In Einzelfällen kann es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für den Schuldner unzulässig sein, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen.

7.1 Verzichtserklärung

Die Anwendung einer arbeitsvertraglichen oder tariflichen Ausschlussfrist kann im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn ihre Einhaltung zugunsten des Beschäftigten einvernehmlich abbedungen ist. Nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) ist dies jederzeit möglich.[1] Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Schuldner durch seine Erklärungen oder durch sein Verhalten dem Gläubiger gegenüber den Eindruck vermittelt hat, er werde auf die Geltendmachung verzichten. Er bringt damit auf den konkreten Einzelfall bezogen zum Ausdruck, dass der Gläubiger die in Rede stehende Forderung nicht mehr innerhalb der an sich auf sie anwendbaren Ausschlussfrist geltend zu machen braucht. Dem ist gleichzusetzen, wenn er den Anspruch zunächst anerkennt, aber nach Ablauf der Ausschlussfrist das Anerkenntnis widerruft.[2] Ein solcher Verzicht kann auch für zukünftige, noch nicht fällige Ansprüche erklärt werden.[3]

Reine Informationsschreiben, die sich an die gesamte Belegschaft richten, können jedoch keinen individuellen Verzicht bewirken.[4]

 

Beispiel

  • In einer Behörde hat der Arbeitgeber bei einer bestimmten Angestelltengruppe eine Zulage gekürzt. Ein Angestellter erhebt Klage. Die Behörde erklärt den anderen betroffenen Angestellten gegenüber, sie werde an alle Betroffenen leisten, wenn der Angestellte in dem gerichtlichen Musterverfahren obsiegt. Eine Berufung auf die Ausschlussfrist ist nicht mehr möglich.[5]
  • Hat ein Angestellter nachgefragt, ob es erforderlich sei, eine Minderzahlung schriftlich zu beanstanden, und ist dies vom Arbeitgeber als nicht notwendig bezeichnet worden, so kann sich dieser später nicht auf einen Formfehler bei der Geltendmachung berufen.[6]
  • In einem Interessenausgleich wird abstrakt auf die Geltendmachung der Ausschlussfrist verzichtet. Der einzelne Beschäftigte kann sich darauf berufen.[7]

Ein Verzicht in der ersten Stufe gilt bei einer zweistufigen Ausschlussfrist auch für die zweite Stufe.[8]

7.2 Hinderung der Geltendmachung

Entsprechendes gilt, wenn der Schuldner den Gläubiger von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten hat. Eine solche Verhinderung kann darin bestehen, wenn durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht wird.

 
Praxis-Beispiel

Bis zu dem Geltendmachungsschreiben hat der Beschäftigte seine Verpflichtung zur Rückzahlung einer Darlehensschuld nicht infrage gestellt, sondern im Gegenteil mit dem Arbeitgeber abgesprochen, dass die Rückzahlung erst erfolgen solle, wenn der Beklagte eine neue Arbeitsstelle gefunden habe.[1]

Der Lauf der Verfallfrist für die Zahlungsansprüche ist so lange gehemmt, wie der Gläubiger eine fehlende Abrechnung noch verlangen kann. Dies gilt jedoch regelmäßig nur in den Fällen, in denen er eine Abrechnung benötigt, um seine Ansprüche berechnen zu können.[2] Grundsätzlich entfällt daher der Einwand des Rechtsmissbrauchs, wenn der Berechtigte anderweitig vom Anspruch Kenntnis erlangt.[3]

 

Beispiel

  • Der Beschäftigte erbringt bei einem Dritten eine mangelhafte Arbeit, die zu einem Schaden führt. Um zu verhindern, dass der Arbeitgeber einen Freihalte- oder Erstattungsanspruch gegen ihn geltend macht, sorgt er arglistig dafür, dass der Arbeitgeber davon nichts erfährt. In diesem Fall kann der Beschäftigte sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen.[4]
  • Eine Lehrerin beantragt eine Reduzierung ihrer Stundenzahl. Obwohl ihr dies gewährt wird, zahlt der Arbeitgeber fälschlicherweise weiterhin das volle Entgelt aus. Die Lehrerin hat diese Überzahlung nicht gemeldet. In diesem Fall ist das Schweigen als treuwidrig beurteilt worden.[5]

Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vertragspartner bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) Kenntnis von den Schadensereignissen hätte erlangen können, wenn er nicht damit rechnen musste, dass der andere Vertragspartner seine Vertragspflichten verletzt oder dieser seine Verletzungshandlung verschleiert.[6] Sobald die notwendige Kenntnis vorhanden ist, muss der Anspruch nach Ablauf der Ausschlussfrist innerhalb einer kurzen, nach Treu und Glauben zu bemessenden Frist geltend gemacht werden.[7] Erlangt der Gläubiger noch vor dem Ablauf der Ausschlussfrist Kenntnis von den Umständen des Anspruchs, ist wohl noch innerhalb der Frist der Anspruch geltend zu machen, wenn keine besonderen Umstände ein Hinausschieben der Frist erforderlich machen.[8]

Der Schuldner...

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