Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Rechtsschutzversicherers bei vertragswidriger Verweigerung der Deckungszusage. Umfang möglicher Schadensersatzansprüche

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsschutzversicherer kann aus positiver Vertragsverletzung grundsätzlich auch für den Schaden haften, den der Versicherungsnehmer dadurch erleidet, dass er infolge einer vertragswidrigen Verweigerung der Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann (Fortführung von: BGH, Beschl. v. 26.1.2000 - IV ZR 281/98, r+s 2000, 244).

 

Normenkette

BGB § 280; ARB 1994 § 1

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 30.11.2004; Aktenzeichen 9 U 41/04)

LG Köln (Entscheidung vom 22.01.2004; Aktenzeichen 24 O 279/02)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Köln vom 30.11.2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 2. zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1]Die Klägerin hielt bis zum Ende des Jahres 2001 bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung zugrunde lagen, die - soweit hier relevant - den ARB 1994 entsprechen. Nach § 3 (2) lit. f dieser Bedingungen (im Folgenden: AVB) wird kein Rechtsschutz gewährt für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Spiel- oder Wettverträgen sowie Termin- oder vergleichbaren Spekulationsgeschäften.

[2]Im Jahre 2001 wurden der Klägerin mehrfach Werbesendungen mit Mitteilungen über angebliche Gewinne zugesandt, darunter das Schreiben einer Firma "N. " vom 6.7.2001, in welchem die Klägerin namentlich von einem "Losvergaben-Beauftragten" angesprochen und beglückwünscht wird. Unter der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift "*** 250.000 DM-Guthaben ***" und versehen mit den Vermerken "Beglaubigt" und "Vertraulich" heißt es weiter:

"Sie sind Gewinnberechtigter des 250.000 DM-Guthabens aus der Ziehung der Klasse 2. Ihren Namen und Adresse erhielten wir von dem Versandhaus H., die alle potentiellen Kunden an unserer offiziellen Ziehung vom 2.7.2001 in ihrem Auftrage teilhaben lassen.

Sie, Frau G. gehören zu den glücklichen Teilnehmern, denen wir eine gute Nachricht übermitteln können. Wir haben auf Ihren Namen eine persönliche Guthaben-Karte ausgestellt, mit der Sie Ihren Gewinn innerhalb der nächsten 14 Tage abrufen sollten. Solange liegen die 250.000 DM für Sie bereit.

Sollten Sie innerhalb dieser 14 Tage nicht reagieren und Ihr Bargeld-Guthaben von 250.000 DM nicht abgerufen haben, indem Sie die Guthaben-Karte zusammen mit Ihrer unverbindlichen Warenanforderung zum Test zurücksenden, sehen wir uns veranlasst, die 250.000 DM in den Jackpot fließen zu lassen.

So machen Sie es richtig:

1. Kleben Sie Ihre Guthaben-Karte auf den Guthaben-Abruf. ...

2. Suchen Sie sich in Ruhe Ware aus, die Sie unverbindlich möglichst i.H.v. 125 DM zum Test anfordern. Das ist zur Gewinnvergabe unbedingt erforderlich.

3. Senden Sie Ihren ausgefüllten Anforderungsschein in dem beiliegenden Antwort-Umschlag zurück. Halten Sie unbedingt die 14-tägige Frist ein."

[3]Dem Schreiben lagen zahlreiche weitere Unterlagen bei, die u.a. auch mehrfach bestätigten, dass die Klägerin als Gewinnerin von 250.000 DM ermittelt sei.

[4]Mit der Behauptung, hinter dem "H.", einer Briefkastenfirma, verberge sich in Wahrheit die Firma A. Import-Export GmbH und Co KG (im Folgenden: Fa.A.), die die Beschaffung und den Versand des Werbematerials veranlasst und auch in Rechnung gestellt bekommen habe, erhob die Klägerin vor dem LG Wuppertal gegen die Fa.A. Klage auf Auszahlung von 250.000 DM. Die Beklagte gewährte für die erste Instanz Deckungsschutz.

[5]Mit Urteil vom 23.4.2002 wurde die Klage abgewiesen, wobei das LG den fehlenden Nachweis dafür als entscheidend ansah, dass der Fa.A. die Gewinnanforderungskarte zugegangen war. Die Klägerin wandte sich deshalb mit Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 3.5.2002 an die Beklagte und verlangte Deckungsschutz für das von ihr beabsichtigte Berufungsverfahren. Diesen verweigerte die Beklagte erstmals mit Schreiben vom 16.5.2002 unter Berufung auf § 3 (2) lit. f AVB, mangelnde Erfolgsaussichten und darauf, dass die Rechtsverfolgung der Klägerin mangels Liquidität der beklagten Fa.A. mutwillig erscheine. Auf eine Gegenvorstellung des Rechtsanwalts vom 21.5.2002 hielt die Beklagte mit Schreiben vom 27.5.2002 an ihrer Leistungsablehnung fest. Mit einem weiteren, umfangreichen Schriftsatz vom 28.5.2002 stellte der inzwischen für das Berufungsverfahren von der Klägerin beauftragte neue Prozessbevollmächtigte die seiner Auffassung nach günstigen Erfolgsaussichten einer Berufung dar, wies die Beklagte zugleich darauf hin, dass die Berufungsfrist am 3.6.2002 ablaufe und er dazu neige, der Klägerin für den Fall, dass die Beklagte Versicherungsschutz nicht gewähre, von der Durchführung des Berufungsverfahrens auf eigene Kosten abzuraten. Darauf teilte die Beklagte mit Schreiben vom 29.5.2002 mit, sie könne insb. wegen der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung gegen die vermögenslose Schuldnerin keine Deckung gewähren. Das nachfolgende letzte Leistungsablehnungsschreiben der Beklagten vom 16.7.2002 enthielt - ebenso wie die vorangegangenen Schreiben der Beklagten - keinen Hinweis auf die Möglichkeit des Schiedsgutachterverfahrens nach § 18 AVB. Die Klägerin legte keine Berufung gegen die Klagabweisung ein.

[6]Am 1.6.2004 wurde über das Vermögen der Fa.A. das Insolvenzverfahren eröffnet.

[7]Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte ihr wegen der Deckungsverweigerung Schadensersatz zu leisten habe, hilfsweise Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 127.822,97 EUR (250.000 DM).

[8]Nach Abweisung der Klage in den Vorinstanzen verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Revision weiter.

 

Entscheidungsgründe

[9]Das Rechtsmittel hat Erfolg.

[10]I. Das Berufungsgericht meint, der Feststellungsantrag sei unzulässig, weil die Klägerin von vorn herein in der Lage gewesen sei, ihren Schadensersatzanspruch zu beziffern. Damit entfalle ihr Feststellungsinteresse.

[11]Der hilfsweise gestellte Zahlungsantrag sei unbegründet.

[12]Zwar komme eine Haftung des Rechtsschutzversicherers aus positiver Vertragsverletzung hier grundsätzlich in Betracht. Der Leistungsausschluss in § 3 (2) lit. f AVB erfasse auch nicht den von der Klägerin gegen die Fa.A. erhobenen Anspruch aus § 661a BGB, der nicht im Zusammenhang mit Spiel- oder Wettverträgen, Termin- oder vergleichbaren Spekulationsgeschäften stehe. Die Beklagte müsse sich zudem so behandeln lassen, als habe sie das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin anerkannt, könne sich also nicht auf Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung oder mangelnde Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung berufen. Das ergebe sich daraus, dass sie bei der Leistungsablehnung entgegen § 158n Satz 2 VVG nicht auf die Möglichkeit des Schiedsgutachterverfahrens nach § 18 AVB hingewiesen habe (§ 158n Satz 3 VVG).

[13]Der Schadensersatzanspruch scheitere aber daran, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen die Fa.A. gehabt habe, ihr durch die nicht durchgeführte Berufung also kein Schaden entstanden sei.

[14]Die Klägerin habe schon die Erfüllung der in der Gewinnzusage genannten Bedingungen (unverbindliche Anforderung von Waren, Übersendung des mit der sog. Guthaben-Karte beklebten Anforderungsscheins an die Versenderin der Gewinnzusage) nicht nachgewiesen und damit nicht die Voraussetzungen für eine Gewinnauszahlung geschaffen.

[15]Die Fa.A. sei auch nicht Sender der Gewinnmitteilung i.S.d. § 661a BGB. Sender sei, wen der durchschnittliche Verbraucher bei Empfang einer Gewinnzusage als Versprechenden ansehe. Dabei kämen auch solche Unternehmer in Betracht, die unter nicht existierenden oder falschen Namen, Firmen, Geschäftsbezeichnungen oder Anschriften handelten. Demgegenüber komme es nicht darauf an, dass der Sender ein Interesse an dem Geschäft habe, das durch die Gewinnmitteilung gefördert werden solle. Hier habe die "N." die 250.000 DM Gewinn zugesagt, der Anforderungsschein sei an die Firma "H." zu senden gewesen. Danach habe ein durchschnittlicher Verbraucher nicht die Fa.A. als Versender der Gewinnzusage ansehen können. Dass sie Verfasser oder Veranlasser der Gewinnzusagen gewesen sei und unter fremdem oder falschem Namen gehandelt hätte, sei nicht nachgewiesen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Fa.A. unter den Namen "N." oder "H." gehandelt habe und diese rechtlichen Gebilde, auf deren Rechtsform es insoweit nicht ankomme, nicht existierten. Unerheblich sei, ob die Fa.A. mittels Service-Rufnummern und Abrechnungen Dienstleistungen für die Firma "H." erbracht habe, denn auch das mache sie noch nicht zum Sender der Gewinnzusagen.

[16]Ob die Klägerin ein Mitverschulden an der Schadensentstehung treffe und wie sich die Insolvenz der Fa.A. auf einen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer ausgewirkt hätte, könne offen bleiben.

[17]II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in mehreren Punkten nicht stand.

[18]1. Soweit das Berufungsgericht den Feststellungsantrag als unzulässig ansieht, weil der Klägerin eine bezifferte Leistungsklage möglich gewesen wäre, widerspricht das der Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit der Feststellungsklage bei gleichzeitig möglichem Leistungsantrag, wenn ein großes Versicherungsunternehmen beklagt ist (vgl. zuletzt: BGH, Urt. v. 16.2.2005 - IV ZR 18/04, MDR 2005, 926 = BGHReport 2005, 828 = VersR 2005, 629, unter II 1, m.w.N.).

[19]Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn ein Kläger dasselbe Ziel mit einer Leistungsklage erreichen könnte, jedoch besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage ggü. der Leistungsklage. Vielmehr bleibt die Feststellungsklage dann zulässig, wenn ihre Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erwarten lässt (BGH, Urt. v. 16.2.2005 - IV ZR 18/04, MDR 2005, 926 = BGHReport 2005, 828 = VersR 2005, 629; Urt. v. 4.12.1986 - III ZR 205/85, BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 2; Urt. v. 5.2.1987 - III ZR 16/86, BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 4, jeweils m.w.N.; Urt. v. 21.2.1996 - IV ZR 297/94, NJW-RR 1996, 641, unter I). Das ist insb. dann der Fall, wenn die beklagte Partei die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf (BGH, Urt. v. 28.9.1999 - VI ZR 195/98, MDR 1999, 1439 = VersR 1999, 1555, unter II 1b, cc; vgl. auch: BGH, Urt. v. 17.6.1994 - V ZR 34/92, MDR 1994, 1111 = NJW-RR 1994, 1272, unter II 2b). Das hat der BGH bereits mehrfach angenommen, wenn es sich bei der beklagten Partei um eine Bank (BGH, Urt. v. 30.4.1991 - XI ZR 223/90, MDR 1991, 750 = NJW 1991, 1889, unter 1; Urt. v. 30.5.1995 - XI ZR 78/94, BGHZ 130, 59 [63] = MDR 1995, 1024 = NJW 1995, 2219, unter A II 1; Urt. v. 5.12.1995 - XI ZR 70/95, MDR 1996, 348 = NJW 1996, 918, unter II 1), eine Behörde (BGH, Urt. v. 9.6.1983 - III ZR 74/82, MDR 1984, 28 = NJW 1984, 1118, unter 3c) oder - wie hier - um ein großes Versicherungsunternehmen (BGH, Urt. v. 16.2.2005 - IV ZR 18/04, MDR 2005, 926 = BGHReport 2005, 828 = VersR 2005, 629; Urt. v. 28.9.1999 - VI ZR 195/98, MDR 1999, 1439 = VersR 1999, 1555, unter II 1b, cc) handelt. Umstände, die hier die genannte Erwartung erschüttern könnten, sind nicht ersichtlich.

[20]2. Den hilfsweise gestellten Leistungsantrag hat das Berufungsgericht mit rechtlich unzutreffender Begründung zurückgewiesen.

[21]a) Es geht zunächst allerdings zutreffend davon aus, dass hier grundsätzlich eine Haftung des Rechtsschutzversicherers aus positiver Vertragsverletzung in Betracht kommt. Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, ein Rechtsschutzversicherer könne insoweit bestenfalls bis zur Höhe seines Leistungsversprechens aus dem Versicherungsvertrag, d.h. maximal in Höhe der geschuldeten Prozesskostenerstattung, haften, hat der Senat bereits im Beschluss vom 26.1.2000 (BGH, Beschl. v. 26.1.2000 - IV ZR 281/98, r+s 2000, 244 = NJW-RR 2000, 690 f., insoweit gegen: OLG Frankfurt r+s 2000, 242 ff.) ausgesprochen, der Rechtsschutzversicherer könne auch für den Schaden haften, den der Versicherungsnehmer erleidet, wenn er mangels Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann (ebenso - für den Verzugsschadensersatz: OLG Frankfurt v. 9.7.1997 - 7 U 210/96, OLGReport Frankfurt 1997, 265 = VersR 1998, 357 [359 f.]).

[22]Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Rechtsgrunde der Rechtsschutzversicherer das von der Revisionserwiderung angenommene Haftungsprivileg genießen sollte. Denn auch wenn sich das übernommene Risiko zunächst auf die Prozesskosten beschränkt, die Realisierbarkeit einer auf dem Rechtswege verfolgten Forderung deshalb nicht unmittelbarer Gegenstand des Versicherungsschutzes ist, besagt das noch nichts für den Umfang möglicher Schadensersatzansprüche bei einer Leistungsverweigerung, die unter Verletzung der vertraglichen Pflichten des Rechtsschutzversicherers erfolgt. Das im Rahmen des Schadensersatzanspruchs zu berücksichtigende Erfüllungsinteresse geht häufig über den Wert des mit der vertraglichen Hauptleistungsverpflichtung geschuldeten Gegenstandes hinaus. Der geschädigte Gläubiger ist aber im Falle einer schuldhaften Leistungsstörung so zu stellen, wie wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. beispielsweise: BGH, Urt. v. 27.5.1998 - VIII ZR 362/96, MDR 1998, 954 = NJW 1998, 2901, unter II 2; v. 20.5.1994 - V ZR 64/93, BGHZ 126, 131 [133 f.] = MDR 1994, 1182). Insoweit unterscheidet sich der Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht von anderen Verträgen.

[23]b) Auch den Einwand, die Beklagte sei nach § 3 (2) lit. f AVB leistungsfrei, hat das Berufungsgericht zutreffend damit beantwortet, dass der von der Klägerin im Vorprozess erhobene Anspruch aus § 661a BGB kein vertraglicher Anspruch im Sinne der Klausel ist und auch nicht mit einem Spiel- oder Wettvertrag, Termin- oder Spekulationsgeschäft in ursächlichem Zusammenhang steht, wie das der Leistungsausschluss voraussetzt. Er beruht vielmehr auf einer einseitigen schuldrechtlichen Verpflichtung des Mitteilenden (vgl. dazu: Sprau in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 661a Rz. 1). Der Anspruch fällt damit nicht unter die Ausschlussklausel (vgl. auch: Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 3 ARB 94 Rz. 14; Harbauer, ARB, 7. Aufl., § 3 Rz. 12). Auch die Revisionserwiderung eruiert insoweit nichts.

[24]c) Das Berufungsgericht hat schließlich zu Recht angenommen, die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf Mutwilligkeit oder mangelnde Erfolgsaussicht der von der Klägerin in zweiter Instanz des Vorprozesses beabsichtigten Rechtsverfolgung nach §§ 18 Abs. 1 AVB, 158n Satz 1 VVG berufen, weil ihre sämtlichen Leistungsablehnungsschreiben keinen Hinweis auf das Schiedsgutachterverfahren (§ 158n Satz 3 VVG, § 18 Abs. 2 AVB) enthielten.

[25]d) Die Begründung, mit der das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, die Klägerin habe deshalb keinen Schaden erlitten, weil sie keinen Anspruch gegen die Fa.A. auf Erfüllung der Gewinnzusage gehabt habe, ist hingegen nicht frei von Rechtsfehlern.

[26]aa) Die Revision wendet sich zu Recht gegen die Annahme, der Anspruch aus § 661a BGB scheitere schon daran, dass die Klägerin die in der Gewinnzusage geforderten Mitwirkungshandlungen als Voraussetzungen für die Gewinnauszahlung nicht nachgewiesen habe. Die Werbesendung vom 6.7.2001 war - was eine Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung i.S.d. § 661a BGB kennzeichnet (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 19.2.2004 - III ZR 226/03, MDR 2004, 677 = BGHReport 2004, 750 = NJW 2004, 1652, unter II 2c) - nach Inhalt und Gestaltung abstrakt geeignet, bei einem durchschnittlichen Verbraucher in der Lage des Empfängers den Eindruck zu erwecken, er werde einen bereits gewonnenen Preis erhalten. Dass die Gewinnauszahlung noch von einer Warenbestellung abhängig gemacht wurde, ändert an der Qualifikation der Werbesendung als Gewinnzusage i.S.d. § 661a BGB nichts (vgl. Lorenz, NJW 2000, 3305 [3306]).

[27](1) § 661a BGB zielt gegen die verbreitete und wettbewerbsrechtlich unzulässige Praxis, Verbraucher durch die Mitteilung von angeblichen Gewinnen zur Bestellung von Waren zu veranlassen (vgl. BGH v. 28.11.2002 - III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 [90] = MDR 2003, 348 = BGHReport 2003, 248 m. Anm. Schneider, m.w.N. aus den Gesetzesmaterialien; Urt. v. 7.10.2004 - III ZR 158/04, MDR 2005, 80 = BGHReport 2005, 182 = NJW 2004, 3555, unter II 2b; Lorenz, NJW 2000, 3305 [3306]).

[28]Dieser Zweckbestimmung entspricht es, wenn der Verbraucher den Unternehmer gem. § 661a BGB schon dann beim Wort nehmen und die Leistung des mitgeteilten Gewinns fordern kann, wenn er durch die Verknüpfung eines scheinbar gewonnenen Preises mit einer "unverbindlichen Warenanforderung" angereizt wird, Waren zu bestellen (BGH v. 28.11.2002 - III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 [91] = MDR 2003, 348 = BGHReport 2003, 248 m. Anm. Schneider; Urt. v. 7.10.2004 - III ZR 158/04, MDR 2005, 80 = BGHReport 2005, 182 = NJW 2004, 3555). Nach dem Wortlaut des § 661a BGB entsteht der gesetzliche Anspruch auf Auszahlung des scheinbar gewonnenen Preises bereits mit der Zusendung der Gewinnzusage. Das entspringt der gesetzgeberischen Intention, wettbewerbswidriges Verhalten mittels einer spürbaren zivilrechtlichen Sanktion zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund wäre es zweckwidrig, wollte man für die Entstehung des Anspruchs zusätzlich fordern, der Verbraucher müsse sich so verhalten wie vom Versender der Gewinnzusage (wettbewerbswidrig) beabsichtigt (so wohl auch: Sprau in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 661a Rz. 2b; offen gelassen bei: OLG Nürnberg v. 28.8.2002 - 4 U 641/02, OLGReport Nürnberg 2003, 332 = NJW 2002, 3637 [3640]), nämlich durch Übersendung irgendwelcher Anforderungsunterlagen die Richtigkeit seiner Anschrift und weiterer personenbezogener Daten zu bestätigen und außerdem noch Waren zur Ansicht zu bestellen. Verpflichtete man den Verbraucher insoweit zur Mitwirkung, müsste die Regelung des § 661a BGB dazu führen, dass das wettbewerbswidrige Handeln des Senders der Gewinnzusage jedenfalls teilweise erfolgreich bliebe.

[29]Das haben das Berufungsgericht und auch das Schleswig-Holsteinische OLG (OLG Schleswig v. 19.5.2004 - 9 U 63/03, OLGReport Schleswig 2005, 120 [121]) verkannt. Letzteres hat gefordert, der Verbraucher müsse als Voraussetzung des Anspruchs aus § 661a BGB ein "Mindestmaß an aktiver Mitwirkung" leisten, weil anderenfalls "nicht einmal der Schein eines Eingehens auf die Mitteilung" gewahrt werde und der Empfänger sich außerhalb des Schutzbereichs des § 661a BGB stelle. Demgegenüber soll der Verbraucher aber schon vor der Belästigung mit unseriösen Gewinnzusagen und nicht erst in seinem Vertrauen in die Redlichkeit der Zusage geschützt werden. § 661a BGB schützt nicht nur den einzelnen Verbraucher, sondern auch die Redlichkeit des Wettbewerbs. Die Anspruchsvoraussetzungen verwirklicht der Sender allein durch unlautere Werbemethoden, ohne dass es einer Mitwirkung des Verbrauchers (als Opfer der unlauteren Werbemethoden) oder eines sonstigen Täuschungserfolges bedürfte (im Ergebnis zutreffend: OLG Köln, Urt. v. 16.12.2002 - 16 U 54/02, in juris dokumentiert unter Rechtsprechung der Länder; OLG Dresden VuR 2002, 187 ff.).

[30](2) Es kommt deshalb allein darauf an, ob die Gewinnzusage nach Inhalt und Gestaltung abstrakt geeignet war, bei einem durchschnittlichen Verbraucher den Eindruck zu erwecken, er werde einen bereits gewonnenen Preis erhalten (BGH, Urt. v. 19.2.2004 - III ZR 226/03, MDR 2004, 677 = BGHReport 2004, 750 = NJW 2004, 1652). Das war hier der Fall, denn das mit Stempeln und Beglaubigungsvermerken versehene, um offiziellen Anschein bemühte Schriftstück spricht davon, dass bereits eine Ziehung am 2.7.2001 stattgefunden habe und die Klägerin einen seither für sie bereitliegenden Gewinn von 250.000 DM, der als "Ihr Bargeld-Guthaben" bezeichnet ist, binnen 14 Tagen "abrufen" könne.

[31]bb) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Fa.A. sei nicht Sender der Gewinnzusage i.S.d. § 661a BGB gewesen, trägt nicht.

[32]Sender i.S.d. § 661a BGB ist derjenige Unternehmer, den ein durchschnittlicher Verbraucher in der Lage des Empfängers einer Gewinnzusage als Versprechenden ansieht. Als Sender einer Gewinnzusage nach § 661a BGB können ferner solche Unternehmer in Anspruch genommen werden, die Verbrauchern unter nicht existierenden oder falschen Namen, Firmen, Geschäftsbezeichnungen oder Anschriften Gewinnmitteilungen zukommen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2005 - III ZR 4/04, BGHReport 2005, 1401 = MDR 2005, 1337 = NJW-RR 2005, 1365, unter II 2a; Urt. v. 7.10.2004 - III ZR 158/04, MDR 2005, 80 = BGHReport 2005, 182 = NJW 2004, 3555, unter II 2; Urt. v. 9.12.2004 - III ZR 112/04, BGHReport 2005, 526 = MDR 2005, 616 = NJW 2005, 827, unter II 3b aa). Sender kann schließlich auch derjenige Unternehmer sein, der unter fremdem Namen, d.h. unter dem Namen einer anderen - existierenden - (natürlichen oder juristischen) Person handelt (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2005 - III ZR 4/04, BGHReport 2005, 1401 = MDR 2005, 1337 = NJW-RR 2005, 1365; Urt. v. 9.12.2004 - III ZR 112/04, BGHReport 2005, 526 = MDR 2005, 616 = NJW 2005, 827). Das hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, verkannt und den vom BGH entwickelten Senderbegriff nicht ausgeschöpft. Denn es hat die Sendereigenschaft der Fa.A. u.a. davon abhängig gemacht, dass die "rechtlichen Gebilde" ("N. ", "H. " oder "H. "), unter denen sie nach dem Vortrag der Klägerin aufgetreten sein sollte, in Wahrheit nicht existierten.

[33]Darauf kam es hier aber nicht entscheidend an. Denn entsprechend dem oben erläuterten, weiter gefassten Senderbegriff kam hier auch in Betracht, der Fa.A. die Versendung der Gewinnmitteilungen unter den genannten Bezeichnungen nach den Grundsätzen des Handelns unter fremdem Namen zuzurechnen. Nach dem von der Revision herangezogenen Vortrag der Klägerin betrieb in Wahrheit die Fa.A. den Versandhandel, wurden die der Klägerin zugesandten Werbeunterlagen am Firmensitz der Fa.A. in deren Eigeninteresse erstellt und sodann auf deren Rechnung versendet. Demgegenüber habe es sich bei den in der Gewinnmitteilung genannten Firmen um Schein- oder Briefkastenfirmen gehandelt, die noch nicht einmal über Rufnummern verfügt hätten. In Wahrheit habe allein die Fa.A. die in den Werbeunterlagen genannten Telefonnummern über Call-Center bereitgestellt. Diesem mit zahlreichen Beweisantritten unterlegten Vorbringen hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen.

[34]e) Wegen der Höhe des der Klägerin möglicherweise entstandenen Schadens bedarf die Sache neuer tatrichterlicher Verhandlung.

[35]Die Beklagte hat sich darauf berufen, ein Anspruch gegen die Fa.A. sei auch schon zur Zeit der Leistungsablehnung im Mai/Juni 2002 nicht mehr zu realisieren gewesen, weil die Fa.A. schon lange vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Juni 2004 zahlungsunfähig gewesen sei. Insoweit sei der Klägerin letztlich kein Schaden daraus entstanden, dass das Berufungsverfahren im Vorprozess nicht mehr durchgeführt worden sei. Das hat das Berufungsgericht bisher nicht geklärt.

[36]f) Von seinem Rechtsstandpunkt aus ebenfalls folgerichtig hat das Berufungsgericht bisher auch nicht geprüft, ob die Klägerin, sollte sie einen Schaden erlitten haben, ein Mitverschulden an dessen Entstehung deshalb trifft, weil sie es versäumt hat, gegen das erstinstanzliche Urteil im Vorprozess zur Fristwahrung Berufung einzulegen.

[37]Der Senat kann aufgrund des derzeitigen Sachstandes nicht entscheiden, ob ein Mitverschulden hier zur Ablehnung oder Kürzung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin führt.

[38](1) Er hat zwar im Beschluss vom 26.1.2000 (BGH, Beschl. v. 26.1.2000 - IV ZR 281/98, r+s 2000, 244 = NJW-RR 2000, 690 f.) ausgesprochen, der Mitverschuldenseinwand nach BGB § 254 führe zu einem Wegfall der Ersatzpflicht des Rechtsschutzversicherers, wenn der Versicherungsnehmer erst einen Monat vor Ablauf einer prozessualen Frist (dort der Frist nach § 12 Abs. 3 VVG) Deckungsschutz beantragt und den Rechtsschutzversicherer nicht ausdrücklich auf den drohenden Ablauf der Klagefrist hingewiesen und ihm nicht mitgeteilt habe, dass er ohne Deckungsschutz keine Klage erheben werde.

[39]So liegt der Fall hier aber nicht. Vielmehr haben die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin von Anfang an auf den Ablauf der Berufungsfrist und danach darauf hingewiesen, man werde der Klägerin von einer Führung des Berufungsverfahrens auf eigene Kosten abraten, wenn eine Deckungszusage ausbleibe. Die Dringlichkeit des Begehrens der Klägerin und der aus ihrer Sicht drohende Rechtsverlust lagen damit offen zutage.

[40](2) Für den Mitverschuldenseinwand trägt die Beklagte als Schädiger die Darlegungs- und Beweislast. Die Beweislastumkehr aus § 6 Abs. 3 VVG für die Verschuldens- und Kausalitätsfrage kommt ihr insoweit nicht zugute (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2005 - IV ZR 120/04, BGHReport 2006, 354 = VersR 2000, 215, unter II 2c).

41

Als Geschädigte war die Klägerin im Übrigen grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2005 - IV ZR 120/04, BGHReport 2006, 354 = VersR 2000, 215; v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, BGHReport 2002, 590 = MDR 2002, 820 = AG 2002, 454 = NJW 2002, 2553, unter A II 3b, m.w.N.). Eine solche Pflicht kann im Rahmen des § 254 BGB allenfalls dann und auch nur ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Geschädigte über ausreichende eigene Mittel verfügt oder sich einen entsprechenden Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und dabei durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 16.11.2005 - IV ZR 120/04, BGHReport 2006, 354 = VersR 2000, 215; v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, BGHReport 2002, 590 = MDR 2002, 820 = AG 2002, 454 = NJW 2002, 2553, mit Hinweis auf: Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 254 Rz. 97 [99], m.w.N.). Auch für die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer derartigen Kreditaufnahme ist primär der Schädiger darlegungspflichtig (BGH, Urt. v. 16.11.2005 - IV ZR 120/04, BGHReport 2006, 354 = VersR 2000, 215; v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, BGHReport 2002, 590 = MDR 2002, 820 = AG 2002, 454 = NJW 2002, 2553).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1508415

DB 2006, 1270

NJW 2006, 2548

BGHR 2006, 895

EWiR 2006, 425

MDR 2006, 1226

NZV 2006, 477

VersR 2006, 830

AGS 2006, 624

GuT 2006, 155

RdW 2006, 405

VK 2006, 143

ZGS 2006, 205

r+s 2006, 239

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge