Leitsatz (amtlich)

1. Die zur Bekämpfung des Corona-Virus öffentlich-rechtlich verfügten Schließungsanordnungen und weiteren Gebrauchsbeschränkungen im März/April 2020 in Nordrhein-Westfalen begründen in der Regel keinen Mangel der zum Zwecke eines Einzelhandels für Textilien vermieteten Mietsache im Sinne von § 536 BGB.

2. Die für den Einzelhandel geltenden öffentlich-rechlichen Verbote zur Bekämpfung des Corona-Virus führen auch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters nach §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB oder zu einer vorübergehenden Nichtigkeit des Mietvertrages gemäß § 134 BGB.

3. Aufgrund der pandemiebedingt verfügten Schließungsanordnungen im März und April 2020 sowie der nachfolgend angeordneten Gebrauchsbeschränkungen für den Einzelhandel kann aber eine Anpassung des Mietvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB geboten sein, wenn das Festhalten am unveränderten Vertrag zumindest für eine Partei unzumutbar erscheint, was nicht zwingend eine Existenzgefährung voraussetzt. Die Unzumutbarkeit wird dabei nicht vermutet, sondern erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch kompensierender Vorteiloe, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind.

4. Im Urkundenprozess lässt sich angesichts der eingeschränkten Beweismittel regelmäßig nicht feststellen, ob eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB vorzunehmen ist, weshalb der beklagten Mietpartei die Rechte im Nachverfahren vorzubehalten sind.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 275 Abs. 1, § 313 Abs. 1, § 326 Abs. 1, §§ 535, 536 Abs. 1, § 812; ZPO §§ 592, 595 Abs. 3, § 599 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 15 O 325/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.04.2021 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Köln, 15 O 325/20,unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.940,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21.07.2020 zu zahlen.

Die Hilfswiderklage wird als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte, für die erste Instanz jedoch mit Ausnahme der durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Landgerichts Hamburg entstandenen Mehrkosten, die der Klägerin auferlegt werden.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.

Für das Nachverfahren wird die Sache an das Landgericht Köln zurückverwiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Urkundenprozess auf Zahlung von Gewerberaummiete für den Monat April 2020 in Anspruch. Die Beklagte begehrt hilfswiderklagend die Rückzahlung eines Teils der Miete für März 2020.

Die Beklagte mietete mit Mietvertrag vom 8./10.07.2013 (Anlage K1, Bl. 15 ff.) von dem vormaligen Eigentümer, Herrn A, der auch der Geschäftsführer der Klägerin ist, noch zu erstellende Räumlichkeiten mit einer Fläche von insgesamt ca. 2.601 m2 in der Immobilie Bstraße 121 - 123 in C, bestehend aus Ladenflächen im Unter-, Erd-, erstem und zweitem Obergeschoss sowie Büro- und Sozialräume mit Lager im dritten Obergeschoss zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien, Kosmetik, Schmuck, Schuhe, Lederwaren, Heimtextilien, Haushaltswaren, Sportartikel, Accessoires sowie dem mieterüblichen Randsortiment für zunächst zehn Jahre mit einem dreimaligen Optionsrecht auf Verlängerung des Mietvertrags um jeweils fünf Jahre. Nach § 2 des Mietvertrags sollte das Mietverhältnis am 15.09.2014 oder 15.03.2015 mit der tatsächlichen Übergabe des Mietgegenstandes erfolgen. Als Mietzins vereinbarten die damaligen Vertragsparteien eine Netto-Jahresmiete von 8,3 % des jährlichen Netto-Umsatzes der Beklagten, mindestens jedoch jährlich netto 312.000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer, zahlbar jeweils im Voraus, spätestens am 5. Werktag eines Monats in zwölf gleichen monatlichen Raten von 26.000, EUR netto (30.940,00 EUR brutto) zuzüglich einer monatlichen Betriebskostenpauschale von 1.666,67 EUR netto (1.983,34 EUR brutto). Wegen des weiteren Vertragsinhalts wird auf die Anlage K 1 (Bl. 15 ff. GA) verwiesen. Das Mietobjekt wurde der Beklagten am 19.03.2015 übergeben.

Aufgrund notariellen Grundstückskaufvertrags vom 10.09.2013 (Anlage K 3, Bl. 87 ff. GA) erwarb die Klägerin von Herrn A das das vorgenannte Mietobjekt betreffende Grundstück in der Bstraße 121-123 in C. Die Eigentumsumschreibung im Grundbuch erfolgte am 08.01.2014 (Anlage K 4, Bl. 93 ff. GA). Die Klägerin hat erstmals in der Beruf...

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