Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Berufungsfrist. Gemeinsame Einlaufstelle

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Überreicht der Prozeßbevollmächtigte der Berufungsklägerin am letzten Tage der Berufungsfrist eine an das Arbeitsgericht adressierte Berufungsschrift bei einer gemeinsamen Einlaufstelle für das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht, wird der Schriftsatz demgemäß von dort an das Arbeitsgericht weitergeleitet und geht er erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Landesarbeitsgericht ein, so ist die Berufungsfrist versäumt.

2. Die Verantwortung für die zutreffende Bezeichnung des Berufungsgerichtes trägt auch bei einer solchen Fallgestaltung der Rechtsmittelführer.

 

Normenkette

ZPO §§ 85, 518; ArbGG §§ 77, 66

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 15.03.1988; Aktenzeichen 2 Sa 94/88)

ArbG München (Entscheidung vom 26.05.1987; Aktenzeichen 19 Ca 8030/85)

 

Gründe

Die Klägerin verfügt über eine abgeschlossene Hochschulausbildung als Diplompädagogin. Seit dem Jahre 1980 ist sie bei dem Beklagten als Referentin für Suchtgefahren tätig. Die Klägerin erhält Vergütung nach VergGr. IV b BAT. Die Parteien haben einzelvertraglich die Geltung des BAT und der diesen ändernden und ergänzenden Tarifverträge vereinbart.

Mit der Klage hat die Klägerin die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten begehrt, an sie ab 26. Juli 1984 Vergütung nach VergGr. II a BAT, hilfsweise nach VergGr. III BAT zu zahlen und die rückständigen Nettodifferenzbeträge mit 4 v. H. zu verzinsen. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Mit Endurteil vom 26. Mai 1987 - 19 Ca 8030/85 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 7. Januar 1988 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 1988 legten diese gegen das arbeitsgerichtliche Urteil Berufung ein. Der zu den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gehörende Rechtsanwalt D gab den an das Arbeitsgericht München gerichteten Schriftsatz noch am gleichen Tage bei der Gemeinsamen Einlaufstelle des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts München ab. Ergänzende oder erläuternde Erklärungen gab er dabei gegenüber der dort tätigen Bediensteten Frau V nicht ab. Da die Berufung der Klägerin an das Arbeitsgericht adressiert war, wurde sie von der Gemeinsamen Einlaufstelle zunächst dem Zentralregister des Arbeitsgerichts und von diesem am 9. Februar 1988 dem Landesarbeitsgericht zugeleitet.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig verworfen und die Revisionsbeschwerde zugelassen.

Mit ihrer Revisionsbeschwerde begehrt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Sie beruft sich darauf, ihre Berufung müsse als rechtzeitig eingelegt angesehen werden. Durch die Abgabe des die Berufung enthaltenden Schriftsatzes bei der Gemeinsamen Einlaufstelle des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts München sei die Berufungsschrift bereits in den Empfangsbereich des Landesarbeitsgerichts gelangt. Die weiter eingetretenen Verzögerungen seien als geringfügig und im gerichtlichen Geschäftsverkehr üblich anzusehen. Sie rechtfertigten es jedenfalls nicht, ihre Berufung als unzulässig anzusehen. Schon die Gemeinsame Einlaufstelle hätte im übrigen erkennen müssen, daß es sich bei dem abgegebenen Schriftsatz um eine Berufung gehandelt habe, so daß sie ungeachtet der unzutreffenden Adressierung an das Landesarbeitsgericht hätte weitergeleitet werden müssen. Dem entspreche auch die neuere Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Notwendigkeit der Angabe der Anschrift des Berufungsbeklagten in der Berufungsschrift. Gegen die gegenteilige frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofes bestünden grundsätzliche verfahrensrechtliche Bedenken. Sie dürfe nicht aufrechterhalten werden.

Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revisionsbeschwerde und erwidert, entscheidend sei, daß der Berufungsschriftsatz der Klägerin an das Arbeitsgericht gerichtet gewesen sei. Daran sei auch die Gemeinsame Einlaufstelle gebunden gewesen. Die Verantwortung dafür, daß eine Berufungsschrift an das Berufungsgericht zu richten sei und dort auch fristgerecht eingehen müsse, trage ausschließlich der Rechtsmittelführer. Die Gemeinsame Einlaufstelle sei nicht einmal berechtigt, einen ausdrücklich an das Arbeitsgericht München gerichteten Schriftsatz ihrerseits an das Landesarbeitsgericht weiterzuleiten. Dem entspreche auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofes, an der schon aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit festgehalten werden müsse.

Die Revisionsbeschwerde der Klägerin ist nicht begründet.

Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, hat die Klägerin bei der Einlegung ihrer Berufung die gesetzliche Rechtsmittelfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht eingehalten. Da ihr das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil am 7. Januar 1988 zugestellt worden und der 7. Februar in diesem Jahr ein Sonntag war, lief diese Frist am Montag, dem 8. Februar 1988, ab (§ 222 Abs. 2 ZPO, § 193 BGB). Die Berufungsschrift der Klägerin ist jedoch erst am darauffolgenden Tage beim Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht eingegangen.

An der Rechtsfolge der Fristversäumnis der Klägerin ändert der Umstand nichts, daß ihr Prozeßbevollmächtigter den die Berufung enthaltenden Schriftsatz noch am Montag, dem 8. Februar 1988, persönlich bei der Gemeinsamen Einlaufstelle des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts München abgegeben hat. Vielmehr ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, entscheidend, daß dieser Schriftsatz eindeutig nicht an das Landesarbeitsgericht, sondern an das Arbeitsgericht gerichtet war, demgemäß auch von der Gemeinsamen Einlaufstelle an das Arbeitsgericht weitergeleitet worden und erst nach Ablauf der gesetzlichen Berufungsfrist beim Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht eingegangen ist. Erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ist der Schriftsatz daher in den Gewahrsam des Berufungsgerichts gelangt. Darauf stellt das Landesarbeitsgericht mit Recht entscheidend ab.

Dabei geht der Senat davon aus, daß zur wirksamen Einreichung einer Berufung erforderlich ist, daß für das Berufungsgericht Gewahrsam an dem betreffenden Schriftstück begründet wird. Dabei ändert - wie vorliegend - die Existenz einer gemeinsamen Einlaufstelle für mehrere Gerichte nichts daran, daß immer nur eines der dort angeschlossenen Gerichte Empfänger der eingehenden Schriftstücke sein kann. Damit ist auch beim Vorhandensein und der Benutzung einer gemeinsamen Einlaufstelle oder Poststelle der Schriftsatz jeweils bei dem Gericht eingegangen, an das er gerichtet worden ist. Nur dieses Gericht erlangt nämlich die tatsächliche Verfügungsgewalt und damit auch den zu einer wirksamen Rechtsmitteleinlegung gehörenden Gewahrsam. Diesen hat vorliegend das Landesarbeitsgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist erlangt.

Das Landesarbeitsgericht ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen, daß die Verantwortung dafür, daß eine Rechtsmittelschrift bei Vorhandensein einer gemeinsamen Einlauf- oder Briefannahmestelle für mehrere Gerichte nicht infolge Angabe eines unzuständigen Gerichts von den Bediensteten der Einlauf- oder Briefannahmestelle für dieses entgegengenommen und deswegen ohne Begründung eines Gewahrsams für das zuständige Gericht - wie vorliegend - fehlgeleitet wird, ausschließlich bei der Partei bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten liegt. Demgemäß hat bei Bestehen und bei Inanspruchnahme einer gemeinsamen Einlaufstelle der jeweilige Rechtssuchende durch entsprechende Adressierung oder in anderer Weise klar zum Ausdruck zu bringen, für welches der angeschlossenen Gerichte ein Schriftsatz, insbesondere eine Rechtsmittelschrift, bestimmt ist. Seine insoweit bestehende Verantwortung kann einem Rechtsmittelführer nicht von den Bediensteten einer gemeinsamen Einlauf- oder Poststelle abgenommen werden. Diesen obliegt vielmehr grundsätzlich die Pflicht, eine Berufungsschrift dem in dem jeweiligen Schriftsatz - sei er auch rechtsirrtümlich - geäußerten Willen des Rechtsmittelführers bzw. seines Prozeßbevollmächtigten entsprechend an das von ihm bezeichnete Gericht weiterzuleiten. Einer anderen Beurteilung steht bereits der Umstand entgegen, daß in bestimmten Fällen Rechtsmittel sowohl bei dem Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, als auch beim Rechtsmittelgericht wirksam eingelegt werden können, wie es etwa für das allgemeine Beschwerderecht der ZPO gilt (§ 569 Abs. 1 ZPO) und auch der früheren Regelung für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren entsprach (vgl. § 89 Abs. 1 ArbGG a.F.). In diese Wahlfreiheit und auch die entsprechende Verantwortlichkeit eines Rechtsmittelführers können Gerichtsbedienstete nicht eingreifen.

Mit dieser Beurteilung folgt der Senat der entsprechenden seitherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. den Beschluß des Fünften Senats vom 5. November 1974 - 5 AZB 44/74 -, AP Nr. 25 zu § 518 ZPO), der damit übereinstimmenden ständigen und erst kürzlich wieder bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. dessen Beschlüsse vom 24. September 1975 - IV ZB 21/75 - NJW 1975, 2294, 13. Oktober 1982 - IV b ZB 154/82 - NJW 1983, 123 und 12. November 1986 - IV b ZB 127/86 - VersR 1987, 486 sowie das Urteil vom 23. Juni 1960 - III ZR 163/58 - LM Nr. 8 zu § 518 ZPO mit weiteren Nachweisen) und der einhelligen Meinung im verfahrensrechtlichen Schrifttum (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 518 1 I A; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 19. Aufl., § 518 I 1; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 518 1 c und Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl., § 518 A I b). Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit kann davon nicht abgewichen werden. Dabei nimmt der Senat auch darauf Bedacht, daß in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht und dem Bundesgerichtshof auch das Bundesverfassungsgericht ein Rechtsmittel bei einem Rechtsmittelgericht erst dann als eingegangen betrachtet, wenn dieses an dem entsprechenden Schriftsatz eigenen Gewahrsam begründet hat (vgl. BVerfGE 52, 203, 209 und BVerfGE 57, 117, 120).

Mit Recht geht das Landesarbeitsgericht auch davon aus, daß die Umstände des vorliegenden Falles eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen können. Wenn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die an das Arbeitsgericht gerichtete Berufungsschrift selbst bei der Gemeinsamen Einlaufstelle für das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht München ohne ergänzende oder erläuternde Angaben abgegeben hat, dann mußte, ohne daß es darauf entscheidend ankommt, bei der dort Dienst leistenden Angestellten erst recht der Eindruck entstehen, daß der Klägervertreter sich mit dem Inhalt des von ihm überreichten Schriftsatzes identifiziert hat. Schließlich geht es auch zu Lasten des insoweit allein verantwortlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, wenn er den die Berufung der Klägerin enthaltenden Schriftsatz erst am letzten Tag der Berufungsfrist bei der Gemeinsamen Einlaufstelle abgegeben hat.

Auch die weiteren Einwendungen der Revisionsbeschwerde greifen nicht durch. Ob und inwieweit vorliegend Verzögerungen eingetreten sind, ist schon deswegen rechtsunerheblich, weil es allein darauf ankommt, daß der Klägervertreter die Berufungsschrift an das Arbeitsgericht und nicht an das als Berufungsgericht zuständige Landesarbeitsgericht gerichtet und bei der Einlieferung auch keine richtigstellende Erklärung abgegeben hat und demzufolge das Landesarbeitsgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist an dem Schriftstück Gewahrsam begründen konnte. Die Klägerin verkennt weiter, daß die Gemeinsame Einlaufstelle entgegen ihrer nunmehr vertretenen Rechtsauffassung nicht berechtigt war, den von dem Klägervertreter an das Arbeitsgericht München adressierten Schriftsatz an das Landesarbeitsgericht weiterzuleiten, zumal der Klägervertreter den Schriftsatz auch noch selbst abgeliefert und zu einer etwaigen irrtümlichen Adressierung oder einer sonstigen unrichtigen Sachbehandlung keinerlei Erklärung abgegeben hat. Mit der von der Klägerin ebenfalls herangezogenen Rechtsfrage, ob im arbeitsgerichtlichen Verfahren in der Berufungsschrift auch die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelgegners anzugeben ist, und den entsprechenden Rechtsausführungen des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAGE 53, 30 = AP Nr. 53 zu § 518 ZPO) haben der vorliegende Sachverhalt und die entscheidenden Rechtsfragen nichts zu tun.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Feller Schneider Dr. Wittek

 

Fundstellen

Haufe-Index 438835

DB 1988, 2656 (L1-2)

NJW 1988, 3229

NJW 1988, 3229-3229 (LT1-2)

JR 1989, 220

RdA 1989, 68

AP § 518 ZPO (LT1-2), Nr 57

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XB 1979 Entsch 38 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 160.10.2 (1979) Nr 38 (LT1-2)

EzA § 518 ZPO, Nr 34 (LT1-2)

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