Leitsatz (amtlich)

a) Erbringt der Architekt eine vertraglich geschuldete Leistung teilweise nicht, dann entfällt der Honoraranspruch des Architekten ganz oder teilweise nur dann, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht.

b) Der vom Architekten geschuldete Gesamterfolg ist im Regelfall nicht darauf beschränkt, dass er die Aufgaben wahrnimmt, die für die mangelfreie Errichtung des Bauwerks erforderlich sind.

c) Umfang und Inhalt der geschuldeten Leistung des Architekten sind, soweit einzelne Leistungen des Architekten, die für den geschuldeten Erfolg erforderlich sind, nicht als selbstständige Teilerfolge vereinbart worden sind, durch Auslegung zu ermitteln.

d) Eine an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orientierte vertragliche Vereinbarung begründet im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolges schuldet.

 

Normenkette

BGB § 631 Abs. 1, §§ 633-634

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 24.06.2002; Aktenzeichen 9 U 1657/99)

LG Erfurt

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Thüringer OLG v. 24.6.2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Architektenhonorar. Die GbR, bestehend aus den Architekten P., S. und W. (künftig: GbR), hat ihre Honorarforderung aus einem Architektenvertrag mit der Beklagten an die Klägerin abgetreten.

II.

1. Im November 1990 schrieb die Beklagte einen Wettbewerb für ein Einkaufszentrum in der Innenstadt von G./Thüringen aus. Auf Grund der von der GbR, die ihren Hauptsitz in Hessen und jedenfalls zeitweise eine Niederlassung in G. hatte, eingereichten Planung beschloss die Beklagte, die GbR mit den Architektenleistungen zu beauftragen. Im Dezember 1991 schlossen die GbR und die Beklagte einen Architektenvertrag über die Leistungsphasen 1-9 des § 15 HOAI für das Bauvorhaben. Hinsichtlich der Vergütung vereinbarten sie die Honorarzone IV, den Honorarmittelsatz und eine Nebenkostenpauschale i.H.v. 10 % des Nettohonorars. Außerdem vereinbarten sie, dass der zukünftige Investor als Vertragspartei an die Stelle der Beklagten treten sollte.

2. Im Oktober 1992 stellte die GbR eine erste Abschlagsrechnung einschließlich Mehrwertsteuer über 895.691,66 DM. Die Beklagte leistete keine Zahlung und beanstandete, dass die GbR ihrer Rechnung statt der vorgesehenen maximalen Baukosten von 50 Mio. DM anrechenbare Kosten i.H.v. 75 Mio. DM zu Grunde gelegt hatte.

Nachdem die Bemühungen der Beklagten um einen Investor scheiterten, stellte die GbR im März 1996 eine weitere Abschlagsrechnung über 126.500 DM. Im Januar 1997 übersandte die GbR der Beklagten eine Schlussrechnung über erbrachte und nicht erbrachte Leistungen i.H.v. insgesamt 3.575.000,12 DM sowie eine gesonderte Rechnung über vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 36.505 DM. Die Beklagte verweigerte die Zahlung, die GbR trat sämtliche Ansprüche an die Klägerin ab.

3. Die Klägerin hat von der Beklagten Zahlung von 2.941.878,58 DM (= 1.504.158,62 EUR) verlangt. Das LG hat der Klage i.H.v. 439.303,24 DM (= 224.612,18 EUR) stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines Honorars i.H.v. 422.812,68 DM (= 216.180,69 EUR) für erbrachte Architektenleistung und Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 10.375 DM (= 5.304,65 EUR) nebst Zinsen verurteilt.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin insoweit gegen das Berufungsurteil, als ihre Honorarforderung für erbrachte Leistung i.H.v. 46.183,17 EUR abgewiesen worden ist.

 

Entscheidungsgründe

I.

1. Die Revision der Klägerin hat Erfolg, sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

2. Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetze anwendbar (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).

II.

1. Das Berufungsgericht hat die teilweise Klageabweisung im Wesentlichen wie folgt begründet:

a) Die Parteien hätten am 10.12.1991 einen wirksamen Architektenvertrag über die Honorarzone IV, den Honorarmittelsatz und eine Nebenkostenpauschale von 10 % des Nettohonorars vereinbart. Die Regelung des § 4 Abs. 1 HOAI, "schriftliche Vereinbarung bei Auftragsvergabe", und die Mindestsatzfiktion des § 4 Abs. 4 HOAI seien nicht anwendbar, weil die Voraussetzung "bei Auftragserteilung" nach dem Einigungsvertrag (Anl. 1, Kap. V, Sachgebiet A, Abschn. III, Nr. 3, lit a) für Leistungen von Auftragnehmern mit Geschäftssitz in den neuen Bundesländern für Objekte in diesem Gebiet zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages nicht gegolten habe.

Am 31.12.1992 habe die Zedentin ein Architektenbüro in G. unterhalten. Das genüge als Geschäftssitz. Nach dem Vortrag der Klägerin hätten die Architekten das Büro im Jahre 1990 vor der beschränkten Ausschreibung der Beklagten in G. eröffnet.

Es sei unerheblich, an welchem Ort der Architekt den Großteil seiner Planungsleistung erbringe und von welchem Ort die Korrespondenz geführt werde. Maßgeblich sei, mit welcher Niederlassung oder Zweigstelle der Architektenvertrag geschlossen worden sei. Das sei das Büro in G. gewesen.

b) Für die Leistung der Leistungsphase 2 stünden der Klägerin nicht 7 %, sondern nur 6,7 % zu, weil die Architekten die Leistungsphase 2 nicht vollständig erbracht hätten, es fehle die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse.

c) Das den Architekten zustehende Gesamthonorar sei nach der Maßgabe des Einigungsvertrages (Anl. 1, Kap. V, Sachgebiet A, Abschn. III, Nr. 3, lit c) um 15 % zu kürzen.

d) Die anrechenbaren Kosten hätten nicht von Anfang an, sondern jedenfalls während der Vertragsdurchführung die Grenze von 50 Mio. DM überschritten, so dass eine freie Vereinbarung des Honorars möglich gewesen wäre. Eine derartige Vereinbarung hätten die Parteien nicht getroffen, sie hätten lediglich die Honorarzone IV, den Honorarmittelsatz und eine Nebenkostenpauschale vereinbart.

2. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten teilweise einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Die Regelungen des Einigungsvertrages sind nicht anwendbar, so dass eine Kürzung des Honorars um 15 % nicht in Betracht kommt.

(1) Die Sonderregelungen des Einigungsvertrages setzen voraus, dass die Mindest- und Höchstsätze und damit die Regelung über die Berechnung des Honorars auf die Vergütungsvereinbarung des Architektenvertrages anwendbar sind.

(2) Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI einschließlich der Vorschriften über die Berechnung des Honorars sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gegeben, weil die anrechenbaren Kosten die Summe von 50 Mio. DM (= 25.564.594 EUR) übersteigen. Nach § 16 Abs. 3 HOAI kann das Honorar unter dieser Voraussetzung frei vereinbart werden. Übersteigen die anrechenbaren Kosten die in § 16 Abs. 3 HOAI genannte Summe, dann gelten für die Vergütungsvereinbarung der Mindest- und Höchstpreischarakter der HOAI und die Formvorschriften der HOAI nicht (Budde in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 22 Rz. 35; Locher/Koeble/Frik, HOAI, 8. Aufl., § 16 Rz. 11 f.).

Maßgeblich für die Höhe der anrechenbaren Kosten sind nicht die subjektive Vorstellungen beider oder einer der Vertragsparteien bei Vertragsabschluss, sondern die jeweiligen anrechenbaren Kosten, die gem. § 10 Abs. 2 HOAI ermittelt worden sind (Locher/Koeble/Frik, HOAI, 8. Aufl., § 16 Rz. 15). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen alle nach § 10 Abs. 2 HOAI für die Abrechnung maßgeblichen anrechenbaren Kosten über der in § 16 Abs. 3 HOAI genannten Summe. Für anrechenbare Kosten, die die Honorartafel i.S.d. § 16 Abs. 3 HOAI übersteigen, enthält die HOAI keine Regeln zur Berechnung des Honorars. Damit fehlt es für die von dem Berufungsgericht vorgenommene Honorarkürzung um 15 % an einer Rechtsgrundlage.

b) Die auf dieser Kürzung beruhende teilweise Klageabweisung kann auch nicht aus anderen Gründen aufrecht erhalten werden. Denn auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist keine abschließende Beurteilung der Höhe des der Zedentin zustehenden Honorars möglich.

Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Vertragsparteien keine Vereinbarung für den Fall getroffen, dass die anrechenbaren Kosten den in § 16 Abs. 3 HOAI geregelten Wert überschreiten. Eine Fortschreibung der Honorartabelle für anrechenbare Kosten, die den Wert des § 16 Abs. 3 HOAI überschreiten, kommt ohne eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien nicht in Betracht, weil die Honorartabelle des § 16 Abs. 1 HOAI ein in sich geschlossenes System ist (Budde in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 22 Rz. 35; Locher/Koeble/Frik, HOAI, 8. Aufl., § 16 Rz. 13).

Das Berufungsgericht wird, ggf. nach ergänzendem Parteivortrag, zu prüfen haben, ob eine Auslegung des Vertrags zur Höhe des geschuldeten Honorars möglich ist. Lässt sich eine Parteivereinbarung nicht feststellen, richtet sich die Vergütung nach § 632 Abs. 2 BGB (Budde in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 22 Rz. 35).

c) Der vom Berufungsgericht vorgenommene prozentuale Abzug von 0,3 % von dem Honorar für die nicht erbrachte Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse mit der Begründung, der Architekt habe einen Teil einer Grundleistung einer Leistungsphase gem. § 15 HOAI nicht erbracht, ist mit den vom BGH entwickelten Grundsätzen zur Rechtsnatur des Architektenvertrages als Werkvertrag und der HOAI als öffentliches Preisrecht unvereinbar (vgl. Kniffka, Honorarkürzung wegen nicht erbrachter Architektenleistung - Abschied vom Begriff der zentralen Leistung in FS Vygen, S. 20 ff.; Preussner in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 9 Rz. 36 - 46, jeweils m.w.N.).

(1) Erbringt der Architekt eine vertraglich geschuldete Leistung teilweise nicht, dann entfällt der Honoraranspruch des Architekten ganz oder teilweise nur dann, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht (Kniffka, Honorarkürzung wegen nicht erbrachter Architektenleistung - Abschied vom Begriff der zentralen Leistung in FS Vygen, S. 24; Preussner in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 9 Rz. 37, 47). Die HOAI regelt als öffentliches Preisrecht kein Vertragsrecht (BGH, Urt. v. 24.10.1996 - VII ZR 283/95, BGHZ 133, 399 = MDR 1997, 238), so dass die HOAI keine rechtliche Grundlage dafür bietet, das Honorar des Architekten zu kürzen, wenn er eine vertraglich geschuldete Leistung nicht oder teilweise nicht erbracht hat.

(2) Umfang und Inhalt der vom Architekten geschuldeten Leistung richten sich nach dem Vertragsrecht des BGB und nicht nach den Leistungsbildern und Leistungsphasen der HOAI (Kniffka, Honorarkürzung wegen nicht erbrachter Architektenleistung - Abschied vom Begriff der zentralen Leistung in FS Vygen, S. 24 f.; Schwenker in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 4 Rz. 58 f.).

Der vom Architekten geschuldete Gesamterfolg ist im Regelfall nicht darauf beschränkt, dass er die Aufgaben wahrnimmt, die für die mangelfreie Errichtung des Bauwerks erforderlich sind (Kniffka, Honorarkürzung wegen nicht erbrachter Architektenleistung - Abschied vom Begriff der zentralen Leistung in FS Vygen, S. 24 f.; Preussner in Thode/Wirth/Kuffer, Prax. Hdb. Architektenrecht, § 9 Rz. 36 f., 49 ff.). Umfang und Inhalt der geschuldeten Leistung des Architekten sind, soweit einzelne Leistungen des Architekten, die für den geschuldeten Erfolg erforderlich sind, nicht als selbstständige Teilerfolge vereinbart worden sind, durch Auslegung zu ermitteln. Nach dem Grundsatz einer interessengerechten Auslegung sind die durch den konkreten Vertrag begründeten Interessen des Auftraggebers an den Arbeitsschritten zu berücksichtigen, die für den vom Architekten geschuldeten Werkerfolg erforderlich sind. Der Auftraggeber wird im Regelfall ein Interesse an den Arbeitsschritten haben, die als Vorgaben auf Grund der Planung des Architekten für die Bauunternehmer erforderlich sind, damit diese die Planung vertragsgerecht umsetzen können. Er wird regelmäßig ein Interesse an den Arbeitsschritten haben, die es ihm ermöglichen zu überprüfen, ob der Architekt den geschuldeten Erfolg vertragsgemäß bewirkt hat, die ihn in die Lage versetzen, etwaige Gewährleistungsansprüche gegen Bauunternehmer durchzusetzen, und die erforderlich sind, die Maßnahmen zur Unterhaltung des Bauwerkes und dessen Bewirtschaftung zu planen.

Eine an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orientierte vertragliche Vereinbarung begründet im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolges schuldet. Erbringt der Architekt einen derartigen Teilerfolg nicht, ist sein geschuldetes Werk mangelhaft.

(3) Nach diesen Grundsätzen ist die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse ein von der GbR geschuldeter Teilerfolg, so dass die Beklagte die Vergütung mindern kann, sofern die Voraussetzungen des § 634 BGB vorliegen. Die Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse haben die Vertragsparteien dadurch als werkvertraglich geschuldeten Teilerfolg vereinbart, dass sie ihre vertragliche Vereinbarung an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orientiert haben.

 

Fundstellen

BGHZ 2005, 376

NJW 2004, 2588

BGHR 2004, 1342

BauR 2004, 1640

IBR 2004, 512

IBR 2004, 513

IBR 2004, 626

ZAP 2004, 1085

ZIP 2004, 1966

ZfIR 2004, 767

MDR 2004, 1293

ZfBR 2004, 781

BTR 2004, 235

BrBp 2004, 469

NZBau 2004, 509

ARCONIS & BIS 2004, 55

BBB 2004, 57

BauRB 2004, 327

FSt 2005, 149

IWR 2004, 67

JbBauR 2005, 369

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