Virtuelle WEG-Versammlung: Rechtsunsicherheit beseitigen

Virtuelle WEG-Versammlungen sind technisch längst möglich. Software-Hersteller arbeiten bereits an entsprechenden Tools. Rechtlich wird die Technologie ausgebremst, was dazu führt, dass Wohnungseigentümer und Verwalter mit Notlösungen agieren. Das muss sich ändern.

Nach heutigem Stand können sich problemlos weit über 100 Personen gleichzeitig interaktiv "versammeln". Das Maß an virtueller Präsenz und Interaktion nimmt ständig zu. Es heißt jedoch immer wieder, virtuelle Versammlungen seien per se keine "Versammlungen" im Sinne des Wohnungseigentumsrechts. Dort produzierte Beschlüsse seien nichtig, da § 23 Abs. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) unter einer Versammlung eine physische Zusammenkunft verstehe.

Mich überzeugt das nicht. Zugegeben: Wer als Verwalter Versammlungen leitet und keine nichtigen Beschlüsse in die Welt setzen will, befolgt verständlicherweise die herrschende Meinung und nicht die hier vertretene Außenseiteransicht.

Dennoch gibt es schon jetzt Wege, die technischen Vorteile zu nutzen. Virtuelle Versammlungen sind dem Gesellschaftsrecht keineswegs fremd. Im Aktienrecht, aber auch im Vereins- und GmbH-Recht, ist anerkannt und teils seit Jahren gesetzlich verankert, dass sich Mitglieder einer rechtsfähigen Personenvereinigung zwecks Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte online in eine Präsenzversammlung zuschalten dürfen. Dass eine "Versammlung" im Sinne des § 25 Abs. 3 WEG lediglich die physische Zusammenkunft mehrerer Eigentümer an einem realen Ort sein könne und nur körperlich anwesende Menschen im Sinne dieser Vorschrift "erscheinen" können, überzeugt nicht. Diese Sicht der Dinge ist im Hinblick auf Art. 8 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit) möglicherweise sogar verfassungsrechtlich bedenklich.

Für wirksame Beschlüsse muss jetzt schon kein Eigentümer vor Ort sein

Im Gegensatz zum Fernsehempfang oder Streaming geht es bei der Onlineteilnahme an einer Versammlung um Interaktion in Echtzeit. Teilnehmer empfangen nicht nur, sondern nehmen aktiv teil. Wichtig ist auch das gesetzessystematische Argument, das der Blick in das geltende Aktienrecht aufzeigt: Der Begründung im Gesetzentwurf zur Umsetzung der Aktionärsrechte-Richtlinie ist zu entnehmen, dass der online zugeschaltete Aktionär in der Hauptversammlung ebenso "erschienen" ist wie physisch-reale Teilnehmer (BT-Drs. 16/11642, S. 27).

Es ist naheliegend, Entsprechendes für online an der Versammlung teilnehmende Wohnungseigentümer anzunehmen, zumal das wohnungseigentumsrechtliche Beschlussrecht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohnehin stark an das aktienrechtliche angelehnt ist. Das zweite Postulat der herrschenden Meinung – mehrere Eigentümer müssen erscheinen – ist leicht widerlegt:

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Nach alldem ist anzunehmen, dass das WEG keinen Versammlungsbegriff definiert, sondern dieser vielmehr aus den Funktionen der Mitgliederversammlung und dem Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte abzuleiten ist.

Zum mitgliedschaftlichen Kernbereich der Eigentümerversammlung gehört es, dass Wohnungseigentümer eingeladen werden, sich rechtzeitig informieren und vorbereiten können, in der Versammlung aktiv teilnehmen können, etwa durch Ausübung des Rede-, Antrags- und – vor allem – des Stimmrechts. Unterzieht man die diversen Erscheinungsformen der Beschlussfassung einem qualitativen Vergleich, zeigt sich, dass die Onlineteilnahme an der Eigentümerversammlung den Funktionen der Präsenzversammlung deutlich näher ist als die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren. Die Präsenzversammlung lebt von folgenden Eigenschaften:

  • freie Zugänglichkeit für jeden Wohnungseigentümer unter Schutz der Nichtöffentlichkeit,
  • freier Austausch der Meinungen,
  • freie Rede, Abstimmung über einen Beschlussantrag mit Feststellung des Abstimmungs- und Verkündung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter,
  • jederzeitige Prüfbarkeit von Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernissen.

Die Erfüllung dieser Eigenschaften und Funktionen muss auch bei einer Onlineteilnahme gewährleistet sein.

Ein Verwalter, der sich entsprechende Software anschafft und die erforderliche Moderationstechnik beherrscht, kann Versammlungen real und virtuell stattfinden lassen. Wo eine Eigentümerversammlung stattfindet, unterliegt dem Einladungsermessen des Verwalters. Ermessensgrenzen ergeben sich aus der Funktion der Versammlung als dem Ort der gemeinsamen Willensbildung.

Nach ganz herrschender Meinung muss der Ort daher verkehrsüblich und zumutbar sein. Diese Aussage muss entsprechend auf eine virtuelle Versammlung beziehungsweise virtuelle Teilnahme übertragen werden: Wer als Wohnungseigentümer bereit ist, sich die technische Ausrüstung anzuschaffen oder bei einem Miteigentümer oder beim Verwalter in Anspruch zu nehmen, wird in seinen Mitgliedschaftsrechten nicht beeinträchtigt.

Bereits wegen der Rechtsunsicherheit muss der Gesetzgeber handeln

Rechtspolitisch spricht einiges für die Zulassung virtueller Eigentümerversammlungen: Sie können ein Mittel sein, um die Beschlussträgheit der Wohnungseigentümer und den damit verbundenen nachgewiesenen Sanierungsstau deutscher Eigentümergemeinschaften im Vergleich mit anderen Immobilieneigentümern abzubauen.

Auch das Berufsbild des gewerblichen Verwalters könnte durch sie gestärkt werden, da Eigentümerversammlungen während der üblichen Geschäftszeiten stattfinden könnten. Beschlussanträge und sonstige Informationen können problemlos in der Versammlung online angezeigt und zur Abstimmung gestellt werden. Die Rechtsunsicherheit und das Haftungsrisiko für den Verwalter bei der Herbeiführung formell mangelhafter oder sogar nichtiger Beschlüsse (§ 49 Abs. 2 WEG) machen jedoch ein gesetzgeberisches Handeln erforderlich.

Praxis-Tipp: Zwischenlösung für virtuelle Versammlungen

Eine Variante der virtuellen Treffen wird von manchen technikaffinen Wohnungseigentumsverwaltern schon jetzt praktiziert: Das Meeting wird als Präsenzversammlung einberufen, eröffnet und ausgeführt.

Schon in der Einladung wird jedoch auf die Möglichkeit der Onlineteilnahme hingewiesen, was voraussetzt, dass der Wohnungseigentümer, der dieses Angebot nutzen will, die erforderliche technische Infrastruktur hat. Ferner finden sich in der Einladung der Hinweis auf die bestehenden rechtlichen Risiken und die Empfehlung, einer Person, die zur Versammlung gehen wird, eine Stimmrechtsvollmacht zu erteilen.

Mögliche rechtliche Bedenken an der gleichzeitigen Anwesenheit von Vollmachtgeber und Vertreter werden von Unterstützern dieser Zwischenlösung zurückgestellt. Eine praktikable Lösung könnte darin bestehen, dass die erteilte Vollmacht ruht, solange der Vollmachtgeber online teilnimmt, der sodann zur Abstimmung "abschaltet", sodass der Vollmachtnehmer die Stimme schließlich abgibt.


Der Artikel erschien im Magazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 09/2019.


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