Wohnungswirtschaft: Soziale Initiative gegen Einsamkeit

26 Prozent der Mieter sagen von sich selbst, dass sie zu wenige ihnen nahestehende Menschen haben. Viele Wohnungsunternehmen haben deshalb Angebote entwickelt, die die Einsamkeit von Mietern lindern – von der Geschenkeaktion für alleinstehende Senioren bis hin zu gemeinschaftsfördernden Wohnformen.

Jeweils vor Ostern und vor Weihnachten haben Freiwillige in Jena-Nord alle Hände voll zu tun. Dann stellen sie Pakete zusammen, die sie an alleinstehende Senioren verteilen – als Beitrag gegen Einsamkeit. Denn die Geschenke sollen den älteren Menschen nicht nur eine Freude machen, sondern sie auch über Begegnungsstätten informieren und somit ein Anlass sein, soziale Kontakte zu knüpfen. Das scheint zu funktionieren: Nach Angaben des Wohnungsunternehmens Jenawohnen, das die "Initiative gegen Einsamkeit im Alter" zusammen mit zwei lokalen Vereinen auf den Weg gebracht hat, ist es mit der Geschenkeaktion gelungen, die Nutzung der Begegnungsstätten zu erhöhen und Senioren in Gemeinschaftsaktionen zu integrieren.

Das Beispiel aus Jena ist nur eines von zahlreichen Projekten, mit denen Wohnungsunternehmen eines der drängenden Probleme der Gegenwart angehen: die Einsamkeit vieler Menschen. Wie groß dieses Problem ist, hat die vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen herausgegebene Studie "Wohntrends 2040" gezeigt. Demnach erklärten 26 Prozent der befragten Mieter, sie hätten keine oder nur wenige Menschen, die ihnen naheständen. Fast die Hälfte, nämlich 44 Prozent, konnte die Aussage nicht bestätigen, genug Gesellschaft zu haben.

Quartiersarbeit hilft

Auch auf politischer Ebene ist das Thema angekommen. Seit 2022 erarbeitet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Strategie gegen Einsamkeit, in deren Rahmen das Kompetenznetz Einsamkeit gegründet wurde. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen setzte eine Enquete-Kommission zum Thema Einsamkeit ein, die 2022 einen umfangreichen Abschlussbericht vorlegte. Schon 2018 machte Großbritannien dadurch Schlagzeilen, dass ein Ministerium für Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit eingerichtet wurde. Und jetzt gerade läuft im Berliner Bezirk Reinickendorf die Stellenausschreibung für einen Einsamkeitsbeauftragten.

Doch auch die Wohnungswirtschaft befasst sich verstärkt mit dem Thema. Denn in den Quartieren der Wohnungsunternehmen bietet sich die Möglichkeit, konkrete Maßnahmen gegen Einsamkeit zu ergreifen. "Quartiere und Nachbarschaften gelten als ein Ort, um die Einsamkeit zu überwinden", schreiben die Institute Analyse & Konzepte und Inwis in der Studie "Wohntrends 2040". Wenn Wohnungsunternehmen die Entstehung von Einsamkeit verhindern wollten, dann müssten sie den Menschen in den Quartieren Möglichkeiten eröffnen, sich zu vernetzen, heißt es in der Untersuchung. "Das geht über Gemeinschaftsräume, aneignungsfreundliche Freiräume und über niederschwellige Gemeinwesenarbeit und Anstiftung zur Selbstorganisation im Quartier."

40 Freiwillige machten "Besuch" am Telefon

"Die Nachbarschaftsförderung ist ein relevantes Thema für Wohnungsunternehmen", ist auch Helene Böhm überzeugt, Leiterin Sozial- und Quartiersmanagement bei der Berliner Gesobau. "Wohnungsunternehmen sind nah dran an der Lebenswelt der Mieterinnen und Mieter und daher unverzichtbare Partner für Ideen, Projekte und Initiativen gegen Einsamkeit." Schon 2004 nahm deshalb im Märkischen Viertel, einer Großwohnsiedlung der Gesobau im Norden Berlins, ein freiwilliger Besuchsdienst seine Tätigkeit auf. "Die Zahl der einsamen Menschen, die gerne Gesellschaft hätten, ist groß", hieß es damals. 2015 wurde dieser Besuchsdienst allerdings eingestellt, da nach Angaben der Gesobau sowohl die Zahl der Nutzer als auch die der Freiwilligen abgenommen hatte.

Das bedeutet nicht, dass für die Gesobau das Thema aus dem Blick geraten ist. 2020, in der Frühphase der Corona-Pandemie, startete das landeseigene Wohnungsunternehmen das Projekt "Gesobau zu Besuch am Telefon". Mehr als 40 Freiwillige aus verschiedenen Abteilungen der Gesobau riefen die über 80-jährigen Mieterinnen und Mieter an, erkundigten sich nach ihrem Befinden und boten Hilfe zum Beispiel beim Einkaufen an.

Mittlerweile ist daraus eine Sprechstunde für Seniorinnen und Senioren geworden, die immer freitags telefonisch kontaktiert werden kann. "Das Telefon ist ein wichtiger Kontaktweg, denn viele ältere Menschen sind nicht online", stellt Helene Böhm fest. "Wenn man Senioren allerdings mit digitalen Hilfsmitteln unterstützt, dann ist die Digitalisierung ein wichtiger Beitrag gegen Einsamkeit. Denn das Internet ist ein Fenster zur Welt." Dieses Fenster öffnen soll das Seniorennetzwerk Märkisches Viertel, das Älteren dabei hilft, mit Smartphone und Tablet umzugehen.

"Third Places" im Quartier

Allerdings ist Einsamkeit nicht auf ältere Menschen beschränkt. Zwar nehme Einsamkeit zu, wenn die Mobilität schwinde, sagt Helene Böhm. "Aber auch viele junge Menschen sind einsam." Berücksichtigt hat die Gesobau dies bei der gerade abgeschlossenen Neugestaltung der Außenanlagen im Märkischen Viertel. "Es gibt wenige Möglichkeiten, sich ohne Konsumzwang im öffentlichen Raum zu treffen", stellt Böhm fest. "Deshalb haben wir uns bei der Neugestaltung der Außenanlagen dafür entschieden, auch aktivierende Angebote zu schaffen. Neben Sitzbänken, wo ältere Menschen verweilen können, gibt es deshalb zum Beispiel Anlagen, wo man Kraftsport treiben und sich mit Gleichgesinnten treffen kann, sowie Hochbeete, die zum gemeinsamen Gärtnern einladen."

Wichtig sei, dass solche "Third Places" ohne Hemmungen zu betreten seien und es konkrete Anlässe gebe, sich zu treffen, schreibt Prof. Dr. Torsten Bölting, Professor für Sozialwissenschaften an der EBZ Business School, in einem Beitrag für das vom EBZ herausgegebene Magazin "Skills eG". Gerade Wohnungsbaugenossenschaften könnten gemeinsam mit Partnern solche Orte im Quartier schaffen. "Das kann die Bank sein, auf der ältere Menschen mit jüngeren Haushalten in Kontakt kommen", so Bölting. "Oder der Gemeinschaftsraum mit angrenzendem Grillplatz, auf dem monatlich (zunächst organisiert) das kleine Quartiersgrillen stattfindet."

Den Austausch fördern

Auch die Wohnungsunternehmen profitieren von solchen Aktivitäten, ist Bölting überzeugt. "Eine erfolgreiche Bekämpfung der Einsamkeit ist eine wichtige Voraussetzung, um die Gesundheit und Zufriedenheit der Menschen und am Ende auch ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten und zu stärken." Hinzu kommt für Gunnar Poschmann, den Leiter Kommunikation von Jenawohnen, ein weiterer Aspekt: Die Bekämpfung von Einsamkeit entspricht nach seinen Worten dem Anspruch des Vermieters, ein Partner für die Mieter über das reine Wohnen hinaus zu sein, was sich positiv auf die Reputation des Unternehmens auswirkt. Dabei seien den Unternehmen allerdings Grenzen gesetzt, gibt Helene Böhm von der Berliner Gesobau zu bedenken.

"Auch wenn Einsamkeit ein wichtiges Thema ist, sind wir letztlich doch ein Wohnungsunternehmen, das nicht alle Probleme lösen kann", sagt sie. "Was wir aber tun können, ist, Orte bereitzustellen, die als Treffpunkt dienen." Im Märkischen Viertel übernimmt das von einem sozialen Träger betriebene Ribbeck-Haus diese Funktion. Ein anderes Beispiel ist der Quartierstreff Wiesenau in Langenhagen, der mit dem Preis Soziale Stadt 2023 ausgezeichnet wurde. Dieser vom kommunalen Wohnungsunternehmen KSG Hannover GmbH und dem Verein Wohnen in Nachbarschaften (Win e.V.) getragene Treffpunkt hat sich als Plattform in einem sozial nicht einfachen Viertel etabliert.

Senioren tanzen

Doch auch auf ihrem ureigenen Gebiet, der Schaffung und Verwaltung von Wohnraum, können Wohnungsunternehmen einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Mancherorts finden sich Konzepte, die das Ziel verfolgen, den Austausch unter den Bewohnern zu fördern und so Einsamkeit entgegenzuwirken. Die Berliner Gewobag beispielsweise eröffnete 2015 im Bezirk Reinickendorf ihr erstes Wohnaktiv-Haus. Dieses richtet sich an jung gebliebene Menschen über 60, die selbständig, aber in aktiver Gemeinschaft wohnen wollen. Erreicht wird dies durch Gemeinschaftsflächen wie etwa einen großzügigen Eingangsbereich mit Sofaecke, zwei Gemeinschaftsküchen und einer großen Gemeinschaftsterrasse.

Das Konzept sei gut angenommen worden und werde deshalb jetzt auf drei weitere Standorte ausgeweitet, erklärt die Gewobag-Pressestelle auf Anfrage. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Hamburger Saga Unternehmensgruppe mit ihrem Konzept Lena, was für Lebendige Nachbarschaft steht. Erstmals realisiert wurde eine solche Service-Wohnanlage 2014 in Barmbek; mittlerweile sind drei weitere Lena-Häuser eröffnet oder in Bau. "Lena bietet selbstbestimmtes Wohnen in der eigenen Mietwohnung, Versorgungssicherheit durch vor Ort flexibel abrufbare Dienstleistungen und ein stützendes, nachbarschaftliches Miteinander", sagt Saga-Pressesprecher Gunnar Gläser. Zentrale Anlaufstelle ist nach seinen Worten ein Nachbarschaftstreff, dessen Angebote die Bewohner selbst entwickeln und organisieren. Betreut werden die Aktivitäten von der Saga-Tochtergesellschaft Pro Quartier.

Orte, um zugehörig zu sein

"Als Quartiersentwickler setzen wir uns auch über diese speziellen Angebote hinaus mit dem Thema Einsamkeit unserer Mieterinnen und Mieter aktiv auseinander", sagt Gläser. Als Beispiele dafür nennt er Mieterfeste, die Kooperation mit sozialen Trägern sowie die Bereitstellung von Gemeinschaftsräumen, die einen Austausch im Quartier ermöglichen. Damit sieht es die Saga ähnlich wie Helene Böhm, die Leiterin des Sozialmanagements bei der Berliner Gesobau, wenn sie sagt: "Menschen brauchen Orte, wo sie sich zugehörig fühlen. Die Wohnungswirtschaft kann dafür sorgen, dass es solche Räume gibt."

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen  Ausgabe 07/2023 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft". Lesen Sie das gesamte Heft auch in der  Immobilienwirtschaft-App.