Intensiv-Pflegedienst geht über reine Wohnnutzung hinaus

Die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb eines Intensiv-Pflegedienstes mit bis zu vier Patienten geht über eine reine Wohnnutzung hinaus. Die Wohnungseigentümer können daher die Vermietung zu diesem Zweck untersagen.

Hintergrund
Der Eigentümer einer Wohnung wendet sich mit der Anfechtungsklage gegen einen Eigentümerbeschluss, der ihm die Vermietung der Wohnung an einen Intensiv-Pflegedienst untersagt.

Die Anlage besteht aus neun Wohneinheiten, von denen bis auf die umstrittene Wohnung alle von den Eigentümern selbst genutzt werden. Der Kläger ist Eigentümer einer im Erdgeschoss gelegenen Wohnung, bestehend aus drei Zimmern, Diele, Küche, 2 WCs sowie Keller und Abstellraum.

In der Teilungserklärung heißt es: „Zur Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung ist der Wohnungseigentümer berechtigt. Die gewerbliche oder berufliche Nutzung der Wohnung darf jedoch auf die übrigen Miteigentümer nicht störend oder gar belästigend wirken. Bei einer Vermietung oder Verpachtung einer Wohnung bedarf es der Zustimmung des Verwalters. Bei Vermietung der Wohnung oder des Teileigentums müssen etwaige Zweckbindungen berücksichtigt werden.

Der Erdgeschoss-Eigentümer vermietete seine Wohnung an den Inhaber eines Intensiv-Pflegedienstes, der Beatmungs- und Wachkoma-Patienten versorgt. Der Pflegedienst sollte berechtigt sein, in der Wohnung bis zu vier Personen zu versorgen.

Nachdem der Pflegedienst den Betrieb aufgenommen hatte, wurden mehrfach Patienten mit dem Rettungswagen abgeholt (auch nachts) bzw. mit dem Krankenwagen gebracht. Um die Patienten versorgen zu können, wird im Abstand von zwei Wochen Sauerstoff angeliefert. Die Sauerstoffflaschen werden hierzu auf dem Hof des Grundstücks für die Dauer von etwa 15-20 Minuten befüllt, wobei ein deutliches Zischen zu vernehmen ist. Sodann werden die Sauerstoffflaschen mittels Sackkarre die Treppe hoch durch das Treppenhaus in die Wohnung gezogen.

Zuvor hatten die Eigentümer bereits in der Eigentümerversammlung vom 8.12.2011 beschlossen, eine gewerbliche Vermietung der Erdgeschosswohnung an den Pflegedienst nicht zu genehmigen. Hiergegen wendet sich der Eigentümer der Erdgeschosswohnung mit der Anfechtungsklage.

Entscheidung

Die Anfechtungsklage hat keinen Erfolg. Der Beschluss entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung.

Die von den Eigentümern angestellte Erwägung, dass mit der Einrichtung einer Intensiv-Pflegestation extreme Unruhe im Haus entstehen werde, ist vertretbar. Das Ermessen der Gemeinschaft war nicht dadurch eingeschränkt, dass der Eigentümer einen Anspruch auf die begehrte Beschlussfassung hat. Dies wäre nur der Fall, wenn die begehrte Nutzung der Wohnung als Intensiv-Pflegestation die Grenzen des zulässigen Gebrauchs seines Sondereigentums nicht überschreiten würde, der Eigentümer also die Zustimmung zu der von ihm vorgenommenen Vermietung an den Pflegedienst verlangen könnte. Dies ist indes nicht der Fall.

Gemäß § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und dem Interesse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Die in der Teilungserklärung festgelegte Nutzung des Sondereigentums als „Wohnung“ ist eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter. Die Miteigentümer sollen sich darauf verlassen können, dass keine Nutzung zulässig ist, die mehr stört oder beeinträchtigt als die in der Teilungserklärung genannte Nutzung als Wohnung. Dementsprechend ist in der Teilungserklärung geregelt, dass eine gewerbliche oder berufliche Nutzung der Wohnung auf die übrigen Miteigentümer nicht störend oder gar belästigend wirken darf. Bei der Erteilung der Zustimmung des Verwalters für eine Vermietung sind die aus der Teilungserklärung folgenden Zweckbindungen zu berücksichtigen. Ob die hier gewünschte Nutzung als Intensiv-Pflegestation einer Nutzung als Wohnung vergleichbar ist, ist nach einer typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Dabei ist im Einzelfall auf den Charakter der jeweiligen Wohnanlage und die diese prägenden örtlichen Verhältnisse abzustellen. Die Zustimmung kann verweigert werden, wenn die Nutzung als Intensiv-Pflegestation mehr Beeinträchtigungen erwarten lässt, als die mit der Zweckbestimmung der Teilungserklärung in Einklang stehende Wohnnutzung.

Das ist hier der Fall. Dabei ist im vorliegenden Einzelfall zu berücksichtigen, dass es sich um ein reines Wohnhaus handelt und die Anlage relativ klein und überwiegend von den Eigentümern selbst bewohnt ist. Zudem sind durch die Nutzung der Wohnung durch den Intensiv-Pflegedienst größere Beeinträchtigungen der Hausgemeinschaft zu erwarten als bei einer reinen Wohnnutzung. Anders als bei dieser wird die Nutzung durch den Pflegedienst nach außen deutlich sichtbar durch regelmäßige Anlieferungen spezieller Hilfsgeräte für die Intensivpflege sowie durch die für eine 24-stündige Intensivpflege häufige Besucherfrequenz durch Pflegepersonal. Eine erhöhte Unruhe im Treppenhaus und im Hofbereich wird darüber hinaus durch den regelmäßig erforderlichen Liegend-Transport der Bewohner und erforderlich werdende Notarzt- und Rettungswagen-Einsätze erzeugt sowie die Tatsache, dass infolge des Versterbens der Patienten ständig neue Menschen in die Wohnung einziehen.

Nicht mit Pflege in der eigenen Wohnung vergleichbar

Diese Beeinträchtigungen sind den übrigen Eigentümern bei der hier vorgesehenen konkreten Belegung mit vier Patienten nicht mehr zumutbar, sodass sie zu einer Duldung nicht verpflichtet sind. Zwar muss eine WEG grundsätzlich auch die Intensivpflege eines Bewohners einer Sondereigentumseinheit hinnehmen. Die Pflege eines Menschen in den eigenen vier Wänden an seinem Lebensende gehört - auch wenn sie besonders personal- und pflegeintensiv ist - grundsätzlich zu einer normalen Wohnungsnutzung. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von einer derartigen Wohnungsnutzung jedoch dadurch, dass gleichzeitig vier Patienten in der Drei-Zimmer-Wohnung versorgt werden. Dies ist bei normaler Wohnungsnutzung regelmäßig bei typisierter Betrachtung nicht der Fall.

Aufgrund der höheren Anzahl der zu versorgenden Patienten ist auch das Unruhepotenzial durch Lieferverkehr, Befüllvorgänge für Atmungsgeräte, Angehörigenbesuche und Frequentierungen durch das Pflegepersonal potenziell deutlich höher. Schließlich steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Notfalleinsätze mit Blaulicht und Notarztwagen erforderlich werden, so dass insbesondere in den Nachtstunden mit größerer Wahrscheinlichkeit die Nachtruhe gestört wird. Diese Störungen sind eher mit den Beeinträchtigungen vergleichbar, die regelmäßig bei Betrieb einer Krankenstation auftreten, nicht jedoch in diesem Umfang in einem reinen Wohnhaus. Bei einer derartig intensiven Nutzung des Sondereigentums des Klägers durften die Eigentümer die Zustimmung zu der vorgenommenen Vermietung an den Pflegedienst verweigern.

(AG Köln, Urteil v. 31.7.2012, 202 C 1/12)

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