In Einzelfällen kann es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässig sein, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen. Eine derartige unzulässige Rechtsausübung liegt vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten hat. Dies wird angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat oder den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlussfristerfüllt werde.

 
Praxis-Beispiel

In einer Behörde hat der Arbeitgeber bei einer bestimmten Angestelltengruppe eine Zulage gekürzt. Ein Angestellter erhebt Klage. Die Behörde erklärt den anderen betroffenen Angestellten gegenüber, sie werde an alle leisten, wenn der Angestellte in dem gerichtlichen Musterverfahren obsiegt.

Hat ein Angestellter nachgefragt, ob es erforderlich sei, eine Minderzahlung schriftlich zu beanstanden und ist dies vom Arbeitgeber als nicht notwendig bezeichnet worden, so kann sich dieser später nicht auf die Ausschlussfrist berufen.

Dies gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber den Anspruch vor Ablauf der Ausschlussfrist anerkannt hat oder zusagt, dass er ihn auch nach Ablauf der Ausschlussfrist erfüllen werde.

Erteilt hingegen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Anfrage in Unkenntnis der Rechtslage eine falsche Auskunft, so ist die Berufung auf die Ausschlussfrist nicht treuwidrig.

 
Praxis-Beispiel

Ein leitender Krankenpfleger fragt im Juni 0001 einen Verwaltungsangestellten der Personalabteilung, ob ihm eine Intensivzulage zustehe. Dies wurde verneint. Der Krankenpfleger stellte daraufhin keinen Antrag auf Zahlung einer Intensivpflegezulage. Im Juni 0004 teilt die Personalabteilung dem Krankenpfleger und anderen betroffenen Arbeitnehmern mit, dass ihm ab dem 1.4.0001 eine Intensivpflegezulage in Höhe von monatlich 46,02 EUR zustehe, die ihm jedoch wegen der Ausschlussfrist rückwirkend lediglich für sechs Monate gewährt werde. Diese Berufung auf die Ausschlussfrist ist nicht treuwidrig.

Nach Auffassung des BAG liegt es allein im Risikobereich des Arbeitnehmers, wenn er einer unrichtigen Auskunft des Arbeitgebers glaubt und es unterlässt, den Anspruch rechtzeitig und fristgerecht geltend zu machen. "Von einem Arbeitnehmer muss verlangt werden, dass er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert, denn eine Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist sind rechtlich unbeachtlich . . .".[1] Dem Arbeitgeber kann auch nicht vorgeworfen werden, er habe den Pfleger durch vertragswidriges Unterlassen einer Aufklärung über den Verfall der von ihr abgelehnten Ansprüche auf eine Intensivzulage davon abgehalten, diese geltend zu machen: "Dies setzt eine Rechtspflicht zum Handeln voraus. Diese Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis umfasst jedoch nicht die Verpflichtung, den Arbeitnehmer auf drohenden Verfall seiner Ansprüche durch eine tarifliche Ausschlussfrist hinzuweisen. Auch im Bereich des öffentlichen Dienstes ist es Sache des Arbeitnehmers, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, in welchen Formen und Fristen er seine Ansprüche geltend zu machen hat ...".[2]

Durch die falsche Auskunft wurde beim Krankenpfleger auch nicht der Eindruck erweckt, der Arbeitgeber werde den Anspruch auf die Intensivzulage auch ohne Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist erfüllen. Soweit liegt der Sachverhalt anders als in der Entscheidung des BAG[3] , wo über einen bisher vom Arbeitgeber gewährten Anspruch eine zeitweilige Rechtsunsicherheit über das weitere Bestehen des Anspruchs bestand und der Arbeitnehmer somit davon ausgehen konnte, dass der Arbeitgeber sich für die Zeit der Rechtsunsicherheit nicht auf die tarifliche Ausschlussfrist berufen werde. Da hier der Anspruch vom Arbeitgeber klar verneint wurde, bestand zwischen den Parteien keine derartige Rechtsunsicherheit.

Bearbeitungsfehler hindern nicht den Lauf der Ausschlussfrist. Des Weiteren genügt auch nicht, dass der Arbeitgeber sich grob fahrlässig oder gar bewusst über den Tarifvertrag hinwegsetzt. Nicht treuwidrig handelt auch der Arbeitgeber, der es unterlässt, seine Angestellten auf die Ausschlussfrist hinzuweisen.[4] Dies gilt auch für ausländische Arbeitnehmer.

Die Ausschlussfristen greifen auch dann, wenn der Arbeitgeber einen Tarifvertrag entgegen der Bestimmung des § 8 TVG nicht an geeigneter Stelle im Betrieb oder der Dienststelle ausgelegt hat. Der Arbeitgeber ist auch aufgrund seiner Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf jede Änderung tariflicher Vorschriften hinzuweisen. Der Arbeitnehmer hat sich grundsätzlich die erforderlichen Kenntnisse tariflicher Vorschriften selbst zu verschaffen.

Sowei...

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