Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden in Brandenburg bei winterlichen Straßenverhältnissen. Rechtsfolgen der Übertragung auf eine Fachfirma
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn die Winterdienstpflicht in Brandenburg nicht zur Straßenbaulast zählt, ist sie als Unterfall der Straßenreinigungspflicht gleichwohl hoheitliche Aufgabe der Gemeinden. Ihre Verletzung führt daher zu einer Haftung nach Amtshaftungsrecht.
2. § 49a Abs. 3 StrG Brandenburg, wonach die Gemeinden im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage winterdienstlich zu behandeln haben, soweit dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist, führt nicht zu einer Ausweitung der nach allgemeinen Grundsätzen geltenden Verkehrssicherungspflicht. Vielmehr besteht die Winterdienstpflicht nur bei einer konkreten Gefahrenlage und nach den örtlichen Besonderheiten.
3. Herrscht allgemeine Glätte, so besteht eine Winterdienstpflicht an einem Fußweg, der eine Zuwegung zu einer S-Bahnstation darstellt.
4. Es ist rechtlich möglich und auch zulässig, Verkehrssicherungspflichten auf Dritte zu übertragen. Jedoch rechtfertigt nur eine eindeutige und vertraglich bindende Übernahme der Sicherungspflichten, den an sich Sicherungspflichten aus einer Haftung mit .... gegenüber Dritten zu entlassen und diesen mit ihren Haftpflichtansprüchen an den Übernehmer zu verweisen.
5. Die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten durch diesen Dritten ist jedoch durch den an sich Sicherungspflichtigen zu überwachen, wobei sich die Überwachung nicht auf das Warten auf etwaige Beanstandungen oder Beschwerden beschränken darf. Es ist vielmehr mindestens eine stichprobenartige Kontrolle zu fordern.
6. Für die Kausalität der Unterlassung der Überwachung für den eingetretenen Schaden spricht weder ein Anscheinsbeweis, noch kommt eine grundsätzliche Umkehr der Beweislast zum Tragen. Allerdings kommen einem Geschädigten Erleichterungen im Rahmen der Darlegungslast zugute.
7. Eine Mithaftungsquote des Geschädigten von 30 % ist nicht zu beanstanden.
›‹1. Der Winterdienst ist auch dann, wenn er landesrechtlich nicht zur Straßenbaulast zählt, als Unterfall der Straßenreinigungspflicht hoheitliche Aufgabe der Gemeinden; ihre Verletzung führt zu einer Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen.
2. Die als Amtspflicht ausgestaltete Räum- und Streupflicht der Gemeinden richtet sich ebenso wie deren zulässige Übertragung auf einen Dritten nach allgemeinen Grundsätzen; sie besteht nicht uneingeschränkt, sondern nur unter dem Vorbehalt des Zumutbaren. Jedenfalls müssen für Fußgänger die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege geräumt und gestreut werden.
3. Auch bei Übertragung des Winterdienstes auf eine Fachfirma besteht eine Überwachungs- und Kontrollpflicht der Gemeinde fort; ausreichend aber auch erforderlich ist, dass von Anfang an stichprobenartige Kontrollen vorgenommen werden oder die von der Firma nach dem Vertrag zu führenden Streubücher kontrolliert werden. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf solche Stellen, die wegen ihrer Verkehrsbedeutung in besonderer Weise gefahrenträchtig sind, wie z.B. zentrale Omnibusbahnhöfe oder Bahnhofzugänge oder Bahnhofsvorplätze.
4. Bezüglich der Kausalität des Unterlassens der geschuldeten stichprobenartigen Kontrolle und Überwachung des Winterdienstes für den Sturz eines Fußgängers bei Glatteis greift weder der Anscheinsbeweis ein, noch findet eine Umkehr der Beweislast statt. Jedoch kommen dem Geschädigten insoweit Beweiserleichterungen im Rahmen der Darlegungslast zugute, als es der Gemeinde obliegt, die tatsächlichen Umstände darzulegen, die gegen die Annahme eines grundsätzlichen Mangels bei der Ausführung des Winterdienstes sprechen, der bei der geschuldeten Kontrolle aufgefallen wäre.
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 20.11.2006; Aktenzeichen 11 O 506/05) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. Dezember 2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 11 O 506/07, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Kosten der Nebenintervention in beiden Rechtszügen trägt die Streithelferin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die klagende Berufsgenossenschaft macht aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche infolge eines Glatteisunfalls ihrer Versicherten, der Zeugin E... W..., geltend, der sich nach ihrem Vortrag am 9. Januar 2001 im Bereich des Vorplatzes des S-Bahn-Haltepunktes B...-F... ereignet haben soll. Wegen der tatsächlichen Feststellungen...