In den Kirchen und ihren Einrichtungen hat es viele Jahrzehnte keine Streiks gegeben. Nach Ansicht der Kirchen sind Streiks nicht kirchengemäß und damit unzulässig. Dies wird mit dem durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung garantierten Selbstverwaltungsrecht begründet. Bislang wurden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes unter Einschaltung arbeitsrechtlicher Kommissionen, die mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt sind, in die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) und Vergütungsordnungen übernommen. Damit war eine weitgehende Gleichbehandlung der kirchlichen Bediensteten mit denen des sonstigen öffentlichen Dienstes gewährleistet. In den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie sind in den letzten Jahren zum Teil für die Arbeitnehmer ungünstigere Arbeitsbedingungen und niedrigere Vergütungen festgesetzt worden.

 

Wichtig

Eine kirchliche Einrichtung kann sich ausdrücklich für den Abschluss von Tarifverträgen entscheiden, zusammen mit einer Schlichtungsvereinbarung, nach der eine Schlichtungsstelle im Konfliktfall unter dem Vorsitz eines unparteiischen Schlichters über das Zustandekommen des Tarifvertrags entscheidet (sog. Zweiter Weg).[1]

Da sich die kirchlichen Arbeitgeber weigern, mit den Gewerkschaften Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen und Vergütungen aufzunehmen, hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di den ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Dr. Jürgen Kühling, mit einer Studie zu dem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen beauftragt. Nach dieser Studie ist ein Arbeitskampf zur Erzwingung eines Tarifabschlusses auch für kirchliche Bedienstete zulässig. Die Untersagung des Streikrechts würde das Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Koalitionen bis zur Unkenntlichkeit verkürzen. Das kirchliche Selbstverwaltungsrecht sei nicht tief greifend verletzt, wenn Arbeitskämpfe in kirchlichen Einrichtungen geführt werden würden. Es müsse aber beachtet werden, dass die Tarifforderungen im Einklang mit kirchlichen Gepflogenheiten stehen. Zudem müsste auf die schutzwürdigen Belange von Patienten, Pflegebedürftigen und Heimbewohnern angemessen Rücksicht genommen werden.[2] Diese Rechtsansicht ist in der Literatur auf Ablehnung gestoßen.[3]

Es besteht eine Grundrechtskollision zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften, sofern sich die Religionsgemeinschaft der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen bedient. Die Gerichte haben diese Grundrechtskollision durch einen schonenden Ausgleich nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen. Eine Gewerkschaft darf dann nicht zum Streik aufrufen, wenn die Religionsgemeinschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren verfügt, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission lösen (sog. Dritter Weg), die Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist.[4]

[1] BAG, Urteil v. 20.11.2012, 1 AZR 611/11; Bernd Grzeszick, Das Urteil des BAG zum Streikverbot in Kirchen auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Europarechts, NZA 2013 S. 1377.
[2] Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, AuR 2001 S. 241.
[3] Richardi/Thüsing, Kein Arbeitskampf in der Diakonie, AuR 2002 S. 94; Richardi, Tarifvertrag mit Arbeitskampf oder "Dritter Weg" in der Kirche?, NZA 2002 S. 929.
[4] BAG, Urteil v. 20.11.2012, 1 AZR 179/11; dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war unzulässig: BVerfG, Beschluss v. 15.7.2015, 2 BvR 2292/13; Joachim Eder, Die Beteiligung von Koalitionen im Dritten Weg – Umsetzung der BAG-Streikrechtsurteile in der Katholischen Kirche.

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