Entscheidungsstichwort (Thema)

Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden. Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zur Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung umfasst auch die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung.

 

Orientierungssatz

Dem Rechtsanwalt obliegt eine eigene Verpflichtung zur Fristensicherung. Wird ihm zwecks Anfertigung der Berufungsbegründung die Akte zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die hierfür maßgebende Frist zu überprüfen.

 

Normenkette

ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 Hs. 2; ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 237

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 15.02.2010; Aktenzeichen 9 Sa 1154/09)

ArbG Oberhausen (Urteil vom 26.08.2009; Aktenzeichen 4 Ca 1580/08)

 

Tenor

1. Die Revisionsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Februar 2010 – 9 Sa 1154/09 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Revisionsbeschwerdeverfahrens wird auf 11.710,52 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Rz. 1

I. Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche für die Zeit einer einseitig vom Arbeitgeber angeordneten Freistellung sowie Urlaubsabgeltung und die Zahlung von Urlaubsgeld. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 25. September 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Oktober 2009 Berufung eingelegt und diese mit einem am 26. November 2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2009, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 16. Dezember 2009, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat durch Beschluss der Kammervorsitzenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 2

II. Die zulässige (§ 77 Satz 1 und Satz 4 ArbGG in Verb. mit § 575 ZPO) Revisionsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht durfte dem Kläger die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter versagen. Es hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.

Rz. 3

1. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet nach § 237 ZPO das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht. Das Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht (§ 8 Abs. 2, § 64 Abs. 1 ArbGG) entscheidet durch Kammern, die in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber tätig werden, § 35 Abs. 2 ArbGG, soweit nicht das Gesetz eine Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden vorsieht.

Rz. 4

2. Die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung (Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444, 448) nicht mehr durch die Kammer, sondern durch Beschluss des Vorsitzenden. Diese Befugnis zur Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden umfasst auch die Versagung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung (aA GMP/Germelmann 7. Aufl. § 66 Rn. 44).

Rz. 5

a) § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG normiert eine Befugnis zur Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden zur Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung, ohne diese auf bestimmte Gründe für die Unzulässigkeit der Berufung zu beschränken. Ist die Berufung nicht in den gesetzlichen Fristen des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eingelegt oder begründet worden, ist sie nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ArbGG unberührt bleibt, zu verwerfen. Die Versagung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung dieser Fristen betrifft unmittelbar die Zulässigkeit der Berufung, weil sie es bei der Fristversäumung belässt. Sie ist damit Bestandteil der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung.

Rz. 6

b) Das entspricht dem Sinn und Zweck des § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG. Die Neuregelung sollte der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtsmittelvereinfachung dienen. Für die Zuziehung der ehrenamtlichen Richter besteht kein sachliches Bedürfnis, wenn es nicht vorrangig um materielle Rechtsfragen, sondern um die formalen Voraussetzungen eines Rechtsmittels geht (vgl. BT-Drucks. 16/7716 S. 25; GK-ArbGG/Vossen Stand September 2010 § 66 Rn. 152; BCF/Friedrich ArbGG 5. Aufl. § 66 Rn. 44).

Rz. 7

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Berufung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) versäumt. Das stellt er nicht in Abrede. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger zu Recht versagt, § 233 in Verb. mit § 85 Abs. 2 ZPO. Seinen Prozessbevollmächtigten trifft jedenfalls ein Verschulden bei der Fristensicherung. Wird dem Prozessbevollmächtigten zwecks Anfertigung der Berufungsbegründung die Akte zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die hierfür maßgebende Frist zu überprüfen (BGH 11. Dezember 1991 – VIII ZB 38/91 – zu II der Gründe, NJW 1992, 841; vgl. auch BAG 27. September 1995 – 4 AZN 473/95 – zu II 2b cc der Gründe, AP ZPO 1977 § 233 Nr. 43 = EzA ZPO § 233 Nr. 35). Diese Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten zur eigenverantwortlichen Prüfung des Fristenlaufs bei der Vorbereitung einer fristwahrenden Prozesshandlung besteht unabhängig davon, ob die Akte dem Rechtsanwalt von seiner Sekretärin vorgelegt wird oder er – wie die Revisionsbeschwerde geltend macht – seine Sekretärin bittet, “ihm schon einmal die Akte zu geben, damit er die Berufung dann begründet”.

Rz. 8

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Rz. 9

IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Laux, Biebl

 

Fundstellen

Haufe-Index 2538754

BAGE 2012, 372

DB 2010, 2736

NJW 2011, 253

EBE/BAG 2010

EBE/BAG 2011, 4

FA 2011, 21

JR 2011, 322

JR 2012, 46

NZA 2010, 1442

ZTR 2011, 249

AP 2011

AnwBl 2011, 67

EzA-SD 2010, 16

MDR 2011, 431

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge