Leitsatz (amtlich)

a) Bei einem Urkundenprozess sind diejenigen Teile des Streitverhältnisses, die im Vorbehaltsurteil beschieden werden mussten, damit es überhaupt ergehen konnte, als endgültig beschieden dem Streit im Nachverfahren entzogen.

b) Der Beklagte kann im Nachverfahren die Echtheit einer Privaturkunde nicht nur dann bestreiten, wenn er sich dazu im Urkundenprozess nicht erklärt hat, sondern auch dann, wenn das Gericht sein Bestreiten im Urkundenprozess nicht als ausreichend angesehen und die Echtheit der Urkunde daher keiner Prüfung unterzogen hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 599-600

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 8 U 54/02)

LG Kleve

 

Nachgehend

OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.06.2010; Aktenzeichen 7 U 159/09)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 19.12.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem angeblichen Schuldanerkenntnis in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin ist im Besitz einer von dem Rechtsbeistand S. "beglaubigten" Ablichtung einer angeblich vom Beklagten am 16.1.1984 unterschriebenen Urkunde des Inhalts, dass der Beklagte anerkenne, ihr 250.000 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.1.1983 zu schulden. Diese Ablichtung ist ihr von dem Rechtsbeistand S. mit einem Begleitschreiben v. 17.1.1984 übersandt worden. Sie forderte den Beklagten erstmals im Jahre 2001 zur Zahlung der 250.000 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.1.1983i. H. v. insgesamt 365.041,10 DM auf.

Da der Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkam, hat die Klägerin im Urkundenprozess ein rechtskräftig gewordenes Vorbehaltsurteil des LG über 250.000 DM zzgl. Zinsen erwirkt. Im Nachverfahren streiten die Parteien insbesondere über die Wirksamkeit des Schuldanerkenntnisses, wobei der Beklagte u. a. die Echtheit seiner Unterschrift bestreitet und hilfsweise behauptet, nur zum Schein unterschrieben zu haben. Der Beklagte macht ferner geltend, im Falle der Wirksamkeit des Schuldanerkenntnisses sei dieses ohne Rechtsgrund abgegeben worden. Er hat außerdem die Einrede der Verjährung erhoben.

Das LG hat sein Vorbehaltsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, das OLG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht des LG gefolgt, dass die Klägerin die Voraussetzungen eines wirksamen Schuldanerkenntnisses nicht dargetan habe, und hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

§ 781 S. 1 BGB setze für die Gültigkeit eines Schuldanerkenntnisses die schriftliche Erteilung der Anerkennungserklärung voraus. Die bloße Unterschrift unter eine entsprechende Urkunde genüge dafür nicht. Erforderlich seien vielmehr Übergabe und Zugang der Urkunde an den Gläubiger mit Willen des Schuldners. Dabei müsse es sich - ebenso wie in dem gleich gelagerten Fall der Bürgschaftserteilung - um die Urschrift der Urkunde oder zumindest - im Anwendungsbereich der §§ 45, 47 BeurkG - um eine beglaubigte Ausfertigung handeln.

Diesen Erfordernissen genüge die der Klägerin übersandte, von einem Rechtsbeistand beglaubigte Ablichtung der Anerkenntnisurkunde nicht. Die Urschrift der Urkunde sei der Klägerin nicht zugegangen und auch nicht von dem Rechtsbeistand als Vertreter der persönlich nicht anwesenden Klägerin entgegengenommen worden.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, ob das Berufungsurteil bereits deshalb aufgehoben werden müsste, weil es die Berufungsanträge nicht enthält, deren Aufnahme durch den neuen § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht entbehrlich geworden und daher auch nach neuem Recht unverzichtbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = WM 2003, 2424 [2425]; Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50; Urt. v. 13.1.2004 - XI ZR 5/03, Umdr. S. 5). Selbst wenn man diesen Fehler mit der Begründung für unschädlich hielte, dass das Petitum der Berufungsklägerin aus dem übrigen Inhalt des Berufungsurteils hinreichend deutlich erkennbar sei (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = WM 2003, 2424 [2425]; Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50; Urt. v. 13.1.2004 - XI ZR 5/03, Umdr. S. 5), könnte das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

2. Dieses Urteil ist jedenfalls deshalb rechtsfehlerhaft, weil es - ebenso wie bereits das klageabweisende landgerichtliche Urteil - auf einer Verkennung der Bindungswirkung des rechtskräftigen Vorbehaltsurteils des LG beruht.

a) Ein Vorbehaltsurteil im Urkundenprozess entfaltet insoweit Bindungswirkung für das Nachverfahren, als es nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenprozess beruht. Daraus folgt, dass diejenigen Teile des Streitverhältnisses, die im Vorbehaltsurteil beschieden werden mussten, damit es überhaupt ergehen konnte, als endgültig beschieden dem Streit entzogen sind (BGH v. 26.10.1981 - II ZR 70/81, BGHZ 82, 115 [117 ff.] = MDR 1982, 209; Urt. v. 1.10.1987 - III ZR 134/86, MDR 1988, 207 = WM 1987, 1416 [1417]; Urt. v. 13.2.1989 - II ZR 110/88, WM 1989, 868 [870]; Urt. v. 24.11.1992 - XI ZR 86/92, MDR 1993, 475 = WM 1993, 99 [100]).

b) Zu diesen Teilen gehört hier die Frage, ob der Gültigkeit des Schuldanerkenntnisses der Umstand entgegensteht, dass die Urschrift der Anerkenntnisurkunde der Klägerin nicht zugegangen ist. Die insoweit bedeutsamen Tatsachen waren bereits im Vorverfahren von der Klägerin vorgetragen und dort unter dem Gesichtspunkt der Schlüssigkeit der Klage von Amts wegen zu prüfen. Wenn dies nicht geschehen ist, so ändert das an der Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils nichts. Dieses beruht insoweit nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenprozess, sondern, falls die von beiden Vorinstanzen im Nachverfahren vertretene Rechtsansicht zutreffend sein sollte, auf einem Fehler bei der Rechtsanwendung. Die Klage hätte dann bereits im Urkundenprozess als unbegründet abgewiesen werden müssen.

Da dies nicht geschehen ist, war das LG durch die Bindungswirkung seines rechtskräftigen Vorbehaltsurteils gehindert, die Klage mit der Begründung abzuweisen, die Urschrift der Schuldanerkenntnisurkunde sei der Klägerin nicht zugegangen. Das Berufungsurteil, das diese Klageabweisung mit der gleichen Begründung bestätigt hat, beruht deshalb auf einem Rechtsfehler.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Das Berufungsgericht wird sich mit den zahlreichen von der Bindungswirkung des landgerichtlichen Vorbehaltsurteils nicht betroffenen Einwänden des Beklagten gegen die Klageforderung zu befassen und dabei die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen haben. Das gilt auch für die umstrittene Frage der Echtheit der Unterschrift des Beklagten unter der Anerkenntnisurkunde, die der Prüfung im Nachverfahren nicht durch die Bindungswirkung des landgerichtlichen Vorbehaltsurteils entzogen ist. Der BGH hat anerkannt, dass ein Beklagter, der die Echtheit seiner Unterschrift im Urkundenprozess nicht bestritten hat, dies im Nachverfahren wirksam nachholen kann, weil im Urkundenprozess für das Gericht noch kein Anlass bestand, die Echtheit der Unterschrift zu prüfen (BGH v. 26.10.1981 - II ZR 70/81, BGHZ 82, 115 [116 ff.] = MDR 1982, 209). Dasselbe muss dann gelten, wenn das Gericht, wie hier, im Urkundenprozess deshalb nicht in eine Prüfung der Echtheit der Unterschrift eingetreten ist, weil es das Bestreiten des Beklagten als nicht ausreichend und die Echtheit der Unterschrift daher als zugestanden angesehen hat.

Die Bindungswirkung des Berufungsurteils schließt die erstmals im Nachverfahren erhobene und daher früher nicht zu prüfende Einrede der Verjährung, der jedenfalls für einen erheblichen Teil der umfangreichen Zinsforderung der Klägerin Bedeutung zukommen kann (§ 197 BGB a. F.), ebenfalls nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1991 - IX ZR 18/91, MDR 1992, 518 = WM 1992, 159 [161]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1124915

BGHZ 2004, 69

BB 2004, 686

NJW 2004, 1159

BGHR 2004, 760

EBE/BGH 2004, 2

JR 2004, 499

JurBüro 2004, 679

WM 2004, 650

ZIP 2004, 827

MDR 2004, 825

BKR 2004, 207

ZBB 2004, 248

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