Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortwirkung von Betriebskollektivverträgen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Gerichte für Arbeitssachen entscheiden im Beschlußverfahren in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Wirksamkeit oder den Inhalt von Betriebskollektivverträgen nach § 28 Abs. 2 AGB-DDR, die vor dem 1. Juli 1990 abeschlossen worden sind (Bestätigung des Beschlusses des Zehnten Senats vom 26. Mai 1992 – 10 ABR 63/91 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
  • Mit der Novellierung des AGB-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371) ist die Rechtsetzungsmacht für den Abschluß von Betriebskollektivverträgen zwar entfallen, die vorher abgeschlossenen Betriebskollektivverträge haben aber deshalb nicht ihre Wirksamkeit verloren; sie sind erst mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 unwirksam geworden.
  • Ansprüche aus Betriebskollektivverträgen über Jubiläumsgelder sind im Verhältnis 2,-- Mark zu 1,-- DM umzustellen.
 

Normenkette

Gesetz zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (GBl. I S. 331 ff.) Anlage I 1. Abschn. Art. 2; Gesetz zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (GBl. I S. 331 ff.) Anlage I 1. Abschn. Art. 7 § 1 Abs. 1-2; Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) Kapitel VIII Anlage 14; Arbeitsgesetzbuch-DDR § 22 ff., §§ 28, 93 Abs. 2, §§ 112, 116 Abs. 2, § 117 Abs. 1, § 152 Abs. 3, § 237 Abs. 2; BetrVG § 77 Abs. 4, 6, § 87 Abs. 1 Nr. 10; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 11.02.1992; Aktenzeichen 4 TaBV 1/91)

KreisG Merseburg (Beschluss vom 02.04.1991; Aktenzeichen A 358/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 11. Februar 1992 – 4 TaBV 1/91 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten, soweit Rechtsbeschwerde zugelassen ist, über die Frage, ob aufgrund eines Betriebskollektivvertrages zu zahlende Zuwendungen, soweit sie nach dem 1. Juli 1990 fällig geworden sind, im Verhältnis 1 : 1 umzustellen waren.

Der Arbeitgeber betrieb in M… (Sachsen-Anhalt) in der Rechtsform eines Volkseigenen Betriebes (VEB) einen Betrieb, der sich mit Industriemontagen befaßte. Am 30. Januar 1990 wurde von der gesamten Belegschaft des Betriebes in Anlehnung an das Betriebsverfassungsgesetz und dessen Wahlordnung eine “Interessenvertretung” gewählt, die sich jedoch auch nach ihrer Wahl bis zum Inkrafttreten des BetrVG stets nur als Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) bezeichnete. Unter dieser Bezeichnung schloß sie am 8. März 1990 mit dem damaligen Direktor des Kombinatsbetriebs und jetzigen Geschäftsführer der Firma den “Betriebskollektivvertrag (BKV) 1990” ab. Die Anlage 3 dieses Vertrages enthält eine “Ordnung über die Ehrung sowie die soziale Betreuung der Beschäftigten, der Veteranen und der Familienangehörigen”. Darin waren insbesondere Jubiläumszahlungen vorgesehen zwischen 225,-- Mark bei 5-jähriger Betriebszugehörigkeit und 2.100,-- Mark bei 45-jähriger Betriebszugehörigkeit. Ferner waren in der Anlage 3 prädikatsabhängige Prämien für Meisterprüfungen, Studienleistungen delegierter Studenten, Prämien zur Stimulierung von staatlichen Auszeichnungen, jährliche Studienbeihilfen für delegierte Studenten und einmalige Versicherungsleistungen bei Unfällen geregelt.

Ab 1. Juli 1990 zahlte der Arbeitgeber hinsichtlich dieser Zuwendungen nur die Hälfte der in Mark der DDR genannten Beträge in DM aus, weil der zugrundeliegende Kultur- und Sozialfonds (§§ 237, 22 Abs. 2 Buchst. f AGB-DDR a.F. i.V. mit der Kultur- und SozialfondsVO) auch im Verhältnis 2 : 1 umgestellt worden war.

Die Interessenvertretung hat die Auffassung vertreten, daß die Zuwendungen je nach Fälligkeit in der ausgewiesenen Höhe in Mark oder DM zu zahlen seien.

Der VEB Industriemontagen M… ist nach dem 1. Juli 1990 in die Industriemontagen M… GmbH umgewandelt worden.

Am 15. März 1991 ist ein Betriebsrat nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gewählt worden.

Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Zuwendungen gemäß Anlage 3 zum BKV 1990 vom 8. März 1990, soweit sie nach dem 1. Juli 1990 fällig geworden sind, im Verhältnis 1 : 1 umzustellen waren.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe die für 1990 auf das dreifache erhöhten Jubiläumszahlungen nach der Währungsumstellung nicht mehr bezahlen können, weil auch der Kultur- und Sozialfonds halbiert worden sei. Eine einvernehmliche Änderung des Betriebskollektivvertrages sei mit der Interessenvertretung nicht möglich gewesen.

Das Kreisgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den Antrag abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während der Arbeitgeber um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat im Beschluß vom 26. Mai 1992 – 10 ABR 63/91 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) eingehend dargelegt, daß die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlußverfahren in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Wirksamkeit oder den Inhalt von Betriebskollektivverträgen nach § 28 Abs. 2 AGB-DDR entscheiden, die vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossen worden sind. Auf diesen Beschluß wird insofern weitgehend Bezug genommen.

2. Das vorliegende Verfahren ist am 27. Dezember 1990 beim Kreisgericht Merseburg anhängig geworden. Zu dieser Zeit galt seit dem 3. Oktober 1990 nach dem Einigungsvertrag Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 15 im Gebiet der ehemaligen DDR das Arbeitsgerichtsgesetz der Bundesrepublik in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979.

Die Zulässigkeit eines Antrages auf Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt sich grundsätzlich nach dem Verfahrensrecht, das zur Zeit des Anhängigwerdens des Verfahrens gilt, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Neues Verfahrensrecht erfaßt auch bereits anhängige Verfahren (BVerfGE 39, 156, 167). Darauf, wann die Streitigkeit entstanden ist und zu welcher Zeit das tatsächliche Geschehen sich ereignet hat, aus dem der Streit herrührt, kommt es nicht an. Es ist daher für die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages ohne Bedeutung, ob vor dem 1. Juli 1990 – oder vor dem 3. Oktober 1990 – Streitigkeiten zwischen dem Betrieb und einer Betriebsgewerkschaftsleitung nicht justitiabel waren, etwa weil die §§ 296 ff. AGB-DDR gerichtliche Entscheidungen nur für Arbeitsstreitfälle zwischen Werktätigen und ihrem Betrieb geregelt und für zulässig erklärt hatten.

Unschädlich ist daher auch, daß in der Zeit vom 1. Juli bis 2. Oktober 1990 im Gebiet der ehemaligen DDR es trotz der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes an einer Regelung des gerichtlichen Verfahrens für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten fehlte, nachdem auch das Gesetz über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht vom 29. Juni 1990 (GBl. I S. 505) eine Zuständigkeit der Schiedsstellen und der Gerichte nur für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis begründet hatte (Beschluß des Zehnten Senats vom 26. Mai 1992, aaO, zu B I 2 der Gründe).

3. Die Zulässigkeit des Antrages des Betriebsrats ergibt sich aus § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Danach sind die Arbeitsgerichte – nach dem Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1w die Kreisgerichte – Kammer für Arbeitsrecht – ausschließlich zuständig für Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, über die gemäß Abs. 2 nach den Vorschriften über das Beschlußverfahren zu entscheiden ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird mit dieser Vorschrift das Beschlußverfahren für alle Streitigkeiten eröffnet, die aus dem Betriebsverfassungsrecht entstehen können. Immer dann, wenn die durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelte Ordnung des Betriebes und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit sind, soll darüber im Beschlußverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entschieden werden (Senatsbeschluß vom 5. November 1985 – 1 ABR 56/83 – AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972). Das gilt auch dann, wenn Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe im Streit sind, die sich nicht aus dem Betriebsverfassungsgesetz selbst ergeben, ihre Grundlage vielmehr in anderen Rechtsvorschriften oder in einem Tarifvertrag haben können (Senatsbeschluß vom 16. Juli 1985 – 1 ABR 9/83 – AP Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Senatsbeschluß vom 10. September 1985 – 1 ABR 28/83 – AP Nr. 3 zu § 117 BetrVG 1972).

Eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz ist auch ein Streit der Betriebspartner über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung (Beschluß des Zehnten Senats vom 26. Mai 1992, aaO, zu B I 3 der Gründe, m.w.N.).

4. Der Betriebskollektivvertrag vom 8. März 1990 ist allerdings keine Betriebsvereinbarung i.S. des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Betriebsverfassungsgesetz ist vielmehr erst durch das Gesetz der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357) mit Wirkung vom 1. Juli 1990 für das Gebiet der DDR in Kraft gesetzt worden.

Der Betriebskollektivvertrag entspricht der Betriebsvereinbarung aber nach Funktion und Wirkung und ist ihr insoweit gleichzustellen, als ein Streit über den Inhalt eines Betriebskollektivvertrages ebenso wie der über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung nach § 2a Abs. 1 und 2 BetrVG im Beschlußverfahren zu entscheiden ist, sofern die Arbeitnehmervertretung aus geheimen und gleichen Wahlen hervorgegangen ist.

a) Nach § 28 Abs. 1 AGB-DDR war der Betriebskollektivvertrag zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung abzuschließen. Nach Abs. 2 sind in dem Betriebskollektivvertrag konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung aufzunehmen. Außerdem sind in ihm die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren sind.

Für diese “arbeitsrechtlichen Regelungen” ist anerkannt, daß der Betriebskollektivvertrag ein Normenvertrag war. Er ist Rechtsquelle für arbeitsrechtliche Ansprüche der Werktätigen (Grundriß des Arbeitsrechts, herausgegeben von einem Autorenkollektiv, 1980, S. 63 ff.). Er ist Bestandteil des Systems arbeitsrechtlicher Regelungen zur rechtlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Arbeitsrecht der DDR, bearbeitet von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Michas, 1970, S. 125 ff.). Er wird zwischen dem Betrieb und der Vertretung der Werktätigen abgeschlossen und dient damit der eigenverantwortlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Arbeitsrecht, aaO).

Damit entspricht der Betriebskollektivvertrag – soweit er “arbeitsrechtliche Regelungen” enthält – seiner Funktion und Wirkung nach der Betriebsvereinbarung i.S. des Betriebsverfassungsgesetzes. Auch die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarten Betriebsvereinbarungen wirken, soweit sie Rechte und Pflichten begründen, normativ und zwingend (§ 77 Abs. 4 BetrVG).

b) Dieser Ähnlichkeit des Betriebskollektivvertrages mit der Betriebsvereinbarung muß nicht entgegenstehen, daß als Vertragspartner des Betriebskollektivvertrages auf Arbeitnehmerseite nicht eine von allen Arbeitnehmern gewählte Vertretung steht, vielmehr die Betriebsgewerkschaftsleitung, die nicht von allen Werktätigen des Betriebes, sondern nur von den in der Gewerkschaft organisierten Mitgliedern der Betriebsgewerkschaftsorganisation gewählt wurde (Mampel, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, S. 118). Denn nach § 30 Nr. 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357) nehmen bis zur Wahl eines Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewählt worden sind, die den Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 zustehenden Rechte und Pflichten wahr. Gleiches gilt für die in der Verordnung des Ministerrats vom 11. Juli 1990 (GBl. I S. 715) genannten Arbeitnehmervertretungen. Diese Bestimmungen sind durch den Einigungsvertrag (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4) aufrechterhalten worden. Soweit – wie im vorliegenden Falle geschehen – die Arbeitnehmervertretung nach demokratischen Grundsätzen auf Grund geheimer und gleicher Wahl bestimmt worden ist, bestehen keine Bedenken, eine Ähnlichkeit des Betriebskollektivvertrages mit der Betriebsvereinbarung anzunehmen (Beschluß des Zehnten Senats vom 26. Mai 1992, aaO, zu B I 4 der Gründe). Soweit der Betriebskollektivvertrag Normen über Arbeitsbedingungen enthält, ist es daher gerechtfertigt, einen Streit über den Inhalt eines Betriebskollektivvertrages einem Streit über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung i.S. von § 2a Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gleichzustellen und im Beschlußverfahren darüber zu entscheiden, welchen Inhalt ein Betriebskollektivvertrag hat.

II. Der Antrag des Betriebsrats ist nicht begründet.

1. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine Betriebsvereinbarung so durchzuführen, wie sie abgeschlossen wurde (BAGE 54, 191 = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAGE 56, 313 = AP Nr. 24 zu § 77 BetrVG 1972; Beschluß vom 28. September 1988 – 1 ABR 41/87 – AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). In allen genannten Verfahren ging es darum, dem Arbeitgeber ein Verhalten aufzugeben, zu dem er nach dem Inhalt der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung verpflichtet war, bzw. ein Verhalten zu untersagen, das zu unterlassen er sich nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung verpflichtet hatte.

Dagegen hat der Senat ebenso in ständiger Rechtsprechung entschieden, der Betriebsrat habe keine Sachbefugnis zur Geltendmachung von normativ begründeten Ansprüchen der Arbeitnehmer aus der Betriebsvereinbarung gegen den Arbeitgeber (BAGE 63, 140, 146 f. = AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972, zu B I 2b bb der Gründe).

Vorliegend geht es dem Betriebsrat um die Feststellung des streitigen Inhalts des Betriebskollektivvertrages ab dem 1. Juli 1990, ohne zugleich für die einzelnen Arbeitnehmer Ansprüche geltend zu machen. Er will durchsetzen, daß der Arbeitgeber den Betriebskollektivvertrag mit dem Inhalt durchführt, den er seiner Meinung nach hat. Für einen solchen Antrag ist er aktiv legitimiert.

2. Der Antrag des Betriebsrats ist dennoch unbegründet.

Der Betriebskollektivvertrag ist zunächst wirksam zustande gekommen.

a) Der mögliche Inhalt eines Betriebskollektivvertrages wird in § 28 Abs. 2 AGB-DDR geregelt. In den Betriebskollektivvertrag sind konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung aufzunehmen. Das betrifft vor allem Verpflichtungen zur Entwicklung und Förderung schöpferischer Initiativen der Werktätigen im sozialistischen Wettbewerb für die Erfüllung und gezielte Überbietung der Planaufgaben, zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie zur Entwicklung eines hohen Kultur- und Bildungsniveaus und zur Förderung der sportlichen Tätigkeit der Werktätigen. Außerdem sind in ihm die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren sind. Klauseln, die gegen Rechtsvorschriften verstoßen, sind rechtsunwirksam. Nähere Einzelheiten werden durch Grundsätze bestimmt, die vom Ministerrat und vom Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes gemeinsam erlassen werden (§ 28 Abs. 3 AGB-DDR). Diese Grundsätze sind als Richtlinien durch Beschluß des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 10. Juli 1975 (GBl. I S. 581 ff.) erlassen worden.

Die Kompetenzen der Gewerkschaften im Betrieb ergeben sich im wesentlichen aus §§ 22 ff. AGB-DDR. Die Vorschriften werden im wesentlichen in den Richtlinien des Ministerrates der DDR und des Bundesvorstandes des FDGB vom 23. Mai 1985 (Informationsblatt des FDGB August 1985) wiederholt (vgl. Schaub, BB 1991, 685, 686, unter II 1).

b) Danach enthalten Betriebskollektivverträge in erster Linie gegenseitige Verpflichtungen der Betriebspartner, des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung, hinsichtlich der in § 28 Abs. 2 Satz 2 AGB-DDR im einzelnen genannten Angelegenheiten und Aufgaben. Darüber hinaus enthält der Betriebskollektivvertrag Normen, die das Verhältnis des Arbeitnehmers (Werktätigen) zum Betrieb regeln. Solche Normen zu schaffen steht jedoch nicht im Belieben von Betriebsleitern und Betriebsgewerkschaftsleitung, sie sind vielmehr zur Schaffung solcher Normen verpflichtet, soweit Rechtsvorschriften solche Regelungen vorschreiben. Dazu gehören beispielsweise nach § 93 Abs. 2, §§ 112, 116 Abs. 2, § 117 Abs. 1 und § 152 Abs. 3 AGB-DDR Regelungen für betriebliche Auszeichnungen, für vorbildliche Erfüllung der Arbeitsaufgaben, für Erschwerniszuschläge, für die im Betrieb zur Anwendung kommenden Prämienformen, für die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeitskollektiv und für die Übernahme von Kosten einer Aus- und Weiterbildung durch den Betrieb. Dazu gehört auch die Vereinbarung von Jubiläumsgeldern.

c) Nach § 22 Abs. 2 Buchstabe f AGB-DDR bestimmt die Betriebsgewerkschaftsorganisation mit bei der Verwendung des Kultur- und Sozialfonds. Nach § 237 Abs. 2 AGB-DDR ist die vorgesehene Verwendung des entsprechend den Rechtsvorschriften gebildeten Kultur- und Sozialfonds im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren. Auf dieser Grundlage entscheidet über die Verwendung der Mittel im einzelnen der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung.

3.a) Mit der Novellierung des AGB-DDR (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsgesetzbuches vom 22. Juni 1990, GBl. I S. 371) ist die Rechtsetzungsmacht für den Abschluß von Betriebskollektivverträgen, die auf einer im Gesetz enthaltenen Delegation beruhte, entfallen. Im übrigen war mit dem Inkrafttreten des BetrVG am 1. Juli 1990 für die zu wählenden Betriebsverfassungsorgane eine Regelungskompetenz nach dem BetrVG erwachsen.

b) Die jeweils für ein Jahr abgeschlossenen Betriebskollektivverträge sind trotz des Wegfalls ihrer Rechtsgrundlage durch Gesetz zur Änderung des Arbeitsgesetzbuchs vom 22. Juni 1990 vorübergehend bis zum 2. Oktober 1990 weiterhin wirksam gewesen. Das ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem vergleichbaren Problem des nachträglichen Wegfalls der Ermächtigungsgrundlage für eine Verordnung. In diesem Falle ist davon auszugehen, daß für den Bestand einer vor der Gesetzesänderung ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung der spätere Wegfall der gesetzlichen Grundlage ohne Einfluß ist (BVerfGE 9, 3, 12; 12, 341, 347; 31, 357, 362 f.; 78, 179, 198; die entgegengesetzte Auffassung von MünchKomm-Oetker, BGB, Ergänzungsband zur 2. Aufl., Zivilrecht im Einigungsvertrag Rz 913, wird nicht begründet).

c) Der Betriebskollektivvertrag vom 8. März 1990 ist aber mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 rechtsunwirksam geworden. Während der Einigungsvertrag mit seinen Anlagen eine ausdrückliche Regelung für die Fortgeltung von Gesetzen und Tarifverträgen enthält, fehlt es an Aussagen für Betriebskollektivverträge. Auf Betriebskollektivverträge kann daher die Maßgabe zum Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes nicht entsprechend angewendet werden (MünchKomm-Oetker, aaO, Zivilrecht im Einigungsvertrag Rz 913; a.A. Däubler, AiB 1990, 364, 365; ders., AuA 1991, 196, 197 f.). Auch eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 6 BetrVG auf den vorliegend außer Kraft getretenen Betriebskollektivvertrag scheidet aus. Diese Bestimmung beruht auf der gesetzlichen Wertentscheidung, daß eine betriebliche kollektivvertragliche Gestaltung der in § 77 Abs. 6 genannten Regelungsgegenstände auch nach Ende der kollektivvertraglichen Regelung weitergelten soll, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird (MünchKomm-Oetker, aaO; a.A. Wank, RdA 1991, 1, 13, der eine Nachwirkung generell ablehnt).

Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, nach Ablauf der Betriebsvereinbarung weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung kommt nur in Betracht, wenn die Abrede in der Betriebsvereinbarung eine Angelegenheit der erzwingbaren Mitbestimmung betrifft. Ist die Angelegenheit nur der freiwilligen Mitbestimmung zugänglich, wirkt die in ihr getroffene Regelung nach Ablauf der Betriebsvereinbarung nicht nach.

Daneben gibt es Betriebsvereinbarungen, die eine Angelegenheit regeln, die zum Teil der freiwilligen Mitbestimmung, zum Teil der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Um solche Betriebsvereinbarungen handelt es sich regelmäßig dann, wenn in ihnen die Zahlung einer freiwilligen Leistung des Arbeitgebers geregelt ist. Bei deren Gewährung hat der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur, soweit es um die Verteilung der vom Arbeitgeber freiwillig zur Verfügung gestellten Leistung geht. Mitbestimmungsfrei ist hingegen die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt eine freiwillige Leistung erbringen und welche Mittel er hierfür einsetzen will (vgl. Senatsbeschluß vom 21. August 1990, BAGE 66, 8 = AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung). In diesem Beschluß hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Dritten, Sechsten und des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. die Nachweise im Senatsbeschluß vom 21. August 1990, aaO) entschieden, daß den Betriebsvereinbarungen, die eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers regeln, keine Nachwirkung zukommt.

Bei den im Betriebskollektivvertrag geregelten Zuwendungen (Jubiläumsgelder, Beihilfen für delegierte Studenten) würde es sich, wenn sie in einer Betriebsvereinbarung geregelt worden wären, um solche freiwilligen Leistungen handeln. Dem Betriebskollektivvertrag vom 8. März 1990 käme demnach über den 2. Oktober 1990 hinaus keine Nachwirkung zu.

4. Für den Zeitraum bis zum 3. Oktober 1990 hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, die Zuwendungen gemäß Anlage 3 zum BKV vom 8. März 1990, soweit sie nach dem 1. Juli 1990 fällig werden, seien nicht im Verhältnis 1 : 1, sondern im Verhältnis 1 : 2 umzustellen. Zwar tritt nach Anlage I 1. Abschnitt Artikel 2 des Gesetzes zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Mai 1990 (GBl. I S. 331 ff.) an die Stelle der in der Anlage 3 zum BKV vom 8. März 1990 genannten Rechnungseinheit “Mark” die Rechnungseinheit “Deutsche Mark”, jedoch sind nach Art. 7 § 1 der Anlage I alle auf Mark der DDR lautenden Verbindlichkeiten und Forderungen, die vor dem 1. Juli 1990 begründet wurden oder die nach vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen in Geltung gewesenen Vorschriften in Mark der DDR zu erfüllen gewesen wären, mit der Wirkung auf DM umgestellt, daß der Schuldner an den Gläubiger für 2,-- Mark der DDR 1,-- DM zu zahlen hat. Der Betriebskollektivvertrag vom 8. März 1990 hat für alle Arbeitnehmer, die im 2. Halbjahr 1990 eine Zuwendung (z.B. eine Jubiläumszuwendung für langjährige Betriebszugehörigkeit) zu erwarten hatten, eine bedingte Forderung (Erfüllung einer langjährigen Betriebszugehörigkeit) vor dem 1. Juli 1990 begründet. Deshalb sind die in der Anlage 3 zum BKV genannten Beträge im Verhältnis 2 : 1 zu berichtigen.

Die Abweichung in Art. 7 § 1 Abs. 2, aaO, greift nicht ein. Die in Anlage 3 zum BKV vom 8. März 1990 geregelten Zuwendungen, insbesondere die Jubiläumszuwendungen, sind nicht den laufenden Bezügen wie Löhnen, Gehälter, Renten oder Stipendien oder sonstigen regelmäßig wiederkehrenden Leistungen vergleichbar. Die in der Anlage 3 zum BKV vom 8. März 1990 geregelten Zuwendungen, insbesondere die Jubiläumszuwendungen, sind zwar “Lohn” im weiteren Sinne (vgl. für Jubiläumszuwendungen BAGE 56, 289 = AP Nr. 25 zu § 77 BetrVG 1972), aber nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen. Insbesondere die Jubiläumszuwendung wird nur einmal gewährt.

Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats zu Recht abgewiesen, so daß die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen war.

 

Unterschriften

Dr. Kissel, Dr. Weller, Dr. Rost, Muhr, Spiegelhalter

 

Fundstellen

Haufe-Index 846723

BAGE, 29

NZA 1993, 508

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