Entscheidungsstichwort (Thema)

Begangenheit von Verfassungsrichtern

 

Beteiligte

Rechtsanwälte Dr. Karl-Heinz Christoph und Dr. Ingeborg Christoph

1. des Herrn Professor Dr. Moritz Mebel

2. des Herrn Dr. Siegfried Möller

3. des Herrn Dr. Klaus Pollok

4. des Herrn Dr. Dr. Horst Fischer

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 11.06.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 156/97)

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 30.04.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 6/98)

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 30.04.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 142/97)

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 04.02.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 156/97)

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 03.02.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 6/98)

LSG Berlin (Zwischenurteil vom 03.02.1998; Aktenzeichen L 8 An-S 142/97)

SG Berlin (Zwischenurteil vom 20.11.1997; Aktenzeichen S 20 An 4628/94)

SG Berlin (Zwischenurteil vom 06.11.1997; Aktenzeichen S 14 An 1554/96)

SG Berlin (Zwischenurteil vom 09.09.1997; Aktenzeichen S 12 An 5508/96)

BGH (Zwischenurteil vom 10.03.1997; Aktenzeichen 4 BA 187/96)

LAG Berlin (Urteil vom 17.09.1996; Aktenzeichen L 2 An 79/95)

SG Berlin (Urteil vom 13.02.1995; Aktenzeichen S 8 An 4790/94)

 

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

 

Tatbestand

I.

Der vorliegende Beschluss betrifft die Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier an der Entscheidung über die Annahme von Verfassungsbeschwerden zur Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Altersversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung des wiedervereinigten Deutschlands. Die Beschwerdeführer hatten sich gegen die so genannte Systementscheidung mit Liquidierung der Zusatzversorgung sowie die Berücksichtigung der Arbeitsentgelte nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze gewandt. Zudem war geltend gemacht worden, es verstoße gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, wenn nicht die Entscheidung des Versorgungsträgers, sondern erst die des Rentenversicherungsträgers angegriffen werden könne. Die Aussetzung der Verfahren nach § 114 Abs. 2 SGG analog hatten die Beschwerdeführer als verfassungswidrig angesehen.

Mit Beschluss vom 9. März 2000 (1 BvR 2216/96) sowie Beschlüssen vom 13. April 2000 (1 BvR 501/98, 1 BvR 534/98, 1 BvR 550/98) hat die 1. Kammer des Ersten Senats unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier und der Richter Steiner und Hoffmann-Riem die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit Schriftsätzen vom 15. April sowie vom 20. und 21. Mai 2000 haben die Beschwerdeführer beantragt, diese Beschlüsse wegen Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier für nichtig zu erklären, die Verfahren wieder aufzunehmen und über die Verfassungsbeschwerden in einer anderen Richter-Besetzung unter Beachtung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erneut zu entscheiden.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, Vizepräsident Papier hätte aufgrund des dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Mai 1994 erstatteten Rechtsgutachtens zur Verfassungsmäßigkeit der Versorgungsüberleitung, aufgrund seiner Äußerungen in der Literatur sowie seiner Stellungnahme als Sachverständiger vor dem Ausschuss des Deutschen Bundestages für Arbeit und Sozialordnung am 21. Juni 1995 an der Entscheidung über die oben genannten Verfassungsbeschwerden nicht mitwirken dürfen. Insbesondere verweisen die Beschwerdeführer auf den Beschluss des Ersten Senats vom 26. Mai 1998 (BVerfGE 98, 134), der die Selbstablehnung des Vizepräsidenten Papier für begründet erachtet hat.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Anträge sind abzulehnen. Es kann offen bleiben, ob sie zulässigerweise gestellt werden können, wenn das Verfahren der Verfassungsbeschwerde durch eine unanfechtbare Nichtannahmeentscheidung gemäß §§ 93 a, 93 b BVerfGG abgeschlossen ist. Denn sie sind jedenfalls unbegründet. Weder lagen in der Person des Vizepräsidenten Papier Gründe für eine Ausschließung nach § 18 BVerfGG noch Gründe für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG vor.

1. a) Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG wäre Vizepräsident Papier an den oben genannten Kammerentscheidungen von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, wenn er in der selben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig geworden wäre. Das Bundesverfassungsgericht legt diese Vorschrift in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn aus (vgl. BVerfGE 82, 30 ≪35 f.≫). Vizepräsident Papier war danach in Bezug auf die fraglichen Verfahren zu keiner Zeit in irgendeiner Weise tätig, die einen Ausschluss begründet (vgl. BVerfGE 78, 331 ≪337≫; 94, 241 ≪257≫). Dies gilt insbesondere für die den Verfassungsbeschwerden zugrundeliegenden Ausgangsverfahren. Für die Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass sich Vizepräsident Papier im Rahmen eines Rechtsgutachtens oder in sonstiger Weise (vgl. BVerfGE 98, 134 ≪135 ff.≫) zu Verfassungsfragen geäußert hat, die durch die vorliegenden Verfahren aufgeworfen werden.

b) Vizepräsident Papier war auch nicht durch den Beschluss des Ersten Senats vom 26. Mai 1998 (BVerfGE 98, 134) rechtlich gehindert, an den oben genannten Entscheidungen mitzuwirken. Beschlüsse, in denen die Selbstablehnung für begründet erklärt wird, betreffen nur Verfahren, zu denen sie ergangen sind.

2. Ebenso wenig ist die nachträgliche Ablehnung des Vizepräsidenten Papier wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG begründet.

a) Es kann offen bleiben, ob die Ablehnung nicht verspätet ist. Nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG ist sie unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird. Sofern in Verfahren der Verfassungsbeschwerde – wie vorliegend – nicht mündlich verhandelt wurde, ist die Ablehnung nur bis zur Verkündung der Entscheidung zulässig, ohne dass es darauf ankommt, wann der Ablehnende vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhalten hat (vgl. BVerfGE 2, 295 ≪296 f.≫; Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, Kommentar, § 19, Rn. 12 ≪Bearbeitungsstand: März 1998≫). Vorliegend ist jedenfalls in allen Fällen die Ablehnung nach Zugang des jeweiligen Beschlusses erfolgt.

b) Unbeschadet dessen haben die Beschwerdeführer jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, warum die Besorgnis der Befangenheit in der Person des Vizepräsidenten Papier bestand. Soweit die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden auf den Erkenntnissen der Urteile des Ersten Senats vom 28. April 1999 (vgl. BVerfGE 100, 1 ≪40≫; 100, 104 ≪125≫) beruht, hat die Kammer nach §§ 93 b, 93 c BVerfGG lediglich Senatsentscheidungen vollzogen, die ohne Mitwirkung des Vizepräsidenten Papier ergangen sind. Soweit Gegenstand der Verfassungsbeschwerden Fragen des Verwaltungsverfahrens und des sozialgerichtlichen Verfahrens waren, hat sich Vizepräsident Papier – soweit ersichtlich – zu keiner Zeit zu ihnen in irgend einer Form geäußert.

 

Unterschriften

Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Dokument-Index HI567607

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge