Entscheidungsstichwort (Thema)

Volljährigkeit und Aufhebung einer Vormundschaft im Falle eines guineischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland; internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und zur Bestimmung des anwendbaren Rechts für die Entscheidung über die Beendigung der Vormundschaft im Falle einer über 18 Jahre alte Person mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland.

2. "Kind" im Sinne des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ) ist nach Art. 2 KSÜ nur eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

3. "Kind" im Sinne des § 99 Abs. 1 FamFG kann dagegen auch eine über 18 Jahre alte Person sein, jedenfalls wenn und soweit es darum geht zu klären, ob die Vollendung des 18. Lebensjahres aus Rechtsgründen den Eintritt der Volljährigkeit des "Kindes" zur Folge hat oder nicht.

4. Die Volljährigkeit tritt nach guineischem Recht erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres ein. Aus dem "Code de l'Enfant Guineen" von 2008 ergibt sich nichts Abweichendes.

 

Normenkette

EGV 2201/2003 Art. 8 Abs. 1 Fassung: 2003-11-27; KSÜ Art. 2, 15 Abs. 1; ErwSchÜbkG Haag Art. 2; FamFG § 99 Abs. 1; BGBEG Art. 7, 24 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Lörrach (Entscheidung vom 07.03.2017; Aktenzeichen 16 F 149/16)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des ... wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lörrach vom 07.03.2017 (16 F 149/16) aufgehoben.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Vormundschaft über den am ... geborenen Betroffenen wegen des Eintritts der Volljährigkeit beendet ist.

Mit Beschluss vom 09.02.2016 (12 F 61/16) ordnete das Amtsgericht - Familiengericht - Lörrach die Vormundschaft an und setzte das ... als Vormund des Betroffenen ein. Der jugendliche Betroffene halte sich ohne gesetzlichen Vertreter in ... auf, die elterliche Sorge der Mutter und des Vaters sei durch deren Tod beendet.

Mit Schreiben vom 07.02.2017 bat das ... um Mitteilung, ob die Volljährigkeit des Betroffenen und damit das Ende der Vormundschaft nach maßgeblichem guineischem Recht mit 18 Jahren oder mit 21 Jahren eintrete.

Mit Beschluss vom 07.03.2017 hat das Amtsgericht daraufhin festgestellt, dass die Vormundschaft beendet sei, weil das Mündel volljährig geworden sei. Hiergegen richtet sich die am 30.03.2017 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des ... . Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme; er hat sich nicht geäußert.

II. Die zulässige Beschwerde (1.) eröffnet eine Entscheidungsbefugnis des Senats (2.) und hat auch in der Sache Erfolg (3.).

1. Die nach § 11 Abs. 1 RPflG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdeberechtigung des Jugendamts ergibt sich aus § 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG.

2. Der Senat ist zur Sachentscheidung berufen.

a) Die Zuständigkeit des Senats ist gegeben. Insbesondere sind die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Aufhebung der Vormundschaft international zuständig. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Betroffene - unzweifelhaft - das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat, und unabhängig von der - in diesem Verfahren materiell zu beantwortenden - Frage, ob dies in rechtlicher Hinsicht die Volljährigkeit des Betroffenen zur Folge hat.

aa) Kommt vorliegend Art. 8 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b) der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 (im Folgenden: Brüssel IIa-...VO) zur Anwendung, so ist die Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte zu bejahen, weil sich der Betroffene ständig in ... aufhält. Nach Aktenlage lebt der Betroffene mindestens seit Februar 2016 in ....

Die Anwendbarkeit der Brüssel IIa-...VO setzt allerdings voraus, dass es sich bei dem Betroffenen um ein "Kind" handelt. Das wäre vorliegend zu bejahen, wenn man unter einem Kind im Sinne der Verordnung eine minderjährige, nicht voll geschäftsfähige Person verstünde: Denn dann käme entweder nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB (vgl. die entsprechenden Nachweise bei Staudinger/Henrich, BGB, Art. 21 EGBGB Rn. 145 [Stand 2014]) für die Frage der Geschäftsfähigkeit die Anwendung guineischen Rechts in Betracht, das, wie unten (3.b.bb) dargelegt, die Volljährigkeit erst mit 21 Jahren vorsieht. Alternativ wäre die Minderjährigkeit des Betroffenen als doppelrelevante (Rechts-...) Tatsache im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu unterstellen (so OLG Bremen vom 23.02.2016 - 4 UF 186/15. sowie - allerdings für den Fall der tatsächlichen Unsicherheit über das Alter des Betroffenen - Senatsbeschluss vom 26.08.2015 - 18 UF 92/15).

Will man dagegen mit einer in der Literatur vertretenen Meinung unter einem "Kind" im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-...VO nur eine Person verstehen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (so etwa Zöller/Geimer, ZPO, 31. Auflage 2016, Anh II A A...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge