Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittelfrist bei verspätet zugestelltem Rechtswegbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein vom Arbeitsgericht verkündeter Beschluß nach § 17a GVG später als fünf Monate seit der Verkündung zugestellt, so beginnen mit der Verkündung die Fünfmonatsfrist entsprechend den §§ 516 und 552 ZPO und im Anschluß daran die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3b, § 5 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 5; ZPO §§ 516, 552, 577 Abs. 2; HGB § 84 Abs. 1-2, § 92 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 22.04.1996; Aktenzeichen 15 Ta 394/95)

ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 19.05.1995; Aktenzeichen 3 Ca 7/95)

 

Tenor

 

Tatbestand

A. Die Parteien streiten darüber, ob ein von ihnen vereinbartes Rechtsverhältnis fortbesteht und ob der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist.

Der Kläger war für die Beklagte, ein Unternehmen zur Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen, seit 1987 tätig. Am 1. März 1990 haben die Parteien einen sog. Verkaufsleiter-Vertrag geschlossen, nach dem die Beklagte und der Kläger gemeinsam Versicherungen und Bausparverträge vermitteln. Die Beklagte unterhält eine eigene Verkaufsorganisation mit einer hierarchischen Gliederung. Der dazugehörende “Karriereplan” sieht in der untersten Stufe die “Vertrauensperson” vor, jeweils darüber den “Repräsentanten”, den “Bezirksleiter”, den “Verkaufsleiterassistenten”, den “Kundenberater” oder – alternativ – den “Verkaufsleiter” vor; über dem Verkaufsleiter stehen der “Direktionsmanager-Assistent” und darüber der “Direktionsmanager”.

Der Kläger hat alle Stufen dieser Hierarchie bis zum “Direktionsmanager-Assistenten” durchlaufen. Seine Einnahmen aus der Tätigkeit für die Beklagte hat er für das erste Halbjahr 1992 mit monatlich 75.000,00 DM angegeben; davon mußte er allerdings Sach- und Personalkosten für sieben von ihm betreute Büros sowie für ihm unterstellte Mitarbeiter der Beklagten bestreiten.

Mit seiner am 3. August 1992 beim Arbeitsgericht Düsseldorf erhobenen Klage setzt sich der Kläger gegen eine ihm angeblich mündlich erklärte fristlose Kündigung vom 12. Juli 1992 sowie deren Bestätigung durch das Rechtsanwaltsschreiben vom 16. Juli 1992 zur Wehr. Der Kläger macht geltend, er stehe zur Beklagten, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftige, in einem Arbeitsverhältnis. Er hält das Kündigungsschutzgesetz für anwendbar und meint, für die fristlose Kündigung gebe es keine Gründe.

Der Kläger hat seine Klage mehrfach erweitert und zuletzt folgende Anträge angekündigt:

  • Festzustellen, daß ein etwaiges Anstellungsverhältnis des Klägers weder durch die von der Beklagten behauptete fristlose Kündigung vom 12. Juli 1992 noch durch die nachfolgende Bestätigung vom 16. Juli 1992 aufgelöst worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht.
  • Festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 12. Juli 1992 hinaus Superprovisionen zu zahlen für Geschäfte, die ihm unterstellte Mitarbeiter “seiner” Struktur der Beklagten vermittelt haben,
  • sowie die Beklagte zu verurteilen,
  • dem Kläger einen Buchauszug über alle provisionspflichtigen Geschäfte zu erteilen, die der Kläger oder ihm unterstellte Mitarbeiter “seiner” Struktur der Beklagten in der Zeit vom 1. April 1992 bis zum 31. März 1993 vermittelt haben unter gleichzeitiger Übersendung der Abschriften sämtlicher einschlägiger Korrespondenz;
  • dem Kläger eine spezifizierte Provisionsabrechnung zu erteilen, aus der sich die einzelnen zu seinen Gunsten provisionspflichtigen Geschäfte ab dem 1. April 1992 bis zum 30. April 1993 ergeben;
  • an den Kläger die sich aus der Provisionsabrechnung ergebenden Provision nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mit Wirkung vom 13. Juli 1992 die Vergütung weiter zu zahlen, die von ihm verdient worden wäre, wenn er über den 12. Juli 1992 hinaus gearbeitet hätte.

Die Beklagte hält die Klage für unbegründet und den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht gegeben. Der Kläger sei freier Mitarbeiter, nicht aber ihr Arbeitnehmer. Vor allem könne er seine Zeit frei einteilen.

Der vorliegende Rechtsstreit wurde zunächst bis zur Klärung der Frage des Rechtswegs in einem von den Parteien als parallel bezeichneten Rechtsstreit der Ehefrau des Klägers gegen die Beklagte ausgesetzt. Nachdem in jenem Rechtsstreit der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als gegeben erachtet worden ist (Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22. September 1994 – 14 Ta 355/92 –), wurde der vorliegende Rechtsstreit fortgesetzt.

Das Arbeitsgericht bejahte in seinem am 19. Mai 1995 verkündeten Beschluß den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch hinsichtlich der vorliegenden Klage. Der mit Gründen und Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluß wurde der Beklagten am 14. Dezember 1995 zugestellt. Am 20. Dezember 1995 hat die Beklagte hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat sie mit seinem Beschluß vom 22. April 1996 zurückgewiesen und die weitere sofortige Beschwerde zugelassen. Die Beklagte will weiter erreichen, daß der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt wird.

 

Entscheidungsgründe

B. Die weitere sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

I. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die sofortige Beschwerde zulässig. Die Beklagte hat die zweiwöchige Beschwerdefrist (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG in Verb. mit § 577 Abs. 2 ZPO) mit ihrer am 20. Dezember 1995 eingereichten sofortigen Beschwerde gewahrt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die sofortige Beschwerde sei verspätet eingelegt worden. Die Beschwerdefrist habe nicht erst mit der Zustellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts begonnen, sondern in entsprechender Anwendung der §§ 516 und 552 ZPO bereits am 19. November 1995, nämlich fünf Monate nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses. § 9 Abs. 5 ArbGG, wonach mangels schriftlicher Belehrung über das gegebene Rechtsmittel eine Anfechtung binnen Jahresfrist zulässig sei, finde keine Anwendung.

2. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.

a) Die Regelungen der §§ 516, 2. Halbsatz und 552, 2. Halbsatz ZPO, wonach die Berufungs- bzw. Revisionsfrist spätestens fünf Monate nach Verkündung des anzufechtenden Urteils zu laufen beginnt, ist zwar auf Beschlüsse nach § 17a GVG entsprechend anzuwenden, wenn sie verkündet worden sind (BAG Beschluß vom 30. August 1993 – 2 AZB 6/93 – AP Nr. 6 zu § 17a GVG, zu III 1 der Gründe; Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – NZA 1992, 1047, zu II 2a der Gründe). Indessen beginnt, soweit es sich um Beschlüsse nach § 17a GVG handelt, die von einem Gericht für Arbeitssachen verkündet worden sind, mit Ablauf der fünf Monate seit der Verkündung nicht die zweiwöchige Beschwerdefrist, sondern die einjährige Frist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

b) Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG enthalten alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren arbeitsgerichtlichen Entscheidungen eine Rechtsmittelbelehrung. Fehlt sie, so ist die Einlegung des Rechtsmittels innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig (§ 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG). An die Stelle der Zustellung tritt der Ablauf der Frist von fünf Monaten seit Verkündung der Entscheidung, wenn es innerhalb dieser Frist nicht zur Zustellung der Entscheidung gekommen ist. Der Fall, daß die Zustellung einer Entscheidung innerhalb von fünf Monaten seit ihrer Verkündung völlig unterblieben ist, kann nicht zum Nachteil des im Verfahren Unterlegenen anders behandelt werden als der, daß ihm die Entscheidung zwar innerhalb dieser Frist zugestellt wird, sie jedoch keine Rechtsmittelbelehrung enthält. Dies hat das Bundesarbeitsgericht für arbeitsgerichtliche Urteile mehrfach erkannt (statt vieler: BAG Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 743/93 – AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979, zu A I der Gründe, m.w.N.). Dies gilt auch für arbeitsgerichtliche Beschlüsse nach § 17a GVG. Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 ArbGG betrifft nicht nur Urteile, sondern arbeitgerichtliche Entscheidungen jeder Art, die mit einem befristeten Rechtsmittel angefochten werden können.

c) Das Landesarbeitsgericht hat aus den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 30. August 1993 und vom 1. Juli 1992 (jeweils aaO) zu Unrecht geschlossen, auf arbeitsgerichtliche Beschlüsse nach § 17a GVG sei § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG nicht anzuwenden. Die Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts enthalten zu dieser Frage keine Ausführungen. In ihnen ging es nicht um Beschlüsse der Gerichte für Arbeitssachen, sondern um solche der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in denen über den Rechtsweg befunden worden war. Für befristet anfechtbare Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gilt § 9 Abs. 5 ArbGG nicht.

3. Vorliegend haben mit Verkündung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses am 19. Mai 1995 zunächst die fünfmonatige Frist entsprechend § 516, 2. Halbsatz bzw. § 552, 2. Halbsatz ZPO und nach deren Ablauf die einjährige Frist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG zu laufen begonnen. Die Jahresfrist war noch nicht abgelaufen, als die Beklagte am 20. Dezember 1995 gegen den am 19. Mai 1995 verkündeten Beschluß des Arbeitsgerichts sofortige Beschwerde eingelegt hat. Die zweiwöchige Frist des § 577 Abs. 2 ZPO ist ebenfalls gewahrt. Gegen die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde bestehen auch sonst keine Bedenken.

II. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, daß vorliegend der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG). Die Parteien streiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses, der Kläger gilt als Arbeitnehmer der Beklagten im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Dies folgt hier unmittelbar aus § 84 Abs. 1 und 2 HGB in Verbindung mit § 92 Abs. 2 HGB.

Der Kläger war nach den vertraglichen Beziehungen der Parteien ständig damit betraut, für die Beklagte Versicherungsverträge, Bausparverträge und vergleichbare Verträge zu vermitteln. Er gilt nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter. Er mag zwar hinsichtlich der Bestimmungen seiner Arbeitszeit im wesentlichen frei gewesen sein; er konnte jedoch nach den Regelungen der Parteien in ihrem “Verkaufsleiter-Vertrag” seine Tätigkeit nicht im wesentlichen frei gestalten, sondern war grundlegend an Vorgaben bzw. Dispositionen (Weisungen) der Beklagten gebunden. Gebunden war er z.B. hinsichtlich des “Vermittlungskonzepts” und des “Organisationskonzepts” (§ 1 Nr. 1 und 2 des Vertrags). Ihm konnte die Beklagte bestimmte “VL-Ass. und BLs. zuweisen” und “entziehen”, wobei der Beklagten “freies Ermessen” zustand (§ 1 Nr. 3, 4 und 5 des Vertrags). In § 1 Nr. 6 des Vertrags hatte sich der Kläger verpflichtet, der Beklagten “seine ganze Arbeitskraft zur vollen Verfügung zu stellen” und bestimmte Arbeitsaufgaben und Methoden zu erfüllen und einzuhalten. Der Kläger war also gerade nicht “im wesentlichen” frei, seine Arbeit selbst zu gestalten.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Bepler

 

Fundstellen

Haufe-Index 884826

NJW 1997, 343

NZA 1996, 1175

MDR 1997, 68

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