Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer Vollstreckungsgegenklage und Weiterbeschäftigungsurteil

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Schuldner gegen das Urteil eine zulässige Berufung einlegt und den Einwand gegen den in dem angefochtenen Urteil festgestellten Anspruch im Berufungsverfahren geltend machen kann (im Anschluß an BAG = BAGE 31, 288).

2a. Streiten die Parteien im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S 2 KSchG um die Wirksamkeit des vom Arbeitnehmer nach § 2 KSchG erklärten Vorbehalts, so ist nicht nur der Inhalt, sondern der Bestand des Arbeitsverhältnisses streitig.

b. Der Arbeitgeber darf auch in einem solchen Fall nicht zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu den angebotenen geänderten Bedingungen verurteilt werden, solange kein der Änderungsschutzklage stattgebendes Urteil vorliegt (im Anschluß an den Beschluß des Großen Senats vom 26. Februar 1985 - GS 1/84 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

 

Orientierungssatz

Der Große Senat datierte den Anschluß unter dem 27.2.1985. Mündliche Verhandlung war am 26.2.1985.

 

Normenkette

BGB § 611; ZPO §§ 767, 91a; KSchG § 2 Fassung 1969-08-25, § 4 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.09.1983; Aktenzeichen 7 Sa 75/83)

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 14.03.1983; Aktenzeichen 4 Ca 34/83)

 

Gründe

A. Der Beklagte war bei der Klägerin, einem Unternehmen der Papierindustrie, seit 24. November 1980 als "Erster Handwerker" im Tagschichtbetrieb der allgemeinen Reparaturabteilung (ARA) gegen einen Stundenlohn von zuletzt 14,70 DM beschäftigt. Mit Schreiben vom 27. August 1982 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen fristgerecht zum 10. September 1982 und bot dem Beklagten die Weiterbeschäftigung als Zweiter Einrichter in der Watteabteilung II gegen einen Stundenlohn von 12,05 DM sowie eine Leistungsprämie von 2,26 DM an. Ihrer gleichzeitig geäußerten Bitte, diese Tätigkeit bereits am 30. August 1982 aufzunehmen, kam der Beklagte nach.

Mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 13. September 1982 nahm der Beklagte das Änderungsangebot der Klägerin unter dem Vorbehalt nach § 2 Satz 1 KSchG an und erhob mit einem beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangenen und der Klägerin am 14. September 1982 zugestellten Schriftsatz Änderungsschutzklage (ArbG Mannheim - 4 Ca 390/82 -). Er stellte folgende Anträge:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur

erstinstanzlichen Entscheidung über die Änderungs-

kündigung vom 27. August 1982 zu den in dieser Än-

derungskündigung bezeichneten Bedingungen weiter-

zubeschäftigen.

2. Es wird festgestellt, daß die Änderung der Arbeits-

bedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündi-

gung vom 27. August 1982 sozial ungerechtfertigt ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den vor

der Änderungskündigung vom 27. August 1982 gültigen

Arbeitsbedingungen als Ersten Handwerker in der Ab-

teilung ARA weiterzubeschäftigen.

Hilfsweise:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger weiterhin

zu den in der Änderungskündigung vom 27. August

1982 bezeichneten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.

Die Klägerin und damalige Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie wandte u.a. ein, der Beklagte habe den Vorbehalt nicht innerhalb der nach § 2 Satz 2 KSchG maßgebenden Kündigungsfrist von zwei Wochen erklärt, und lehnte deshalb auch eine Weiterbeschäftigung zu den geänderten Bedingungen ab.

Das Arbeitsgericht verurteilte die Klägerin durch Teilurteil vom 29. November 1982, den Beklagten bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Änderungsschutzklage zu den mit Schreiben vom 27. August 1982 angebotenen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Es war der Ansicht, daß der Beklagte den Vorbehalt rechtzeitig und wirksam erklärt habe, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien somit zumindest zu den geänderten Arbeitsbedingungen fortbestehe und der Beklagte deshalb bis zur Entscheidung über die Änderungsschutzklage auch zu diesen Bedingungen weiterbeschäftigt werden müsse.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 1982 sprach die Klägerin dem Beklagten fristgerecht zum 20. Dezember 1982 eine Beendigungskündigung aus mit der Begründung, daß für ihn wegen inzwischen eingetretener betrieblicher Umstände keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit einer in dem Verfahren über die Änderungskündigung am 20. Dezember 1982 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung.

Gegen das Teilurteil vom 29. November 1982 legte die Klägerin mit einem beim Landesarbeitsgericht am 24. Dezember 1982 eingegangenen Schriftsatz Berufung ein. Zur Begründung wandte sie sich ausschließlich gegen die vom Arbeitsgericht vertretene Ansicht zur Rechtzeitigkeit und Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung des Beklagten. Sie erklärte in der Berufungsverhandlung ausdrücklich, daß sie die Berufung nicht auf die Beendigungskündigung vom 3. Dezember 1982 stützen wolle.

Mit der vorliegenden, am 19. Januar 1983 beim Arbeitsgericht eingegangenen Vollstreckungsgegenklage hat sich die Klägerin gegen die Vollstreckung aus dem Teilurteil vom 29. November 1982 gewandt. Sie hat im wesentlichen vorgetragen, die Vollstreckung aus diesem Teilurteil sei unzulässig, weil im Hinblick auf die nach der letzten mündlichen Verhandlung ausgesprochene Beendigungskündigung der Bestand des Arbeitsverhältnisses streitig sei und deshalb auch keine Pflicht zur Weiterbeschäftigung des Beklagten zu den geänderten Arbeitsbedingungen mehr bestehe. Für das vorliegende Verfahren müsse unterstellt werden, daß die Beendigungskündigung sozial gerechtfertigt sei.

Die Klägerin hat demgemäß beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Teilurteil

des Arbeitsgerichts Mannheim vom 29. Novem-

ber 1982 - 4 Ca 390/82 - für unzulässig zu

erklären.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig. Für sie fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin den Einwand, seine Weiterbeschäftigung zu den geänderten Bedingungen sei wegen der Beendigungskündigung unzulässig, mit der Berufung gegen das Teilurteil hätte erheben können. Die Klage sei aber auch unbegründet. Eine Weiterbeschäftigungspflicht der Klägerin bestehe nur dann nicht, wenn die Beendigungskündigung sozial gerechtfertigt sei. Hierüber könne aber nur in dem noch anhängigen Teilrechtsstreit über seine Klageerweiterung vor dem Arbeitsgericht entschieden werden.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14. März 1983 die Vollstreckungsgegenklage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen.

Das Landesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 15. September 1983 die von der Klägerin eingelegte Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, die Klage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet, weil die soziale Rechtfertigung der Beendigungskündigung nur in dem gegen diese anhängigen Kündigungsschutzverfahren und nicht im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage als Vorfrage geprüft werden könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. November 1983 Revision eingelegt.

Zuvor hatte das Landesarbeitsgericht durch ein ebenfalls am 15. September 1983 verkündetes und rechtskräftig gewordenes Urteil - 7 Sa 179/82 - auch die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 29. November 1982 zurückgewiesen. Danach hat das Arbeitsgericht das bis dahin ausgesetzte Kündigungsschutzverfahren fortgesetzt und durch ein weiteres Teilurteil vom 29. Mai 1984 entsprechend den noch anhängigen Klageanträgen des Beklagten der Änderungsschutzklage stattgegeben sowie die Klägerin verurteilt, den Beklagten zu den früheren Arbeitsbedingungen als Ersten Handwerker in der Abteilung ARA weiterzubeschäftigen. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung durch rechtskräftiges Urteil vom 20. Dezember 1984 - 7 Sa 84/84 - zurückgewiesen.

Beide Parteien haben nach Erlaß des Berufungsurteils vom 20. Dezember 1984 im vorliegenden Verfahren die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Sie beantragen sinngemäß, jeweils der Gegenpartei die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

B. Die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

I. Nachdem beide Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben, hat der Senat nach § 91 a Abs. 1 ZPO nur noch über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Der Senat hätte die Revision mit der Maßgabe zurückweisen müssen, daß die Klage unzulässig war. Es entspricht daher billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

II. Soweit die Vollstreckungsgegenklage auf die Beendigungskündigung vom 3. Dezember 1982 gestützt worden ist, war sie wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis richtig erkannt hat.

1. Nach § 767 ZPO kann der Schuldner im Wege der Vollstreckungsgegenklage Einwendungen geltend machen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen. Sie sind jedoch nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung, in der die Einwendungen nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall an sich erfüllt. Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage gegen den in dem Teilurteil vom 29. November 1982 festgestellten Weiterbeschäftigungsanspruch des Beklagten den materiellrechtlichen Einwand erhoben, dieser Anspruch sei nach der letzten mündlichen Verhandlung durch die am 3. Dezember 1982 erklärte Beendigungskündigung erloschen; denn von diesem Zeitpunkt an sei auch der Bestand des Arbeitsverhältnisses streitig und damit eine vorläufige Weiterbeschäftigung unzulässig geworden.

2. Die Klägerin war nicht bereits deshalb daran gehindert, Vollstreckungsgegenklage zu erheben, weil sie die Möglichkeit hatte, diese Einwendung mit der Berufung gegen das Teilurteil geltend zu machen. Nach § 767 Abs. 2 ZPO ist die Vollstreckungsgegenklage lediglich dann ausgeschlossen, wenn gegen den Schuldner ein Versäumnisurteil ergangen ist und die Einwendung noch durch Einspruch hätte geltend gemacht werden können. Dagegen ist der Schuldner nicht gezwungen, Einwendungen gegen den in einem der Berufung unterliegenden Urteil festgestellten Anspruch, die nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung, aber noch innerhalb der Berufungsfrist entstanden sind, nur durch dieses Rechtsmittel geltend zu machen (allgem. M.; vgl. RGZ 40, 352; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 767 Anm. 4 C; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 11. Aufl., Rz 747; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 767 Rz 41; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 767 Rz D I b; Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., § 767 Anm. I). Dies folgt aus dem Gesetzeswortlaut und der in RGZ 40, 352 näher mitgeteilten Entstehungsgeschichte dieser Norm. Danach waren im Regierungsentwurf auch die später entstandenen Einwendungen, die durch Berufung geltend gemacht werden konnten, ausgeschlossen, weil der Vollstreckungsgegenklage grundsätzlich nur solche Einwendungen vorbehalten bleiben sollten, die im Prozeß selbst nicht mehr erhoben werden konnten. Diese Einschränkung wurde im weiteren Verlauf der Beratungen gestrichen, weil der Schuldner, anders als im Fall des Einspruchs, nicht gezwungen sein sollte, den umständlicheren und kostspieligeren Weg der Berufung zu beschreiten, nur um einen neu entstandenen Einwand erheben zu können.

3. Kann eine nachträglich entstandene Einwendung jedoch mit der Berufung geltend gemacht werden, hat der Schuldner dieses Rechtsmittel eingelegt und ist es zulässig, dann besteht für ihre zusätzliche Geltendmachung durch Vollstreckungsgegenklage kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Dieser im Schrifttum allgemein vertretenen Ansicht (vgl. Baur/Stürner, aaO, Rz 747; Henckel, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 60 KO, unter I; Stein/Jonas/Münzberg, aaO, Rz 41; Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl., § 767 Anm. 5 b; Wieczorek, aaO, Rz D I b 1; Zöller/Schneider, aaO; im Grundsatz noch offen gelassen in BAG 31, 288 = AP Nr. 1 zu § 60 KO, zu I der Gründe) schließt sich der erkennende Senat an.

a) Sie entspricht dem Zweck der gesetzlichen Regelung, wie er sich aus der bereits dargestellten Entstehungsgeschichte der Norm ergibt. Danach wurde die Vollstreckungsgegenklage für später entstandene Einwendungen gegen den Anspruch selbst trotz der Möglichkeit, diese mit der Berufung geltend zu machen, deshalb eröffnet, um dem Schuldner den umständlicheren und kostspieligeren Instanzenzug zu ersparen. Dieser Grund entfällt, wenn der Schuldner ohnehin Berufung einlegt. Dies übersieht das Berufungsgericht, soweit es ausführt, § 767 ZPO stelle hinsichtlich der im Wege der Vollstreckungsgegenklage zugelassenen Verteidigungsmittel auf den Schluß der mündlichen Verhandlung ab, so daß für Verteidigungsmittel nichts anderes gelte, als für Angriffsmittel, die die Prozeßpartei durch Klageerweiterung im Berufungsverfahren wie durch eine neue Klage vorbringen könne. Mit der für die Vollstreckungsgegenklage getroffenen Regelung hat der Gesetzgeber jedoch besonderen Interessen des Schuldners Rechnung tragen wollen. Deshalb ist eine Beschränkung dieses Verteidigungsmittels gerechtfertigt, wenn seine Zulassung dem erkennbaren Normzweck, dem Schuldner den Berufungsrechtszug zu ersparen, zuwiderliefe.

b) Zutreffend erkennt das Berufungsgericht keinen sachlichen Grund dafür an, die Zulässigkeit der Vollstreckungsgegenklage davon abhängig zu machen, ob der Schuldner vor oder nach ihrer Erhebung Berufung eingelegt hat. Für diese Differenzierung gibt es auch keine überzeugende Begründung. Wenn der Schuldner zunächst Vollstreckungsgegenklage erhebt und danach Berufung einlegt, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis nachträglich und die Klage wird unzulässig (so zutreffend Baur/Stürner und Henckel, jeweils aaO; nach Stein/Jonas/Münzberg und Wieczorek, jeweils aaO, kann die Vollstreckungsgegenklage nach § 148 ZPO ausgesetzt werden, solange nicht die Unzulässigkeit der Berufung feststeht).

c) Wählt der Schuldner die Berufung, so besteht für die Durchführung einer Vollstreckungsgegenklage auch deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, weil das Rechtsmittel eine weitergehende Wirkung hat. Es beseitigt die materielle Rechtskraft, die Vollstreckbarkeit und die Kostenlast des angefochtenen Urteils, während die Vollstreckungsgegenklage als reine prozessuale Gestaltungsklage Rechtskraft und Kostenentscheidung unberührt läßt und lediglich die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil unzulässig macht (vgl. BGH NJW 1975, 539, 540).

4. a) Die Vollstreckungsgegenklage ist allerdings trotz Einlegung der Berufung zulässig, wenn die gegen den Anspruch erhobene Einwendung aus Rechtsgründen nicht im Berufungsverfahren geltend gemacht werden kann. Zu Unrecht sieht die Klägerin vorliegend einen solchen Fall deshalb für gegeben, weil die soziale Rechtfertigung der nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochenen neuen Beendigungskündigung nur im Rahmen einer nach § 4 KSchG hiergegen zu erhebenden Kündigungsschutzklage geprüft werden könne. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen, die der Große Senat in dem Beschluß vom 26. Februar 1985 - GS 1/84 - zum Weiterbeschäftigungsanspruch während eines Kündigungsschutzverfahrens aufgestellt hat.

b) Nach diesem Beschluß hat der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG und des § 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, zu dem im Kündigungsprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewißheit des Prozeßausgangs für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers nicht mehr begründen.

Der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch kann im Klagewege geltend gemacht werden. Ist die Wirksamkeit einer Kündigung nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen, so darf einer Beschäftigungsklage nur stattgegeben werden, wenn ein Gericht für Arbeitssachen auf entsprechende Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hin festgestellt hat oder gleichzeitig feststellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

c) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte im vorliegenden Fall die Klägerin mit der Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 29. November 1982 zulässig einwenden können, daß sie jedenfalls für die Zeit nach dem 20. Dezember 1982, dem Termin der Beendigungskündigung vom 3. Dezember 1982, bis zur Entscheidung über die Änderungsschutzklage nicht mehr zur Weiterbeschäftigung des Beklagten zu den geänderten Bedingungen verurteilt werden durfte.

aa) Hat der Arbeitnehmer im Fall einer Änderungskündigung das Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß § 2 Satz 2 KSchG fristgerecht unter dem Vorbehalt des Satzes 1 angenommen, so ist Streitgegenstand der vom Arbeitnehmer fristgerecht nach § 4 Satz 2 KSchG erhobenen Änderungsschutzklage insgesamt die Wirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen, während die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung nicht mehr im Streit steht (BAG 42, 142 = AP Nr. 1 zu § 6 KSchG, zu 3 der Gründe). Während des laufenden Änderungsschutzverfahrens ist der Arbeitnehmer verpflichtet, nach Ablauf der Kündigungsfrist zu den geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten (Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 2 Rz 30; KR-Rost, 2. Aufl., § 2 KSchG Rz 158). Da in einem solchen Fall kein Streit mehr über den Fortbestand, sondern nur noch über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses besteht, stellt sich das Problem eines Weiterbeschäftigungsanspruchs bei umstrittenem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht.

bb) Die Vorinstanzen sind jedoch in dem Teilrechtsstreit über die Änderungskündigung zu Unrecht von einer solchen Rechtslage ausgegangen. Denn im vorliegenden Fall war auch der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen von Anfang an streitig.

Zwischen den Parteien bestand Streit darüber, ob der Beklagte den Vorbehalt nach § 2 Satz 1 KSchG rechtzeitig erklärt hatte. Der Beklagte hatte ferner gegen die Änderungskündigung nur die Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben. Dieser Klageantrag enthielt jedoch nicht gleichzeitig den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Änderungskündigung. Der Arbeitnehmer muß vielmehr die Sozialwidrigkeit der ordentlichen Kündigung mit der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen. Falls er die Änderungsschutzklage rechtzeitig erhoben hat, kann dies noch analog § 6 KSchG in erster Instanz nachgeholt werden (BAG 42, 142). Die Abweisung der Änderungsschutzklage wegen verspäteter Erklärung des Vorbehalts soll nach Richardi (ZfA 1971, 106) und KR-Rost (aaO, § 2 KSchG Rz 164) lediglich zur Folge haben, daß der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen nicht mehr unter Vorbehalt annehmen kann. Hueck (aaO, § 2 Rz 28) und Schwerdtner (BAG-Festschrift, S. 562) sind der Ansicht, der Arbeitnehmer verliere seinen Arbeitsplatz, wenn er mit der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG unterliege. Nach Richardi (aaO, S. 97) bleibt ihm der Arbeitsplatz dennoch erhalten, wenn er nach Ablauf der Kündigungsfrist weiterarbeitet und der Arbeitgeber sich nicht dagegen verwahrt, daß ihm eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers als Bereitschaft zugerechnet wird, das Arbeitsverhältnis auch für den Fall einer Abweisung der Kündigungsschutzklage fortzusetzen. Es kann dahingestellt bleiben, welcher Ansicht zu folgen ist. Denn im vorliegenden Fall hat die Klägerin eine Weiterbeschäftigung des Beklagten auch zu den geänderten Bedingungen abgelehnt, so daß der Beklagte auch nach der Meinung von Richardi im Falle der Abweisung der Kündigungsschutzklage seinen Arbeitsplatz verloren hätte. Desweiteren hatte der Beklagte gegen die Änderungskündigung auch nicht hilfsweise Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erhoben, sondern lediglich seine Änderungsschutzklage weiterverfolgt. Bereits im Fall der Abweisung der Änderungsschutzklage wegen Unwirksamkeit des Vorbehalts wäre deshalb das Arbeitsverhältnis beendet gewesen.

cc) Es kommt hinzu, daß die Klägerin zum 20. Dezember 1982 eine Beendigungskündigung ausgesprochen und der Beklagte hiergegen seine Kündigungsschutzklage rechtzeitig mit einem Feststellungsantrag nach § 4 Satz 1 KSchG erweitert hatte. Damit war in jedem Falle von diesem Termin an der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien streitig.

dd) Nach den dargestellten Grundsätzen des Großen Senats durfte die Klägerin jedenfalls nach Ablauf der Frist der Beendigungskündigung vom 3. Dezember 1982 bis zur positiven Entscheidung über die Änderungsschutzklage des Beklagten durch das (zweite) Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 29. Mai 1984 nicht zur Weiterbeschäftigung des Beklagten, zu welchen Bedingungen auch immer, verurteilt werden. Denn ist die Wirksamkeit einer Kündigung, wie im vorliegenden Fall, nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen, so ist das Vorliegen eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils Voraussetzung für eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers. Gleiches gilt auch im Falle einer dem Kündigungsschutzgesetz unterfallenden Änderungskündigung für eine Verurteilung zur Weiterbeschäftigung zu den vom Arbeitgeber angebotenen geänderten Bedingungen, wenn Streit über die Wirksamkeit des vom Arbeitnehmer erklärten Vorbehalts und damit über die Begründetheit der Änderungsschutzklage besteht.

ee) Im vorliegenden Fall hätte das Arbeitsgericht somit die Klägerin nicht zur Weiterbeschäftigung des Beklagten zu den neuen Arbeitsbedingungen ohne vorherige oder gleichzeitige positive Entscheidung über die Änderungsschutzklage verurteilen dürfen. Den Einwand des Fehlens eines solchen Urteils als Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung kann der Arbeitgeber auch außerhalb des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Änderungs- oder Kündigungsschutzklage im Verfahren über den Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers geltend machen. Denn der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung steht nicht erst die rechtskräftige Feststellung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung entgegen, die nur in einem Verfahren nach § 4 KSchG möglich ist. Die Klägerin hätte jenen Einwand deshalb mit ihrer Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 29. November 1982 geltend machen können. Somit war ihre Vollstreckungsgegenklage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses von Anfang an unzulässig.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Dr. Hautmann Schulze

 

Fundstellen

Haufe-Index 438046

BB 1985, 2179-2181 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

DB 1985, 2461-2462 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

NJW 1986, 214

NZA 1985, 709-712 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

SAE 1986, 211-214 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

SAE 1986, 214-215 Weber, Hansjörg

AP § 767 ZPO (Leitsatz 1-2 und Gründe), Nr 4

AR-Blattei Beschäftigungspflicht, Entsch. 16 Buchner, Herbert

AR-Blattei, Beschäftigungspflicht Entsch 16 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

AR-Blattei, ES 440 Nr 16 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

EzA § 767 ZPO, Nr 1 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

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