BGH: Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in der Aktiengesellschaft

Ein sog. satzungsdurchbrechender Beschluss der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ist zumindest anfechtbar, wenn der Beschluss der Satzung widerspricht und die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden. Das hat der Bundesgerichtshof nochmals klargestellt.

Überblick

Als „satzungsdurchbrechend“ bezeichnet man einen Beschluss, der in einem bestimmten Punkt von der Satzung der Gesellschaft abweicht, ohne dass das für die Änderung der Satzung erforderliche Verfahren eingehalten wird. Der BGH hat seine grundsätzlich ablehnende Haltung zu satzungsdurchbrechenden Beschlüssen bei Aktiengesellschaften nunmehr nochmals bestätigt, zugleich aber offen gelassen, ob bei Aktiengesellschaften für die Satzungsdurchbrechung gegenüber der Satzungsänderung erleichterte Voraussetzungen gelten.

Sachverhalt

In dem vom BGH entschiedenen Fall begehrten Aktionäre einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft die Nichtigerklärung eines satzungsdurchbrechenden Hauptversammlungsbeschlusses. Die Satzung der beklagten Aktiengesellschaft sah unter anderem vor, dass der Vorstand in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr den Jahresabschluss und den Lagebericht aufzustellen und dem Abschlussprüfer vorzulegen habe. Diese Regelung wurde über Jahre hinweg jedoch nicht eingehalten.

Mit dem streitgegenständlichen Beschluss sollte dagegen – abweichend von der Regelung in der Satzung – beschlossen werden, dass für bereits abgeschlossene Geschäftsjahre auf eine Prüfung der Jahresabschlüsse und Lageberichte verzichtet wird, soweit keine gesetzliche Prüfpflicht besteht.

Der Beschluss kam entgegen den Stimmen der klagenden Aktionäre mit einer Dreiviertelmehrheit zustande. Die überstimmten Aktionäre erklärten Widerspruch gegen den Beschluss zur Niederschrift des notariellen Protokolls und erhoben Anfechtungsklage.

Vor dem LG Hannover und dem OLG Celle blieben die Kläger ohne Erfolg: Das OLG Celle war der Auffassung, dass der angegriffene Beschluss weder die Satzung durchbreche noch sie abändere. Es sei nur darüber abgestimmt worden, wie im Nachhinein mit dem Versäumnis des Vorstands umzugehen sei. Der Beschluss sei daher wirksam. Mit der hiergegen gerichteten Revision vor dem BGH hatten die Kläger Erfolg.

Die Entscheidung

Der BGH hat die Entscheidung des OLG Celle aufgehoben und den Beschluss für nichtig erklärt.

Der Beschluss erschöpfe sich nicht nur darin, zu entscheiden, wie nachträglich mit dem Verstoß gegen die Satzung umgegangen werden sollte. Er widerspreche der Satzung und sei deshalb nach § 243 Abs. 1 AktG für nichtig zu erklären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Beschluss nicht mit der Regelung in der Satzung der Beklagten vereinbar, wonach der Vorstand in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres den Jahresabschluss sowie den Lagebericht der Gesellschaft aufzustellen und dem Abschlussprüfer vorzulegen habe.

An der Satzungsverletzung ändere sich auch nichts dadurch, dass der Vorstand der Beklagten eine satzungswidrige Praxis etabliert habe, indem er dem Abschlussprüfer den Jahresabschluss und den Lagebericht der Gesellschaft entgegen der Regelung in der Satzung über Jahre nicht vorgelegt hatte. Denn das satzungswidrige Verhalten des Vorstands bleibe ohne Auswirkung auf die Verbindlichkeit oder den Inhalt der geltenden Satzung. Die Satzung einer Aktiengesellschaft könne nicht faktisch geändert werden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sog. punktuellen Satzungsdurchbrechung. Eine einen Einzelfall regelnde Satzungsdurchbrechung sei nach der Rechtsprechung des BGH im Grundsatz auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung möglich, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft. Allerdings blieben punktuelle Satzungsdurchbrechungen anfechtbar. Sog. zustandsbegründende Satzungsänderungen, bei denen die Abweichung von der Satzung Dauerwirkung entfalte, seien hingegen nichtig, wenn die Formvorschriften, die für eine Satzungsänderung gelten, nicht eingehalten werden.

Sowohl das Bedürfnis, neben der Satzungsänderung (§§ 179 ff. AktG) und der Satzungsverletzung (§ 243 Abs. 1 AktG) die Rechtsfigur der Satzungsdurchbrechung zu erhalten, als auch die Unterscheidung zwischen punktuell und zustandsbegründend würden insbesondere für das Aktienrecht im Schrifttum in Frage gestellt. Einer näheren Auseinandersetzung hiermit bedürfe es für die Entscheidung über die Revision aber nicht. Für die Aktiengesellschaft entspreche es nämlich der ganz herrschenden Auffassung, dass ein Beschluss, der gegen körperschaftsrechtliche Satzungsbestimmungen verstößt und nicht in das Handelsregister eingetragen ist, zumindest anfechtbar, wenn nicht gar nichtig bzw. unwirksam sei. Da die Kläger Anfechtungsklage erhoben hätten, komme es nicht mehr auf die weitere Unterscheidung an.

Anmerkungen

Der BGH hat klargestellt, dass Hauptversammlungsbeschlüsse jedenfalls anfechtbar sind, wenn sie der Satzung widersprechen und die Formvorschriften über die Satzungsänderung nicht eingehalten wurden.

Offengelassen hat der Senat hingegen, ob man zwischen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen und satzungsändernden Beschlüssen im Aktienrecht überhaupt unterscheiden kann. Damit einher geht die Frage, ob eine Satzungsdurchbrechung gegenüber der Satzungsänderung unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Gerade dies ist für die Praxis aber von Bedeutung: Soll durch den Hauptversammlungsbeschluss die Satzung geändert werden, muss die Satzungsänderung u. a. in das Handelsregister eingetragen werden. Geschieht das nicht, wird die Änderung nicht wirksam. Ob bei der Satzungsdurchbrechung diese Erfordernisse ebenfalls eingehalten werden müssen, hat der BGH nicht beantwortet.

Soll ein von der Satzung abweichender Hauptversammlungsbeschluss gefasst werden, ist weiterhin höchste Vorsicht geboten und jedenfalls zu empfehlen, alle Vorschriften einzuhalten, die für die Änderung der Satzung gelten.


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