Wird bei Tarifbindung des Arbeitgebers im Arbeitsvertrag vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis richtet "nach den Vorschriften des …-Tarifvertrags in der jeweiligen Fassung" (sog. dynamische Verweisung auf den Tarifvertrag), so gilt nach bisheriger Rechtsprechung des BAG Folgendes (Einzelheiten oben Ziff. 5.2):

  • Ist der Arbeitsvertrag ab bzw. nach dem 1.1.2002 geschlossen, so kommt der dynamischen Verweisung auf den Tarifvertrag eigenständige Bedeutung zu. Der Arbeitnehmer hat auch nach dem Betriebsübergang Anspruch auf sämtliche zukünftig vereinbarten Tariferhöhungen.[1] Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verweisung im Arbeitsvertrag ausdrücklich als Gleichstellungsabrede vereinbart oder auf die Dauer der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband eingeschränkt wurde.

Ist – wie in der Praxis regelmäßig gegeben – in einem ab dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsvertrag eine dynamische Verweisung auf den beim Veräußerer geltenden Tarifvertrag enthalten, so muss diese Vereinbarung nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG nach einem Betriebsübergang vom übernehmenden Arbeitgeber weiterhin erfüllt werden. Begründet wird diese Rechtsprechung vom BAG über die Geltung der Vorschriften zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305ff. BGB) für Formulararbeitsverträge. Der Arbeitnehmer sei als "Verbraucher" besonders schutzwürdig.

Bereits im oben geschilderten Urteil vom 9.3.2006[2] hatte der EuGH erklärt: Der Betriebserwerber, der nicht Partei eines den Veräußerer bindenden Kollektivvertrags ist, auf den der Arbeitsvertrag verweist, ist durch nach dem Betriebsübergang folgende Kollektivverträge nicht gebunden. Ziel der Richtlinie sei es nicht, bloße Erwartungen und hypothetische Vergünstigungen zu schützen. Die bloß statische Fortgeltung der entsprechenden Tarifvertragskauseln gewährleiste gerade die negative Vereinigungsfreiheit des Betriebserwerbers.

Eine Auslegung von Bezugnahmeklauseln im Sinne der Zusage einer dauerhaften Dynamik berge die Gefahr eines Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit in sich, wohingegen die statische Auslegung dieser Klausel das Recht auf negative Koalitionsfreiheit umfassend gewährleiste.[3]

Der EuGH hat aktuell zur vorliegenden Thematik ein weiteres für die Praxis wichtiges Urteil getroffen:

Zum Sachverhalt

Ein Bezirksrat der Stadt London übertrug seine Freizeitabteilung auf ein Privatunternehmen. Dieses wiederum übertrug den Betrieb nach einiger Zeit weiter auf eine zweite Privatfirma. In den Arbeitsverträgen der betroffenen Arbeitnehmer war formuliert: Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mit dem Bezirksrat London richten sich die Arbeitsbedingungen nach den periodisch vom "National Joint Council for Local Government Service" ausgehandelten Tarifverträgen, einem Tarifvertrag der regelmäßig für den kommunalen Dienst abgeschlossen wird.

Das zweite Privatunternehmen war der Auffassung, dass es nicht an die Tarifverträge gebunden sei, die nach dem Betriebsübergang abgeschlossen wurden.

Die Entscheidung

EuGH 18.7.2013 – C-426/11 (Mark Alemo-Herron u. a. gegen Parkwood Leisure Ltd)

Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG ist beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedsstaat verwehrt ist, vorzusehen, dass im Falle eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen.

Der Europäische Gerichtshof gab dem klagenden Unternehmen Recht. Eine Klausel, die dynamisch auf nach einem Betriebsübergang geschlossene Kollektivverträge des öffentlichen Dienstes verweist, könnte den Handlungsspielraum erheblich einschränken, den ein privater Erwerber benötigt, um notwendige Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen.

Die Richtlinie 77/187 diene nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Unternehmensübergang, sondern sie solle auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten. Letzterer müsse die in der Privatwirtschaft erforderlichen Anpassungen der Arbeitsbedingungen vornehmen können. Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG sei im Einklang mit Art. 16 der Grundrechte-Charta zur unternehmerischen Freiheit auszulegen. Habe der Erwerber nicht die Möglichkeit, die Entwicklung der Arbeitsbedingungen zu bestimmen, sei seine Vertragsfreiheit so erheblich reduziert, dass der Wesensgehalt seines Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigt sei.

Anmerkung

Die EuGH-Entscheidung beinhaltete eine Umkehrung der bisherigen Rechtsprechung des BAG jedenfalls für den Bereich der Ausgliederung aus dem öffentlichen Dienst sowie für Betriebsübergänge, bei denen es zu einem Branchenwechsel kommt: Hat der private Betreiber eines aus dem öffentlichen Dienst übernommenen Bereiches nic...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge