Leitsatz (amtlich)

Die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, die dazu berechtigt, ein Grundstück auf die Dauer von 99 Jahren gegen Zahlung eines in zehn Jahresraten zu zahlenden Entgelts als Steinbruch auszubeuten, stellt keinen kaufähnlichen Vertrag dar, der die Ausübung eines Vorkaufsrechts eröffnet.

 

Normenkette

BGB § 463n. F, § 504a. F

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Urteil vom 17.02.2003)

LG Würzburg (Urteil vom 20.08.2002)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Bamberg v. 17.2.2003 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Würzburg v. 20.8.2002 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagten zu 1 und 2 sind Miteigentümer einer in W. gelegenen landwirtschaftlichen Fläche, an der der Gemeinschuldnerin ein im Grundbuch eingetragenes Vorkaufsrecht zusteht. Mit notariellem Vertrag v. 18.7.2001 bestellten die Beklagten zu 1 und 2 den Beklagten zu 3 und 4 eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit, die diese berechtigt, eine Teilfläche des Grundstücks von rund 14.700 qm auf die Dauer von 99 Jahren als Steinbruch auszubeuten. Als Gegenleistung sind 400.000 DM, zahlbar in Jahresraten zu je 40.000 DM, beginnend mit dem 1.10.2001, vereinbart. Die Beklagten zu 3 und 4 sind nicht verpflichtet, die ausgebeuteten Flächen bei Rückgabe aufzufüllen, zu bepflanzen oder zu rekultivieren.

Der beurkundende Notar informierte den Kläger Anfang November 2001 über die Bestellung der Dienstbarkeit, die zwischenzeitlich in das Grundbuch eingetragen worden war. Mit Schreiben v. 21.12.2001, gerichtet an die Beklagten zu 1 und 2, übte der Kläger das Vorkaufsrecht der Gemeinschuldnerin aus. Er verlangt von den Beklagten zu 1 und 2 die Übertragung der Grundstücksfläche im Umfang des eingeräumten Ausbeutungsrechts Zug um Zug gegen Zahlung von 204.516,75 Euro und von den Beklagten zu 3 und 4 die Bewilligung der Löschung der Dienstbarkeit. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Mit der von ihm zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht sieht in dem Vertrag zur Bestellung des Ausbeuterechts einen kaufähnlichen Vertrag, der dem Kläger die Ausübung des Vorkaufsrechts der Gemeinschuldnerin eröffne. Angesichts der Vertragslaufzeit von 99 Jahren und der einem Kaufpreis entsprechenden Gegenleistung erweise sich der Vertrag bei wirtschaftlicher Betrachtung als Kauf. Die hiervon formal abweichende Gestaltung sei nur gewählt worden, um das Vorkaufsrecht zu unterlaufen.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Nach der Rechtsprechung des Senats eröffnet § 504 BGB a. F. nicht nur dann die Ausübung des Vorkaufsrechts, wenn der Verpflichtete mit einem Dritten formell einen Kaufvertrag über den mit dem Vorkaufsrecht belasteten Gegenstand geschlossen hat. Vielmehr gebietet eine interessengerechte Auslegung der Norm, sie auch auf solche Vertragsgestaltungen zwischen dem Verpflichteten und dem Dritten anzuwenden, die bei materieller Betrachtung einem Kauf i. S. d. Vorkaufsrechts so nahe kommen, dass sie ihm gleichgestellt werden können und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses "eintreten" kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen (BGH v. 11.10.1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 = MDR 1992, 256; Urt. v. 20.3.1998 - V ZR 25/97, MDR 1998, 829 = WM 1998, 1189).

2. Rechtsfehlerhaft ist indes die Annahme des Berufungsgerichts, dass diese Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind. Allerdings ist die Auslegung und Würdigung des Vertrages zwischen den Beklagten zu 1 und 2 und den Beklagten zu 3 und 4 in erster Linie Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann dessen Auslegung aber u. a. darauf überprüfen, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist und ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind (st. Rspr. des BGH, vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1992 - X ZR 88/90, MDR 1992, 804 = NJW 1992, 1967 [1968]; Urt. v. 5.1.1995 - IX ZR 101/94, MDR 1995, 346 = NJW 1995, 959; Urt. v. 31.10.1995 - XI ZR 6/95, MDR 1996, 322 = NJW 1996, 248; Urt. v. 16.12.1998 - VIII ZR 197/97, MDR 1999, 468 = NJW 1999, 1022 [1023]). Gemessen daran erweist sich die Würdigung der Vertragsgestaltung durch das Berufungsgericht als für den Senat nicht bindend, da sie wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt und den Interessen der Vorkaufsverpflichteten nicht hinreichend Beachtung schenkt und damit gegen den Grundsatz beiderseits interessengerechter Interpretation verstößt (BGH, Urt. v. 9.7.2001 - II ZR 205/99, BGHReport 2001, 726 = NJW 2001, 3777 [3778]).

a) Den "kaufähnlichen Charakter" des Ausbeutungsvertrages will das Berufungsgericht dem Umstand entnehmen, dass der Steinbruch 99 Jahre lang und somit über mehr als eine Generation hinweg ausgebeutet werden dürfe. Diese Überlegung trägt nicht. Der Steinbruch kann nur solange ausgebeutet werden, wie das Vorkommen reicht. Beutet es der Berechtigte innerhalb kürzerer als der Vertragslaufzeit aus, fällt der Vorteil für den Dienstbarkeitsberechtigten fort. Die Ausübung des Rechts wird dauernd unmöglich, so dass die Dienstbarkeit vor Ablauf der vereinbarten Zeit erlischt und der Grundstückseigentümer ihre Löschung verlangen kann (vgl. BGH BGHZ 41, 209 [214] = MDR 1964, 584; Staudinger/Mayer, BGB, 2002, § 1091 Rz. 2; Joost in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 1091 Rz. 3). Die vereinbarte Vertragslaufzeit ist daher nur bedingt aussagekräftig für das Ausmaß der Bindung, die der Eigentümer eingeht. Sie gewährt dem Berechtigten einen zeitlichen Rahmen für die Ausübung der Rechte, bestimmt aber nicht allein die Dauer der Eigentümerbeschränkung.

b) Soweit das Berufungsgericht meint, das Vorkaufsrecht werde durch die Vertragsgestaltung praktisch unterlaufen, weil es wirtschaftlich uninteressant geworden sei, verkennt es, dass dies bei jeder Bestellung einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit der Fall ist, die den wirtschaftlich wesentlichen Vorteil des belasteten Grundstücks dem Berechtigten zuweist. § 504 BGB a. F. dient aber nicht dazu, Vertragsgestaltungen zu unterbinden, die dem Grundstückseigentümer an sich zu Gebote stehen und die - wie im vorliegenden Fall - auch durchaus üblich und sachangemessen sind. Dass Ausbeutungsrechte vertraglich an Dritte veräußert und durch Dienstbarkeiten gesichert werden, bietet sich an und entspricht der üblichen Praxis. Der Schluss darauf, dass der Grundstückseigentümer und der Dritte ein im Falle des Grundstücksverkaufs drohendes Vorkaufsrecht unterlaufen wollten, lässt eine solche Vertragsgestaltung ohne weitere Umstände nicht zu.

c) Dass die Gegenleistung die Höhe eines Kaufpreises erreichen mag - wie das Berufungsgericht annimmt -, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass die Vertragsparteien bei wertender Betrachtung einen kaufähnlichen Vertrag geschlossen hätten. Der Preis wird durch den Wert bestimmt, den die Parteien dem Ausbeutungsrecht beimessen. Wenn dies der wesentliche Wirtschaftsfaktor ist, liegt es nahe, dass der Preis dem Gegenwert des Grundstücks selbst nahe kommt. Das hindert die Parteien aber nicht, das Grundstück mit einer Dienstbarkeit zu belasten, statt das Vollrecht zu übertragen. Im Übrigen wertet das Berufungsgericht die vereinbarten Zahlungsmodalitäten einseitig zulasten der Beklagten. Dass die Gegenleistung in zehn Jahresraten zu erbringen ist, entspricht gerade nicht der Üblichkeit eines auf Umsatz ausgerichteten Kaufgeschäfts, sondern lässt eher erkennen, dass es um die Entlohnung für ein zeitlich bemessenes Recht geht. Dabei ist der Unterschied zwischen Zahlungszeit (10 Jahre) und Vertragslaufzeit (99 Jahre) weniger auffällig, als das Berufungsgericht meint. Es ist durchaus vorstellbar - wird von dem Berufungsgericht aber nicht in den Blick genommen -, dass sich der zeitliche Rahmen für die Zahlung mit dem Zeitraum deckt, der für eine konzentrierte und zügige Ausbeutung des Steinbruchs anzusetzen ist.

3. Da die Begründung des Berufungsgerichts das Ergebnis der Vertragsauslegung nicht trägt, kann der Senat die notwendige Würdigung anhand des Parteivorbringens und der getroffenen Feststellungen selbst vornehmen (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1998 - V ZR 25/97, MDR 1998, 829 = WM 1998, 1190 [1191]). Danach ist ein Vorkaufsfall i. S. d. § 504 BGB a. F. zu verneinen.

a) Die Gewährung eines dinglich gesicherten Ausbeutungsrechts gegen Zahlung des wirtschaftlichen Gegenwertes stellt keine ungewöhnliche Fallgestaltung dar, die Rückschlüsse darauf zulässt, dass ein bestehendes Vorkaufsrecht unterlaufen werden sollte und Vorkaufsverpflichteter und Dritter eine Vertragsgestaltung gewählt haben, die formal die Kriterien eines Kaufvertrages vermeidet, in materieller Sicht aber einer kaufweisen Übertragung gleichkommt.

Darauf lassen - wie dargelegt - auch weder die Vertragslaufzeit noch die Zahlungsmodalitäten schließen. Dass sich die Beklagten zu 1 und 2 durch den Vertrag der wirtschaftlich wichtigsten Befugnis, die das Grundstück bietet, begeben haben, trifft zu, liegt aber an den Möglichkeiten, die eine Dienstbarkeit dem Berechtigten gewähren kann, ohne dass darin eine Umgehung eines - auch denkbaren - Kaufvertrages läge. Von einem solchen unterscheidet sich die gewählte Vertragsgestaltung entscheidend dadurch, dass die Beklagten zu 1 und 2 ihr Eigentumsrecht, und zwar nicht als bloßes nudum ius, behalten und dass die den Beklagten zu 3 und 4 eingeräumte Rechtsposition weder dauerhaft noch übertragbar (§ 1092 Abs. 1 BGB) ist. Dass sie auf eine relativ lange Zeit ausgelegt ist, wird - wie dargelegt - dadurch relativiert, dass ein erheblich früheres Erlöschen denkbar und nach dem Vertrag nicht ausgeschlossen ist. Die Beklagten zu 3 und 4 erhalten eine Rechtsposition, die mit der eines Käufers, der über das ihm übertragene Eigentum frei verfügen kann, inhaltlich nicht vergleichbar ist. Die Beklagten zu 1 und 2 behalten auch aus materieller Sicht - und damit anders als etwa in der der Senatsentscheidung v. 20.3.1998 zu Grunde liegenden Fallgestaltung (BGH, Urt. v. 20.3.1998 - V ZR 25/97, MDR 1998, 829 = WM 1998, 1190) - das Eigentum. Der Vertrag ist gerade nicht darauf angelegt, es ihnen letztlich zu nehmen oder sie in den wesentlichen Befugnissen, die nicht durch die Dienstbarkeit ausgeschieden sind, inhaltlich zu beschränken.

b) Ob die Möglichkeit der Verfüllung des ausgebeuteten Grundstücks nach Beendigung des Vertrages von einer Depotgenehmigung abhängt, deren Erteilung aus Gründen des Umweltschutzes und wegen der schwer einzuschätzenden Bedingungen als fraglich angesehen werden muss - wie das Berufungsgericht meint -, ist ohne Bedeutung. Zum einen erwägt auch das Berufungsgericht, dass aus heutiger Sicht die Verfüllung mit Aushubmaterial lukrativ sein und einen wirtschaftlichen Vorteil für den Grundstückseigentümer darstellen könne. Wenn aber die Parteien von dieser Sicht ausgegangen sind - und gegenteilige Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen -, dann haben sie dieser Nutzung eine wirtschaftliche Bedeutung zugemessen, die den Beklagten zu 1 und 2 nach der Ausbeutung des Steinbruchs verbliebe und die deutlich gegen die Wertung der Vertragsgestaltung als kaufähnlichen Geschäfts spräche. Aber auch wenn die Parteien diese konkrete Verwendungsmöglichkeit nicht ins Kalkül gezogen haben, so liegt in der Verpflichtung zur Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zur Ausbeutung des Steinbruchs ohne Hinzutreten besonderer Umstände kein kaufähnlicher Vertrag. Es bleibt grundsätzlich dem Eigentümer überlassen, ob er den wirtschaften Wert seines Grundstücks durch Verkauf oder in anderer seinen Bedürfnissen entsprechender Weise realisieren will. Nur wenn ein interessegerechtes Verständnis der gewählten Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis führt, dass allen formellen Vereinbarungen zum Trotz der Wille der Vertragsschließenden auf eine Eigentumsübertragung gegen Zahlung eines bestimmten Preises gerichtet war, kann von einem kaufähnlichen Geschäft ausgegangen werden, das die Wirkungen des § 504 BGB a. F. auslöst (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1998 - V ZR 25/97, MDR 1998, 829 = WM 1998, 1190 [1192]). Das ist hier auch dann nicht der Fall, wenn die Beklagten zu 1 und 2 ein Grundstück zu Eigentum behalten, das aus heutiger Sicht seinen wesentlichen Wert verloren haben wird, wenn es die Beklagten zu 3 und 4 vertragsgemäß ausnutzen. Es bleibt auch dann dabei, dass die Beklagten zu 3 und 4 nach Zeit gestaffelt einen Preis für das Recht zur Ausbeutung zahlen. Dem Kläger gäbe dies nur dann ein Recht, wenn ihm ein "Eintrittsrecht" in einen solchen Ausbeutevertrag zustünde. Das ist nicht der Fall, und ein solches Recht regelt § 504 BGB a. F. nicht. Dies wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass die Rechtsprechung des Senats dem Vorkaufsberechtigten nur die Möglichkeit gibt, zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses in den Vertrag "einzutreten", ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen (BGH v. 11.10.1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 = MDR 1992, 256). Das aber ist hier gerade nicht möglich und auch nicht gewollt. Der Kläger erstrebt nicht das Ausbeutungsrecht gegen auf 10 Jahre gestaffelte Zahlungen, sondern die Eigentumsübertragung gegen Zahlung eines Kaufpreises. Dies entspricht nicht den Vereinbarungen zwischen den Beklagten zu 1 und 2 und den Beklagten zu 3 und 4.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1058757

NJW 2003, 3769

BGHR 2004, 12

BauR 2003, 1942

DNotI-Report 2003, 188

EWiR 2004, 637

MittBayNot 2004, 187

WM 2004, 686

ZfIR 2003, 1038

DNotZ 2004, 448

MDR 2004, 24

NotBZ 2003, 424

ZNotP 2004, 108

AuUR 2004, 119

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