Satzungsdurchbrechender Beschluss trotz Stimmrechtsbindung

Eine entgegen einer Stimmrechtsbindung erfolgte Stimmabgabe ist grundsätzlich wirksam. Nach dem OLG Celle kann dies jedoch anders zu beurteilen sein, wenn sämtliche Gesellschafter eine konkrete Stimmbindung eingegangen sind, da deren Durchsetzung anderenfalls bloße Förmelei wäre.

Sachverhalt

Der, der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt betraf die Abberufung des in Ungnade gefallenen ehemaligen Präsidenten des Fußballbundesligisten Hannover 96.

Die Satzung der betreffenden GmbH sah ausdrücklich vor, dass die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers nicht bei der Gesellschafterversammlung, sondern bei einem fakultativ errichteten Aufsichtsrat liegt. Darüber hinaus verpflichtete sich der alleinige Gesellschafter der GmbH gegenüber einer Drittgesellschaft im Rahmen einer Stimmbindungsvereinbarung, die Satzung nicht bzw. nicht ohne deren vorherige schriftliche Zustimmung zu ändern. Dies gilt nach der Vereinbarung insbesondere für den Passus, der die Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der GmbH) und Besetzung des Aufsichtsrats regelt.

Hierüber setzte sich der alleinige Gesellschafter hinweg und fasste den – explizit satzungsdurchbrechenden – Beschluss, den Geschäftsführer der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung abzuberufen.

Das LG Hannover gab dem Antrag des Geschäftsführers im einstweiligen Verfügungsverfahren statt, die Geschäftsführertätigkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen zu dürfen. Dagegen wandte sich die beklagte GmbH mit ihrer Berufung.

Der Hinweisbeschluss des OLG Celle vom 08.09.2022 – 9 U 72/22

Das OLG Celle hat sich der Ansicht des LG Hannover angeschlossen und erachtet den Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung für nichtig.

Der Alleingesellschafter sei vorliegend eine rechtsgeschäftliche Beschränkung seiner Stimmrechtsmacht bezüglich der Veränderung der Satzung der GmbH in Bezug auf die Kompetenz zur Besetzung des Geschäftsführeramtes eingegangen. Eine derartige Stimmrechtsbindung könne auch gegenüber Dritten versprochen werden.

Der Abberufungsbeschluss stelle zwar keine Satzungsänderung dar, die vertragliche Verpflichtung des Alleingesellschafters lasse sich jedoch ohne Weiteres dahin auslegen, dass dieser sich auch dazu verpflichtet habe, die Satzung nicht durch einzelne Beschlüsse zu durchbrechen und insbesondere nicht zu unterlaufen. Anderenfalls liefe die Bindungsklausel leer.

Zwar sei eine entgegen einer Stimmbindung erfolgte Stimmabgabe nicht grundsätzlich unwirksam, doch gelte anderes, wenn alle Gesellschafter einer Gesellschaft bzw. deren Alleingesellschafter eine konkrete Stimmbindungsvereinbarung eingegangen sind. Die gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung, das durch die Stimmbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, wäre anderenfalls bloße Förmelei.

Aufgrund der besonderen Treuwidrigkeit des Stimmverhaltens führe der Verstoß gegen die Stimmbindung ausnahmsweise nicht nur zur Anfechtbarkeit, sondern zur Nichtigkeit des Beschlusses. Der Alleingesellschafter sei sich der von ihm eingegangenen Bindung ersichtlich bewusst gewesen und habe daher nicht etwa die Satzung geändert, sondern den klagenden Geschäftsführer ausdrücklich „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“ abberufen. Der darin liegende Versuch, die satzungsmäßige, durch eine Stimmrechtsbindung verstärkte und abgesicherte Kompetenzordnung zu unterlaufen, erweise sich – gemessen am Maßstab der §§ 138, 242 BGB – als in besonderem Maße treuwidrig.

Anmerkungen

Stimmbindungsverträge sind ein gängiges Mittel, um eine einheitliche Stimmabgabe aller Gesellschafter oder einer Gesellschaftergruppe sicherzustellen. Im Rahmen von Poolvereinbarungen, die besonders häufig in Familiengesellschaften vereinbart werden, verpflichten sich die Parteien ihre Stimmrechte in bestimmter Weise auszuüben. Nach umstrittener, aber herrschender Ansicht, kann eine solche Vereinbarung auch mit Dritten abgeschlossen werden.

Verstößt ein Gesellschafter gegen die vereinbarte Stimmbindung, ist seine Stimme grundsätzlich wirksam. Die Stimmbindung besteht nur im Vertragsverhältnis der Parteien untereinander und lässt das Außenverhältnis unberührt. Den Vertragspartnern bleibt regelmäßig nur die Möglichkeit, die schuldrechtlich vereinbarte Stimmabgabe ggü. dem gegen die Vereinbarung verstoßenden Gesellschafter gerichtlich zu forcieren und gerade nicht mittels des korporationsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Gesellschaft.

Diesen Grundsatz durchbricht das OLG Celle und leitet aus der schuldrechtlichen Ebene Rechtsfolgen für die korporative Ebene ab. Zwar ist das Ergebnis im konkreten Einzelfall mit Blick auf die bewusste Umgehung des vereinbarten Kompetenzregimes nachvollziehbar, die dogmatische Herleitung ist es jedoch nicht. So sind nach der Rechtsprechung des BGH sittenwidrige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH nicht nach § 138 BGB, sondern analog § 241 Nr. 4 AktG nur dann nichtig, wenn sie durch ihren Inhalt und nicht – wie im Fall des OLG Celle – aufgrund der Begleitumstände gegen die guten Sitten verstoßen. Der Beschluss muss also "für sich allein betrachtet" gegen die guten Sitten verstoßen (st. Rspr.; vgl. jüngst BGH, Urteil v. 6. 12.2022, II ZR 187/21).

Für Parteien einer Stimmbindungsvereinbarung, die sich mit vereinbarungswidrigem Stimmverhalten konfrontiert sehen, bleibt daher weiterhin ein gerichtliches Vorgehen gegen den betreffenden Gesellschafter, nicht aber eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Gesellschaft das Mittel der Wahl.

(OLG Celle, Hinweisbeschluss v. 8.9.2022, 9 U 72/22)