Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Mietzahlungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die in den Hessischen Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus im Frühjahr 2020 angeordneten Beschränkungen für Einzelhandelsgeschäfte begründen weder einen zur Mietminderung berechtigenden Mangel der gemieteten Gewerberäume noch eine Unmöglichkeit der von dem Vermieter geschuldeten Leistung.

2. Durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie kann aber die Geschäftsgrundlage eines Mietvertrages schwerwiegend gestört sein, wenn die Vertragsparteien sie bei Abschluss des Vertrages nicht bedacht haben.

3. Für die Frage, ob und in welcher Weise dieser Umstand zu einer Anpassung des Mietvertrages führt, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

4. Deren Vorliegen ist im Urkundenprozess regelmäßig nicht feststellbar, da nicht alle Umstände mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismittel bewiesen werden können.

 

Normenkette

BGB § 275 Abs. 1, 4, § 313 Abs. 1, § 326 Abs. 1, §§ 535, 536 Abs. 1; ZPO §§ 592, 598

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.10.2020; Aktenzeichen 2-10 O 156/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 16.02.2022; Aktenzeichen XII ZR 17/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urkundenvorbehaltsurteil des Landgerichts Frankfurt a.M. - 10. Zivilkammer - vom 29.10.2020 (Az.: 2-10 O 156/20) wird zurückgewiesen.

Das Urkundenvorbehaltsurteil des Landgerichts Frankfurt a.M. - 10. Zivilkammer - vom 29.10.2020 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass Zinsen aus weiteren 9.847,27 EUR vom 9.5.2020 [nicht 2018] bis 22.5.2020 zu zahlen sind.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.847,27 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO:

Die Klägerin vermietete unter dem 29.11./8.12.2011 der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein 105 qm großes Ladenlokal im Erdgeschoss des Anwesens A-Straße ... in Stadt1 nebst einer Kellerfläche von ca. 8 qm vom 1.5.2012 an für zunächst fünf Jahre mit einem dreimaligen Optionsrecht auf Verlängerung des Mietvertrages um jeweils fünf Jahre zum Betrieb eines Einzelhandels für den Vertrieb von Damenoberkleidung bestimmter Marken und damit zusammenhängender Lizenzprodukte sowie weiterer Untersortimente. Ein hiervon abweichender Zweck bedarf der Zustimmung des Vermieters. In § 3 des Mietvertrages ist unter anderem folgendes geregelt:

"Sollten die Behörden den Betrieb des Einzelhandelsgeschäfts wie in § 1 beschreiben in den Räumen untersagen, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Untersagung erfolgt, so sind beide Vertragsparteien berechtigt, vom Vertrag fristlos zurückzutreten."

Gemäß § 5 des Vertrages ist die Beklagte berechtigt, die Mieträume mit Zustimmung der Vermieterin ganz oder teilweise unterzuvermieten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf die bei der Akte befindliche Kopie (Blatt 7 ff. der Akte) verwiesen. Das erste Optionsrecht übte die Mieterin aus. Die Miete betrug zuletzt 9.847,27 EUR monatlich einschließlich Umsatzsteuer.

Ende Dezember 2019 / Anfang 2020 wurde in Deutschland die Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS CoV 2, zunächst in China, nachfolgend auch in Europa, beginnend in Italien, bekannt. Spätestens Ende Februar / Anfang März begann das Virus auch in Deutschland, sich epidemisch zu verbreiten. Aufgrund der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 17.3.2020 war der Beklagten die Nutzung der Mieträumlichkeiten im Zeitraum vom 18.3. bis zum 19.4.2020 zu dem vertraglich vereinbarten Zweck unmöglich. Nach der Sechsten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 16.4.2020 war die Nutzung der Mieträume im Zeitraum vom 20.4. bis zum 3.5.2020 nur in äußerst eingeschränktem Maße möglich. Nach der Siebenten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 21.4.2020 sollte auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung innerhalb der betreffenden Betriebe hingewirkt werden. Nach Verlängerung der Beschränkungen bis zum 10.5.2020 wurden die bisherigen Regelungen durch die Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebs von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie der hessischen Landesregierung vom 7.5.2020 ("Corona-Betriebsbeschränkungs-VO") abgelöst. Deren Geltung zunächst bis zum 5.6.2020 wurde nachfolgend bis zum 5.7.2020 verlängert.

Von März 2020 an brach der Umsatz der Beklagten ein. In der Zeit vom 20.4.2020 an war ihr eine Wiederaufnahme des Betriebs nur mit erheblichen Einschränkungen möglich. Mit Schr...

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