Leitsatz (amtlich)

Es wird daran festgehalten, daß ein bei einer gemeinsamen Einlaufstelle eingereichter Schriftsatz damit bei dem Gericht eingegangen ist, an das er gerichtet ist.

 

Verfahrensgang

OLG München (Entscheidung vom 06.07.1982)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. Juli 1982 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Gegen das ihr am 22. September 1981 zugestellte Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - München vom 18. September 1981 hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie eine Erhöhung der ihr zugesprochenen Unterhaltsrente von 1.800 DM auf 2.330 DM monatlich erstrebt. Die an das "Amtsgericht München, Familiengericht" adressierte Berufungsschrift ist am 22. Oktober 1981 bei der Allgemeinen Einlaufstelle I der Justizbehörden in München eingegangen, an die sowohl das Amtsgericht als auch das Berufungsgericht - das Oberlandesgericht München - angeschlossen sind. Sie ist am 23. Oktober 1981 dem Amtsrichter vorgelegt worden, der die sofortige Weiterleitung an das Oberlandesgericht veranlaßt hat. Dorthin ist sie noch am gleichen Tage gelangt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1.

Die Klägerin macht zunächst geltend, der angefochtene Beschluß des Oberlandesgerichts sei nicht ordnungsgemäß begründet und daher wegen eines wesentlichen Verfahrensverstoßes aufzuheben. Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar war das Oberlandesgericht - unbeschadet des Fehlens einer allgemein die Begründung von Beschlüssen anordnenden Vorschrift - nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen gehalten, eine so schwerwiegende Entscheidung wie die mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Verwerfung der Berufung zu begründen (vgl. dazu Thomas/Putzo ZPO 11. Aufl. § 329 Anm. 4 m.w.N.; Arndt NJW 1966, 2174). Es hat aber seine Entscheidung mit einer Begründung versehen, wobei es eine Sachverhaltsdarstellung und eine - wenn auch knappe - rechtliche Begründung gegeben hat. Insoweit können keine höheren Anforderungen gestellt werden als bei der Begründung von Urteilen; hier genügt nach § 313 Abs. 3 ZPO eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Es kann somit nicht verlangt werden, daß in der Begründung eines Beschlusses zu allem, was von der Partei vorgebracht worden ist, ausdrücklich Stellung genommen wird. Dies verkennt die Klägerin, wenn sie eine Auseinandersetzung mit ihren schriftsätzlichen Rechtsausführungen vermißt. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht ergänzend auf den in einer gleichliegenden Sache ergangenen Beschluß des Senats vom 12. Mai 1982 - IVb ZB 27/82 - Bezug genommen hat, der der angefochtenen Entscheidung abschriftlich beigefügt war. Ebenso wie es zulässig ist, sich auf die Rechtsausführungen einer veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidung zu beziehen, kann dies mit einer nichtveröffentlichen Entscheidung geschehen, wenn diese gleichzeitig - wie hier - den Parteien in geeigneter Weise bekannt gemacht wird. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs ist gewahrt (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn die Parteien auf diese Weise von einer in Bezug genommenen Entscheidung in anderer Sache Kenntnis erlangen und aus ihrer Begründung erfahren können, weshalb auch in ihrer Sache so und nicht anders entschieden worden ist (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 2. Oktober 1970 - I ZB 9/69 - NJW 1971, 39, 40; OLG Köln OLGZ 1980, 1, 2; Zöller/Vollkommer ZPO 13. Aufl. § 329 Anm. 4 b).

2.

In dem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Beschluß vom 12. Mai 1982 hat der Senat ausgeführt, daß eine gemeinsame Einlaufstelle mehrerer Gerichte nichts daran ändert, daß jedes der angeschlossenen Gerichte für sich Empfänger der dort eingehenden Schriftstücke ist. Eingegangen ist ein Schriftsatz daher bei dem Gericht, an das er gerichtet ist. Dieses Gericht erlangt auch die tatsächliche Verfügungsgewalt. Hieran hält der Senat auch gegenüber den Angriffen der sofortigen Beschwerde fest.

a)

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 52, 203 f.; 57, 117, 120 f.) stellt die Einreichung eines fristgebundenen Schriftstückes bei einem Gericht eine einseitige Prozeßhandlung der Partei dar, die keiner Mitwirkung eines Bediensteten des betreffenden Gerichts bedarf. Danach ist eine früher in Rechtsprechung und Schrifttum verbreitete Auffassung überholt, wonach die Entgegennahme des Schriftstückes durch einen dazu befugten Bediensteten für erforderlich gehalten wurde. Für die Einreichung der Berufungsschrift (§ 518 Abs. 1 ZPO) ist allein entscheidend, ob sie fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt. Wie und wann diese Verfügungsgewalt begründet wird, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, deren Bewertung eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts ist (BVerfG NJW 1982, 1804 f.).

b)

Die Einlieferung bei einer für mehrere Gerichte eingerichteten Einlaufstelle begründet nicht die Verfügungsgewalt aller angeschlossenen Gerichte. Etwas anderes wäre bei einer Berufungsschrift nicht mit § 518 Abs. 1 ZPO zu vereinbaren, aus dem sich ergibt, daß nur der Eingang beim Berufungsgericht den Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils hemmt. Verfahrensvorschriften über die Art und Weise der Einlegung von Rechtsmitteln sind im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens streng auszulegen. Ist eine allgemeine Einlaufstelle für mehrere Gerichte eingerichtet, hat daher der Rechtssuchende durch die Adressierung oder in anderer Weise klar zum Ausdruck zu bringen, für welches der angeschlossenen Gerichte die Berufungsschrift bestimmt ist. Darin liegt keine unzumutbare Erschwerung gegenüber den Verhältnissen, die ohne Einrichtung einer gemeinsamen Einlaufstelle gegeben sind. Denn auch in diesem Falle muß der Rechtsuchende sich klar darüber werden, an welches Gericht er sich wenden will, und sich entsprechend verhalten. Dagegen spricht weiterhin nicht, wie die Klägerin meint, daß nach § 518 Abs. 2 ZPO die Bezeichnung des Berufungsgerichts nicht zu den dort angeführten Erfordernissen der Berufungsschrift gehört. Denn schon § 518 Abs. 1 ZPO stellt klar, daß die Einlegung beim richtigen Gericht Voraussetzung für eine zulässige Berufung ist. Aus dieser Regelung ist lediglich zu folgern, daß es ausreicht, wenn eine Berufungsschrift zwar das Berufungsgericht nicht bezeichnet, aber fristgerecht dem richtigen Gericht übergeben wird.

c)

Ohne Erfolg verweist die Klägerin weiter auf die Regeln über die Auslegung und Berichtigung von Prozeßhandlungen. Zwar stellt die Einreichung der Berufungsschrift eine Prozeßhandlung dar, sie ist aber keine der Auslegung fähige prozessuale Willenserklärung, sondern als reine Tathandlung (Realakt) auf die Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gerichtet (vgl. dazu Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 13. Aufl. § 64 II 4). Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die Berufungsschrift dem Berufungsgericht vor Ablauf der Berufungsfrist tatsächlich vorliegt. Daher kommt es zwar dem Berufungsführer zugute, wenn eine falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts erkannt und die Berufungsschrift rechtzeitig an das richtige Gericht weitergeleitet wird. Geschieht dies aber nicht - aus welchen Gründen immer - hat der Berufungsführer die damit verbundenen Nachteile zu tragen, da die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts über die Berufungsschrift infolge der unrichtigen Adressierung nicht rechtzeitig begründet worden ist. Auch eine Berichtigung der falschen Adressierung einer Berufungsschrift durch den Berufungsführer ist nur beachtlich, wenn sie so rechtzeitig erfolgt, daß daraufhin noch ein fristgerechter Eingang beim Berufungsgericht bewirkt werden kann (vgl. dazu Rosenberg/Schwab a.a.O. § 72 VII 1).

d)

Diesen Grundsätzen steht der Beschluß des Senats vom 30. September 1981 (IVb ZB 801/81 - VersR 1981, 1182 - AnwBl. 1981, 499) nicht entgegen. In dem ihm zugrundeliegenden Fall hatte der Berufungsanwalt die unrichtig adressierte Berufungsschrift persönlich in einer Einlaufstelle abgegeben, der das bezeichnete Gericht nicht angeschlossen war, und hatte durch sein Verhalten zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, daß das Schriftstück an dieses Gericht nicht weitergeleitet, sondern an das der Einlaufstelle angeschlossene Berufungsgericht gehen sollte. Nur aufgrund dieser besonderen Umstände hat der Senat seinerzeit die Voraussetzungen des § 518 Abs. 1 ZPO bejaht. Daß sie für die Entscheidung des Senats ausschlaggebend waren, wird in einem Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 22. Februar 1982 (MDR 1982, 601) wohl verkannt, der auf diese Entscheidung ausdrücklich Bezug nimmt. Der hier gezogenen Schlußfolgerung, daß ein unrichtig adressiertes Schriftstück mit der Einreichung bei einer gemeinsamen Einlaufstelle dem wirklich zuständigen Gericht zugehe, wenn dieses nur der Einlaufstelle angeschlossen sei, vermag der Senat aus den dargelegten Gründen nicht beizutreten.

3.

Nach alledem hat das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Die Berufungsschrift ist erst am 23. Oktober 1981, also einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist, in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt.

Beschluss:

Beschwerdewert: 6.360 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018821

NJW 1983, 123-124 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1983, 214 (Volltext mit amtl. LS)

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