im Schichtdienst von 5.00 bis 17.00 Uhr und 17.00 bis 5.00 Uhr sieben Einrichtungen der Bundeswehr bewachen. In jedem der zu sichernden Objekte befindet sich ein Wachlokal, das die Arbeitgeberin mit einer Wächterkontrolluhr, zwei Handfunkgeräten und zwei Faustfeuerwaffen ausgestattet hat. Die Entfernung zwischen den einzelnen Bewachungsobjekten beträgt bis zu 3.5 km und bis zur Zentrale in B. höchstens 28 km. Es bestehen Autobahn-, Eisenbahn- und Busverbindungen zwischen B. und B.

In der Zentrale des Unternehmens in B. ist ein Einsatzleiter für die zivile Bewachung der Bundeswehrobjekte zuständig. In B. ist ein Mitarbeiter damit betraut, die monatlichen Einsatzpläne vorzubereiten und abzustimmen sowie im Einzelfall bei krankheitsbedingten Ausfällen für Ersatz zu sorgen.

Die in B. beschäftigten Wachmänner haben am 24. September 1991 den aus fünf Mitgliedern bestehenden beteiligten Betriebsrat gewählt. Das Wahlergebnis ist ausweislich des Wahlprotokolls am 25. September 1991 bekanntgemacht worden. Die Arbeitgeberin hat diese Wahl am 7. Oktober 1991 bei Gericht angefochten.

Sie hat geltend gemacht, die in B. beschäftigten Arbeitnehmer hätten keinen Betriebsrat wählen dürfen, da die Wachobjekte und Wachleute weder nach § 1 noch nach § 4 BetrVG einen Betrieb bildeten. Die gesamte Leitung erfolge durch ihre Zentrale in B. Der dortige Einsatzleiter (Personaldisponent) lasse eine einvernehmliche Gestaltung der Dienst- und Urlaubspläne durch die Mitarbeiter in B. zu. Diese hätten jedoch nur ein Vorschlagsrecht, während die Letztentscheidung allein beim Einsatzleiter in B. liege.

Die Wachobjekte seien nicht räumlich weit vom Hauptsitz der Antragstellerin in B. entfernt. Fast alle Mitarbeiter besäßen ein Auto. Die Verbindung über die Autobahn, aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei als gut anzusehen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt

festzustellen, daß die Betriebsratswahl vom 24. September 1991 in B. unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die Antragstellerin mit ihrem Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hat entgegnet, die Bewachungsobjekte in B. und die Wachleute bildeten einen betriebsratsfähigen Betrieb, der mit der Bewachung von Bundeswehreinrichtungen einen eigenen Betriebszweck erfülle. Die Zentrale in B. sei nur für die reine Personalverwaltung zuständig. In B. sei ein Mitarbeiter als „Vertrauensmann” eingesetzt, dem die Dienstplangestaltung, die Urlaubsregelung und die Entgegennahme von Krankmeldungen obliege.

Jedenfalls seien die Zentrale in B. und die Wachobjekte in B. räumlich weit entfernt im Sinne des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Nicht alle Wachmänner hätten ein Auto. Die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmittel sei nicht zuletzt wegen des Schichtdienstes als schlecht anzusehen. Außerdem müsse hierbei auch berücksichtigt werden, daß eine sachgerechte Betriebsratsarbeit durch den Schichtdienst erschwert werde.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen B., A., H. und Z. die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Betriebsrat weiterhin, den Antrag zurückzuweisen, während die Arbeitgeberin die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrates gegen den erstinstanzlichen Beschluß zu Recht zurückgewiesen. Die angefochtene Betriebsratswahl vom 24. September 1991 war für unwirksam zu erklären. Die in den Wachobjekten in B. eingesetzten Arbeitnehmer waren nicht berechtigt, nur für die dortigen Wachobjekte einen Betriebsrat zu wählen. Diese Wachobjekte bilden weder einen Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG noch haben sie wegen räumlicher Entfernung nach § 4 Satz 1 BetrVG als ein selbständiger, betriebsratsfähiger Betrieb zu gelten. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

I. Der Antrag der Arbeitgeberin festzustellen, daß die Betriebsratswahl unwirksam sei, schließt nach seinem bloßen Wortlaut nicht aus, daß sie neben der von ihr argumentativ untermauerten Anfechtbarkeit der Wahl auch deren etwaige Nichtigkeit zur Entscheidung des Gerichts stellt. Die Nichtigkeit einer Wahl wirkt von Anfang an. Stellt das Gericht die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl fest, so hat diese Entscheidung materiell rückwirkende Kraft auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Ein derart gewählter Betriebsrat war rechtlich nie existent. Diese Wirkung kommt der bloßen Anfechtbarkeit der Wahl indessen nicht zu. Ist eine Betriebsratswahl nur anfechtbar, so ist sie von den Gerichten für Arbeitssachen für unwirksam zu erklären.

Rechtliche Wirkung erzeugt ein solcher Beschluß erst mit Eintritt seiner Rechtskraft und nur für die Zukunft. Für die davorliegende Zeit werden der Bestand und die Amtsführung des Betriebsrates durch einen solchen gerichtlichen Beschluß nicht berührt.

Die Vorinstanzen haben den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht dahingehend verstanden, daß sie nicht die (rückwirkende) Nichtigkeit der Wahl geltend machen will, sondern nur deren Anfechtbarkeit. Einem derart verstandenen Antrag haben die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht stattgegeben, wenn auch mit einer insoweit mißverständlichen Beschlußformel. Im Falle der Anfechtbarkeit einer Wahl ist nicht deren Unwirksamkeit festzustellen, sondern die Betriebsratswahl ist für unwirksam zu erklären. Indessen ergibt die Auslegung der Beschlußformel anhand der Entscheidungsgründe, daß beide Vorinstanzen – rechtlich zutreffend – lediglich über die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl entschieden haben.

II. Die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 24. September 1991 ist durch die anfechtungsbefugte Arbeitgeberin form- und fristgerecht erfolgt (vgl. § 19 Abs. 2 BetrVG). Das Wahlergebnis ist am 25. September 1991 bekanntgegeben worden. Der Anfechtungsantrag nebst dem wesentlichen Inhalt seiner Begründung sind am 7. und 8. Oktober 1991 beim Arbeitsgericht eingegangen.

III. Die Wahlanfechtung hat, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit im wesentlichen ausgeführt, die in B. eingesetzten Mitarbeiter hätten keinen Betriebsrat für die dortigen Wachobjekte wählen dürfen, da diese weder nach § 1 BetrVG einen Betrieb bildeten noch nach § 4 Satz 1 BetrVG als solcher zu gelten hätten.

In B. fehle es an einer selbständigen Leitungsstruktur, so daß die Merkmale des Betriebsbegriffs im Sinne von § 1 BetrVG nicht vorlägen. Auch ein Betriebsteil im Sinne des § 4 Satz 1 BetrVG setze eine gewisse institutionalisierte Leitung voraus. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme übe zwar der Wachmann H. gewisse Befugnisse mehr oder weniger selbständig, aber nicht als Vorgesetzter gegenüber den Mitarbeitern der Arbeitgeberin in B. aus. Außerdem seien die Wachobjekte nicht räumlich weit vom Hauptbetrieb der Arbeitgeberin in B. entfernt. Die vorhandene Autobahn-Verbindung ermögliche es, die Entfernung bis zur Zentrale in etwa 30 Minuten zurückzulegen. Da 98 % der Wachmänner über ein Auto verfügten, wäre es lebensfremd, auf die öffentlichen Verkehrsmittel abzustellen.

2. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der rechtlichen Prüfung stand.

Die Verkennung des Betriebsbegriffs stellt eine Verletzung wesentlicher Vorschriften des Wahlrechts (§ 7 BetrVG), der Wählbarkeit (§ 8 BetrVG) und des Wahlverfahrens dar. Sie beeinflußt auf jeden Fall das Wahlergebnis und führt daher ohne weiteres zur Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG. Ein solcher Verstoß liegt hier vor.

a) Nach § 1 BetrVG werden in Betrieben mit in der Regel fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt. Das Betriebsverfassungsgesetz definiert den Begriff des Betriebs nicht, sondern setzt den in Rechtsprechung und Rechts lehre gebildeten Betriebsbegriff voraus. Danach ist ein Betrieb die organisatorische Einheit,- innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (BAGE 40, 163, 165 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, unter III 1 der Gründe; BAGE 52, 325, 329 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972, unter B II 2 a der Gründe; BAG Beschluß vom 29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90 – AP Nr. 5 zu § 4 BetrVG 1972; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 1 Rz 31; Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 4 Rz 5). In erster Linie kommt es dabei auf die Einheit der Organisation, weniger auf die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung an (BAGE 40, 163, 166 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, unter III 2 a der Gründe; BAGE 53, 119, 127 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, unter II 3 der Gründe). So ist regelmäßig vom Vorliegen eines Betriebs im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Ob Hauptverwaltung und einzelne Betriebsstätten eines Unternehmens einen einheitlichen Betrieb oder zwei selbständige Betriebe bilden, hängt von der Leitungsstruktur des Unternehmens ab. Betriebliche Mitbestimmung soll jeweils dort ausgeübt werden, wo unternehmerische Leitungsmacht im betrieblichen Bereich konkret entfaltet und ausgeübt wird (BAGE 40, 163, 167 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, unter III 2 b der Gründe). Maßgeblich ist, wo die wesentlichen der sozialen (§§ 87 ff. BetrVG) und personellen (§§ 99 ff. BetrVG) Mitbestimmung unterliegenden Entscheidungen für die Mitarbeiter des Betriebs getroffen werden. Hierbei kommt es weniger auf die wirtschaftlich-unternehmerische Entscheidungsgewalt an. Eine Betriebsstätte ist als selbständiger Betrieb anzusehen, wenn seiner Leitung der Kern der Arbeitgeberfunktionen für die dort tätigen Mitarbeiter übertragen ist, die Hauptverwaltung hingegen im wesentlichen nur planerische, unternehmensbezogene Entscheidungen trifft (BAGE 40, 163, 168 = AP, a.a.O.).

b) Unter Zugrundelegung dieser Begriffsbestimmung ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Mitarbeiter der einzelnen Bewachungsobjekte in B. keinen Betrieb im dargelegten Sinn bilden. Der Annahme eines eigenen Betriebs „B.” steht zwar nicht entgegen, daß die Antragstellerin ihren arbeitstechnischen Zweck „Bewachung” nicht in bzw. an in ihrem Eigentum stehenden Objekten durchführt. Es fehlt jedoch in B. an einer für den Betrieb erforderlichen eigenen Leitungsstruktur. Die wesentlichen der Mitbestimmung unterliegenden Entscheidungen – wie Einstellung, Entlassung, Überprüfung der Mitarbeiter – werden am Hauptsitz der Antragstellerin in B., am Ort der einzelnen Bewachungsobjekte werden demgegenüber keinerlei dem Kern der Arbeitgeberfunktion zuzurechnende Entscheidungen getroffen.

c) Damit ist zugleich festgestellt, daß die Bewachungsobjekte auch keinen Nebenbetrieb im Sinne des § 4 Satz 2 BetrVG bilden. Denn auch Nebenbetriebe sind eigenständige Betriebe, deren Aufgabenstellung auf eine reine Hilfeleistung für den Hauptbetrieb ausgerichtet ist (BAGE 41, 403, 406 = AP Nr. 4 zu § 4 BetrVG 1972, unter II 2 der Gründe; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 4 Rz 16, jeweils m.w.N.).

d) Die Wachobjekte und das Wachpersonal der Arbeitgeberin in B. bilden auch keinen gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG als selbständiger Betrieb geltenden Betriebsteil. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis richtig erkannt.

aa) Ein Betriebsteil ist in die Organisation des Hauptbetriebes eingegliedert; er ist ihm gegenüber jedoch räumlich und organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt, bleibt aber auf dessen Zweck ausgerichtet (BAGE 53, 119, 128 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, unter II 3 der Gründe, m.w.N.).

Die in B. eingesetzten Mitarbeiter erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie sind zwar räumlich vom Hauptbetrieb abgrenzbar, aber sie genießen organisatorisch keine hinreichende relative Selbständigkeit. Insoweit ist – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – erforderlich, daß in der Einheit eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist und von ihr das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausgeübt wird (BAG Beschlüsse vom 29. Mai 1991 – 7 ABR 54/90 – AP Nr. 5 zu § 4 BetrVG 1972, unter B II 2 der Gründe und vom 25. Mai 1988 – 7 ABR 51/87 –, n.v., unter III 2 c der Gründe).

bb) Das Landesarbeitsgericht hat es nach Durchführung der Beweisaufnahme als gegeben angesehen, daß die Arbeitgeberin den Wachmann H. damit beauftragt hat, die monatlichen Einsatzpläne zu ergänzen, die von den Wachmännern selbst erstellt werden. Er hat selbständig für den Ersatz bei Personalausfällen, z.B. durch Krankheit, zu sorgen.

cc) Die Subsumtion dieser Tatsachenfeststellungen, an die der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden ist, unter den Begriff „Betriebsteil” führt mit dem Landesarbeitsgericht nicht zur Bejahung dieses Begriffs. Auch wenn die vorgenommene Beweiswürdigung als äußerst knapp zu bezeichnen ist, ist aus den festgestellten Tatsachen der Schluß zu ziehen, daß die betriebsverfassungsrechtlich wesentliche Organisation der Bewachung in B. vorgenommen wird. Die Antragstellerin bezeichnet den Zeugen H. zwar als „Vertrauensmann”, sie setzt ihn jedoch tatsächlich nur wie einen Schichtführer ein (vgl. hierzu BAG Urteil vom 31. August 1988 – 4 AZR 165/88 –, n.v.). Der Zeuge trägt zu einem reibungslosen Ablauf nur insoweit bei, als er selbständig für Ersatz bei krankheits- und urlaubsbedingten Abwesenheiten sorgt. Wegen der nötigen Abstimmung der vor Ort entwickelten Dienstpläne mit der Zentrale erlangen die Mitarbeiter in B. jedoch keine hinreichende relative Selbständigkeit. Denn insoweit ist der Zeuge an Vorgaben und Weisungen des Einsatzleiters in B. gebunden. Der Zeuge H. bleibt wegen der Bindungen an die Weisungen aus B. nur der Ansprechpartner vor Ort.

Die Wachobjekte und Mitarbeiter in B. bilden somit keinen Betriebsteil, der nach § 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG als selbständiger Betrieb zu gelten hätte.

e) Ebensowenig liegen die Voraussetzungen des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vor. Die Entfernung zwischen den Wachobjekten in B. und der Zentrale der Arbeitgeberin in B. ist nicht als räumlich weit zu qualifizieren. Auch dieses hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis richtig erkannt.

aa) Der Begriff „räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und daher in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur beschränkt überprüfbar. Er kann nur daraufhin überprüft werden, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungs- und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände nicht berücksichtigt hat oder das gefundene Ergebnis in sich unrichtig ist (BAG Beschluß vom 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972; BAGE 41, 403 = AP Nr. 4, a.a.O.). Außerdem steht dem Landesarbeitsgericht bei der Gesamtwürdigung der Tatsachen, ob die Voraussetzungen des Rechtsbegriffs im gegebenen Fall vorliegen, ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, der in gleicher Weise nur beschränkt nachprüfbar ist (BAG, a.a.O.).

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab stand. Das Landesarbeitsgericht hat, den Rechtsbegriff „räumlich weit entfernt” nicht verkannt.

bb) Der Begriff der räumlichen Entfernung ist nicht allein nach der tatsächlichen Entfernung zu überprüfen. Es muß vielmehr darauf abgestellt werden, ob bei der gegebenen Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der in dem auswärtigen Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat am Sitz des Hauptbetriebs möglich wäre (BAG Beschluß vom 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972; BAGE 41, 403 = AP Nr. 4, a.a.O.). Insbesondere muß hierbei der Zweck der Regelung, den Arbeitnehmern eine effektive Betriebsvertretung zu gewährleisten, beachtet werden (Kraft, a.a.O., § 4 Rz 30; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 4 Rz 12). Es kommt daher entscheidend auf die Verkehrsmöglichkeiten an, die es dem Betriebsrat ermöglichen müssen, kurzfristig zusammenzutreten (BAG Beschlüsse vom 23. September 1960 – 1 ABR 9/59 – und vom 24. September 1968 – 1 ABR 4/68 – AP Nr. 4 und 9 zu § 3 BetrVG ≪1952≫; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., § 4 Rz 12; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 4 Rz 17). Auch der einzelne Arbeitnehmer muß grundsätzlich die Möglichkeit haben, immer dann, wenn er es für nötig hält, zeitnah an die einzelnen Mitglieder des Betriebsrats heranzutreten. Der Betriebsrat ist insgesamt der berufene Vertreter der Belegschaft. Es geht daher nicht an, die Arbeitnehmer praktisch nur auf die Sprechstunden oder auf bestimmte ortsansässige Betriebsratsmitglieder zu verweisen. Jedes einzelne Betriebsratsmitglied genießt das in ihn gesetzte Vertrauen der Belegschaft. Jeder Arbeitnehmer muß daher auch die Möglichkeit haben, das Betriebsratsmitglied seines Vertrauens aufzusuchen, ohne hieran allein wegen der räumlichen Entfernung gehindert zu sein (BAG Beschlüsse vom 23. September 1960 – 1 ABR 9/59 – und vom 1. Februar 1963 – 1 ABR 1/62 – AP Nr. 4 und 5 zu § 3 BetrVG ≪1952≫). Der Arbeitnehmer kann nicht auf die Möglichkeit eines telefonischen Kontakts verwiesen werden (Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 4 Rz 15). Die Frage, ob ein Betriebsteil räumlich weit entfernt ist, muß daher nach organisations-, aber auch belegschaftsbezogenen Kriterien beantwortet werden (BAG Beschlüsse vom 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972; vom 5. Juni 1964 1 ABR 11/63 – AP Nr. 7 zu § 3 BetrVG ≪1952≫). Hierzu gehört auch der Umstand, ob zwischen der Belegschaft des Hauptsitzes und des Betriebsteils eine lebendige Betriebsgemeinschaft gegeben ist (SAG Beschlüsse vom 1. Februar 1963 – 1 ABR 1/62 – und vom 5. Juni 1964 – 1 ABR 11/63 – AP Nr. 5 und 7 zu § 3 BetrVG ≪1952≫ sowie vom 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972).

cc) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist der Betriebsteil B. nicht als räumlich weit entfernt anzusehen. Die Entfernung zwischen dem Hauptsitz in B. und den Bewachungsobjekten in B. beträgt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts 28 km. Durch die Autobahnverbindung ist diese Entfernung leicht zu überbrücken. Die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen B. und B. ist mit einer Fahrtzeit von 1 1/2 Stunden mit einmaligem Umsteigen noch hinnehmbar.

Damit erfüllen die in B. gelegenen Wachobjekte und die dort beschäftigten Wachmänner auch nicht die Voraussetzungen des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Der Betriebsteil kann infolgedessen nicht als selbständiger Betrieb gelten, der berechtigt wäre, einen eigenen Betriebsrat zu wählen.

3. Bei der Betriebsratswahl vom 24. September 1991 sind somit wesentlichen Verstöße im Sinne des § 19 BetrVG vorgekommen. Die Betriebsratswahl war daher für unwirksam zu erklären.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann Kordus, Haeusgen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083508

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