Leitsatz (amtlich)

1. Ein aktienrechtlicher Entlastungsbeschluss ist ohne weiteres anfechtbar, wenn der Vorstand seiner insoweit bestehenden Auskunftspflicht nicht nachgekommen ist. Ein Mindestmaß an rechtlicher Relevanz ist nicht Voraussetzung der Anfechtbarkeit.

2. Das Auskunftserzwingungsverfahren nach AktG § 132 und die Anfechtungsklage stehen nebeneinander. Eine nachgeholte Information vermag zwar das Auskunftserzwingungsverfahren gegenstandslos zu machen, bleibt aber auf die Anfechtungsklage ohne Einfluss, weil der zu beseitigende Hauptversammlungsbeschluss nach wie vor besteht (Anschluss BGH v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1 = AG 1983, 75 = MDR 1983, 378).

3. Die Verweigerung der begehrten Auskunft über „die fünf größten Verlustgeschäfte” im vorangegangenen Geschäftsjahr im Rahmen der Erläuterung des Jahresabschlusses begründet ein Anfechtungsrecht der Aktionäre (Festhaltung KG v. 15.2.2001,– 2 W 32B8/00, AG 2001, 421).

 

Normenkette

AktG §§ 120, 131-132, 243, 337

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 101 O 95/99)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der Kammer für Handelssachen 101 des LG Berlin vom 6.12.1999 geändert:

Die in der Hauptversammlung der Beklagten am 26.5.1999 zu Punkt 2 der Tagesordnung gefassten Beschlüsse über die Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand für das Geschäftsjahr 1998 werden für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.d. jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Wert der Beschwer: 100.000 DM.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten, die zum Konzern des Unternehmers A.M. und seiner Familie gehört und ein Grundkapital von rund 26 Mio. DM ausweist. Sie ließen sich bei der Hauptversammlung der Beklagten am 26.5.1999 durch Herrn A. S. vertreten und verfügten ausweislich des anlässlich der Hauptversammlung aufgenommenen Verzeichnisses über die erschienenen und vertretenen Aktionäre jeweils über zwei Stimmen.

Zum Tagesordnungspunkt 1 (Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 1998 mit dem Lagebericht des Vorstands und dem Bericht des Aufsichtsrats) ließen die Kläger ausweislich des Protokolls über die Hauptversammlung des Notars H. vom 26.5.1999 zur Urkundenrolle Nr. 468/99 durch ihren Vertreter die folgenden Fragen stellen:

„1. Beim Verkauf welcher Wertpapiere ist der Verlust von 51,4 Mio. DM entstanden?

Bitte geben Sie die 5 (oder 10) größten Verlustverkäufe an, nachdem solche Verluste im Hinblick auf die Bilanzierung zum Niederstwert per 31.12.1997 dem unbefangenen Aktionär doch eher unwahrscheinlich erscheinen müssen.

2. Im Hinblick auf das Unternehmensziel, den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern:

a) Mit welchem Betrag ist dieses Unternehmensziel im Jahr 1998 erreicht worden? Um wieviel ist der innere Wert der Gesellschaft gestiegen?

b) Wie hoch war das ‚Geschäftsjahresergebnis’ 1998, welches die Gesellschaft intern ermittelt?

3. Bitte teilen Sie mit, welche Bestände (zu Verkehrswerten des Bilanzstichtages) am 31.12.1998 in solchen deutschen und ausländischen Aktien gehalten worden sind, die am 31.12.1998 unter den ‚Wertpapieren des Anlagevermögens’ von 746 Mio. DM bilanziert waren und im Einzelfall (sämtliche Stamm- und Vorzugsaktien einer Gesellschaft jeweils als ein Einzelfall gesehen) am 31.12.1998

a) einen Börsenwert von mindestens 20 Mio. DM hilfsweise

b) einen Börsenwert von jeweils mindestens 30 Mio. DM äußerst hilfsweise

c) einen Börsenwert von jeweils mindestens 50 Mio. DM verkörperten.

4. Wie hoch war der Zuwachs an stillen Reserven im Wertpapierbestand im Geschäftsjahr 1998 insgesamt?”

Der Vorstand beantwortete die Frage Nr. 1 damit, dass es sich um DAX-Werte gehandelt habe. Eine präzisere Beantwortung sei dem Vorstand mangels Unterlagen in der Hauptversammlung nicht möglich. Der Aktionärsvertreter hielt diese Antwort für nicht ausreichend. Der Vorstand verweigerte die Beantwortung der Fragen 2) bis 4).

Anschließend wurde zu Punkt 2 der Tagesordnung auf Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand beschlossen, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 1998 Entlastung zu erteilen. Die Beschlussfassung erfolgte mit allen Stimmen bei vier Gegenstimmen der Kläger ohne Enthaltungen. Nach der Verkündung des Beschlusses erhoben die Kläger Widerspruch.

Mit ihrer am 23.6.1998 beim LG eingegangenen und der Beklagten am 24.7. bzw. 26.7.1998 zugestellten Anfechtungsklage machen die Kläger die Unwirksamkeit der Entlastungsbeschlüsse geltend. Sie haben insoweit die Ansicht vertreten, bereits die Firmenbezeichnung der Beklagten sei irreführend, da Geschäftsgegenstand weder die Produktion noch der Handel mit L. oder W. sei. Die Beklagte arbeite vielmehr unstreitig nach Art einer Investment-Aktiengesellschaft, indem sie große Bestände an Aktien verwalte und auf deren Grundlage in großem Umfang Optionsgeschäfte tätige. Obwoh...

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