Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg bei Klagen gegen persönlich haftende Gesellschafter einer KG

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die in § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG begründete Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis besteht nach § 3 ArbGG fort, wenn die Forderungen der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Pensions-Sicherungs-Verein aG übergegangen sind.
  • Der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft ist Arbeitgeber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
  • Soweit Ansprüche einer Person, die nicht Arbeitnehmer ist, der aber aus Anlaß ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen Leistungen der Altersversorgung zugesagt worden sind (hier: Rechtsanwalt als Rechtsberater), nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Pensions-Sicherungs-Verein aG übergehen, kann zwischen den übergegangenen Ansprüchen der Arbeitnehmer und diesem übergegangenen Anspruch ein rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG bestehen, der es rechtfertigt, alle Verfahren dem Arbeitsgericht zuzuweisen. Das ist etwa der Fall, wenn es im Rechtsstreit nicht auf die Arbeitnehmereigenschaft ankommt.
  • Der Beschluß, durch den der vom Kläger beschrittene Rechtsweg für zulässig erklärt wird (§ 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 4 GVG) wird rechtskräftig, wenn er nicht mit sofortiger Beschwerde angefochten wird.
 

Normenkette

ArbGG § 48 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3; GVG § 17a Abs. 1, 3-4; BetrAVG § 9 Abs. 2, § 17 Abs. 1; HGB § 176 Abs. 1, § 128

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 12.11.1992; Aktenzeichen 15 Ta 9/92)

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 09.04.1992; Aktenzeichen 6 Ca 7629/90)

 

Tenor

  • Die Beschwerde der Beklagten und der Streithelfer gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. November 1992 – 15 Ta 9/92 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
  • Die durch die Streithilfe verursachten Kosten werden den Streithelfern auferlegt.
 

Tatbestand

I. Der Kläger ist Träger der Insolvenzsicherung für Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der Arbeitnehmer und anderer Personen, denen solche Leistungen aus Anlaß ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind (§ 17 Abs. 1 BetrAVG). Er macht im vorliegenden Verfahren Ansprüche geltend, die nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf ihn übergegangen sind. Es handelt sich um Ansprüche von Mitarbeitern der B…-Gruppe. Über das Vermögen der B… KG wurde am 30. März 1987 das Konkursverfahren eröffnet. Ab April 1987 zahlt der PSV an die früheren Mitarbeiter laufend monatliche Renten. Er hat behauptet, für diese Rentenzahlung an frühere Arbeitnehmer der B… KG müsse er monatlich 65.574,40 DM aufwenden. In der Zeit von April 1987 bis Februar 1990 (35 Monate) habe er an diese Rentner 2.295.104,-- DM gezahlt. Im gleichen Zeitraum habe er an den versorgungsberechtigten früheren Rechtsberater des Unternehmens, Herrn G… Renten in Höhe von 136.614,08 DM gezahlt.

Der PSV fordert jetzt von fünf Beklagten die Zahlung dieser Beträge. Die Beklagten zu 1) bis 3) waren persönlich haftende Gesellschafter der B… KG, die Beklagten zu 4) und 5) waren Kommanditisten. Der PSV begründet die Inanspruchnahme der Beklagten mit ihrer Stellung als Gesellschafter. Er hat behauptet, die B… KG, die Gemeinschuldnerin, sei zunächst als Gesellschaft ohne Haftungsbeschränkung tätig geworden. Sie sei erst später als Kommanditgesellschaft im Handelsregister eingetragen worden. Die B… KG sei durch Verschmelzung mit der W… KG, der früheren Betriebsgesellschaft, mit Aufnahme ihrer Tätigkeit am 7. Dezember 1984 deren Rechtsnachfolgerin geworden. Sie müsse für sämtliche Verpflichtungen der W… KG einstehen, auch für die Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung. Da die B… KG ihre Geschäfte begonnen habe, bevor sie in das Handelsregister eingetragen worden sei, hafte auch jeder Kommanditist, der dem Geschäftsbeginn zugestimmt habe, für die bis zur Eintragung begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft wie ein persönlich haftender Gesellschafter (§ 176 Abs. 1 HGB). Nach der Eintragung der KG müßten die Kommanditisten als ausscheidende Gesellschafter behandelt werden (Nachhaftung).

Der Kläger hat Klage zum Arbeitsgericht Stuttgart erhoben mit dem Antrag,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.431.718,08 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagten haben die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt. Weder die persönlich haftenden Gesellschafter noch die Kommanditisten seien Arbeitgeber i.S. des § 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 9. April 1992 ausgesprochen, daß der vom PSV beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig sei (§ 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 3 GVG). Gegen diesen Beschluß haben der Beklagte zu 1) und die Beklagten zu 4) und 5) sowie deren fünf Streithelfer Beschwerde eingelegt. Die Beklagten zu 4) und 5) greifen den Beschluß nur insoweit an, wie die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für die auf den PSV übergegangenen Forderungen des Rechtsberaters Grosse bejaht wurde. Die Beklagten zu 2) und 3) haben keine Beschwerde eingelegt.

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1), 4) und 5) durch Beschluß vom 12. November 1992 zurückgewiesen. Es hat die weitere Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde der Beklagten zu 1), 4) und 5) und der Streithelfer gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts ist unbegründet. Die Gerichte für Arbeitssachen sind für die Entscheidung dieses Rechtsstreits zuständig. Das folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3a i.V.m. § 3 ArbGG sowie aus § 2 Abs. 3 ArbGG.

1. Zum Teil steht die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach dem Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 9. April 1992 fest.

a) Die Gerichte für Arbeitssachen haben über die Klage des PSV gegen die Beklagten zu 2) und 3) zu entscheiden. Diese Beklagten haben den Beschluß nicht nach § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG angefochten. Nach § 17a Abs. 3 GVG kann das angerufene erstinstanzliche Gericht vorab aussprechen, daß der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Vorabentscheidung bedeutet, daß unabhängig von den Fragen der Zulässigkeit im übrigen und den Fragen der Begründetheit und vor der Entscheidung in der Hauptsache die Frage des Rechtswegs verbindlich entschieden wird. Zweifel über die Zulässigkeit des Rechtsweges werden vor der Hauptsachenentscheidung verbindlich geklärt. Wird der Beschluß, durch den der beschrittene Rechtsweg für zulässig erklärt wird, nicht mit sofortiger Beschwerde angefochten, wird er rechtskräftig. An diese Entscheidung sind andere Gericht gebunden (§ 17a Abs. 1 GVG). Darauf hat das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

b) Auch soweit der PSV die Beklagten zu 4) und 5) auf Zahlung von 2.295.104,-- DM (Zahlungen an Arbeitnehmer ohne die Leistungen, die Herr G… erhalten hat) in Anspruch nimmt, steht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte rechtskräftig fest. Die Beklagten zu 4) und 5) haben sich nur dagegen gewehrt, daß der PSV aus übergegangenem Recht Forderungen des Herrn G… gegen sie bei den Gerichten für Arbeitssachen einklagt.

c) Umstritten ist die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen danach nur noch für die Klage des PSV (Forderungen der Arbeitnehmer und Forderung G…) gegen den Beklagten zu 1) und die Klage des PSV gegen die Beklagten zu 4) und 5), soweit es sich um die ursprüngliche Forderung des Herrn G… handelt.

2. Die Klage des PSV gegen den Beklagten zu 1) gehört vor die Gerichte für Arbeitssachen, soweit der PSV Ansprüche von Arbeitnehmern geltend macht.

a) Die Gerichte für Arbeitssachen sind ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG). Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehören auch Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung.

Die in § 2 ArbGG begründete Zuständigkeit besteht auch nach dem Forderungsübergang auf den PSV fort. Der PSV ist insoweit Rechtsnachfolger der Arbeitnehmer (§ 3 ArbGG).

b) Der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft ist auch Arbeitgeber i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Der Arbeitnehmer kann seine Forderung zunächst gegen die Kommanditgesellschaft als Arbeitgeberin richten. Er ist als Gesellschaftsgläubiger aber nicht gehindert, zugleich auch gegen die Gesellschafter vorzugehen, die persönlich und unbeschränkt haften (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 128 Satz 1 HGB). Diese Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters ist eine primäre Einstandspflicht des Gesellschafters, die auf gleicher Stufe steht mit der Verbindlichkeit der Gesellschaft (vgl. BAGE 32, 187 = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen; BAGE 52, 24, 31 = AP Nr. 8 zu § 128 HGB, zu II 2 der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 2 Rz 51).

3. Soweit der PSV die auf ihn übergegangenen Ansprüche des Herrn G… gegen den Beklagten zu 1) geltend macht, folgt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen aus § 2 Abs. 3 ArbGG. Dieser Anspruch des PSV steht in rechtlichem Zusammenhang mit den soeben abgehandelten Ansprüchen des PSV gegen den Beklagten zu 1). Beide Ansprüche des PSV beruhen auf rechtlich gleichartigen Versorgungsversprechen (Vertrag) und der einheitlich anzuwendenden Schutzvorschrift des § 17 BetrAVG i.V.m. § 7 BetrAVG. Nach § 17 Abs. 1 BetrAVG können Arbeitnehmer den Insolvenzschutz (§ 7 BetrAVG) in Anspruch nehmen. Die §§ 1 bis 16 BetrAVG gelten aber auch für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn i8nen Leistungen der Altersversorgung aus Anlaß ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbGG will die Teilung rechtlich oder innerlich zusammengehörender Verfahren zwischen den ordentlichen Gerichten und den Gerichten für Arbeitssachen im gebotenen Umfange verhindern (BAG Urteil vom 27. Februar 1975 – 3 AZR 136/74 – AP Nr. 1 zu § 3 ArbGG 1953; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 2 Rz 119; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 2 Rz 143). Die hier zu entscheidende Rechtsfrage, ob und in welchem Umfange ein persönlich haftender Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen hat, kann nur einheitlich entschieden werden; unterschiedliche Ergebnisse, die allein auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen – Arbeitnehmer hier und freie Mitarbeiter dort – beruhen, sind im Hinblick auf den einheitlichen Insolvenzschutz nicht vorstellbar.

Gegen die Regelung in § 2 Abs. 3 ArbGG und die Anwendung dieser Bestimmung im vorliegenden Fall bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte sind gleichwertig. Das Gesetz darf Verfahren unter den in § 2 Abs. 3 ArbGG genannten Voraussetzungen einem Gericht zuweisen, wenn über einen Lebenssachverhalt einheitlich entschieden werden soll. Von den besonderen kostenrechtlichen Regelungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren haben die Beklagten nicht nur, wie sie geltend machen, Nachteile, sondern auch Vorteile. Sie sind, falls sie unterliegen, weitgehend von der Erstattung von Anwaltskosten befreit. Ihr Kostenrisiko ist geringer. Sie können den Rechtsstreit auch selbst führen und brauchen sich nicht der Hilfe eines Rechtsanwalts zu bedienen.

4. Übrig bleiben nur die auf den PSV übergegangenen Ansprüche des Mitarbeiters G… gegen die Beklagten zu 4) und 5). Richtig ist, daß diese Beklagten keine persönlich haftenden Gesellschafter der Gemeinschuldnerin waren. Als Kommanditisten sind sie nicht der Arbeitgeber und stehen auch nicht dem Arbeitgeber gleich (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1992 – 9 AZR 308/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Doch werden sie im vorliegenden Falle vom PSV nicht als Kommanditisten in Anspruch genommen, sondern in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, die für eine Gesellschaft tätig wurden, bevor sie als Kommanditgesellschaft in das Handelsregister eingetragen wurde (§ 176 Abs. 1 HGB). Es spricht daher viel für einen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der auf den PSV übergegangenen Ansprüche des Mitarbeiters G… gegen die übrigen Beklagten zu 1) bis 3), für die die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind.

Auf die weiteren Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit des Rechtsweges kommt es nicht mehr an. Auch die Einwendungen der Beklagten gegen die Zulässigkeit der Klage sind unerheblich. Hier geht es nur um die Frage, welches Gericht über die Klagen, und damit über deren Zulässigkeit und Begründetheit zu entscheiden hat.

5. Der Senat kann über die Frage, welcher Rechtsweg zulässig ist, abschließend entscheiden, obwohl das Landesarbeitsgericht bei der Entscheidung über die Beschwerde nach Auffassung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 10. Dezember 1992 – 8 AZB 6/92 – zur Veröffentlichtung vorgesehen) nicht ordnungsgemäß besetzt war. Nach Meinung des Achten Senats entscheidet das Landesarbeitsgericht über die sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter. Das Landesarbeitsgericht hat im vorliegenden Fall mit beachtlichen Gründen die Auffassung vertreten, die Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu dieser Entscheidung sei sachlich geboten. Der Senat kann offenlassen, welche Auffassung den Vorzug verdient. Ein Fehler in der Besetzung des Landesarbeitsgerichts wirkt sich auf die Sachentscheidung nicht aus. Zum einen haben die Beklagten die fehlerhafte Besetzung des Landesarbeitsgerichts nicht gerügt. Zum anderen kommt in der Sache selbst keine andere Entscheidung in Betracht. Der Senat könnte selbst dann, wenn er die Beschwerde aus verfahrensrechtlichen Gründen für begründet erachtet, dem Vorsitzenden des Landesarbeitsgerichts die erforderlichen Anordnungen übertragen (§ 575 ZPO). Dessen Entscheidungsspielraum ist auch in den Fällen, in denen die Entscheidung nur wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben wird, eingeschränkt. Eine Zurückverweisung würde den Streit über die Zulässigkeit des Rechtsweges mithin nur unnötig verlängern.

6. Der Senat entscheidet über die sofortige Beschwerde ohne mündliche Verhandlung und ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (vgl. BAG Beschluß vom 10. Dezember 1992 – 8 AZB 6/92 –).

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und § 101 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek

 

Fundstellen

Haufe-Index 848122

JR 1994, 88

NZA 1993, 617

ZIP 1993, 848

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