Inkongruente Vorabgewinnausschüttung bei einer GmbH

Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben v. 17.12.2013, BStBl I 2014, S. 63).

Hintergrund: Von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnverteilung

X war 2012 bis 2015 Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der K-GmbH. Weiterer Gesellschafter der K-GmbH zu 50 % war die T-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls X war.

Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Insbesondere enthielt er keine Öffnungsklausel i.S. des § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, die eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall zuließ.

In den Streitjahren fasste die Gesellschafterversammlung der K-GmbH jeweils einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, mit denen die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH (nicht auch zu 50 % an X als Mitgesellschafter) verteilt und ausgezahlt wurden.

Das FA vertrat die Auffassung, die Ausschüttungsbeschlüsse seien wegen der inkongruenten Verteilung der Vorabgewinne zivilrechtlich nichtig. X habe – veranlasst durch sein Gesellschaftsverhältnis zur K-GmbH – den ihm zustehenden Anteil an der Ausschüttung der T-GmbH zugewandt und dadurch (der Abgeltungsteuer unterliegende) Einkünfte aus vGA erzielt.

Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, punktuell gegen die gesetzliche Gewinnverteilung verstoßende Beschlüsse über Vorabgewinnausschüttungen seien gleichwohl zivilrechtlich wirksam und steuerlich für die Zurechnung der Kapitaleinkünfte zu beachten.

Entscheidung: Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung

Der BFH teilt die Auffassung des FG. Die Revision des FA wurde zurückgewiesen. Die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, in denen an X keine Ausschüttungsbeträge verteilt wurden, sind zivilrechtlich wirksam. X hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (Gewinnanteile) nicht verwirklicht.

Satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschlüsse mit Dauerwirkung sind nichtig

Enthält der Gesellschaftsvertrag – wie hier – keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung und keine Öffnungsklausel i.S. des § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, sind die Gewinne nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile zu verteilen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Hiervon abweichende, satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse mit Dauerwirkung sind nichtig, wenn nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (notarielle Beurkundung, Eintragung im Handelsregister) eingehalten werden.

Punktuell satzungsdurchbrechender Beschlüsse sind jedoch wirksam

Von (nichtigen) Beschlüssen mit Dauerwirkung sind satzungsdurchbrechende punktuelle Beschlüsse, deren Wirkung sich in einem Einzelakt erschöpft, zu unterscheiden. Durch sie soll die Satzung nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden. Solche Beschlüsse sind nicht nichtig, sondern (nur) bei der GmbH anfechtbar (analog § 234 Abs. 1 AktG). Unabhängig davon, welche formellen Anforderungen an solche Beschlüsse zu stellen sind (z.T. wird bei Mehrheitsbeschlüssen notarielle Beurkundung und Registereintragung gefordert), ergibt sich die Wirksamkeit im Streitfall daraus, dass sämtliche Gesellschafter der inkongruenten Gewinnverteilung zugestimmt haben. In diesem Fall kann der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden. Denn die Zustimmung aller Gesellschafter führt für jeden Gesellschafter zum Verlust der Anfechtungsberechtigung. Die einstimmigen und nicht anfechtbaren Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen der Streitjahre sind damit jeweils zivilrechtlich wirksam und bindend.

X ist kein Gewinnanteil zugeflossen  

Da die Vorabgewinnausschüttungen im Streitjahr auf zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen beruhen, handelt es sich jeweils um eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Damit hat X keinen Gewinnanteil zu versteuern. Denn er verwirklicht nicht den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, da zivilrechtlich wirksam beschlossen wurde, an ihn keinen Gewinn auszuschütten. Offen ausgeschüttete Gewinne sind stets (nur) bei demjenigen Anteilseigner der Besteuerung zu unterwerfen, dem sie in dieser Eigenschaft als Anteilseigner zufließen (BFH v. 19.8.1999, I R 77/96, BStBl II 2001, S. 43, Rz. 41).

Keine Einkünfte aus vGA

Eine vGA i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Die inkongruenten Vorabausschüttungen an die von X beherrschte T-GmbH wurden zivilrechtlich wirksam beschlossen. Es handelt sich um offene Ausschüttungen, die auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH und nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des X zur K-GmbH beruhen. Dies schließt die Beurteilung der Ausschüttungen als vGA der K-GmbH an den X aus.

Kein Gestaltungsmissbrauch

Inkongruente Gewinnverteilungen sind steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen (BFH v. 4.12.2014, IV R 28/11, BFH/NV 2015, S. 495). Nahezu jede Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt, stellt zugleich eine inkongruente Ausschüttung an den empfangenden Gesellschafter dar und wird der Besteuerung zugrunde gelegt. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im Einklang stehen, hiervon steuerlich abweichend zu behandeln (BFH v. 19.8.1999, I R 77/96, BStBl II 2001, 43). Ferner ist zu berücksichtigen, dass für X kein steuerlicher Vorteil entstand, da er bei einer späteren Ausschüttung der T-GmbH an ihn die Versteuerung der Kapitaleinkünfte "nachzuholen" hat.

Hinweis: Abweichung von der BMF-Auffassung

Der BFH widerspricht dem BMF-Schreiben v. 17.12.2013, BStBl 2014, S. 63. Danach ist die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnverteilung davon abhängig, dass im Gesellschaftsvertrag (bzw. in einer nachträglichen Satzungsänderung mit Zustimmung aller Gesellschafteer) eine vom Verhältnis der Geschäftsanteile abweichende Verteilung festgesetzt ist oder die Satzung eine Klausel enthält, nach der alljährlich mehrheitlich eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichend Gewinnverteilung beschlossen werden kann.

BFH Urteil vom 28.09.2022 - VIII R 20/20 (veröffentlicht am 15.12.2022)

Alle am 15.12.2022 veröffentlichten BFH-Entscheidungen